Die ÜberTragung des Textes geschah von einer Kopie des originalen TypoScriptes. Da beim Kopieren gelegentlich einige BuchStaben am Rande verlorengehen, mußte in solchen Fällen nach besten Wissen der Text ergänzt werden - es können also Unterschiede zum Original-Manuskript vorkommen.
Außerdem sind vom Autor weite Passagen durchgestrichen oder mit "Streichen" gekennzeichnet. Weil wir nicht wissen, ob dieses aus eigener Überzeugung geschah oder ob der Autor bereits mit einem Verlag in Kontakt war, der ihm - wie in solchen Fällen üblich - Kürzungen nahegelegt hatte, werden wir diese Passagen mit einer anderen SchriftGröße im Text belassen. Dazu kommt, daß manche dieser Kürzungen Sachverhalte betreffen, die vor fünfzig Jahren vielleicht noch allgemein bekannt waren, jetzt aber nicht mehr.
Auch die stellenweise ungewöhnliche SatzFührung haben wir nicht verändert, selbst da, wo keiner von uns versteht, was gemeint ist. Ebenso sind uns unbekannte Worte nicht bearbeitet worden. Da das Manuskript wahrscheinlich doch nicht durch die Hände irgendeines Lektors gegangen ist, ist mit heute nicht mehr behebbaren Fehlern zu rechnen. Da wir dem Autor keine Interpretation unterstellen wollen, werden wir mit einer unveränderten Wiedergabe seinen Absichten am besten gerecht.
Nur ganz offensichtliche Orthographie-Fehler oder inkorrekte SatzZeichenVerwendung wurden behoben, als Basis wurde die damals übliche RechtSchreibung verwendet.
Das Original wurde mit einer Mignon-SchreibMaschine geschrieben, die weder über die großen UmLaute noch über das 'ß' verfügte. Wir haben die dadurch erzwungene Orthographie so belassen, wie sie ist. Weiterhin haben wir alle Trennungen entfernt, weil diese für Internet-Browser sinnlos sind, und die SeitenEinteilung ist die des Original-TypoScriptes. Über SeitenGrenzen getrennte Worte wurden jeweils der vorhergehenden Seite zugezogen. Die Verwendung der AnführungsZeichen ist inkonsistent und wahrscheinlich den beschränkten Möglichkeiten der verwendeten SchreibMaschine zuzuschreiben.
Die direkte Rede ist in blauem Font gesetzt, um sie von den Stellen abzusetzen, wo AnführungsZeichen für andere Zwecke als die direkte Rede verwendet wurden. Die nur gedachte direkte Rede ist ebenso markiert, dieses werden wir vielleicht zurücknehmen.
Da die HTML-Umsetzung ´von Hand´ während des Abtippens geschah, haben wir die HTML-Formulierung für die Umlaute (sog. Entities) zunächst nicht verwendet. Das kann bei einigen Browsern Schwierigkeiten machen. Bis zur endgültigen Bereinigung empfehlen wir eine eventuelle Editierung des Textes, um die einzelnen Zeichen geeignet zu ersetzen.
Dann gibt es natürlich auch noch die Fehler, die uns selbst beim Abtippen passiert sind!
Die historische Präzision: Da sehen wir uns nicht in der Lage, irgendetwas zu kommentieren oder querzuverweisen. Die Veröffentlichung nach dem Tode von Heinrich Hüner wurde bereits von Helga Huener vorangetrieben, und wir haben Blätter mit Auflistungen von Namen, Orten und Berufen gefunden, sowie einige Hinweise auf offene Fragen und mögliche historische Fehler. Diese Arbeiten sind jedoch wegen Tod von Frau Huener nicht zum Abschluß gekommen, und wir können sie hier in keiner Weise verwerten.
Diese Internet-Repräsentation ist die erste und einzige Veröffentlichung des Romans, seit er vor etwa 67 Jahren (Stand 2007) geschrieben wurde. Ohne Hilfe des Bomann-Museums in Celle und des Celler StadtArchivs wäre dies nicht möglich gewesen. Ebenso war Herr Vieweger bei der Eruierung einiger historischer Fakten sehr hilfreich.
Heißt der Apotheker Weigelt oder Weigel?
'Urtel' korrekt für 'Urteil'?
´Riskieren´ damals im Gebrauch?
Sollen wir ein Glossar machen:
Was sind 'spriepende Hosen'?
Was ist ein 'Drelmacher', 'Schwarzmacher', 'Sadeler'?
Sunder
Wohld
Roland
Hehlentor
Oldencelle
Schneitlingen
Ellern
Hantierung
Hag
Wiechel
Taternweib
Fastelabend
Flagg
Unslump
Kaben
Grapen
Trulle
Schaper
Heidpadd
Vörlaat
Holschen
Plünnen
Scharteken
Freite
Tankrüsel
Schapsdrift
Knaggen
streifeter Tracht
Hokenhändler
Katteker
Mögliche Anachronismen:
Seite 113: "Die Nürnberger hängen keinen, sie haben ihn denn ...", woher Original?
Es gibt unter der URL http://www.visselhoevede.de/gilkenheide/text/platt.htm ein Plattdeutsches Wörterbuch, das viele der Ausdrücke in diesem Roman erläutert.
Steenlage: wahrscheinlich Stellichte.
Sind die Seiten 57 bis 60 zu streichen? Entscheidung: nein. Alternativer
Text wäre gewesen:
Die beiden Männer lachten. Dann begaben sie sich zur Ruhe, um am andern
Morgen beizeiten zur Jagd aufzubrechen.
Seite 67 bis 68, die Sequenz ... "Heraus mit deinem Erleben. ... nicht
auf die Frage, sondern begann ...
möglicherweise zu ersetzen durch ... und er begann ... zu
ersetzen.
Seite 127, Dialog-Fehler: "Ist doch ständig viel dazu gelogen ..." - Armgard oder die Alte? Wahrscheinlich geeignet zu spliten. Kontextunkritisch.
Seite 163: Wie will die Alte in einem Tag die Strecke von Ahnsbeck nach Steenlage zurücklegen? Ist Steenlage doch nicht Stellichte?
Seite 165: ´mannichmal´, Verschreiber?
Seite 232: ´Schweigegebot´, im Original ´Schweigeverbot´.
Inhalt
Inhalt 2 Im "Blauen Donner" 3 Im Celler Ratskeller 27 Die schöne Ahnsbeckerin 41 Auf der Jagd 53 Erntebier in Ahnsbeck 72 Ein Ritt ums Leben 84 Im Einbeckschen Keller 100 (streichen?) In der Allerheide 108 Eine unverhoffte Einladung 118 Ein sonderbarer Besuch 130 Ein lauer Johannisabend 137 Gefahren 143 Das Licht in der Lehmkuhle 149 Eine Brandstiftung 155 Der Verspruch 161 Ungewisse Kunde 176 Ein leeres Nest 184 Vom heimtückischen Schuss 192 Neue Kunde 199 Die Wasserprobe 209 Ein weiter Ritt 220 In Steenlage 231 Ausklänge 236Direkt zur Seite ...
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Es war zu jener Zeit, als in deutschen Landen nur eines gross war: hämische Streitgier.
Man schrieb den 20. Julius im Jahr des Herrn 1570.
Eine Hitze war's zum Braten. Es dibberte nur so über den Allerwiesen und dem Altenceller Felde. Den ganzen Tag über hatte die Sonne vom wolkenlosen, bleigrauen Himmel herunter gebrannt und alle Kehlen ausgedörrt. Eigentlich ein prachtvolles Wetter, um das völlig trockene Korn vom Felde herein zu holen.
Und doch dachte niemand daran, während man sonst stets sehnlichst nach solcher Witterung ausgeschaut hatte.
Alles Volk von Celle und um Celle herum, zum mindesten drei Meilen in der Runde, wogte über die Blumlage, jene Vorstadt, die Herzog Ernst, der den Zunamen der Bekenner führte, vor nunmehr vierzig Jahren hatte angefangen aufzubauen.
Man kam her von dem Anger jenseits des Stiftes und der Kapelle St. Georg. Dort hatte man stundenlang geharrt und geschaut. Doch weder das Altmännerstift, das vor ungefähr 170 Jahren erbaut war und zunächst neben den bresthaften Alten auch schwerkranke Aussätzige in seine Mauern aufnahm - jetzt gab es deren glücklicherweise nicht mehr -, noch das schmucke Kapellchen daneben wurde eines Blickes gewürdigt von all den vielen Menschen, die jetzt zurückströmten in die Altstadt. Kaum hatte man den Gabenstock der alten Konventualen beachtet, der sich doch auffällig genug an der vielbefahrenen Handelstrasse darbot, und ihm einige Pfennige einverleibt.
Doch auf der breiten Blumlage gab es Sand und Staub, für gewöhnlich nur vom durchgetriebenen Vieh und von rumpelnden Wagen hochgewirbelt, jetzt aber in dichten Wolken von den vielen Menschen hochgetrieben, die mehr auf ihren Mund, denn auf ihre Füsse acht hatten.
Deshalb kamen auch nicht wenige von den Leuten, die zunächst stundenlang auf dem Anger hinter St. Georg geharrt und jetzt dicht gedrängt den Stadttoren zueilten, zu dem Entschluss, sich schon hier, in der Vorstadt den Staub aus der Kehle zu spülen und nicht
erst mit der Ausführung dieses löblichen Vorsatzes zu warten, bis man in die sonnendurchglühten Gassen und Strassen der Altstadt einbog.
Schwer war niemandem die Befriedigung seines Durstes gemacht, lag doch zur linken Hand, kurz bevor man den Magnusgraben überschritt, der die äussere Verteidigungslinie der wohlbefestigten herzoglichen Residenz Celle bildete, der "Blaue Donner",ein alter Ausspannkrug, der nie leer wurde von durchziehenden Fuhrleuten und Wanderern.
Wer hier jedoch keinen Raum mehr fand, ging ein paar Schritte weiter, über den Magnusgraben, und sah zu, ob "Im Kreise" in der Wirtschaft "Zum Straussen" die grosse Krugstube schon bis auf den letzten Platz besetzt war.
Apotheker Joannes Weigel versuchte, seinen Nachbarn, den ehrsamen Braumeister Balzer Gerberding, mit in den "Blauen Donner" zu ziehn. Die beiden waren gerade bei dem geräumigen Hof des Kruges angelangt, und da hier sich der Menschenstrom teilte, so war es möglich, einen Augenblick anzuhalten, ohne in einem fort von den weiter drängenden Menschen gestossen zu werden.
Der Apotheker begann, wie es seine Art war, in wohlgesetzten Worten, seinen Nachbarn zu überreden: "Zwar hab' ich zu Haus mir ein fein Tränklein aus sieben verschiedenerlei Kräutern bereitet; doch heut' verlangt mich nach einem kräftigen Krug Broyhan, bei dem Ihr Pate gestanden. Kommt mit, Nachbar, und leert mit mir einen Kroos oder auch zwei. Beim Krüger zum "Blauen Donner" wurden einige Fass des edlen Geränkes vom Wagen gerollt, wie ich auf dem Hinweg wahrnahm. Also ist ein frischer Bräu bei ihm eingetroffen."
Da kam jedoch der Apotheker bei seinem für gewöhnlich recht gleichmütigen Nachbarn schön an: "Ich wollt', es käm' ein Gewitter bei dieser Hitz', und es schlüg' den "Blauen Donner" ein Donnerwetter in den Magnusgraben 'nein, dass keine Spur von dem schändlichen Krug und seinem Krüger übrigblieb."
"Aber, Nachbar, was tat euch denn der "Blaue Donner"? Habt ihr euch mit dem Krüger gezaust? Sieht euch doch sehr unähnlich."
"Krüger hin, Krüger her, was soll mir der?"
Der Apotheker trat vor seinen Nachbarn. Man liess die vielen
laut redenden Menschen, ohne sie sonderlich zu beachten, an sich vorüberziehn.
"Nimmt der Krüger nicht genugsam von eurem Bräu?"
"Wollt ihm nicht geraten haben, mein Bräu zu übersehen. Nimmt manche Tonne Bier von meinem Broyhan. Doch längst nicht soviel, wie er könnt'. Sehr euch das viele fremde Fuhrwerk an, das tagaus, tagein im Hof des "Blauen Donner" einkehrt und dort über Nacht bleibt. So geht's ein Jahr wie's andere, ohn' Unterlass. Könnt viel mehr vom Celler Bräu nehmen und verschenken."
"Aber wenn er euren Bräu nimmt, dann seid doch zufrieden. Müsst anderen auch etwas gönnen!"
"Tu ich ja! Ist mir gleich, ob der "Blaue Donner" von meinem Bräu nimmt oder von dem eines anderen Celler Braumeisters. Soll nur der Celler Brauergilde nicht die Nahrung nehmen. Doch der denkt den Teufel an die Celler Brauer."
"So, nun versteh' ich euch. Ihr seids ihm giftig, dass er Bier von auswärts hereinnimmt."
"Mit Recht tu ich mich drüber erbosen. Und die ganzen Celler Gilden sollten besser zusammenstehen, damit dem Uebel gesteuert wird."
"Gegen die Vorstadtkrüger? Sind doch nur zwei. Soviel des Schadens kann's doch nicht sein."
"Schaden? - Grad genug! - Haben wir in Celle nicht das gute Bier?"
"Alles, was recht ist - ja!" erwiderte lachend der Apotheker; "seit ihr in unserer Stadt den Broyhan eingeführt habt, kann einer zufrieden sein. Früher mit dem Kassmann war's schon eine eigen Sach'. Und das Rotbier und selbst das Doppelrotbier war doch nur als Haustrunk zu ertragen; ist auch heut' noch nicht besser geworden."
Das Lachen hatte den ehrsamen Braumeister doch etwas gekränkt: "Einer hört gleich, dass ihr keine Braugerechtigkeit auf eurem Hause habt. Doch andere Bürger haben sie."
"Sollen sie auch behalten. Es sei fern von mir, einem Mitbürger etwas abzusprechen."
"Was nützt uns aber die schönste Braugerechtigkeit, wenn's Bräu nicht getrunken wird!"
"Sind zuviele Gerechtigkeiten da. Muss einer schon dem anderen sein Bier trinken."
"Aber wenn der da," Balzer Gerberding deutete auf den "Blauen Donner", "wenn der mehr schenkte, könnten wir mehr brauen."
"Eine Schwolk macht noch keinen Summer."
"Aber ein Ausschank, wie dieser da, viel leere Fässer. Braunschweiger "Mumme" und Hannoverschen "Broyhan" und Soltweder "Soltmann" kannst im Uebermass hier kriegen. Vom Einbeckbier will ich nicht einmal reden. Ist schon etwas Besonderes. Doch mit all den anderen Bräu können wir uns wohl messen."
"Habt recht damit. Seit ihr vor fünf Jahren aus Hildesheim zu uns kamt, habt ihr brav geschafft, ein gut Bräu an den Tag gegeben und auch anderen dazu verholfen."
Den Braumeister erfreute sichtlich die Anerkennung: "Hab' nur nach meinen schwachen Kräften getan. Ist aber auch von anderen was Gutes tan. Müssten sich nun eben der hochmögende Rat und herzogliche Gnaden ins Mittel legen."
"Doch wenn die Leute nun einmal Geschmack an "Mumme" und "Soltmann" haben?"
"Wenn's der Krüger nicht herschaffen tät, würd' den Fahrensleuten und auch den anderen Gästen wohl unser Bräu munden."
"Warum steckt sich denn der Burgemeister nicht dazwischen?"
"Tut er oft genug, erwirkt auch wohl ein Verbot vom Grossvogt, um den Bürgern ihr' Nahrung zu erhalten. Bleibt dann aber alles beim alten. Was schiert sich der Krüger ums Verbot!"
"Kommt er denn damit durch?"
"Will's euch sagen, warum er damit durchkommt: Die hohen Herren bei Hof trinken auch gern's ausländische Bräu im "Blauen Donner". Und nachher sagen sie, die fremden Fuhrleut' könnten sich ans heimische Bräu nicht gewöhnen."
Der Apotheker zuckte die Achseln: "Was wollt ihr dagegen tun?"
"Immer wieder die hohen Obrigkeiten anstossen und nicht müd' werden. Hilft doch vielleicht einmal, dass den Bürgern nicht mehr ihre Braunahrung wird verkürzt. - Doch hat man sich beinah' die Zung' aus'm Halse geredt' bei der Hitz. Kommt mit in den Ratskeller!"
"Ist mir zu weit.Hab's hier näher." Joannes Weigelt lächelte.
"Euch liegt auch nichts am Wohl der Bürger!"
Damit wandte sich der tüchtige und ehrenwerte Braumeister Balzer Gerberding halb ärgerlich von seinem Nachbarn ab und schritt über die Magnusgrabenbrücke in dem laut schwatzenden Menschenstrom weiter, der noch immer von der Blumlage her durch die Strassenenge quoll.
Der behäbige Apotheker Joannes Weigel dagegen ging langsamen Schrittes dem Eingang des "Blauen Donners" zu; ein Schmunzeln lief noch über seine Züge; er kannte seinen Nachbarn und wusste, dass er seinen Aerger bald vergass und ihm nicht nachtrug, dass er diesmal die Einladung ausschlug. Eigentlich waren ihm die Sorgen des braven Mannes ziemlich fremd; doch hatten ihm die eindringlichen Worte des Nachbars von den Gedanken bgelenkt, die alle über die Blumlage schreitenden Menschen bewegten und die ihm selber doch gegen den Strich gingen. So war er dem Braumeister noch für die Ablenkung dankbar.
Gemächlich schritt jetzt der Apotheker in den "Blauen Donner", liess seine Augen auf der geräumigen Hausdiele umherschweifen, trat dann in die Krugdönze, entdeckte in dem von Menschen fast überquellenden Raum in einer Ecke noch einen leeren Holzschemel - alle Stühle und Bänke waren schon besetzt - und zog diese an und für sich nicht sehr bequeme Sitzgelegenheit an einen mächtigen Eichentisch.
Zwar kam er hier zwischen lauter Fremde zu sitzen; doch was machte das schon aus! Die bekannten Gesichter aus der Stadt hatte er alle Tage vor sich und wusste von jedem seiner Mitbürger zur Genüge, wo ihn der Schuh drückte. Hier jedoch konnte er vielleicht allerlei Neuigkeiten aus aller Welt erfahren, und, da er nun einmal ein wissbegieriger Mann war, so nutzte er weidlich die günstige Gelegenheit und fragte rechtschaffen die Leute nach ihrem Woher aus und erfuhr dabei mancherlei, was ihm des Behaltens wert erschien.
Vorläufig allerdings liefen alle Reden und Gegenreden in ein und derselben Richtung, die auch unser Apotheker genugsam kannte, weshalb er draussen sehr verwundert gewesen war, dass sein Nachbar Braumeister in übler Laune einen anderen Gesprächsstoff angeschnitten hatte.
Und worüber redeten nun alle diese Menschen, hier im "Blauen Donner" und draussen auf der sandigen und staubigen Heerstrasse, die über die Blumlage hinweg dem volkreichen und auf seine Freiheit stolzen Braunschweig zustrebte?
Nun, man brauchte nicht weiter die Ohren zu spitzen; von allen Seiten schwirrten einem gleiche Redensarten in die Ohren.
Doch mögen einmal die Genossen eines Tisches, an dem Celler Bürgersleut niedergesessen waren, sich aussprechen über das, was durch aller Sinn ging. Der Apotheker sass in einiger Entfernung von diesem Tisch, konnte deshalb am Gespräch, das man hier führte, nicht teilnehmen.
"Wirklich draussen eine Bullenhitz', dass man selber beinah wär' mitbraten worden," liess sich SteinhauermeisterJost Coerdinck vernehmen.
"Fehlt' nicht viel dran. Diesmal hätt' Meister Hans mit sein'm Feuerholz sparsamer umgehen können. Hätt' sich Vorrat für den Winter zurücklegen sollen," fügte Cord Dirikes, der Drellmacher, bei.
"Ist schon g'nugsam sparsam g'wesen, dass er vier auf einmal abg'tan hat. Kann sich an dem Holz, so er übrig g'lassen, noch fein die Füss' wärmen, dass sie ihm im Winter nicht frieren," warf Backmeister Hanss Harmann dazwischen.
"Hat auch nicht lang dauert, bis die Hexen alle waren, haben nur kurz zappeln brauchen," meinte Hans Brauwer, der Badstuber.
"Fühlen so auch nicht viel von des Feuers Hitz'. Hab' g'hört, der höllische Fürst gäb' den Weibsbildern ein' Salb' mit auf den letzten Weg. Täten sich dann damit einschmieren, und würd' ihnen so der Tod leicht," wollte der Parlensticker Berend Vischer wissen.
"Warum muss denen Weibsbildern der Teufel erst durch die Hitz' austrieben werden?" fragte kopfschüttelnd Schwarzmacher Simon Rave.
"Ja, Wasser scheint denen nichts nutz zu sein. Wär' heut' am Tag zwar bekömmlicher," gab der Badstubner seine Meinung wieder zum besten.
Nun mischte sich der eisgraue Hinrich Arlekamp ins Gespräch: "Dass ihr so über die armen Weibsleut sprecht, die heut' des Feuers Hitz' zu Grund g'richtet. Sind doch Menschen gewest wie wir. Und nun solchs End'!"
"Seid ihr denn nicht fürs Verbrennen der Hexen? Hat doch ein hohes Gericht geurtelt. Sind kluge Herren, diese Richter," fügte der Parlensticker ein.
"Will nichts gegen den Verstand der hohen Richter reden. Mag ja ihr Amt sein, solchs Urtel zu finden. Will mir aber nicht mehr in meinen alten Kopf, diese Strenge sei vonnöten," entgegnete der Alte.
Doch der Parlensticker liess nicht locker: "Glaubt ihr denn nicht, dass der Teufel in die Weibsleut fährt, und dass man dem am besten beikommt, wenn man ihn ausräuchert. Muss eben das Weib mit räuchern."
"Will nicht in Abred' stellen, dass es Weiberleut geben mag, die den Teufel mögen haben. Aber darum das ganze Mensch gleich verbrennen? War doch zu meinen Zeiten nicht nötig. Warum denn jetzt?"
"Hättet ihr sie schon damals in Rauch aufgehn lassen, wär' dem Höllenfürsten sein Reich nicht so gross worden. Habt nicht tan, was ihr tun musstet."
"Haben alles tan, was nötig. Konnten besser mit all den Menschen fertig werden als heut'. Wüsst' nicht, was der alten Zeit fehlen sollt'. Aber die jetzigen Tag'?"
"Ja ja, die gut' alt' Zeit! Ist immer die Red' davon bei euch Alten."
"Red' mir nicht gegen mein' Zeit! Waren viel gross' Leut' da mit weitberühmten Namen, von denen man in allen Landen sprach.
Allen voran die Wittenberger, und auch von den Nürembergern wär' ein Wort zu sagen. Wo habt ihr deren heut'?"
"Nun wohl, will nichts gegen Luther, der uns die rein' Lehr bracht hat, sagen. Mögen auch in Nüremberg tüchtige Leut' gewesen sein. Kenn mich da nicht aus. Aber sonst? Lob mir schon mein' Zeit."
"Waren noch viel mehr Leut da, die ihresgleichen nicht hatten, auch unter den Meistern der Hand, nicht bloss unter den gelahrten. Kannte da aus Walsrode in der Heidmark den Meister Hans Brüggemann, konnte in Holz alles schnitzen, was sein' Augen sahen und was sein Sinn ihm eingab. Soll nachher den Augustinern in Bordesholm ein hohes Altarwerk mit seinem Schnitzmesser gebildet haben, das seinesgleichen nur selten hat. Hab mir auch Holzschnitt und Kupferstich kauft, so Meister Albrecht Dürer aus Nüremberg in Druck gegeben. Schau mir dieselbigen noch heut' oftmals an. Wo sind jetzt derart Meister?"
"Weiss da nicht bescheid. Wenn auch dazumal mehr weitberühmte Leut' vorhanden waren, - werden schon wieder kommen. Sind auch heut' noch tüchtige Meister da."
"Wollt aber doch zugeben, waren Männer da zu meinen Zeiten, deren Nam' noch jetzt in hoher Achtung in den Mund g'nommen wird?"
"Hab nichts gegen euer Wort einzuwenden."
"Hat einer von diesen vielgerühmten Menschen, von den gelahrten und ungelahrten, ein Wort fallen lassen, dass man sollt' Weiber aufbrennen? Hat Luther sagt, dass man die Hexen sollt ins Feuer werfen? Ist das Brennen nur so ein neuer Brauch, und ein schlechter dazu, davon geh' ich nicht ab."
"Dann hättest doch nicht hingehen brauchen am heutigen Tag nach dem Anger, als die Weiber zu Asche wurden."
"Bin auch nicht dort west. Soll mich der Herrgott behüten, dass ich zu solchem Brennen einen Schritt tu. Der Bekenner Ernst, unser gottseliger Herzog, der vor bald fünf und zwanzig Jahren mit Tod abging, hätt' solch Brennen nicht statthaft funden; aber fürstliche Gnaden, unser Herzog, kümmert sich um kein Ding. Grad so ist's auch mit dem Kaiser. Der grossmächtige erste Maximilian hat kein Hex' brennen lassen, aber der zweit' des Namens
lässt alle Richter und die gesamte Pfaffheit alten und neuen Glaubens tun und treiben, was sie wollen."
"Alter, hüt' dein Zung'! Red' nicht gegen herzogliche Gnaden und kaiserliche Majestät! Könnt' dir übel bekommen."
"Hab' nimmer Furcht g'habt, die Wahrheit zu bekennen. Wem's nicht passt, mag weghören." Ein behagliches Schmunzeln huschte über die verwitterten Züge des Alten; eigentlich konnte niemand dem alten Arlekamp böse sein, und so kam es, dass er trotz seiner freimütigen Reden noch nirgends angelaufen war.
Inzwischen war einer von den Fuhrleuten, die im "Blauen Donner" ihre Pferde eingestellt hatten, an den Tisch getreten, und er schaute sich nun um nach einem Platz zum Niedersitzen.
"Du, Nachbar Snitker, rück ein wenig weiter auf der Bank!" mahnte Mauermeister Jakob, "der Fuhrmann möcht sich auch gern niederlassen. Er kann uns neue Kund' sagen aus aller Welt."
Man rückte zusammen, was jedoch nicht ohne allerlei Ausrufe vonstatten ging.
"Oh, die Hitz'!"
"Ich sticke!"
"Krüger, gib mir einen neuer Krug Mumme!"
"Lösch den Brand mit echtem Broyhan!"
Der Fuhrmann war schon am Vormittag mit seiner Fuhre angekommen, und, da er bald nach Mitternacht vom Heidkrug aufgebrochen, so schien ihm, er und seine Rösser hätten wohl der Ruhe verdient. Nachdem er seine Tiere versorgt, hatte er sich über dem Stall schlafen gelegt und nichts gemerkt von allem, was seitdem geschehen. Soeben erst war er von seiner düsteren Lagerstätte aufgestanden, hatte seinen Kopf in einen Eimer mit kühlem Wasser gesteckt, wodurch er wieder frisch geworden, und sich nun in die Krugdönze begeben, um sich erst einmal gründlich zu stärken. Vielleicht vermochte er dann in der Abendkühle noch ein Stück Weges hinter sich zu bringen.
Er war bass erstaunt, soviele Menschen in dem Kruge vorzufinden, noch dazu an einem gewöhnlichen Alltag und lange vor Feierabend. Was mochten die vielen Gäste hier suchen? Dass es grösstenteils keine von seinen Zunftgenossen waren, hatte er sofort erkannt.
Soviel merkte er gleich nach seinem Niedersitzen, dass es eine Begebenheit besonderer Art sein musste, die soviele Menschen in den "Blauen Donner" geführt. Als er dann den Reden der hier Zusammengeströmten einen Augenblick gelauscht, blieb er nicht weiter in Ungewissheit, welcher Art das Geschehnis gewesen, was alle zusammengeführt. Aus den Bruchstücken der Gespräche, die sein Ohr trafen, reimte er sich bald zusammen, was er wissen wollte.
Er wandte sich nun seinem Nachbarn zu: "Gelt, Gevatter, aus eurem Geplausch hör ich, dass ihr ein paar Hexen ausgeräuchert habt. Ist das hier denn auch vonnöten?"
"Sehr, sehr! Seid ihr nicht dabei gewesen, als man sie braten liess?" sprach mit verwundeter Stimme Sadeler Hans Tileke.
"Nein, Ehrsame, hab' geschlafen! Bin schon von früh her auf den Beinen gewest, da hat mich das Schlafen überkommen. Bin jetzt erst wieder lebendig worden."
"Na, seid wohl schon lange unterwegs? Nach eurem Zungenschlag aus dem Oberländischen. Stimmt's?" holte der Sadeler ihn aus.
"Meins Vaters Haus steht in Franken, nicht weit vom Mainfluss. Bin viel die Kreuz und Quer gefahren. Hab mannichen Scheiterhaufen in Asche fallen sehen. Besonders im Fränkischen. Hab' aber glaubt, hier bei den kühlen Leuten im Niederland sei solch Feuer zum Ausräuchern von denen Weibsbildern nicht vonnöten. Hab' mich aber doch wohl g'täuscht. Was hat's denn allhier geben?"
"Ist euch dann kein Neues, was sich auf dem Anger bei St. Georg hat zugetragen, wo man einige Hexen liess in Rauch aufgehen."
"Wohl nicht. Hör' aber gern des Landes Brauch, und weiss gern mehr von dem, was g'schieht."
"Nun denn - vier Hexenweiber hat man auf dem Anger gebrennt."
"Sind's Weibsen aus der Stadt Celle gewest, oder sind sie wo anders her genommen?"
"Nein, Gott sei Dank, nicht aus der Stadt! Will damit aber nicht etwa besagen, dass allhier in der Stadt sich keine, die zum Gelichter des Höllenfürsten gehören, aufhalten. Wüsst aber nicht, dass davon bis heute ist etwas kund worden. Waren alle vier Hexen aus den Dörfern da drüben." Der Sadeler deutete mit der Hand nach der Fensterseite hin. "Erstmal die Hirtin aus Wesendorf in der Heide, die Alheid Eggers - dann Eggers Gretschen aus Lachendorf, wisst, wo der Herr Herzog sein' neue Papiermühl' hat - weiter noch die Metke Evers aus dem Dorf da an der Aller, gegenüber dem Kloster Wienhausen, aus Oppershausen nämlich - und die viert' - woher war doch die viert'?"
"Aus Jarnsen, dort bei Beidenbostel, heisst Trut Lowen," fiel der Parlensticker ein.
"Richtig, aus Jarnsen, wollt mir nicht erst beifallen. Ist man ein ganz kleines Dorf. Hat aber doch schon sein Hex g'habt."
"Soso, nicht mal aus einem Dorf!" wunderte sich der Fuhrmann; "wer hat denn die z'sammengesucht? Sind's alle Hexendörfer?"
"O nein! Beileibe nicht! Haben nur ein Hexendorf bei uns," - hier schaute der Sadeler sich ganz vorsichtig um, näherte dann seinen Mund dem Ohr des Fahrenden und hauchte ihm leise hinein: "Heisst Ahnsbeck!"
"Ist mir nicht bekannt," versetzte der Fuhrmann ebenso leise; "bin noch nicht hindurch g'fahren. Aber ist doch keins von denen Weibern, die ihr genannt, aus dem Dorf."
"Wohl nicht," der Sprecher vergass allmählich schon seine ursprüngliche Vorsicht und redete lauter; "haben's aber all in Ahnsbeck lernt. Vor vier Wochen brannte hier die Ilsche Lüders aus Ahnsbeck. Der hatt' aber schon vorher der Teufel den Hals umdreht. War kein Leben mehr innen, als die auf den Holzhaufen kam. Die Lüdersche hat all die Hexen nennt, die heut in Rauch aufgingen. In Ahnsbeck hat's schon eher Hexerei geben; eine, mit Namen Beke Lübben, ist schon vor Jahren verbrannt. Soll auch jetzt noch diese oder jene Hexe unter den Weibern dort stecken. Will aber nichts g'sagt haben."
"Was haben's denn angericht', diese Hexen?"
"Gar viel! Sind bei Oppershausen zusammenkommen und haben
mit dem bösen Feind um einen Baum gedanzet und gebuhlet; ist wie ein Kavalier mit spriependen Hosen bekleidet gewesen, hat eine Hahnenfeder auf seinem Hut gehabt; sind dann auf einem schwarzen Bock geritten, so drei Bein gehabt, und was des Teufels Werk noch mehr gewesen ist. Die Ilsche Lüders hat ihrem Schwiegersohn Balthasar Meyer etwas in sein Bett gelegt, worauf dann der Balthasar schwer krank worden ist. Die andere hat beim Nachbar unter der Schwelle des Stalles etwas von einem toten Tier eingegraben; dadurch hat das Vieh die Maulseuche kriegt und ist viel davon elendiglich eingegangen, und der Bauer ist fast arm worden. Solcher Dinge hat man noch viel von diesen Hexen erzählt, und sie selbsten haben sich auch dazu bekennet."
"Immer dieselbige Sach', die von denen Weibsbildern, wofern sie Hexen sind, verursacht werden. Können ander Leut nimmer in Ruh' lassen. In Franken hat so ein Teufelsweib die ganze Maingegend mit Seuch und Kranksein heimgesucht."
"Glaub nicht, dass der Hexen Kraft so stark ist," mischte sich nun der Kleinsmedt Hans Dedeken in die Rede; "mögen wohl ein kleiner Sach hinkriegen; von grosser aber lassen's schon die Händ'."
"So, glaubst nicht, dass Hexen was können. Lass mich aber nicht davon abbringen. Hab' selber zuviel davon verspüret," wandte Riemensneider Marcus Müller ein.
"Erzähl dein Sach!" forderte ihn der Sadeler auf.
"Kommt zu mir dreimal ein Nachbarsch, hat mir die Hand geben; hab' nachher dreimal das Reissen im Arm habt, bis zur Schulter 'nauf. Konnt kein Pferdgeschirr heben. Na, was sagst nu? Ist die Nachbarsch ein Hex oder nicht?"
"Was geht mich schon dein Nachbarsch an. Hab' auch nicht gesagt, dass die Hexen gar nichts können, hab' nur vermeint, zu vielem, was man ihnen in die Schuh schiebt, wird ihnen der Herrgott kein Kraft geben," verteidigte sich Hans Dedeken.
"Der auch nicht; aber der schlimm' Teufel, dem Herrgott sein Widerpart. Hab' auch mal ein' Menschen kennt, war so ein Löwenix, hat der Teufel ihm den Hals umdreht; so hat man ihn auf der Strass' funden. Lass mir's nicht nehmen: Der Satanas hat gross Macht!"
Der alte Hinrich Arlekamp schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin: "Oh, über die Dummheit der Leut'. Glauben mehr an den Teufel als an den Herrgott. Ist bald so, wie wenn der Herrgott 's Regiment abgegeben hätt, als vor reichlich 'nem Dutzend Jahren Kaiser Carolus der fünfte, und tät dem Satanas alls überlassen. Zu sehr hat doch der Glaub' an den Höllenfürsten die Sinn' der Menschen wirrig macht. Kann mir nicht helfen, halt nicht viel vom Teufel!" Was nützte aber schon die einzelne Stimme des klugen Alten gegen die Meinung der betörten Menge! Hielt man doch an diesem Teufelsglauben wie an einem werten Kleinod fest.
"Aber eins hat'n diesmal wieder sehn: wenn die Fraunsleut nicht soviel reden täten, nachher gäb's nicht soviel Hexen, die brennen müssten," liess sich vom Nebentisch her die tiefe Stimme des Tymmermanns Hans Hoppenstede vernehmen; "wollten's fein stille sein, die Weibsleut, alsdann kämen's nicht ins Feuer. Das ist mein' Meinung."
"Bist auch so ein Löwenix," geiferte der Riemensneider gegen ihn auf. "Hüt' dich nur vor dem bösen Feind. Wer nicht an in gläubt, den packt er schon bei den Haaren. Ist nicht so, dass bloss Weiberleut brennen müssten, kommen auch wohl Mannsleut an die Reih'. Sind in einigen Städten schon dabei anfangen. Dem Teufel sein Reich ist nur durch Feuer beizukommen."
Man hatte allgemach eine ganz erkleckliche Anzahl von Krügen, gefüllt mit einheimischen und fremdem Bier, geleert und auch dem Branntwein zugesprochen, der seit einiger Zeit bei manchen Bürgern in hohem Ansehn stand. Da konnte es denn nicht wunder nehmen, dass bei einzelnen Zechern sich eine gewisse Streitsucht einfand. Zwar hatte sich ein Teil der Gäste, besonders der auswärtigen, bereits auf den Heimweg gemacht, was aber noch da war, glaubte soviel lauter seine Meinung verkünden zu müssen.
An einem Tisch ging es besonders lebhaft zu. Man hatte sich auf ein Gebiet verirrt, das durchaus nicht in die Schenke passte, vor allen Dingen nicht zu der jetzigen Stimmung, da man des Guten schon reichlich viel genossen. Es waren natürlich religiöse Streitfragen, um die es ging, Fragen, die die Leute nun einmal
nicht zur Ruhe kommen liessen, und die überall, wo sich Menschen zusammenfanden, den Brennpunkt aller Auseinandersetzungen bildeten. Dabei stritt man durchaus nicht etwa um religiöse Kernfragen; nein, diese waren gut ein Menschenalter früher von überragenden Persönlichkeiten zum Austrag gebracht. Jetzt ging es meistens um feinere Unterschiede und persönlichen Auffassungen, um die man mit desto gröberen Worten rang.
Jetzt hatten Schuhmacher Michel Totebier von der Schostraten und Gert Füerböter, der Hufschmied vom Hilligen Kreuz das grosse Wort. Wie sie eigentlich in ihren scharfen Disput hineingeraten waren, wusste niemand mehr mit Sicherheit anzugeben, dazu hatte sich schon zuviel Nebel über die Geister gelegt.
Die beiden Kampfhähne an dem Seitentisch hatten nun Fragen beim Wickel, die schon viel Köpfe erhitzt und die häufig genug mit blutigen Köpfen gelöst werden sollten.
Schuhmachermeister Michel Totebier hielt dafür, man solle die Teufelsaustreibung bei der Kindtaufe lassen.
"So?" schrie ihm Gert Füerböter, der Hufschmied, zu, "soll wohl der Teufel in den Kleinen bleiben, dass noch mehr Hexen aufkommen!"
"Woher soll denn schon bei den unschuldigen Kindlein der Teufel kommen? Haben ihn doch nicht mit der Muttermilch eingesogen."
"Aber von den Eltern geerbt. Sind doch nun einmal alles sündig verderbte Menschenkinder."
"Ach, wär' mir schon lieber, machten's so wie die Kalvinisten. Haben auch keine Teufelsaustreibung und leben doch wie rechtschaffene Menschen."
"Rechtschaffen? Teufelsdiener sind's, wo ihnen der Böse nicht beizeiten austrieben wird."
Der andere zuckte die Achseln.
"Ein Kryptokalviniste bist, wenn du so gläubst!" schrie ihm sein Gegenüber zu.
"Verstehst schon was von Kryptokalvinisten! Hast das Wort aufgelesen und tust dich nun dicke damit."
"Ist aber die reine Lehr, dafür ich eintret'. Und verdienen all austrieben werden, die dagegen sind.." Gert Füerböter hielt dem andern seine Hufschmiedsfaust unter die Nase und schien nicht übel Lust zu haben, durch sie seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen.
"Hörst!" stiess Hinrich Arlekamp den Parlensticker an; "was die beiden Streithähne miteinander verhackstücken. Haben wieder ein Stück Lehr' vor, um das sich gelehrte Männer nicht einigen mochten. Um die streiten sich nun die Leut in dunstiger Krugdönze mit vernebelten Köpfen. Geht's so weiter, beweist der ein' dem anderen sein' Meinung mit der knotigen Faust. Diese elendigliche Streitsucht war dazumalen, als ich ein dreissig, vierzig Jahr weniger zählt', noch nicht. Ich fürcht', die nimmt noch einmal ein schlimm's End."
"Kann doch jederein sein' Meinung sagen! Warum soll's deshalb schon ein schlimm's End nehmen!" stiess der Parlensticker sorglos heraus.
Der Schuhmacher und der Hufschmied würden noch lange gestritten haben, zumal auch andere sich einzumischen trachteten, und am Ende hätte man dem Gegner die eigene Meinung mit Fäusten und Bierkrügen eingehämmert - da wurde die Aufmerksamkeit der Streitenden und ihrer Zuhörer auf ein neues Bild gelenkt, das sich den Augen darbot.
Zwar wollte der Hufschmied noch fortfahren mit den Beweisen, die die Alleinsichtigkeit seiner Meinung von der Notwendigkeit des Exorcismus, wie man damals die von ihm vertretene Lehre nannte, dartun sollten; doch es hörte ihm niemand mehr zu, nicht einmal sein Gegner, und so musste denn das Feuer seiner Streitsucht allmählich verlöschen aus Mangel an Nahrung.
Es traten Fremde in die Krugdönze, und man hatte genug damit zu tun, die neuen Ankömmlinge in Augenschein zu nehmen, wie wollte man sonst seine Sucht nach Neuigkeiten befriedigen können!
Da war zunächst ein Mann in Reitertracht, der mit raschen Schritten die Krugdönze durchmass und am jenseitigen Ende dann an dem einzigen freien Tische, der soeben leer geworden war, sich niederliess. Die Tracht des Reiters war bunt und farbenprächtig. Es mochte wohl ein Mann von Stande sein, vielleicht ein Junker. Um die übrigen Gäste kümmerte er sich überhaupt nicht, forderte jedoch sofort von dem Krugwirt Speiss und Trank.
Man riet hin und her, wer wohl der Mann in Reitertracht sein konnte, wusste ihn aber so recht nirgends unter zu bringen. Völlig unbekannt war sein Gesicht manchem nicht; aber welchen Namen mochte er nur führen? Der Krüger brummte auch nur etwas in den Bart, woraus kein Mensch klug werden konnte, als man ihn nach dem Fremden aushorchen wollte.
Gleich nach dem Reitersmann trat ein Paar durch die offenstehende Tür, das die Aufmerksamkeit der Gäste noch mehr erregte. Es war ein recht ungleiches Gespann, das da erschien: ein älterer Mann in Bauerntracht und ein jüngeres Mädchen. Der Mann zerrte die junde Dirn, die ihm allen Anschein nach nicht gutwillig in den Krug gefolgt, an den Händen herein, augenscheinlich erbost über deren Widerspenstigkeit.
"Erst hast nicht weg wollen von den verbrannten Hexen, und nun kannst dich nicht satt sehen am Firlefanz der Stadt!" stiess er ärgerlich, aber eindringlich leise hervor.
Die Dirn schwieg und follgte zögernd dem Mann - es musste wohl der Vater des Mädchens sein. Der liess einen Augenblick seine Augen durch die Schar der Gäste in der Krugdönze schweifen und steuerte dann auf den Tisch los, an dem der fremde Reiter allein sass.
"Mit Verlaub!" hörte man den Herzutretenden sagen; doch wartete er kaum das leichte Kopfnicken des Reiters ab, setzte sich vielmehr recht unbekümmert an den Tisch und schob auch der Dirn einen Schemel zu, auf dessen äusserster Kante sie sich niederliess, gleich, als warte sie nur den Zeitpunkt ab, da
sie wieder die Flucht aus dem ihr nicht zusagendem Raum ergreifen könne.
War es das sonderbare Hereinzerren des Mädchens, oder war es das Aussehen der Dirn selber, was die Leute in der Krugdönze, sogar die Streitenden, in seinen Bann schlug? Es hätte niemand mit Sicherheit angeben können.
Die Dirn selber - keine alltägliche Erscheinung, vielmehr von einer Haltung, wie man dergleichen nur selten antraf. Eine schlanke Gestalt von ebenmässigem Wuchs, auf freiem Halse ein schön geformter Kopf mit üppigem dunkelblonden Haar, das Gesicht fast weiss und trotz der Hitze nur wenig gerötet; am auffälligsten jedoch waren die grossen dunkelblauen Augen, die zwar gewöhnlich von langen Augenwimpern überschattet waren, aus denen aber von Zeit zu Zeit ein fragender Blick die in der Dönze Versammelten streifte.
Der reisige Mann hatte bisher die übrigen Gäste, die im Kruge sich aufhielten, nur mit einem gleitenden Blick überschaut und auch den Mann, der sich an seinen Tisch setzte, nur oberflächlich angesehen; als das schöne Mädchen jedoch sich da vor ihm niederliess, da erwachten plötzlich seine Augen aus ihrer wirklichen oder gespielten Gleichgültigkeit.
Scharf musterte er den mit ungewöhnlicher Anmut geschmückten Kopf der Dirn, liess dann seine Blicke an der feinen Gestalt des Mädchens heruntergleiten, bis zu den in derbem Schuhwerk steckenden zierlichen Füssen. Die Tracht des Dirnleins unterschied sich kaum von der auf den Dörfern allgemein gebräuchlichen. Ihr blaues Kleid war nicht ganz so lang als das der Städterinnen, was für sie günstig sein musste bei den Wegen in die Stadt und vielleicht auch zum entfernten Kirchort. Ueber dem engen Gürtel umspannte ein rotes Mieder die kräftig entwickelten Brüste; am Halse und an den Ellenbogen sah man Leinensäume mit allerlei zierlicher Stickerei, die trotz des warmen Wetters und trotz des Staubes der Strassen ihre tadellose Weisse behalten hatten.
Obgleich die Kleidung nur aus einfachen Stoffen bestand, trug sie das Dirnlein doch mit einer Würde, um die es manches
vornehme Fräulein im Hofstaat Dorotheens, der stolzen Celler Herzogin und dänischen Königstochter, hätte beneiden können.
Ausser einem blauen Bande um den weissen Hals und einem silbernen Ringlein am zierlichen Finger erblickte man an dem anmutigen Dirnlein keinen weiteren Schmuck, was vielleicht mit der Verordnung Herzog Willhelms zusammenhing, der erst vor sechs Jahren jedem Stande die ihm zukommende Kleidung und das ihm erlaubte Geschmeide vorgeschrieben. In diesem Gesetz war den Bauerntöchtern das Tragen von "Perlin und Gülden Bendichen" verboten worden. Man übertrat die Ordnung zwar recht oft und gern; doch heute unter den Augen einer vielstrengen Obrigkeit mochte sich manches Mädchen wohl etwas mehr vorsehen.
Der Reitersmann am Tische nahm fürs erste seine Augen nicht wieder fort von dem schönen Dirnlein. Man konnte ihn nicht darin verdenken; denn wo bot sich ihm eine bessere Augenweide? In der Dönze des Kruges zum "Blauen Donner" jedenfalls nicht, und derselben Ansicht schienen auch die meisten der sich dort aufhaltenden Bauern und Bürger beizupflichten; denn nachdem man den sporentragenden Mann beguckt, auch wohl dieses oder jenes Wort über ihn getuschelt hatte, da wandten sich die meisten Augenpaare - soweit sie nicht etwa durch die Nebel, so aus den Getränken aufgestiegen, am freien Ueberblick gehemmt waren - dem schönen Dirnlein zu, und sie kehrten auch nach jeder Ablenkung wieder zu ihm zurück, was nicht wunder zu nehmen braucht; ist doch nun einmal ein wohlgeschaffenes und wohlgestaltetes Dirnlein eins der wohlgelungensten Geschöpfe aus der Werkstatt unseres Herrgotts.
Dem Mädchen war diese unverhüllte Gafferei, wie man deutlich wahrnehmen konnte, zuwider. Wer sich noch den Sinn für feineres Empfinden bewahrt, verstand jetzt auch, warum die Dirn dem Vater nur widerstrebend in den von lautem Männerwort widerhallenden Krug gefolgt war.
Sie hob auch nur selten die langbewimperten Augenlider. Doch traf es sich merkwürdigerweise mehrfach, dass ihre Augen beim Lidaufschlag dem Blick des Tischnachbarn begegneten. Am Ende nickte ihr der reisige Mann freundlich zu. Das schien jedoch
dem Mägdlein nicht willkommen zu sein; denn es erhob seine Augen nicht wieder vom Tisch, wo inzwischen Bier und Brot für das Paar aufgetragen war.
Es hatte noch nicht das nötige Laabsal zu sich genommen, da vernahm man von draussen her den Gesang von einigen kräftigen, aber rauhen Männerstimmen. Da sich die Singenden dem Krug näherten, verstand man bald die Worte des gesungenen Liedes:
Bei diesen letzten Worten waren die Singenden schon durch die grosse Tür auf die Krugdiele und weiter in die Dönze getreten, und es zeigte sich, dass vier Landsknechte das kräftige Kampflied angestimmt hatten.
Die Krieger schickten ihre Blicke in der Stube frei umher; doch blieben ihre Augen bald an dem Tisch des Reitersmanns und seiner beiden bäuerlichen Nachbarn haften, und, da weiter nichts frei war, so liessen sich die Landsknechte nach kurzem Gruss ohne viel Fragens an dem Tisch der drei Menschen nieder.
Wie man aus den Reden der Landsknechte bald vernahm, hatten sie unter der "Schwarzen Fahn" des schaumburgischen Rittmeisters Hans Barner gedient, in Frankreich und in Holland. Doch war ihr Anführer im Jahr zuvor mit Tod abgegangen, und nun suchten sie einen neuen Feldhauptmann, der sie für neue Feldzüge gebrauchte,
ihnen neuen Sold, dessen sie, ach, so bedürftig waren, zuschanzte und der ihnen Gelegenheit gab, neue Taten auszuführen.
Vater und Tochter, die inzwischen an Brot und Bier sich gesättigt, auch wohl ein wenig ermuntert waren, standen bald auf, was den Landsknechten nicht ganz nach der Mütze zu sein schien, wenigstens nicht, soweit es die Tochter betraf.
"Dirnlein, behalt' dein' Platz! Ist für uns all' genugsam Raum da!" sagte der ihr am nächsten Sitzende unter den Waffentragenden.
"Wohl, wohl!" unterstützte ihn sein Nachbar; "werden doch kein schmuck Mägdelein verdrängen."
"Haben noch einen weiten Weg vor uns," schaltete sich der Vater ein; "die Sonn' macht sich davon, eh' wir im Haus angelangt sind."
"Wohin wollt ihr mir dem Maidlein?" fragte einer der Landsknechte.
"Nach Ahnsbeck! Ist gut zwo Meilen von hier," erwiderte kurz der Vater, bezahlte dann dem Krüger die Zeche und war nach kurzem Gruss mit seinem lieblichen Töchterlein aus der Mitte der Schmausenden und Trinkenden verschwunden.
"Gehört auch zum Ahnsbecker Hexenvolk, das Dirnlein," sagte einer der am nächsten Tisch Sitzenden, der Balbierer Stadtbach von Knufflockshagen.
"Möcht wohl von der verhext werden!" liess sich schmunzelnd der junge Glaser Hans Wymer aus der Peltzergasse vernehmen.
"Pst - sag das nicht zu laut; die junge Hex und ihr Meister haben dich beim Wickel, eh' du's glaubst," warnte der ängstliche Balbierer.
"Na, die kann's einem warm machen, noch dazu bei solch heissem Tag," warf Hans Tile, der Trummeter, dazwischen.
"Was meinst mit der Hitz' - die von der Sunnen oder die vom Hexenfeuer?" fragte zwinkernd der Schwarzmacher Simon Rave.
"Kannst es damit halten, wie du willst," gab ihm der Trummeter drauf zur Antwort.
"Habt ihr Hexen brennet? Sah doch schwarzbrannte Pfähl' bei der Kapell' da drüben," erkundigte sich einer der Landsknechte.
"Vier auf einmal! Kost' nicht soviel Feuerholz, erst recht nicht, wenn die Sonn' mitbrennt," versetzte ziemlich schäbig der Drelmacher Cord Dirikes.
"Waren's alte oder junge Weibsen?" wollte der Landsknecht weiter wissen.
"Nur alte Hexen, kein junges Weibsbild war dazwischen," kicherte der Drelmacher, der an und für sich schon ein heimtückischer Geselle war und bei demein paar Schluck Branntwein noch dazu allerlei Unrat nach oben gespült hatte.
"Junge Weibsleut müsst ihr auch nicht brennen, ist schad' drum, sind zu anderen Dingen nütz," versetzte der seinem Bierkroos wacker zusprechende Landsknecht.
"Wenn's aber den Teufel im Leib haben! Wenn ihnen nicht anders beizukommen ist!" schrie jetzt heftig der Drelmacher und schlug dazu mit der Faust auf den Tisch.
"Ha, weisst nicht einmal, wie man das höllische Gelüsten denen jungen Weibsleuten austreibt!" erwiderte schmunzelnd der Gewappnete.
"Oder den jungen Mannsbildern eintreibt!" kam's wieder aus des Drelmachers Munde, der seine Hasenherzigkeit nicht Wort haben wollte.
Den Landsknechten behagte die Auseinandersetzung nicht. Das Mädchen hatte ihnen viel zu gut gefallen und war ihnen zu wenig hexenhaft erschienen. Ausserdem steckte nach ihrer Meinung in dem ganzen Hexenglauben zuviel vom Sichfürchten. Und das war nun einmal dem echten Landsknecht, der etwas auf sich hielt, in den Tod zuwider. Er wollte weder dem Teufel noch seinen Dienstbeflissenen den Gefallen tun, vor ihnen zu erschrecken, und deshalb liess man am besten diese ganze ärgerliche Sach auf sich beruhn, konnte ja jeder mit sich selbst abmachen, was er davon hielt.
Die Landsknechte wandten sich deshalb dem Wirt zu und bestellten nun, nachdem sie den ärgsten Durst gelöscht hatten, noch einen kräftigen Abendimbiss, wie er sich für einen tüchtigen Soldaten gehörte.
Der Reitersmann am selben Tisch, der bisher den Mund kaum
aufgetan, fragte nun die Landsknechte nach dem Woher und Wohin und kam mit ihnen bald in ein lebhaft dahinfliessendes Gespräch, welches jedoch nicht so laut geführt wurde, dass man es an den anderen Tischen richtig verstand. Der Reiter schien den rechten Ton bei den Mannen des Krieges getroffen zu haben.
Als er sie dann fragte, wem sie denn jetzt ihre Dienste anbieten wollten und ob sie bald Aussicht hätten, einen anderen Hauptmann zu finden, da antworteten sie doch etwas kleinlaut. Man hatte gehofft, so erzählten die Kriegsmänner, am Celler Hofe würden einige forsche Kerle, wie sie es wären, nicht ungern genommen werden; aber mit dem Herzog schiene es, wie man höre, eine eigene Sache zu sein. Wenn's so weiter ginge, liesse er sich noch die fettesten Bissen in seiner Nachbarschaft wegschnappen, ohne sich um die Wehrhaftigkeit seines Landes zu kümmern. Für Predigten und theologische Spitzfindigkeiten schien er Sinn zu haben, aber nicht dafür, wie man mannhaft aufträte. Nein der jüngere Willhelm sei nun einmal nicht nach ihrem Geschmack, und bis man etwas Besseres finde, möge wohl noch eine erkleckliche Zeit vergehen.
Warum sie denn nicht bei den reichen Holländern eintreten wollten, die brauchten doch Soldaten, und der Oranier Wilhelm rühre doch kräftig die Kriegstrommel und könne tüchtige Kerle gebrauchen.
Ja, meinten die Landsknechte etwas bedrückt, dort habe man keine ganz reine Sache. Bei einem Streitfall in einer Schenke jenes Landes hätten sie blank gezogen; sie möchten dem Wein wohl mehr als nötig zugesprochen haben, und da sei das Unglück denn passiert: einem jungen Holländer wäre bei dem sich entspinnenden Gefecht der Lebensfaden durchgeschnitten worden, und einen anderen habe man schwer verletzt von dannen getragen. Beide seien aus guter Familie gewesen, und deren Verwandtschaft habe auf sie gefahndet. Mit genauer Not seien sie aus dem Lande entkommen. Es wäre eine missliche Sache, sich dort wieder blicken zu lassen. Da musste ihnen der Reiter schon recht geben.
Er entnahm ihren Erzählungen, dass sie ziemlich auf dem Trockenen
sassen und froh sein mussten, wenn sie ein halbwegs brauchbares Angebot bekamen.
"Hm," meinte er dann, "ein, zwei Knecht' könnt' ich schon brauchen; - aber euch alle vier - sind mir eigentlich zuviel."
"Wollen aber gern beieinand' bleiben," wurde ihm entgegnet.
"Kann aber nicht soviel zahlen, wie ihr mit Recht fordern mögt."
"Lässt sich darüber sehr wohl reden. Macht nur euer Angebot! Wie ist euer Nam', und wozu wollt ihr uns dingen? Habt ein gross Unternehmen vor?"
Der Reitersmann antwortete ihnen recht leise, und sie steckten nun eifrigst die Köpfe zusammen. Soviel vermochte man aber wahrzunehmen - es ging ohne Unterbrechung mit Worten hin und her; aber selbst der neugierigste Mensch am Nebentisch vernahm nichts mehr, was seine Wisbegierde hätte befriedigen können.
Am Ende musste man sich doch wohl geeinigt haben; denn die übrigen Kruggäste nahmen wahr, dass Reitersmann und Landsknechte Handschlag tauschten, dass jedem der Kriegsmänner blinkende Münzen in die Hand gedrückt wurden und dass dem Krüger eine Bestellung auf Wein gemacht wurde; ein Weinkauf schien abgeschlossen zu sein.
Die Aufmerksamkeit der Celler Bürger - die Bauern hatten sich inzwischen auf den Heimweg gemacht - wandte sich nun einkehrenden Bröckeler Fuhrleuten zu, die einen frischen Ton in die Gesellschaft brachten. Sie waren auch an den Brandpfählen jenseits des Stiftes St. Georg vorbeigekommen, liessen sich noch einiges über die Celler Prozesse berichten - das meiste war ihnen natürlich bekannt - und erzählten dann von einem Hexenbrande bei Salzgitter, der vor fünf Jahren dort stattgefunden. Zehn Hexen habe Herzog Heinrich von Wolfenbüttel dort an einem einzigen Tage zu Asche brennen lassen; gegen diesen Brand sei der heutige bei Celle nicht einmal besonders gross zu nennen.
Doch war man jetzt allmählich des alten Gesprächstoffes
müde geworden und wandte sich anderen Gegenständen zu. Doch plötzlich sprang der Balbierer auf und rief den noch anwesenden Celler Bürgern zu, es sei hohe Zeit, dass sie aufbrächen, wenn sie noch in ihren eigenen Betten schlafen wollten. Gleich mache Schlüter Jürgen Beckmann das Oldenceller Tor zu; danach würde der alte Stadtknecht solange saufen, bis er das Stadttor nicht mehr von seinem Wandschapp unterscheiden könne. Hereinlassen würde er deshalb niemanden mehr, wenn er einmal zugeschlossen habe. Nicht einmal das kleine Seitenpförtchen würde nachher noch aufgemacht. Wer also nicht ausserhalb des Stadtwalles bleiben wolle, möge sich sputen.
"Würd's hier schon aushalten," meinte Gert Füerböter, der nicht mehr ganz fest auf den Beinen stand, "ist noch genug Broyhan da; aber was würd' mein Altsch sagen, wenn ich nicht an die Schmied komme, würd' mir mit'n Hufeisen zu Leibe gehn."
"Ein solch starker Kerl wie du, und hat kein' Courag' vor'm eigenen Weib!" höhnte der Balbierer.
"Sieh nach dein eigen Sach, und kümmer dich nicht um ander Leut!" grummelte der Hufschmied, schob dann aber ganz sacht zur Tür hinaus.
Alle folgten eilfertig, nachdem sie rasch dem Krüger ihre Pfennige und Schillinge in die Hand gedrückt - der Cord Dirikes liess allerdings wieder einmal ankreiden - ; man nahm unter den Arm, was nicht mehr geradeaus marschieren konnte, und kam noch gerade recht, als Jürgen Beckmann sich schon am Tor zu schaffen machte. Er dröhnte zwar noch etwas in den Bart von Leuten, die niemals aus dem Kruge herausfinden könnten; doch hörte niemand auf sein Gewäsch. Hinter dem letzten der Heimkehrenden fiel krachend dann das mächtige eisenbeschlagene Tor ins Schloss.
Alle Fuhrleute waren im "Blauen Donner" über Nacht geblieben. Es behagte
ihnen nicht, in den Krügen der Stadt einzukehren und zu übernachten; zu
eng mussten dort die Wagen zusammengeschoben werden, und traf man einmal
nach Sonnenuntergang ein, konnte man die Herberge nicht mehr erreichen,
da dann jedes Tor verschlossen war.
Viel mehr Freiheit besass man im "Blauen Donner". Man konnte eintreffen
und abfahren, wann es einem behagte, stand auch nicht unter solch
scharfer Aufsicht wie in der Stadt und durfte trinken, was man mochte.
Der Reiter und die vier Landsknechte waren ebenso wie die meisten Fuhrleute im "Blauen Donner" zur Nacht geblieben und hatten es sich hier bequem gemacht. Am andern Morgen zu rechter Zeit bestieg dann der Reitersmann sein Ross. Eigentlich hatte er vorgehbt, schon bald nach Mitternacht aufzubrechen; doch war er von diesem Gedanken wieder abgekommen, und er hatte sich günstigere Pläne zurechtgelegt.
In Celle wollte er noch einige Einkäufe machen, und da musste er eben schon warten, bis Jürgen Beckmann das Tor wieder öffnete. Bei seinen geworbenen Landsknechten hatte er sich nach deren Reitkünsten erkundigt und darüber beruhigende Antworten erhalten. Es gäbe in der weiten Welt keine Pferde von solcher Wildheit, dass sie dieselben nicht zwischen ihre Schenkel nehmen und zu bändigen vermöchten.
Da war dem Reiter nun ein guter Gedanke gekommen. Er selber hatte noch in den ausgedehnten Flächen des Wietzenbruchs eine Koppel Pferde laufen. Halbwild rannten die Tiere auf der grünen Ebene umher. In Hambühren wohnte nun ein Mann, der sich um die Renner des Bruchs zu kümmern hatte. Diesem gab der Reiter am frühen Morgen durch einen reitenden Boten gleich Nachricht, er möge vier der Pferde des Wietzenbruchs einfangen und sie ihm nach Celle bringen.
Währenddessen liess er sich von dem Sadeler Hans Tileke Sattel und Zaumzeug zurichten, und als nun die Pferde in Celle eintrafen, wurden die vier Landsknechte beritten gemacht, was zwar den
Gäulen durchaus nicht zusagte; doch die Lanzenknechte hatten nicht zuviel ausgesagt, als sie von ihrer Reitkunst gesprochen. Sie sassen bald fest auf den Tieren und unterwarfen sie völlig dem eigenen Willen der Reiter.
Die ersten Proben mit den halbwilden Pferden nahm man noch vor dem Westerceller Tor vor, ritt dann aber, als ob man lammfromme Tiere unter sich habe, noch einmal durch die Stadt, und darauf verschwanden die fünf Berittenen durch das Hehlentor.
In der Stadt war die Reitergruppe nicht unbemerkt geblieben. Es ging dabei nicht so ab, wie am Tag zuvor im "Blauen Donner", wo den Einkehrenden zufällig niemand näher kannte. Von mehreren ihm Begegnenden wurde der Reiter an der Spitze des kleinen Zuges begrüsst, zwar nicht von allen gleich freundlich, jedoch überall mit Achtung.
Der Harnischfeger Joachim Untzelmann und der Sadeler Hans Tileke standen vor dem Rathause und besprachen eingehend die letzten Streitigkeiten der Bürger mit dem Rat, wobei sich die zwei Männer darüber völlig einig waren, dass man von Seiten der Gilden die Anmassungen des Rats nicht länger hinnehmen dürfe. Nicht mehr zu ertragen sei der Hochmut der regierenden Herren, die den gemeinen Mann für nichts achteten. Die Kämmereibücher würden so unordentlich geführt, dass es einen Hund jammern könne. Alle Ordnung des gemeinen Wesens ginge zum Teufel, wenn man dem nicht Einhalt gebiete.
Soweit war man ungefähr gekommen mit seinen erregten Meinungsaustausch, da ritt gerade der Reitersmann aus dem "Blauen Donner" mit seinen vier Knechten an den heftig Redenden vorbei auf seinem Weg zum Hehlentor und zur Allerbrücke.
Der Harnischfeger sah ihnen finster nach: "Der weiss bald auch nicht mehr, woher er gekommen. Er hat es ebensobald vergessen wie unsere Ratsherren. Reit' nun schon mit vier Knechten durch die Stadt. Was soll's nur?"
"Kennst den Mann? Sah ihn gestern im "Blauen Donner", wusste ihn aber nirgends hinzubringen."
"Wohl! Kenn' ihn ganz genau! Hab' schon für ihn gearbeitet,
auch für seinen Vater, hab' dem ein funkelnagelneues Panzerhemd beschafft."
"Wem? Dem Reiter oder seinem Vater?"
"Nun, dem Vater.Hatt' aber ständig zu mäkeln, war ihm nichts gut genug, und ging's ans Zahlen, war's immer zuviel."
"Ist dieser auch so?"
"Wüst gerade nicht. Kann aber noch so werden. Herrisch genug auftreten tut er in gleicher Weis'."
"Weiss nun aber immer noch nicht, wer er ist und wie er heisst."
"Ach so, hab' ich es dir bisher noch verhehlt. Ist der Junker von Steenlage - Junker oder Ritter heisst ja alls, was ständig auf dem Pferd sich sehn lässt - sein Nam' ist Brantwulf, Bruno Brantwulf."
"Ah, der ist's. Hab' schon von ihm gehört. Oder doch wohl mehr von seinem Vater. Soll ja ein ganz wüster Mensch gewesen sein."
"War er auch zuzeiten, wenn auch viel der Geschichten über ihn erlogen sind. Bleibt aber immer noch genugsam übrig, dass man ihn hart und wild schelten muss. Mocht mit dem nicht im Unguten zusammentreffen."
"Doch was stehn wir hier in der Sonn'? Wollten in den Ratskeller gehn und uns mit einem Kroos Bier die durstige Kehle anfeuchten. Haben heute morgen schon viel geschafft und einen guten Trunk wohl verdient. Kannst mir dort mehr sagen von dem Brantwulf auf Steenlage."
Die beiden biederen Handwerksmeister stiegen die wenigen Stufen zum Ratskeller hinab, setzten sich da in einem der festen Gewölbe an einen mächtigen Eichentisch und liessen sich jeder einen vollen Kroos vom frischen Broyhan bringen.
"So, nun wolltst reden von dem alten Eisenfresser, dem Vater von dem Junker, der eben vorbeiritt. Wie war's nun mit dem wilden Mann?"
"Die Brantwulfs - lang führen die noch nicht das Schwert, ist erst kurze Zeit, dass sie den Pflug mit der Waffe vertauscht haben."
"Waren also früher Bauern."
"Wie deine und meine Vorväter auch. Ist bei dem einen lange Zeit her, bei dem anderen erst wenige Jahre."
"Waren die Brantwulfs, als sie noch den Pflugsterz in die Hand nahmen, auch schon auf Steenlage?"
"Nein, stammen aus dem Norden der Heide. Erst der Grossvater von dem Junker, der da eben über den Markt ritt, hielt's nicht mehr hinter dem Pflug aus."
"Mag ja auch ein jüngerer Sohn gewesen sein ohn' Erb'. Was sollt' er da schon viel auf dem väterlichen Hof anfangen! Musste Schäfer oder Imker oder dergleichen werden, vielleicht mit Heirat an den Tischfuss, oder aber in die Stadt ziehen, oder zum Schwert greifen."
"Mag mit dem Grossvater des Junkers auch wohl so gewesen sein. Hat die scharfen Waffen in die Hand genommen. War schon unter dem mittleren Heinrich in der wilden Hildesheimer Stiftsfehd' mit dabei. Hat sich vor allem in der Schlacht bei Soltau vor gut fünfzig Jahren brav hervorgetan und den Ritterbürtigen nicht nachstanden. War ja selber aus einem landständigen Freihof, der zu den Tagen auf dem Schott bei Hösseringen sein Recht hatt'. Warf dann der Herzog ein Auge auf ihn und setzt' ihn an der Grenz' gegen das Verdensche auf dem Gut Steenlage fest. Sollt' hier nach dem Rechten sehen. Hat dort an der Grenz' zuzeiten blutige Köpf setzt. Der Brantwulf war aber immer obendrauf, liess sich nicht an den Wagen fahren. Vor allem nicht der Zweite von den Brantwulfs auf Steenlage, der Vater von dem Reiter."
"Von dem wollt' ich vor allem hören. Was weisst von ihm?"
"Zu Steenlage, so der Herzog den Brantwulfs verliehen, hört' zuerst nur mässiger Grund und Boden. Hat der zweite Brantwulf es aber verstanden, seine liegenden Besitztümer zu mehren."
"Zu Recht oder zu Unrecht?"
"Ist eben die grosse Frag'. Die Steenläger Bauern sagen: Zu Unrecht und wissen von bösem Tun."
"Wird's dem Brantwulf in die Schuh' schoben?"
"Wie die Leut' reden - ja. Nannten ihn immer den bösen Brantwulf."
"Ist ein schlimmer Nam'. Hängt er auch dem jetzigen Haupt der Familie an?"
"Hab's nicht vernommen. Doch mit dem Alten war's so. Es gab stets und
ständig Streit mit den Bauern von Steenlage. Ging schon los beim Sunder
- ist ein prächtiger Wald beim Steenlager Dorf. Der Junker sagt': Er
gehört mir. Die Bauern sprachen: 's ist gar kein Sunder, führt seinen
Namen zu Unrecht, ist Wohld der Gemeinde. Dann scheint es aber so, dass
der Junker Pergamente hat vorzeigen können, in denen klipp und klar
geschrieben stand, dass der Sunder stets beim Gut gewesen; nur ihre
Schwein' durften s' hineinhüten, die Bauern, nur ein paar Wochen lang.
Hat die Bauern aber mächtig wurmt, diese Sach mit dem Sunder. Passten
höllisch auf, dass ihnen der Brantwulf nicht auch noch zwischen die
Gemeinheit kam, die den Bauern, wie sie meinten, ganz allein gehöre.
Der Brantwulf hätt' gar zu gern das schöne Dorffeld in seinen gierigen
Klauen gehabt. War guter Ackerboden, fast wie bei uns auf dem Roland bei
dem Hehlentor jenseits der Aller. Trug stets sehr viel Korn.
Nach der Ernt' zieht des Brantwulfs Schäfer eines Tags mit seinen
Schafen aufs Dorffeld. Wohl durft' der Gemeindeschäfer hier weiden, wie
bei uns vor dem Hehlentor auch, aber nicht der vom Gut, da dieses ein
Sunderweid' besass.
Als der Schäfer vom Gut zum ersten seine Herd' auf die Stoppeln trieb,
acht' dessen zunächst kein Mensch, mocht' ja eine Unachtsamkeit von dem
Alten sein.
Als er aber wiederkam mit seinen Schnucken, gab's kräftige Wort', und
Schäfer und Schaf' wurden mit Drohen runtergejagt vom Dorffeld.
Als er zum drittenmal aufs Dorffeld zog, gab's soviel Prügel, dass er
nur mit Fluchen und Hinken heimkam und sein Hund ohne Leben auf dem Feld
liegenblieb.
Nun gab's eine Zeit Ruh' auf dem Dorffeld, und die Bauern meinten schon,
dass der Hirt seinen unrechten Trieb hätt' aufgegeben.
Im nächsten Jahr nach der Ernt' fing das Spiel von neuem an. Der
Gutschäfer hatt' sich ein paar bissige Hund' zugelegt, so dass ein Mann
aus dem Dorf mit ihnen nicht fertig wurd'. Da taten sich ihrer ein halb'
Dutzend Bauern aus Steenlage zusammen, nahmen deftige Eichheister mit,
schlugen erstmal die schlimmen Hunde kreuzlahm, dass die sich heulend
hinter dem Schäfer verkrochen; dann nahmen die Leut' ein paar Stieg'
Schaf' mit als Pfand. Wollt' der Brantwulf sie wieder haben, musst' er
sie lösen mit barem Geld. Der Schäfer aber mit den übrigen Schnucken
wurd' mit Schimpf und Schand' heimgejagt.
Da mit dem Besitz des Gutes Steenlage die niedere Gerichtsbarkeit
verbunden war, forderte der böse Brantwulf die Steenläger Bauern vor
sein Gericht. Sie möchten ihre Eigentumsrecht' an dem Dorffeld beweisen,
forderte er. Das konnten sie natürlich nicht; Pergamente hatten sie
nicht vorzuweisen. Ihr Recht am Grund und Boden stammte wohl aus einer
Zeit, als noch kein Pergament mit Buchstaben bedeckt wurd', als noch
kein Junker in Steenlage das grosse Wort führte, eben aus den Tagen, als
die ersten Bauern in Steenlage heimisch wurden und der Grund und Boden
dem eignete, der ihn zuerst mit seiner Hände Arbeit erfüllt'.
Die Steenläger stellten nun an den Brantwulf das Ansinnen, er möchte
ihnen seine beanspruchten Rechte beweisen.
Er wies ihnen auch Pergamente und las daraus vor. Es wurd' jedoch kein
Mensch klug daraus, ob in dem Schreibwerk wirklich das Dorffeld oder ein
anderer Besitz gemeint war. Doch redet' der Junker davon, das Dorffeld
hab' in alter Zeit dem Gut als Sundereigentum gehöret, sei nur durch den
guten Willen seiner Vorbesitzer den Bauern zur Nutzniessung überlassen,
und er selber habe nicht nur das Weiderecht an der ganzen Flur, sondern
sogar volle Eigentumsrechte.
Vom guten Willen der Gutsherren hab' man noch niemals etwas verspüret,
es sei auch nicht an dem, dass auf solcherlei Art das strittige Feld ans
Dorf gekommen sei; vielmehr hab' es den Bauern seit undenklichen Zeiten
gehöret und sei auch ständig von ihnen beackert, so liessen sich dann
die Bauern vernehmen.
Sein alter Schäfer, setzte dem der Brantwulf entgegen, könne mit einem
heiligen Eide beschwören, dass der strittige Grund und Boden dem Gut
angehöre; er habe es von dem verstorbenen Gogrefen kurz vor dessen Tode
aus dem eigenen Munde des auf den Tod Darniederliegenden gehöret.
Die Bauern gaben nicht nach und standen zu ihrem Recht. Da fragt' der
Brantwulf seinen Schäfer, ob er bereit sei, einen Eid zu tun, dass der
Boden, auf dem man stehe - es wurd' diese Sach' auf dem Dorffelde
verhandelt - , ob also der betretene Grund nicht stets dem Gute zu eigen
gewesen sei.
Der Schäfer wollt' erst nicht. Es sei der Eid eine grosse und heilige
Sach'. Die dürfe man nicht in Alltagskleidung zum Austrag bringen. Er
möge, wie er gehe und stehe, nicht schwören.
Alle waren des Glaubens, der Schäfer suche Ausflücht' und wolle nicht
sein Seelenheil gefährden durch einen solchen Eid.
Mit herrischer Stimm' aber rief der Brantwulf seinem Schäfer zu, er
soll' sich nach Haus scheren, sein' sonntägliche Bekleidung anlegen,
sofort wieder auf das Dorffeld zurückkommen und den Gang der Sach' nicht
aufhalten.
Der Schäfer kam denn auch bald darauf in feiertäglichem Gewand wieder,
nahm seinen Platz zwischen den Bauern und dem Brantwulf und versicherte
mit einem hochheiligen Eide, dass die Erde, die er trete, seinem Herrn
gehöre. So hab' es ihm der Gogrefe gesagt, und darauf woll er leben und
sterben.
Mit sehr wenig Festigkeit und bleichen Mundes soll er seine Wort'
vorgebracht haben.
Die Bauern waren zornig ob dieses Eides, an dessen Wahrheit sie nicht
glaubten. Sie wandten sich hierher aufs Celler Schloss, um beim Herzog
ihr Recht zu finden. Es bedrängten jedoch gerad' auswärtige Händel den
Herzog, und da er auch sonst der Tatkraft ermangelte, so nahm er sich
der Bauern nicht so an, wie es sein Vater stets getan. Mocht' auch bei
sich denken, der Brantwulf hab' dem herzoglichen Haus in stürmischer
Zeit stets redlich und treu gedienet, und man dürfe ihm in solcher
Sach', die noch dazu durch einen feierlichen Eid erhärtet, nicht
entgegen sein."
"War's schon unter dem jetzigen Herzog?"
"Wohl! Doch regieret er dazumal noch mit seinem Bruder zusammen."
"Ja, hätt' schon von eher her mehr kräftige Wort' reden sollen! Doch bericht' weiter von dieser bösen Sach'!"
"Der Schäfer hatt', wenn man's dem Wort nach nimmt, wie's der
Eulenspiegel aus Schneitlingen stets hielt, nicht einmal einen falschen
Eid tan. Hatt' nämlich auf dem Gutshof Erde in seinen Schuh steckt und
stand bei seinem Schwur wirklich auf Erde, die seinem Herrn gehört'.
Ob der böse Brantwulf ihm diesen Streich hat eingegeben, ob ihm selber
sein' Bosheit dazu verholfen - kein Mensch weiss es. Niemand weiss auch,
wie das Gered' von diesem Tun hat laut werden können, da der Schäfer
wohl niemals hat ein Wort davon verlauten lassen.
Doch erzählt' man sich insgeheim, was es mit dem Eid auf sich gehabt und
redet' mit dem Schäfer von dem Tag an kein Wort mehr. Setzt' er sich im
Krug an einen Tisch, wich jederein sofort davon und liess ihn allein.
Selbst Fremden, die von der Sach' nichts wussten, gab man sofort einen
Wink, dass man neben diesem Mann sich nicht niedersetzen dürf'. In der
Kirch' sass niemand mit ihm in derselben Stuhlreih'; Waren alle anderen
Ständ' voll, stand man lieber währen der ganzen Predigt, als dass man
sich zu ihm gesetzet. Kein Mensch sah hin, wenn der Schäfer die Zeit
bot.
Seitdem wurd' der alte Hirt' hintersinnig. Man hört' ihn vielfach mit
sich selber reden, war ja auch sonst niemand da, mit dem er hätt' ein
Wort wechseln können. Im Krug trank er mehr, als ihm gut war, und dann
schwankte er, mit sich selber hadernd, seiner kahlen Behausung zu.
An einem kalten Winterabend sass der Schäfer wieder im Dorfkrug, er
selber ganz allein. Er leert' einen Blaurand Branntwein nach dem
anderen; aber am End' wollt' ihn der Krüger nicht mehr behalten und
sagt', er müsse Oel sparen und den Trankrüsel ausblasen. Da torkelt' der
Alte denn hinaus.
In seiner Behausung ist der Schäfer aber nicht angekommen.
Es hatt' in der Nacht scharf gefroren. Wer bei solch klingendem Frost
nicht ans Haus kommt, wohl gar am Wegrande einschläft, ist ein Kind des
Todes.
Der Brantwulf schickt' seine Gutsleut' aus, den Schäfer zu suchen; vom
Dorf ging niemand mit. Der Weg vom Krug zur Schäferwohnung war nicht
weit, und man vermochte, ohngeachtet des Schnees, sowohl den Hauptweg,
als auch die von ihm abführenden Seitenpadds bald abzusuchen, fand aber
keine Spur von dem Schäfer, auch nicht in den Gräben seitwärts vom Weg.
Wochenlang deckte dann der Schnee sein weisses Leilach über die Flur und
hüllte auch den Verirrten ein.
Erst als der Schnee wegtaute, fand man eine Spur von dem Erfrorenen.
Eines Tages kamen erschreckt zwei Kinder ins Dorf gelaufen. Sie hatten
zum Walde hinauf wollen, waren übers Dorffeld gegangen und dabei auch an
der alten Lehmkule vorbeigekommen. Dort hätten sie aus der Grube, die
noch halb voll Schnee lag, drei weisse Finger aufragen sehen.
Man ging aus dem Dorf zur Lehmkule hin und fand es dort, wie die Kinder
gesagt. Drei Schwurfinger einer rechten Hand ragten aus der Schneedecke,
die noch alles andere unter sich barg.
Alle Menschen verhielten sich stumm ob des grausigen Fundes. Jedermann
wusst', wen man dort finden würd'.
Man hatte Schaufeln zur Hand und warf den Schnee fort; der rechte Arm
wurd' ganz frei. Doch weiter ging's nicht mit dem Wegschaufeln, da der
ganze Leib noch im Eis stak.
So durft' man aber den Toten nicht liegen lassen, da sonst Fuchs und
Wolf und Krähe über ihn herfielen. Ein paar Männer liefen zum Dorf
zurück und holten Hacken und Piken; damit vermocht' man den Leichnam
loszueisen. Man bracht ihn dann in sein leeres Zuhause.
Niemand wusst', wie der Schäfer, selbst wenn er zuviel getrunken, aufs
weit entfernte Dorffeld gekommen. Hatt' ihm sein Meineid kein Ruh'
gelassen? Dacht' er daran, wie er das Unrecht gegen die Bauern konnt'
ungeschehen machen? Wie kam er überhaupt in die alte Lehmkul'? War er
hineingestolpert, oder wollte er selbst seinem Leben ein End' machen?
ein Mensch wusst' Antwort; doch
dacht' jeder sein Teil, wenn ihm die ausgereckten Schwurfinger in den
Sinn kamen. Auch erinnert' man sich plötzlich, dass damals der falsche
Eid dicht bei der alten Lehmkul abgelegt wurd'.
Bei der Beerdigung sah man nur Gutsleut'. Kein Mensch aus dem Dorf
erwies dem also Gezeichneten die letzte Ehr'.
Für die Bauern hatte der schlimme Tod des alten Sünders noch sein Guts
gehabt. Das ihnen weggenommene Feld wurde ihnen wieder zuteil gegen ein
geringes Meiergefälle. So konnten sie es wieder beackern. Völlig zu
eigen haben sie's aber nicht bekommen bis auf diesen Tag.
Der böse Brantwulf - ob er sich gleich weder vor Gott noch vor Menschen
fürchtet' - ist wohl ein paar Augenblick' bestürzt gewesen, als man ihm
den schaurigen Tod seiners Schäfers vermeldet. Hat gewusst, wer der
Hauptschuldige bei dem ganzen Handel ist gewesen.
Wer nun anderen ein Stück seines Ackers raubt, findet kein' Ruh im Grab.
Er muss bis in alle Ewigkeit suchen, sein Unrecht ungeschehen zu machen
und Sandkorn bei Sandkorn einzeln dem rechtmässigen Besitzer
zurückbringen. Nie wird er damit fertig.
Den toten Schaper will man nun nach seinem Tod noch auf dem Dorffeld
gesehen haben mit dem Sack auf dem Rücken und mit der Schafschaufel in
der Hand. Er gedachte wohl, den Bauern ihr Feld wieder zuzuschaufeln.
Scheint ihm aber nicht viel genützt zu haben, und da hat ihn dieser und
jener noch oft vernommen als "hulend Voss". Wie er es als "hulend Voss"
anstellen wollte, den Bauern ihren Grund und Boden wieder zu bringen,
weiss niemand. Oder wollt' er nur darüber jammern, dass es mit seiner
Arbeit keinen richtigen Fortgang nahm?
Einige Jäger haben schon auf ihn angelegt; aber getroffen hat ihn bis
heut' niemand."
"Fast das Grausen überkommt einen bei deiner Geschicht'. Man sieht sich um und freut sich, dass man im festen Gewölb' des Ratskellers sitzt und nicht in Wald und Feld bei Steenlage."
"Magst wohl sagen. Doch den "hulend Voss" haben viele gehört.
Kenne dort manchen Mann, der mir's bestätigt hat."
"Eins fällt mir auf bei deinem Erzählen: Hast selbst gesagt, dass der böse Brantwulf mehr schuldig ist als der Schäfer. Berichtest nun aber, dass der dienstbare Mann in Steenlage wiedergehn muss bis in alle Ewigkeit. Vom bösen Brantwulf und seiner Straf' hast kein Sterbenswörtlein geredet. Handelt doch sonst das Geschick nicht so, wie die Menschenkinder, die meist den kleinen Sünder hängen und den grossen Missetäter laufen lassen."
"Hast ganz recht mit deiner Zwischenfrag'. Wollt' dir jedoch erst noch
ein paar andere schlimme Taten des bösen Brantwulf berichten und dann
von seinem End' sagen. Seh nun aber, dass die Zeit dazu nicht mehr
reicht, und da muss ich dir schon vorab, damit du fein friedlich
bleibst, vom Tod des Menschen erzählen.
Also lausch' weiter!
Wieder einmal hatt' der böse Junker eine schandbare Tat vollbracht -
vielleicht erzähl' ich dir ein andermal, was es war - da ritt er mit
seinem Pferd durch seinen Wald.
Ist ein weiter und sehr dichter Wohld, wie es seinesgleichen kaum zum
zweitenmal gibt in der ganzen Lüneburger Heid'. Kannst dich am
hellichten Tage drin verbiestern und findest nimmer raus.
Der Brantwulf aber kannt' seinen Wohld wie sein eigenes Haus und
verbiesterte nicht.
Doch diesmal musst' ihn doch wohl irgendeine Tat wurmen, dass er nicht
des Weges achtet'. Wer weiss!
So liess er denn sein Ross gehen, wie es wollt' und kümmert' sich nicht
darum, welchen Weg es nahm. Es mocht des düstern Waldes wohl überdrüssig
sein und trottete deshalb aufs lichtere Feld, zumal es schon fast
dämmrig wurd' an dem nasskalten Herbsttag.
Da lärmte vor dem Reiter ein Krähenschwarm, der immer auf und nieder
flog. Nun konnt' von jeher der Brantwulf die Krähen nicht leiden, riss
darum auf dem Pferd sein kurzes Pistol hoch
und schoss in den dichten Schwarm hinein. Hässlich krächzend und
schreiend zog das Gezächt ab. Getroffen war, wie es schien, keiner der
schwarzen Leichenbitter.
Das Pferd hatt' sich bei dem unvermuteten Schuss verjagt und wurd'
unruhig. Dazu nahm die Dunkelheit rasch zu. Als nun auf einmal dicht vor
dem Pferd ein Fuchs auftaucht', der in einer Furche entlang geschnürt
war, macht' es vor Schreck einen Satz zur Seit'.
Der Brantwulf war solchs bei seinem Tier nicht gewohnt, sass in diesem
Augenblick, in dem er über anderes sann, recht lässig in dem Sattel und
stürzte bei dem Seitensprung des Pferdes zur Erde, was ihm, dem sicheren
Reiter, seit vielen, vielen Jahren nicht mehr begegnet war.
Mit einem Fuss verheddert' er sich dabei im Steigbügel und kam deshalb
überkopf in eine kleine Kule, die dicht am Weg lag, von kleinem
Strauchwerk verdeckt.
Nur wenig Wasser war drin; aber der Gefallene richtet' sich nicht mehr
auf, obschon sich der Fuss gleich darauf aus dem Steigbügel gelöst. Das
Pferd war sofort wieder ruhig geworden und stehengeblieben.
Zwar hatt' dies alles ein halbblöder Kuhhirt mit angesehn, war jedoch,
ohne sich um den Heruntergefallenen zu kümmern, spornstreichs mit seiner
Herde ins Dorf gezogen aus Angst vor dem Gutsherrn, den er erkannt; der
hatte ihn früher schon ein paarmal die Peitsche schmecken lassen. Erst
nachdem man den Brantwulf am andern Tage längst gefunden, erzählt' der
Junge, was er gesehn.
Mit dem Kopf im kleinen Wassertümpel fand man am folgenden Morgen den
bösen Brantwulf tot auf, dicht bei der Lehmkule, in der seinerzeit der
Schaper sein End' gehabt.
Hatt' er nun einen Herzschlag bekommen beim Sturz vom Pferd, oder als
sein Kopf ins kalte Wasser kam? Oder war er erstickt, bevor er sich
wieder konnt' aufrichten? Den Mund hatt' er nämlich noch voll feuchter,
lehmiger Erde, von der er sein Lebtag niemals genugsam erhielt.
Oder sollt' ihn der "hulend Voss" nachgeholt und
seinen Tod verschuldet haben?
Niemand hat sein Todesart ergründet. Der Sohn war dazumal im fernen Land
auf einem Heereszuge und kam erst heim, als der Vater schon lang' sein'
letzte Ruhestätt' gefunden.
Bist nun zufrieden mit dem Gang des Geschicks? Hat der böse Brantwulf
nun den Lohn erhalten, den du ihm gönntest und der ihm von rechts wegen
auch zukam?"
"Ja, Nachbar, so is dein Geschicht' rund und voll worden, wie sich's gebühret. Gotts Finger trifft den, der's verdient, doch einmal hart. Nun aber zu dem jetzigen Brantwulf, den wir hier durchreiten sahn? Wie steht's mit ihm? Schlägt der in seiner Landgier auch auf den Vater? Meist fällt doch der Apfel nicht weit vom Stamm."
"Kann dir darob kein sicher Auskunft geben. Weiss nur, dass er stur auf seinem Recht besteht und nicht ein Tüttelchen davon lässt."
"Ist an sich noch kein Fehler, wenn er sein wirkliches Recht verficht. Hat er den Bauern ihr Feld wieder zurück gegeben?"
"Nein! Diese Sach' sieht er wohl als ausgetragen an. Ein wilder Gesell soll's manchmal auch sein. Soll nicht leicht vor einer Tat zurückzucken. Hütet sich jeder, ihm an den Wagen zu fahren."
"Ist nun einmal eine wilde Zeit. Hab' stets Sorg', dass alle einander bei den Kopfen kriegen und dass sich ein Streit entspinnt von jedem gegen jeden."
"Kannst schon recht haben, kommt nicht bald ein Kaiser, der die Zäum' wieder fest in die Händ' nimmt. Der zweit' Maximilian wird nicht einmal mit den Türken fertig, geschweige denn mit den aufsässigen Herrn im Land. All' die kleinen Grossjapper müssten einmal eine forsche Hand im Nacken verspüren, dann verging ihnen das ewige Hadern, dann hätt' der ehrliche Bürgersmann sein' Ruh'."
"Aendern mit unserem Reden aber kaum der Welt Lauf. Ist dir's recht, gehn wir dem Haus zu."
"Hab' mein' Kehl durstig redet. Bin gar nicht soviel zum
Trinken kommen."
"Gut! Trinken wir noch einen Kroos vom Broyhan."
"Möcht eigentlich auch einmal den heurigen Wein erproben. Ist nicht allein für die hohen Herrn vom Rat da. Soll sich auch der Bürger dran gütlich tun."
"Ist schon recht. Haben doch die Ratsherren denen aus Hildesheim, Lüneburg und Uelzen auch vom selben Wein vorgesetzt, als diese vor ein paar Wochen zu einer Tagsatzung nach Celle kamen."
"Ist er den Herren bekommen?"
"Hab' nichts Abträgliches von unserem Wein gehört. Weiss nur, dass die Herren, nachdem sie einige Kannen von dem Wein geleert, sich ein paar Fässer von ihm haben in die eigenen Städt' senden lassen."
"Hat's in sich, der Wein, so vor'm Hehlentor wächst. Gedeiht da jenseits der Aller am Liebfrauenberg ein Tropfen, der manchem gefällt."
"Ist nur gut. Müssten sonst allen Wein vom Oberland herfahren lassen, aus Franken und vom Rhein. Können ihn hier preiswerter selber anbauen. Hat da im Süden wohl mehr Sonn' und mag deshalb kräftiger sein. Seien wir aber mit dem heimischen Gewächs zufrieden!"
Die beiden Bürger erprobten noch erst ausgiebig den jungen Wein, bevor sie ihren Häusern zustrebten.
Noch nicht viel Tage waren verflossen seit jenem heissen 20. Julius 1570, da auf der Blumlage ein solch starkes Gedränge von Menschen geherrscht, da sah man den Junker aus Steenlage, Bruno Brantwulf, wieder durch Celle reiten. Doch hielt er sich nirgends in der Stadt auf, trabte vielmehr , ohne sich viel umzusehen, über die Blumlage nach Oldencelle, durchritt hier die Aller und kam dann in das wenig wegsame Osterbruch und weiter in die flache Allerheide.
Wohin wollte er nur? Der Weg führte nach Ahnsbeck. Suchte er wirklich in diesem Dorf etwas?
Bei der Schapsdrift konnte er schon das Westerfeld von Ahnsbeck überblicken. Gleich darauf hielt er bei einer Wegeteilung und sah nach links und rechts, als überlege er, wohin er sein Röslein lenken solle. Doch schien es gleich darauf so, als habe er einen festen Entschluss gefasst. Er bog nach links ein und ritt dann so gemächlich, als wisse er kaum seine Zeit totzuschlagen, zwischen den Ackerbreiten entlang.
Viele fleissige Hände waren auf den Feldern am Werk. Es hatte einige Regentage gegeben, an denen man kein Korn einfahren konnte. Seit zwei Tagen jedoch lachte die Sonne wieder vom wolkenlosen Himmel herab, und all die aufgestellten Stiegen waren abgetrocknet.
Die Sonne stach schon vom frühen Morgen an mit voller Schärfe auf die Flur, und da auch die schwarzen Wegeschnecken sich überall auf den Fusspfaden breit machten, was als sicheres Anzeichen für baldiges Regenwetter galt, so beeilten die Bauern sich schon am Vormittag, die schweren Garben auf die Weiterwagen zu laden und sie unter Dach und Fach zu bringen. Wenn man so früh mit dem Einfahren begann, musste man bis zum späten Nachmittag, - um diese Zeit würde jedenfalls schon ein Gewitter losbrechen - einen grossen Teil des Erntesegens geborgen haben.
Bruno Brantwulf ritt zwischen den fleissig zupackenden Gruppen der auf dem Felde tätigen Landleute dahin, ohne dass diese sich viel nach ihm umsahen. Sie hatten Wichtigeres zu tun, als nach einem müssigen Reitersmann auszuschauen. Nur ab und zu traf
ihn ein missbilligender Blick, der wohl besagen wollte: "Du könntest auch Besseres tun, als zwischen fleissigen Leuten zu faulenzen."
Doch der Reiter kehrte sich nicht an solche Blicke. Er hielt scharf Umschau unter den auf den Aeckern Schaffenden. Irgend etwas schien er zu suchen, und einigemal wollte der Reiter schon anhalten; doch dann war es ihm so, als ob er nicht das Gesuchte vor Augen bekommen, und langsam setzte er seinen Weg fort.
Nicht lange dauerte es, und er war am Eingang des Dorfes Ahnsbeck angekommen. Auch hier schaute er scharf um sich. Doch vergebens. Hin und wieder rollte schon ein Erntewagen an ihm vorbei, und Bruno Brantwulf musterte dann wohl flüchtig den Fuhrmann. Doch sein Blick galt vor allem den Höfen, an denen er vorbeiritt, und da war augenblicklich wirklich nicht viel an Menschen zu sehen.
Kreuz und quer ritt der Steenläger dann durch die Dorfstrassen und Gassen Ahnsbeck, ständig scharf auslugend; aber das, was er suchte, entdeckte nirgends sein Blick.
Unmutig lenkte der Reiter sein Tier am Ostende des Dorfes wieder den Aeckern zu und ritt am Osterfelde entlang auf dem Wege, der zum Schmarloh führte. Wieder musterte er alles, was er an Tätigen auf dem Weg und Feldflur antraf. Ohne Erfolg! Die Aecker nahmen ein Ende, und das, was er suchte, hatte sich nicht gezeigt.
"Kreuztürken!" fluchte er leise vor sich hin; "zu dumm, dass ich nicht einmal den Namen des Dirnleins erkundet' hab'. Könnt mir selbst dafür ein saftige Ohrfeige runterhauen. Hatt' Zeit im Ueberfluss und tat nicht das Maul auf. Aber wer denkt an alls!"
Er zügelte einen Augenblick sein Pferd und hielt Umschau von dem erhöhten Punkt aus, auf dem er sich gerade befand. Nach Süden hin dachte sich das Gelände ab, und man vermochte es weithin zu übersehen.
"Halt! Da drüben im Bruch treibt ein Kuhhirt mit seiner schwarzbunten Herde. Dem will ich ans Wort. Der hat jedenfalls
mehr Zeit, als all die anderen eiligen Leut' rundumher."
Der Junker bog nach Süden ab und setzte sein Röslein in eine etwas raschere Gangart.
Auf Nebenwegen, manchmal auch quer über einen Kamp reitend, kam er bald bei der Kuhherde an. Der Hirt schien die Weide wechseln zu wollen und trieb sein Vieh an dem Reiter vorüber.
Als der Kuhhirt mit kurzem Gruss an dem Mann zu Pferde vorbeigehen wollte, begann dieser, ihn durch ein Gespräch festzuhalten.
"Sind deine Kühe all' satt worden?"
"Ist ihre eigene Schuld, wenn sie hungrig blieben sind."
"Hast gute Weide?"
"Warum nicht! Im Bruch wächst viel. Und auf die Stoppeln geht's nun
auch."
"Wieviel Kühe hast denn?"
"Na, achtzig mögen's schon sein."
Der Reiter wandte sein Pferd und trabte neben dem Hirten her. Festhalten durfte er ihn im Gespräch nicht mehr, da die Herde sich entfernte. Bruno Brantwulf stellte noch ein paar Fragen, um dem wenig redseligen Mann den Mund zu öffnen.
Dann kam er dem näher, was ihm vor allen Dingen am Herzen lag.
"Warst vorige Woch' auch in Celle bei St. Georg auf der Blumlage , damals als man die vier Hexen schmorte? Waren ja viel Menschen aus Ahnsbeck dort."
"Wie konnt' ich! Wer sollt' denn das Vieh hüten! War alls ausgeflogen. Wär' gern einmal mitgegangen und hätt zugeschaut."
"Traf damals im "Blauen Donner" auf der Blumlage ein Paar, wohl Vater und Tochter. Sie wollt' nicht mit rein in den Krug, liess sich am End' vom Vater doch in die Wirtschaft ziehn. Stezten sich dann an meinen Tisch. Aus ihren Worten ward mit kund, dass sie in Ahnsbeck zu Hause waren. Wer mag das gewesen sein?"
"Kann's nicht wissen! Wer nicht bresthaft war, oder etwa des Viehs wegen im Haus bleiben musst', lief wie unklug nach Celle."
So kam Bruno Brantwulf nicht zum Ziel; das merkte er bald.
Er musste schon das Aussehen des Paares dem Kuhhirten mit möglichst vielen Einzelangaben genau beschreiben, vermochte das zum Glück auch und malte nun Vater und Tochter mit all den kleinen Besonderheiten ab, die ihm im Gedächtnis haften geblieben.
Da lief ein kurzes Schmunzeln über das wetterharte Gesicht des Kuhhirten. Ein bestimmter Name schien ihm über die Zunge kommen zu wollen. Doch dann meldete sich sogleich das Misstrauen des Dorfbewohners gegen den junkerlich gekleideten Mann. Die bäuerliche Bevölkerung hatte im allgemeinen wenig Ursache, gegen Menschen, die nicht ihres Standes waren, offenherzig zu sein. Zu oft war ihre Vertrauensseligkeit bitter enttäuscht.
Ein scheeler Blick des Hirten traf den Reiter: "Was wollt ihr von dem Mann, dem ihr im "Blauen Donner" begegnet seid?"
"Von dem Mann? Eigentlich nichts! - Will nur ein Gespräch weiter führen, das dort am Tisch begonnen wurd'." Mit der vollen Wahrheit konnte er doch nicht dem Hirten unter die Augen kommen. Er durfte ihm vor allem nicht sagen, dass er den Mann überhaupt nicht suchte, sondern nur sein Töchterlein.
"War's von Zehnten und ungebotenen Diensten?" forschte der vorsichtige Hirt weiter.
"Nein! Diese gehn mich hier in Ahnsbeck durchaus nichts an. Weiss auch hier nicht damit Bescheid."
Der Hirt sah ihn noch einmal prüfend von oben bis unten an. Er wollte den Fremden wohl auf Herz und Nieren prüfen, ob er auch nichts Böses gegen einen Dorfgenossen im Schilde führte.
"Gut denn! Weiss jetzt schon, wer euch im "Blauen Donner" in die Quere gelaufen ist. War der Bauer Eggert Salge und sein' Dirn Armgard. Stellt sich manchmal die Dirn so an, wie ihr gesagt."
"So, dann ist's doch richtig, dass sie in Ahnsbeck daheim waren?"
"Ist schon richtig! Wollt ihr zu ihnen?"
"Kann sein, dass ich zu ihnen reit', wenn mein' Zeit lang genug ist. Wo wohnt der Bauer Salge? Kannst mir sagen, wo sein Hof zu finden ist?"
"Am Ausgang des Dorfs , nach der Celler und der Oppershäuser Seit' zu ist der Hof zu finden. Könnt gar nicht irre gehn. Steht eine dicke Eich' gleich neben der Missentür."
"Was sind's für Leut'?"
"Nun, Bauersleut, wie fast all die Ahnsbecker. Steht sich gut, der Salge. Die Weissbunte da in der Herde und auch die und die" , dabei deutete er mit seinem Stock auf einzelne Tiere der Herde; "all diese Stück Vieh gehören auf Salgen Hof."
Doch kümmerte das den Reiter wenig; er sah währenddessen nach dem Dorf hinüber.
"Zwei Pferd' hat der Bauer auch und was sonst dazu gehört. Die Frau ist ihm aber vor ein paar Jahren verstorben, und nun muss die junge Dirn allein fürs ganze Hauswesen aufkommen."
Diese Worte des allmählich redelustiger werdenden Hirten waren schon eher Wasser auf der Mühle des Berittenen.
"Wieviel Leut' hat der Bauer noch sonst auf dem Hof?"
"Nun, da hat der Bauer erstmal noch zwei Söhn', die schon gut mit zufassen. Und dann helfen der Dirn noch zwei Mägd', mit denen sie das Haus in Ordnung hält."
Doch jetzt zerriss das Gespräch. Einige Tiere aus der Herde hatten eine neue prächtige Weide entdeckt und hielten es für geraten, sie mit ihrem Besuch zu beehren. Das war jedoch dem Hirten nicht nach der Mütze. Er hatte strengen Auftrag, diese grüne Fläche noch zu schonen. Da gab's denn genugsam zu tun, die Ausreisser wieder heran zu holen und auch die übrige Herde in Ordnung zu halten. Um den Reiter konnte er sich unter diesen Umständen nicht weiter kümmern.
Dem Junker war die Unterbrechung nicht unlieb. Ihm lag nichts daran, das Gespräch noch, wer weiss, wie lange, auszudehnen.
Dem Hirten rief er noch ein Grusswort zu, trieb dann sein Pferd zu rascherer Gangart an, und bald war er aus der schwarzbunten Herde heraus.
Wieder trabte er dem Dorf zu, diesmal von Süden her, ritt fast bis in die Mitte des Orts, bog dann links ab und kam so zum Südostende Ahnsbecks.
Er erinnerte sich jetzt recht gut, dass er die dicke Eiche
schon bei seinem Einritt ins Dorf gesehen, und deshalb fand er denn auch ohne Mühe den Salgeschen Hof heraus.
Bruno Brantwulf lenkte nun sein Pferd am Stakenzaun des Hofs entlang, musste sich dabei allerdings selber sagen, dass eigentlich recht wenig Aussicht bestand, hier das gesuchte Mädchen zu erblicken.
Entweder sie half mit bei der Ernte auf dem Felde, oder sie war beim Abladen des Korns auf der Diele zugange, oder aber sie rührte ihre Hände bei der Herrichtung des Mittagsmahls.
Der Reiter bestaunte jetzt, als er sie näher ansah, die mächtige Eiche und ihr weit ausladendes Astwerk. Er selber besass in seinen umfangreichen Wäldern keinen Baum von gewaltigerem Umfange. Dann fasste er den Hof genauer ins Auge; es sah sauber und ordentlich auf ihm aus. Das grosse Haus mit seinen tiefreichenden Strohdach unterschied sich kaum von anderen niedersächsischen Bauernhäusern. Aus dem Uhlenloch unter den Pferdeköpfen, die auch hier als Giebelzier nicht fehlten, zog langsam der blaue Rauch des mittägigen Herdfeuers und verlor sich dann zwischen dem grünen Gezweig der Bäume. Die Missentür zwischen Vorschauer und Hausdiele war weit geöffnet. Ausser dem grossen Hause erblickte der Steenläger, als er seine Blicke umherschweifen liess, auf dem Hofe noch einen festen Treppenspeicher aus Eichenholz und weiterhin einen Backofen mit einem Backhause.
Der Junker blieb nun nicht auf der breiten Dorfstrasse, sondern bog auf einen schmalen Fahrweg ein, von dem aus man eine andere Seite des Hofes ins Auge fassen konnte. Er kam dabei bald an den Garten, der sich an das Wohnhaus schloss und den Raum zwischen ihm und dem schmalen Fahrwege auffüllte. Am Ende des Gartens sah er einen kleinen Immenzaun , zu dem das eifrige Volk der Bienen in raschem Fluge hineinstrebte. Ebenso viel der kleinen Sumserinnen flogen aber wieder hinaus ins Weite, um neue köstliche Fracht herbeizuholen . Zwar waren Garten und Immenzaun von dem Wege durch eine hohe Hecke aus Weissdorn getrennt; doch hielt es der Reiter nicht für geraten, sich dem Heim des kleinen zornigen Volkes allzusehr zu nähern. Es war nun einmal
seit alters her keine Freundschaft vorhanden zwischen den wehrhaften kleinen Tieren und den stolzen Pferden; besonders an heissen, gewitterschwülen Tagen fiel das streitbare Volk gern über Rosse her, die ihm zu nahe kamen, und richtete sie böse zu.
Der Reiter wollte deshalb schon sein Pferd wenden, als er hörte, dass die Blangentür des Wohnhauses aufgeklinkt wurde. Im Augenblick benahm ihm jedoch die dichte Weissdornhecke jede Aussicht nach dem Hause. Selber konnte er allerdings auch nicht vom Bauernhause aus gesehen werden. Er ritt, um etwas mehr wahrzunehmen, so dicht es nur ging, an den stacheligen Hag heran und bog mit vorsichtiger Hand dessen hochgeschossene Zweige zur Seite.
Er bekam dadurch ein Stück freier Sicht in den Garten und nach dem Wohnteil des Hauses hin. Da sah er auf einem Gartenwege eine Dirn schreiten, die aus der Blangentür des Hauses gekommen war und jedenfalls irgend etwas aus dem Garten holen wollte. Sie war mit einem Korbe und einem Messer bewaffnet, hatte also die Absicht, noch junges Gemüse für den Mittagstisch zu holen.
Bruno Brantwulf spähte scharf durch die schmale Lücke des Hags, um die Züge des Mädchens zu erkennen. Und da sah er, als das Dirnlein einmal den suchenden Blick vom Boden erhob, zu seiner freudigen Ueberraschung, dass es wirklich dasselbe weibliche Wesen war, das ihm im "Blauen Donner" so sehr gefallen und deretwegen er im letzten Grunde den heutigen Ritt unternommen hatte, wenn er diese Tatsache vor sich selber auch nicht ganz wahrhaben wolte.
Es war wirklich Armgard Salge, von der ihm der Kuhhirt erzählt. Zwar hatte sie ein anderes Kleid an als damals, aber sie bewegte sich in dem leichten selbstgewebten Hauskleide ebenso frank und frei wie in dem Feiertagsgewande, das sie ehedem getragen hatte. Das zierliche Köpfchen wirkte vor dem grünen Hintergrund des Gartens noch reichlich so schön als damals in der dämmerigen Krugdönze.
Der Späher hinter dem aufgeschossenen Hag war von dem Mädchen
noch nicht erblickt. Das machte er sich zunutze. Vorsichtig liess er die Zweige des Weissdornstrauches wieder los, stieg ebenso sacht von seinem Pferde und band es in der Hecke fest. Vom Felde aus konnte er hier nicht wahrgenommen werden, da ein ebensolcher Hag den schmalen Weg, den er geritten, auch nach den Ackerländereien zu absperrte.
Bruno Brantwulf konnte jedoch von hier aus nicht in den Garten gelangen, da die dichte Hecke niemanden durchliess. Er ging deshalb einige Schritte zurück bis dahin, wo der Stakenzaun die Hecke fortsetzte. Hier war ein Stegel, den der Reiter sofort überstieg. Er schritt dann über den Eichhof auf die Gartenpforte zu, die das Mädchen hatte offenstehen lassen, ging durch den Garten und stand plötzlich vor der Dirn, die bei ihrer eifrigen Arbeit die Schritte des Eindringlings nicht wahrgenommen.
Als sie sich einen Augenblick aufrichtete, sah sie den fremden Mann vor sich, und da ging doch ein leichtes Zusammenfahren durch ihre Gestalt, wenn das Mädchen sonst auch wohl kaum schreckhaften Gemütes war. Sie blieb dann aber ruhig stehn und sah mit grossen Augen auf den Reitersmann, ohne ein Wort aus der Kehle bringen zu können.
"Wünsch' dir einen guten Tag und gute Verrichtung, lieb's Mägdelein! Hab' ich dich erschreckt?" so wandte er sich mit lächelndem Gesicht an das vor ihm stehende Dirnlein.
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte leise den Gruss.
"Kennst mich wieder, mein Dirn?"
Sie sah ihn einen Augenblick zweifelnd an; dann huschte ein Erinnern über ihre Züge: "Wart ihr nicht im "Blauen Donner" auf der Blumlage in Celle, damals, als man die alten Frauen verbrannte?"
"Ist doch gut, dass du mich wiedererkennst," sagte mit leisem Neigen des Kopfes der fremde Mann.
"Sucht ihr meinen Vater? Der ist nicht im Haus, bringt Korn ein, ist eben mit dem Wagen aufs Feld gefahren, wird ungefähr in einer Stunde wieder auf dem Hof sein."
"Nein, nicht den Vater such' ich, ganz wen anders."
"Mein' Brüder etwa? Sind auch mit dem Vater draussen auf dem Westerfeld."
"Nein, such' auch die Brüder nicht."
"Ja, gehören aber sonst keine Mannsleut' zum Haus."
"Komm' auch nicht wegen der Mannsleut'. Ist mir nur um Frauensleut' zu tun."
"Ach, ihr wollt die Mutter sprechen. Kommt aber vergebens. Ist schon vor zwei Jahren verstorben."
"Bist wohl ganz allein im Haus?" fragte der Mann mit listigem Lächeln.
Die Dirn stutzte, sah den fremden Mann gross an, hatte sich jedoch gleich wieder gefasst: "Bin ich zwar für jetzt, da ich auch die Mägd' zum Melken geschickt. Kann aber leicht einen Nachbarn rufen, wenn nötig."
"Ist nicht nötig und wird auch nicht nötig werden."
"Aber zu wem wollt ihr denn?"
"Nun, zu der Einzigen, die das Haus hütet, zu dir."
"Zu mir?" Die Dirn trat einen Schritt zurück vor Verwunderung, "was soll's denn? Meint ihr, ich hätt' etwas mitgenommen aus dem Krug da, aus dem "Blauen Donner"?"
"Kann schon sein, dass du etwas mitgeschleppt hast."
"Ist nicht wahr! Hab' noch keinem was nommen!" stiess das Mädchen aufgebracht hervor.
"Nur immer ruhig Blut!" beschwichtigte der Mann die Aufgeregte, "war auch nicht so gemeint, als ob du etwas Ehrenrühriges tan hättest."
"Aber ihr sagt doch, ich hätt' was mitnommen. Solch' Red' lass ich nicht auf mir sitzen."
"Wie schön du aussiehst, wenn dich etwas ärgert!" Lächelnd sagte es der fremde Mann.
"Von Schönsein ist nicht die Red'. Vom Wegnehmen habt ihr sprochen."
"Hängt aber doch mit'nander zusammen. Dein Schönsein hat all mein Sinnen mir entwendt."
Nun war sie aber erst recht aufgebracht: "Euer Sinnen? Was
geht mich euer Sinnen an. Bringt derartig Geschwätz nur bei den Hoffräulein in Celle an. Haben doch viel Langeweil'. Lasst mich in Ruh' mit euren Worten! Hab' schon mehr davon gehört, als nötig. - Geht jetzt! Hab' zu tun, sonst ist das Mittagessen nicht bereit, wenn der Vater und die Brüder vom Feld heimkommen"
Damit schritt sie resolut um den fremden Mann herum mit ihrem Korb, in dem schon ein Teil Gemüse lag, und bevor der Reitersmann den Versuch, sie am Arm zu fassen und festzuhalten, auszuführen vermochte, lief sie schon den Gartenweg entlang, blieb bei einem Möhrenbeet stehn, und, ohne den Mann weiter eines Blicks zu würdigen, bückte sie sich zu ihrer neuen Arbeit und zog Wurzeln auf.
"Auf einen Streich fällt keine Eich', nicht mal ein Dirnlein, wenn's schön ist, und nach anderen, die einem leicht zufallen, verspür' ich kein Verlangen," murmelte der Reiter vor sich hin.
Er schien nicht einmal böse zu sein, dass ihm eine solche Abfuhr zuteil geworden.
"Ist ebenso schwer zu nehmen, wie mein festes Haus in Steenlage. Gefällt mir aber, dass die Mauern nicht gleich bei dem ersten Berennen umfallen. Muss eben die Feste von anderer Seite bestürmt werden, bis eine Bresche sichtbar wird und sie sich gibt."
Seelenruhig schritt er hinter demMädchen drein und blieb neben dem Möhrenbeet stehen. Doch hier war das Dirnlein bald fertig, und es wandte sich dann den Erbsen zu, die es mir flinker Hand pflückte.
Einen Augenblick sah er dem Spiel der gewandten Finger zu. Sie tat dabei, als sähe sie nichts von dem ihr lästigen Besucher.
Da versuchte er's mit einer Anrede: "Hast du die Hexen kennet, die damals vor St. Georg bei Celle in Rauch aufgingen?"
"Ja, hab' ich schon, wenn auch nur vom Ansehn. Nur eine hab' ich mehr kennet; war mein' Muhm'."
"Deine Muhm'? Und dann ein' Hex'?"
"Weiss nicht, was in sie gefahren, dass sie hat hexen müssen. Hab's ihr nie zutraut."
"Glaubst nicht, dass sie ein' Hex war?"
Zögernd nur kam eine verhaltene Antwort heraus: "Muss sie doch wohl! Wie hätten sonst die Herren vom hohen Gericht sie zu Asche brennen lassen!"
"Muss doch herb sein, so zu brennen!"
"Möcht's nicht leiden!" Das Mädchen schüttelte sich.
So war das Gespräch nicht fortzuführen; es war nichts Rechtes mehr dabei herauszuholen. Zwar konnte man's schon als einen Gewinst betrachten, dass sie überhaupt wieder zu einer Rede den Mund öffnete; aber besser schon, man wählte einen Stoff, der keine unangenehmen Gedanken erweckte.
"Wie flink du den Korb füllst!" begann der hartnäckig sein Ziel verfolgende Reitersmann wieder.
"Muss ich doch! Wie würd' sonst mein' Arbeit zur rechten Zeit fertig!"
"Hast denn noch mehr zu werken, als nur das Mittagessen für dein' Leut' zu bereiten?"
"Ei di mein! Wo denkt ihr hin! Für's Essen zu sorgen ist nur das Wenigst'. Muss oft auch die Küh' melken. Muss ihnen und dem andern Vieh Futter vorwerfen. Muss das ganze Haus in Ordnung halten, damit's mein' Leut' drinnen gefällt. Muss vielmals auch mit aufs Feld und dort schaffen helfen."
"Scheust dich also vor kein Arbeit. Ist zu loben. Mag ich wohl leiden."
"Ist nichts zu loben bei. Ist eben mein Schaffen, was mir zusteht im Bauernhaus, wie dem Vater das sein'."
"Gefällt mir schon ein Dirnlein, dem's Ernst ist mit sein' Arbeit."
Das Mädchen blickte zum ersten Mal auf von seiner Arbeit und warf einen prüfenden Blick in sein Gesicht, gleich, als wollt's schauen, ob's dem Mann ernst sei mit seinen Worten. Sie hatte das Gefühl, er scherze nicht bei seinen anerkennenden Reden.
"Wie ist denn dein' Nam'?" fragte er dann, obgleich er schon von den Worten des Kuhhirten her wusste, wie er die Dirn anreden konnte.
"Armgard," antwortete kurz das Mädchen, "mit Vaters Namen Salge;" dann raffte sie ihren gefüllten Korb auf und schritt ohne weiteres dem Hause zu.
Er ging neben ihr her: "Will dir auch meinen Namen nicht hehlen; Bruno Brantwulf werd' ich genannt. So, da weisst du zum wenigsten, wer dich von dein' Arbeit hat aufgehalten."
Vor der Blangentür des Hauses wandte sie sich zu ihm hin: "Ist gnug geredt für heut'. Im Haus mach' ich mein Werk lieber allein für mich. Bin's nicht gewohnt, Zuschauer und Aufpasser bei mir zu sehn."
"Wenn du mich denn so rasch los sein willst, gib mir zum mindesten dein' Hand zu guter Letzt!"
"Ist nicht sauber blieben von der Gartenarbeit her;" dabei schaute sie auf ihre Rechte.
Bevor sie jedoch zu einem Entschluss kam, hatte er schon ihre Hand gefasst, drückte sie recht kräftig und streichelte ihr auch den vollen Arm. Doch sie riss sich mit einem kräftigen Ruck von ihm los, und ehe er sich dessen versah, klatschte ihm ein wohlgezielter Hieb mit einer Wurzel über seine zu weit greifenden Finger.
Ihm war aber noch nicht recht klar geworden, wie ihm geschah, da hatte Armgard schon die Blangentür geöffnet, war ins Haus geschlüpft, und gleich darauf wurde die Tür mit einem heftigen Krach zugeworfen.
Er rief ihr zwar noch nach: "Armgard, ich besuch dich wieder!" konnte jedoch nicht mehr feststellen, ob sie den Ruf gehört.
Weitere Worte würden in den Wind gesprochen sein. Dem Mädchen gegen seinen ausgesprochenen Willen zu folgen, erschien ihm nicht ratsam, würde vielleicht auch mehr schaden als nützen.
"Steckt Rasse drin in der Dirn. Gefällt mir immer besser. Werd' die trutzige Burg schon noch gewinnen, und wenn's auch manchen Sturm kostet;" sprach er vor sich hin.
Damit kehrte er zu seinem Pferde zurück, band es los, schwang sich hinauf und ritt fröhlichen Sinns ins sonnige Land hinaus.
Sievert von Oppershausen, dem das schöne Gut an der Aller, fast dem Kloster Wienhausen gegenüber gelegen, als Eigenbesitz gehörte, hatte Bruno Brantwulf schon mehrfach zur Jagd eingeladen. Er hielt grosse Stücke auf den Steenläger, hatte mit ihm zusammen schon an einem Kriegszuge gegen die Türken teilgenommen und ihn dabei als verlässlichen Kameraden kennen gelernt.
Zwar waren auf jenem Heereszuge nicht viele Lorbeeren zu holen gewesen, da die Führung nicht ausreichte, aber doch hatte gerade Bruno Brantwulf durch einige tollkühne Streiche und Unternehmungen von sich reden gemacht
Als dann der unfähige Kaiser einen vorzeitigen Frieden geschlossen, statt das Heer dort einzusetzen, wo etwas zu erreichen war, nämlich in Siebenbürgen, hatten beide den Dienst quittiert, da er ihnen nichts Halbes und nichts Ganzes zu sein schien, und waren auf ihre Güter zurückgekehrt, die auch dringend der leitenden Hände bedurften.
Jetzt erinnerte sich Bruno Brantwulf der Einladung seines Waffengefährten und beschloss, ihr nachzukommen.
Es ging ihm dabei um ein Doppeltes. Zunächst wollte er wirklich seinen Kriegskameraden im eigenen Heim aufsuchen, mit ihm einige Tage in Wald und Heide zubringen und vergangener Zeiten gedenken. Dann aber hatte der Steenläger auch noch in Rechnung gezogen, dass Ahnsbeck nicht weit von Oppershausen entfernt lag. Er würde also jedenfalls Gelegenheit finden, einer zweiten Jagd obzuliegen, die ihm eigentlich noch weit mehr am Herzen lag, was er jedoch keinem anderen gegenüber hätte wahr haben wollen.
Der Oppershäuser war hoch erfreut, als der Steenläger bei ihm eintraf, und die beiden brachten den ersten Abend damit zu, nach einem kräftigen Imbiss zur Nacht bei Kerzenschein sitzen zu bleiben und Kriegserinnerungen auszutauschen.
"Weisst', welche Geschicht' mir sofort einfiel, als ich dich heut' auf meinen Hof einreiten sah?" fragte schmunzelnd der Oppershäuser seinen Gast.
"Wie sollt' ich!" erwiderte dieser; "hat ja doch manch buntes Abenteuer gegeben im fernen Ungarland."
"Nun, das an dem Brunnen, wo die Wach' stets erstochen aufgefunden wurd'."
"Ach, das meinst; war ganz unterhaltsam und stellt' meine Neugier endlich zufrieden."
"War aber durchaus nicht ungefährlich und hätt' leicht schief ausgehn können. Ist nachher im ganzen Heer viel darüber gered't."
"Erzähl' doch einmal die Geschicht'! Hör' sowas für mein Leben gern," bat Regina, des Oppershäusers Eheliebste, die noch einmal an den Tisch getreten war, um sich von ihrem Gast für die Nacht zu verabschieden.
"Gut, dann setz' dich nur solang noch zu uns!" mahnte Sievert seine Frau; "hab' dir wohl diese Geschicht' noch niemals erzählt."
"Ist auch nicht des Aufhebens wert, was drum gemacht wird, weiss zudem nicht, ob sie für Frauen passlich ist," warf der Steenläger ein.
"Seid nun einmal so, ihr Männer; wenn's recht abenteuerlich wird, möchten wir solch Geschicht' auch gern hören; doch dann sagt ihr Männer stets: Ist nichts fürs weibliche Geschlecht! Ist nichts für zarte Frauenohren! Haltet uns sonst gar nicht für so zart. Also erzählt nur!" versetzte schelmisch lachend Frau Regina.
"Siehst du, der Frauen Neubegierde ist ebensogross als damals die deinige, womit ich aber dein' Tat durchaus nicht herabmindern möcht', war schon ein ganz muthaftes Stück!" begann Sievert seinen Bericht.
"Standen wieder also einmal untätig weit hinten im Ungarlande. Uns
gegenüber ein türkisches Feldheer. War zwar zwischen beiden Armeen eine
weite Fläche Landes, mussten aber doch gut aufpassen, dass uns der Türk'
nicht überfiel.
Stellten deshalb brav Feldwachen auf. Und das war gut. Nicht gut aber
war, dass der Posten, so bei einem Feldbrunnen seinen Platz hatt', jeden
Morgen mit abgeschnittenem Kopf aufgefunden wurde."
"O Gott!" rief Frau Regina aus und fasste sich an ihren weissen
Hals.
"Hab' ich's nicht gesagt, dass die Geschicht' nichts für Frauen ist. Nun haben wir's!" brummte der Oppershäuser unwillig zu dem Ausruf seiner Eheliebsten.
"Verzeiht, gestrenger Herr Gemahl! Will auch nicht wieder mucksen, wenn auch noch soviel Köpf' abgesäbelt werden."
Sievert brummte noch etwas Unverständliches in den Bart, begann dann aber wieder mit seinem Bericht.
"Wurde also der Posten beim Feldbrunnen jeden Morgen tot aufgefunden und
wusst' doch niemand, wie das zuging, obschon man die Gegend weit und
breit genau durchforschte, aber keine Türkenseele fand.
Wollt' am End' kaum noch ein Musketier auf Posten stehn bei dem
vermaledeiten Soth. Darauf meld't sich Bruno Brantwulf. War dazumal
Kornett in unserm Heer und hätt' das Postenstehn nicht vonnöten gehabt.
Hatt' sich nun aber einmal in den Kopf gesetzt, das Geheimnis des Soths
auszukundschaften.
Was nun weiter geschah, erzählst du am besten selber, Bruno."
"Was ist da viel zu berichten!
Ich ging also am Abend zum Brunnen - am Tage wurde die Stätte nicht
besetzt. Sah mir dann den Brunnen von allen Seiten an, fand aber nichts
Verdächtigs.
War in der Nacht höllisch kalt und musst mich daher ständig in Bewegung
halten, wär' sonst ganz verklamt. Hatt' aber auf alles ein Auge; sah im
Norden unsere Wachtfeuer lodern und im Süden die türkischen.
Es war schon gegen Morgen und fing an, dämmrig zu werden. Da bleib' ich
denn auf meinem Hin- und Hermarsch einen Augenblick stehen, um mir den
Morgenstern anzuschaun, der so brav vom östlichen Himmel
herunterleuchtet, während all die anderen Lichter da droben und auch
hier unten nach und nach ihr Leuchten einstelten.
Müsst wissen, ich trug dazumal noch mein Haar lang auf die Schulter
herunterfallend, war ja noch jung, und stand mir nicht schlecht, mein
Haar wie ein Page zu tragen.
Fühl' auf einmal, dass sich etwas an meinem Haar im Nacken
zu schaffen macht. Bück' mich deshalb rasch und spring' zur Seit'. War
mein Glück!
Als ich mich umdreh', steht ein baumlanger Türk' hinter mir mit einem
blinkenden, krummen Messer in der Hand. Hatt' mir den Hals
durchschneiden wollen, war aber durch mein langes Haar am richtigen
Schnitt gehindert. Wollt' es darum anheben, um Platz für sein scharfes
Messer zu gewinnen. War ihm mein Hals aber durch mein rasches Wenden und
Bücken entwischt.
Liess dem Muselmann keine Zeit, wieder meinem Hals nahe zu kommen. Hatt'
ja mein Pistol feuerbereit in der Faust. Legt' es sogleich auf den
Ungläubigen an und drückt ab. Der lange Kerl fällt denn auch, ohne einen
Mucks zu sagen, längelang auf den Erdboden hin und tut keinen Schnaufer
mehr.
Wollt' nun aber wissen, woher der Türkenhund gekommen. Konnt' sich nicht
zu ebener Erd' herangeschlichen haben, hätt' ihn sonst längst
wahrgenommen. Bin stets mit guten Augen und Ohren ausgerüstet gewesen.
Sah noch einmal, als die Sonn' aufging, mir den Soth von allen Seiten
an. Fand denn auch, unter der Grasnarb' verborgen, ein paar Stufen, so
zum Brunnen hinab führten. Folgt' ihnen und kam dabei in eine
Seitenhöhlung, geräumig und trocken. Lagen noch Essvorräte drin, war
auch ein Heulager vorhanden und eine Decke dazu.
Hatt' also der Türk' die Nacht stets am Brunnen zugebracht und dabei bis
zum Morgen gewart', bis die Wach' nicht mehr so wachsam dastand, und ihr
dann mit einem kräftigen Schnitt den Kopf herunter gesäbelt.
War mir also mein lang Haar und mein rasches Ausweichen mein' Rettung
gewesen; säss mir sonst mein Kopf nicht mehr oben, wo er bis dato
vorhanden ist."
Frau Regina hatte wieder unwillkürlich an ihren schönen weissen Hals gefasst und meinte: "Wär' doch schad' um euch, wenn's euch dazumal an den Hals gegangen. Möcht' wirklich nicht stehen auf einsamer Wacht im fernen Land, wo noch dazu Heidenmenschen sich in solch hässlichen Sitten üben."
Die beiden Männer lachten.
"Sollt ihr auch nicht, Frau Regina," beeilte sich Bruno Brantwulf zu versichern, "sollt ihr auch nicht! Ist der Krieg nun einmal Männerwerk und nichts für Frauen. Sehen's aber gern, wenn die Frauen müde Krieger einmal mit Speis' und Trank versehn und ihnen, wenn nötig, die Ratscher und Schrammen verbinden, und sie mit ihren weichen Händen pflegen, wenn Seuch' und Krankheit ihr bös' Wesen treiben."
"Ist schon recht, ihr Herren. Solch Tun passt schon für uns Frauen. Wollen's auch zu rechter Zeit üben. Doch jetzt gut' Nacht, ihr Herren! Muss morgen zeitig aufstehn und nach den Mägden sehn. Wollen die Herren doch noch Geschichten zum Besten geben, bei denen sie Weiberleut' nicht allzugern sehen." Mit einem Lächeln stand sie auf.
"Mit nichten," warf der Steenläger ein, "sehn die holden Frauen stets gern in unserer Mitt'. - Doch wie ihr wollt, Frau Regina! - Wünsch euch eine geruhsame Nacht!"
Doch Sievert von Oppershausen wollte seinem Freunde noch dartun, dass er ein in allen Künsten wohlerfahrenes Weib geehlicht. Er bat sie deshalb: "Regina, bevor du dich legst, sing' uns doch eins von den Liedern aus alten Tagen, die du so gern magst."
"Bin eigentlich zu müd' dazu. Hab' auch heut' schon mein Stimm' vielfältig anstrengen müssen."
"Tu's unseres Gastes wegen, dem in seinem Heim keine Frau mehr ein Lied singt."
"Möcht mein Bitten mit dem eures Gemahls vereinen, sofern ihr nicht allzumüd' seid," bat jetzt auch Bruno Brantwulf.
Da vermochte sie nicht länger zu widerstehn: "Sing' aber nur Weisen aus alten Tagen. Kommt heut' kaum noch ein fein' Lied mehr auf."
"Tut ganz nach eurem Gefallen, Frau Regina!" erwiderte höflich der Steenläger.
Sie nahm eine Laute, die an der Wand hing, zur Hand, stimmte sie rasch, griff dann ein paar Töne und summte vor sich hin, offenbar sinnend, welches Lied sie zu Ehren des Gastes wählen sollte.
Plötzlich schien sie sich schlüssig geworden zu sein. Sie riss kräftig die Saiten an, und mit klarer Stimme und schelmischem Gesicht gab sie ihr Lied zum Besten:
Darauf verneigte sich lächelnd Frau Regina vor den beiden Herren, die ihr laut Beifall spendeten, hängte die Laute wieder an ihren Ort und war mit leichtem Gruss und einer raschen Wendung aus dem Gemach verschwunden.
"Zu beneiden bist du, Sievert, um ein solch Weib. Noch ganz die Sitt' aus früherer Zeit und den feinen Ton. Wo findet man dergleichen noch in unseren Tagen!"
Sievert von Oppershausen fühlte sich durch die Worte seines Freundes geschmeichelt und meinte dann: "Schad ist's aber doch, dass der ganze Ton soviel gröblicher worden ist, dass allzuviel Zank und Streit Häuser und Länder erfüllen."
Sie kamen dann wieder auf ihre Erlebnisse im Türkenkrieg zu sprechen. Der Oppershäuser meinte: "Gab ja mancherlei bunt Geschehen im Türkenkrieg. Find' aber, dass man nicht mit Freud' und Zufriedensein auf den Krieg zurückschauen kann."
Der Steenläger nickte dazu: "Ist schon so, wie du sagst. Der einzelne Mann schlug sich gut, wie es dem Deutschen geziemt. Doch die gesamte Lenkung und Leitung taugt' nicht. Lag am Kaiser, war zu unschlüssig und vermocht' die ganze Sach' nicht in Schwung zu bringen."
"Statt dem Zriny in Siebenbürgen und unseren Landsleuten dort in den Bergen Beistand zu bringen, schloss der Kaiser Frieden mit dem Sultan und zahlt' Tribut."
"Dabei hatt' er ein solch' stark' Heer in Ungarn stehn. Ist aber völlig zu Grund gewirtschaft' worden. Der Kriegsmann wird überdrüssig, wenn für nichts gesorgt wird, wenn nicht mal was Ordentlichs für den Magen zu finden ist. Seuch' und Kranksein kommen dann auch noch dazu und geben der Armee den Rest. Und man hatt' doch nach dem Tod des alten Sultans, der ein böser Widerpart war, alles in der Hand und liess sich dennoch jeden Vorteil aus den Fingern nehmen. Tut einen noch heut' ärgern, wenn man drauf kommt."
"Uns im Reich fehlt die feste Führung von einem starken Kaiser. Die Völker jenseits der Grenz' werden immer grossmäuliger. Viel kleine Herren, die sich wunder was einbilden - manchmal sind's nur Kläffer - stehn im Reich gegeneinander. Kein Kaiser da, der die vielen Gernegrosse zusammenstaucht und ihnen einen eisernen Zaum anlegt. Was könnt' Deutschland sein, wenn einer das Leit' fest in die Hand nähm' und alls, was aus'nander strebt, wieder unter einen Hut brächt!"
"Geht's uns in unserm Lüneburgschen Land besser? Man braucht's ja nicht laut zu sagen, dass alle üblen Menschen es hören - aber wahr ist doch: Uns fehlt auch die feste Hand. Was liess sich anfangen, wenn im Celler Schloss ein starker Herzog säss', wie es Vater und Grossvater des jetzigen aller Welt zeigten, und nicht seine Gnaden der schwarzblütige und schwermütige Wilhelm. Soll mich wundern, ob er bei den Streitereien an der Grenz' zur rechten Zeit 'n Mund aufmacht. Wird's aber wohl zu spät oder gar nicht tun. Ist alles recht und gut, wenn der Fürst frumb und gottesfürchtig ist und die Kirch' nicht versäumt; aber mit gelehrtem Disput in Sachen der Theologie und Konfession ist nichts fürs Land getan. Was man zuerst von ihm verlangt, ist, das er soll für Land und Leut' einstehn, jeden die feste Hand spüren lassen und ihm zu seinem Recht verhelfen."
Der Oppershäuser konnte bei diesen Worten des Steenlägers doch ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken: "Hast schon recht; aber
ob's in Steenlage stets Freud' erweckt hätt', wenn der Herzog festen Willen gezeigt? Möcht' es billig bezweifeln."
Der Steenläger war nicht verärgert über diesen Einwurf; er tat ihn mit den Worten ab: "Jeder streckt sich nach sein' Decken. Ist ein' feste Hand oben, muss einer schon an sich halten bei seinem Tun. Fügt sich wohl, wenn's auch nicht ohn' Murren abgeht."
"Hab' mir in dieser Zeit oft durch den Kopf gehen lassen, ob die Alten recht haben, wenn sie von den längst verflossenen Tagen reden, als der guten, alten Zeit. Ob's wirklich vor diesen Zeitläuften besser gewesen ist?"
"Ist wohl immer so von alten Leuten geredt von der guten, alten Zeit; aber heut' scheint's manchmal, als ob ein Körnchen Wahrheit drin steckt in dieser Redensart."
"Ja, ist zuviel Aufsässigkeit und Zornmütigkeit landauf, landab zu finden. Fehlt jeds gross' Ziel, um das sich das Kämpfen und Streiten lohnt."
"Wir ändern's nicht. Was meinst', wenn wir heut' abend das Reden aufgäben und der Ruh' pflegten?"
"Bin ganz deines Sinns. Können dann morgen beizeiten zur Jagd aufbrechen."
Man ging rechtzeitig am andern Morgen auf die Jagd und brachte soviel Jagdbeute heim, wie man nur irgend erwartet.
Am dritten Morgen wollte man getrennt voneinander jagen. Bruno Brantwulf wusste jetzt genügend Bescheid um Oppershausen herum, dass er nicht mehr Gefahr lief, sich zu verirren. Man verabredete, sich am späten Mittag bei der Mistelbirke zu treffen.
Der Steenläger hatt' an diesem Tage kein Jagdglück; doch da er in der Ferne mehrmals den Knall eines Feuerrohrs vernahm, so schob er seinem Waidgenossen mehr Erfolg zu und dachte, Sievert von Oppershausen würde schon genügend Wildbret in die Gutsküche bringen und Frau Regina zufrieden stellen.
Dass Bruno Brantwulf nichts vor sein Rohr bekam, mochte auch wohl an ihm selber liegen. War's ihm überhaupt so sehr um das Erlegen des Wildes zu tun? Gleisste ihm nicht noch ein zweites Ziel vor Augen?
Meist ist es nun beim Menschen so bestellt, dass es nicht gut ist, wenn er zweierlei zu gleicher Zeit erlangen will. Am Ende erlangt er dann weder das eine noch das andere.
Das mangelnde Jagdglück in Wald und Heide und Bruch liess den Junker völlig gleichgültig, obgleich ihm zuzeiten viel an dem Jagen lag. Er hatte nämlich noch eine zweite Jagd vor, und das, was er bei diesem Pürschgang erbeuten wollte, lebte für gewöhnlich nicht in freier Flur, sondern wohlbehütet in dem grossen Bauerndorf Ahnsbeck.
Der Steenläger verliess deshalb bald das ihm von seinem Jagdfreunde und Kriegskameraden angewiesene Jagdrevier und schlug eine Richtung ein, die ihn über kurz oder lang nach Ahnsbeck bringen musste.
Um nicht allzusehr in den Sumpf der Allerdreckwiesen hinein zu geraten, hielt er sich mehr nach links und strebte den trockeneren Gebieten der Allerheide zu.
Als er sich der Gegend näherte, wo allmählich die Heidefläche in bearbeitetes Ackerland, das hier den Namen Westerfeld trug, überging, sah er schon von weitem ein Mädchen bei der Arbeit.
Doch war es nicht auf dem Felde tätig, wie er bald bemerkte, sondern auf den letzten Heidelegden. Der Jäger konnte zunächst nicht erkennen, welches die Beschäftigung der Dirn war; erst beim Näherkommen sah er, dass sie in der kurz gehaltenen Heide Flachs breitete. Sie musste also schon am Morgen den Flachs auf dem Felde gezogen und ihn dann durch ein Gespann in die Heide gebracht haben. Nun legte sie die Stengel dünn auseinander, um die harten Teile der Pflänzlein durch Regen und Sonnenschein mürbe werden zu lassen, wozu manche sich auch der Rottkulen bedienten.
Ja, es gab für die Frauen und Mädchen erst vielerlei Arbeit an Flachs, bis das weisse Leinen aufgerollt in der Truhe lag: Braken, Schaben, Hecheln, Spinnen, Spulen, Weben, Bleichen - um nur einige der wichtigsten Tätigkeiten des weiblichen Geschlechts zu nennen.
Das Mädchen, das Bruno Brantwulf jetzt vor sich sah, war also bei einer der ersten Arbeiten, beim Flachsbreiten beschäftigt. Da die Dirn ziemlich gebückt ihrer Arbeit oblag, so sah der Jäger erst ziemlich spät, dass er die vor sich hatte, die er eigentlich in Ahnsbeck suchen wollte.
"Das heiss' ich Jagdglück!" sprach der Junker vor sich hin; "nun find' ich das edelste Wild doch noch auf brauner Heid' und nicht in den Häusern des Dorfs."
Er ging frischweg auf die im Schweisse ihres Angesichts schaffende Dirn los und hoffte auf eine ungestörte Zwiesprach, die er umsomehr erwarten durfte, da weit und breit kein Mensch sonst sichtbar war.
Wenn er aber dachte, dass er sich auch diesmal wieder, wie damals im Garten, mit leisem und vorsichtigem Jägerschritt dem Mädchen nähern könnte, so irrte er sich gewaltig.
Er war der Dirn noch nicht einmal sehr nahe gekommen, da erhob sich neben ihr ein Schützer, der nicht einmal bereit zu sein schien, einen Fremden sich soweit nähern zu lassen, dass Rede und Gegenrede möglich wurde. Ein Schäferhund von ungewöhnlicher Grösse trabte nach kurzem Bellen sofort auf den Jäger los
und duldete nicht, dass dieser das Viereck betrat, in dem das Mädchen seinen Flachs ausbreitete.
Bruno Brantwulf wusste sogleich, was er von solch einem Tier, das sich durch besondere Klugheit und starke Bissigkeit auszeichnete, zu erwarten hatte. Ohne einen Zuruf des Mädchens würde der Hund auf keinen Fall seine angriffslustige Stellung aufgeben. Gewiss, der Jäger war bewaffnet und konnte sich sehr wohl des sich ihm entgegenstellenden Tieres erwehren. Aber war das die richtige Art und Weise, sich einem Mädchen zu nähern, wenn man dessen getreuesten Beschützer niederstreckte? Zudem hatte der Junker viel zu viel Achtung vor dem Tun des treuen Tieres.
Er stand also still und schaute ruhig zu dem Mädchen hinüber. Dieses hatte sich aufgerichtet, blickte ihn an, machte aber durchaus keine Anstalten, den wachsamen Hund zurückzurufen.
"Armgard, ruf das Tier an; ich möcht' ihm kein Leids zufügen," schallte es zu der Dirn hinüber.
Diese antwortete: "Drüben geht der Weg; kehrt zu ihm zurück; dann tut euch der Hund nichts."
"Will aber nicht den Weg nehmen, Armgard. Bin gekommen, mit dir zu reden."
"Hab' kein' Zeit für Müssiggänger; muss mein' Arbeit noch heut zu End' bringen."
Freundlich war die Antwort keinesfalls, und nach einer Einladung klang sie durchaus nicht. Er wusste zwar, dass nach einem bäuerlichen Sprichwort, der Jäger zu den Müssiggängern gerechnet wurde, hatte aber nicht von der Dirn erwartet, dass sie ihm gerade seine jetzige Tätigkeit, die wohl nach ihrer Ansicht wenig zu bedeuten hatte, unter die Nase rieb.
"Will auch niemanden von seiner Arbeit aufhalten," begann er das laute Gespräch doch wieder; "will nur zwei Minuten mit dir reden, Armgard; dann geh' ich wieder."
"Wüsst' nicht, was ihr mit mir zu reden habt. Nehmt nur euren Weg wieder unter die Füsse!"
"Geht dich aber sehr nahe an, was ich dir sagen will. Ruf' deinen Hund, Armgard!"
Er klang kurz und befehlshaberisch, dieser letzte Zuruf, durchaus nicht wie eine Bitte. Doch schien sich in ihr nichts gegen diesen Ruf aufzubäumen; sie besann sich noch einen Augenblick; dann kam der Ruf: "Wasser, kusch!"
Wasser sah sich noch einmal nach seiner Herrin um; dann behielt er den Fremden doch fest im Auge, als wolle er zu bedenken geben, dass es jedenfalls geratener sei, dem Mann an die Beine zu fahren.
Erst ein zweiter Ruf: "Wasser, komm!" veranlasste das treue Tier, langsam die Bahn freizugeben und zu seiner Herrin zurück zu kehren, wobei er sich aber stets wieder nach dem Fremden umsah.
Der Jäger folgte dem Hund auf dem Fusse: "Hast einen treuen Schutz bei dir, Armgard, der steht für dich ein."
"Besser als mancher Mensch, von dem man nicht weiss, was er im Schilde führt."
"Soll das auf mich zielen?"
"Könnt's nehmen, wie ihr wollt."
"Allzufreundlich empfängst du mich nicht, Armgard. Nehm' dir's aber nicht weiter übel. Kennst mich ja weiter nicht."
"Woher seid ihr denn? Habt mir zwar euren Namen genannt; Bruno Brantwulf, wenn ich ihn recht behalten hab'. Doch was sagt mir das schon!"
"Wohn' in Steenlage, mitten in der Heide."
"In Steenlage? O Herrjemine, ist das aber weit von hier. Hab' nur hin und wieder das Dorf nennen hören. Kenn' aber keinen Menschen aus dem Ort."
"Kennst ja jetzt aber mich. Musst dich vorläufig damit begnügen."
"Hm, kommt drauf an!" Dann kam's ganz kühl heraus, als ob sie einen Händler nach dem Preise seiner Ware frage: "Was habt ihr mir zu sagen? Ihr meint ja, es ginge mich nahe an."
"Gut, hab' dir versprochen, dich nicht lang in deinem Schaffen zu stören. Will mein Wort auch halten. Deshalb kurz eine Frag': Willst du heut' abend in die Allerheide kommen, damit ich
länger mit dir reden kann?"
"Will euch ebenso kurz antworten: Nein, werd' nicht kommen. Will mit einem wildfremden Menschen nicht allein sein in der Allerheide."
"Kannst ruhig deinen Wasser mitbringen. Einen besseren Schutz gibt's doch nicht für dich."
"Ist schon wahr. Komm' aber doch nicht. Mögt soviel reden, wie ihr wollt."
"Ist das dein letztes Wort, Armgard?"
"Ist es, und damit Schluss! Die zwei Minuten, die ich euch verwilligte, sind längst um."
Damit bückte sie sich wieder zur Erde und fuhr fort, die zarten grünen Stengel zu breiten.
"Reich' mir wenigstens deine Hand zum Abschied!"
"Bin euch keinen Abschied schuldig!" sprach sie schon von ihrer Arbeit aus.
Als er aber dann doch noch einen Schritt näher trat, fuhr Wasser auf ihn los und schnappte nach seinem Bein. Die Unterredung war der treuen Hundeseele schon zu kräftig geführt, und er wartete deshalb längst auf diesen Augenblick, um in die Waden des Mannes seine scharfen Zähne zu schlagen. Aber so leicht ging das nicht bei den über die Knie reichenden weichen Stiefeln des Mannes. Zudem rief die Herrin das Tier sofort zurück: "Wasser lass!"
"Dann gehab' dich wohl, Armgard! Zuletzt hast mich aber doch noch nicht gesehen."
Damit drehte sich der Jäger kurz um und ging den Weg kurz zurück, den er gekommen. Als er nach einigen hundert Schritten sich noch einmal umwandte, sah er, dass das Mädchen zu ihm herüberschaute. Er winkte ihr zu; doch sie bückte sich rasch wieder zum Flachs breiten.
Da schritt er denn weiter und machte sich nach einigen Kreuz- und Quergängen auf den Weg zu der Mistelbirke. Zuerst hatte er sich über die schroffe Abfuhr, die ihm durch die Dirn zuteil geworden war, doch etwas geärgert; aber schon nach seinem Winken
verflog sein Unmut. Er pfiff bald wieder ein lustig Liedchen vor sich hin, trotzdem er sich sagen musste, dass auch dieser Jagdgang ohne sichtbaren Erfolg geblieben.
"Sind doch recht verschieden, die Weibsleut'," murmelte er vor sich hin; "wie manche ist mir weit entgegen gekommen, viel weiter als nötig. Diese ist trotzig. Steht ihr aber ut und gefällt mir trotz allem. Will sie nun erst recht für mich gewinnen, und wenn sie sich noch so sehr sträubt."
Zur abgemachten Zeit traf er bei der Mistelbirke ein. Er hätte unterwegs wohl noch einen Schuss auf ein Reh anbringen können, unterliess es aber, da er sich in einer Stimmung befand, die nicht ganz zum Töten des Wildes passte.
Unter der Mistelbirke sah er sich nach allen Seiten um, konnte jedoch nichts von seinem Jagdfreunde wahrnehmen.
Da setzte er sich kurz entschlossen unter den hohen Baum, nahm seine Jagdtasche vor und untersuchte, ob Frau Regina einen Imbiss eingepackt. Jawohl, das hatte sie, und so wartete er die Ankunft seines Kriegsgenossen nicht ab, sondern liess es sich wohl sein bei seiner Mahlzeit , die hier draussen in Wald und Heide doch viel besser mundete, als daheim zwischen den vier Wänden .
Als auch nach Beendigung der Jagdmahlzeit sich kein Sievert von Oppershausen blicken liess, streckte sich Bruno Brantwulf seelenruhig unter der Mistelbirke aus, und obgleich sie nur geringen Schatten bot, hatte er doch bald die Augen geschlossen und war in einen leichten Schlummer versunken.
Nach geraumer Zeit tat Bruno Brantwulf die Augen wieder auf. Es war ihm, als sei er durch ein leichtes Geräusch aus seinem Schlummer geweckt. Und richtig, dort kam schon sein Freund daher, aber ganz langsam und in sich gekehrt. Der Steenläger erschrak, als er beim Näherkommen des Oppershäusers diesem ins Gesicht schaute; ganz verstört sah es aus, wie er es bei seinem sonst so frischen Freunde nicht gewohnt war.
"Ist dir'n Hex über den Weg gelaufen oder der Gottseibeiuns selber erschienen? Ein Gesicht machst du, als ob er dich hätt' mitgehen heissen."
"Magst wohl sagen! Weiss noch immer selber nicht recht, was ich eigentlich erlebt."
"Dann lass dich erst einmal ruhig nieder unter der Mistelbirke, und komm zu dir selbst. Sistzt sich gut unter dem hohen Baum."
Der Oppershäuser liess sich, ohne ein Wort zu sagen, in dem braunen Heidekraut nieder.
"Hast schon verzehrt, was Frau Regina dir mitgegeben auf die Jagd?"
Der Freund schüttelte den Kopf und begann dann umständlich seine Jagdtasche zu öffnen und den Imbiss zu verzehren. Der Steenläger liess ihn gewähren und störte ihn vorläufig nicht durch lästige Fragen.
Erst, als der Oppershäuser den Rest des Imbisses wieder einpackte, begann Bruno Brantwulf mit einem Blick auf die Jagdtasche des Freundes: "Nicht einmal für Frau Reginas Küche hast gesorgt? Hört' doch deine Büchse sprechen, sogar mehr als einmal."
"War nicht die meine. Ist den ganzen Tag noch nicht warm worden."
"Aber ich hört' doch schiessen. Wer tat's denn?"
"Der andere! - Will dir erzählen, was mir begegnet ist. Vielleicht weisst du eine Deutung."
"Heraus mit deinem Erleben. Da du in dieser Zeit kaum dem Bachus gedient haben kannst, muss dich wohl das Hexenpack unter gehabt haben. Ist's nicht so?"
Der Kriegskamerad antwortete nicht auf die Frage, sondern begann gleich
mit seinem Bericht:
"War noch nicht weit von dir weggegangen, da
begegnet' mir die Sweensche aus Ahnsbeck, das alte Hexenweib, das schon
lang' hätt' brennen sollen. Sah mich so schief von der Seit' an. Wollt'
ihr schon eine Ladung Schrotkörner in ihr dickes Aussenposter senden,
liess es dann jedoch sein. Hätt' es doch tun sollen; denn als das böse
Weib zwischen den Bäumen verschwand, dreht' es sich noch einmal um und
lacht' hämisch und laut. Eh ich aber mein' Büchs' zum Schuss fertig
hatt', war's Mensch meinen Blicken entschwunden.
Mir ahnt' nichts Guts, dieweil mir die alte Hex' war begegnet. Kam auch
so.
Hört' einen harten Knall und ging ihm nach. Fand denn auch bald den
Jäger, so den Schuss aus seinem Gewehr gelassen. Schien mir bekannt und
wieder nicht. Hatt' sein Gesicht völlig geschwärzt
Nahm denn mein' Büchs und legt' auf ihn an, wollt' aber nicht sofort
abdrücken, vielmehr erst den Wildjäger noch einmal anrufen.
Der Wildschütz war grad' beim Ausweiden eines feisten Rehbocks. Tat das
so kunstgerecht, dass man gleich wusst': Tut der auch nicht zum ersten
Mal. Sein Gewehr lehnt' neben ihm an einem Eichbaum. War froh darüber
und dacht': Der soll mir nicht entkommen.
Da richt' sich der russige Mann plötzlich auf, schaut' mich mit ruhigem
Blick an, macht gegen mich mit der Hand einen Kring und spricht, was ich
nicht versteh'.
Ha, denk ich, Zeit will der gewinnen, damit er sein' Büchs' in die Händ'
kriegt.
Soll ihm nicht gelingen, mein' ich, und drück ab.
Knack, sagt' mein Gewehr, und kein' Kugel fliegt aus dem Lauf. Konnt'
mich sonst stets auf mein' Büchs' verlassen. Weiss noch nicht, warum sie
versagt hat.
Macht der Kerl ein' minnachtige Bewegung, dass ich ihn am liebsten
geprügelt hätt'. Hat dann wieder sein Tun mit den Händen, schaut mich
lang an mit grossen Augen, spricht wieder Wort', die
ich nicht deuten kann, wendet sich dann ab und lässt mich stehn.
Bückt sich der Mensch darauf zum Reh und macht sein' Arbeit fort, als ob
ich nicht mehr da sei.
Weiss aber nicht, was nun kommt. Ob ich im Stehn eingeschlafen bin? -
Kann's nicht klein kriegen.
Als ich wieder klar seh, sind Mann und Reh und Büchs' fort. Hab' noch
mein Gewehr in der Hand; geh nun hin, wo der Schwarze stand, find' aber
nichts als das Gescheid vom Reh.
Kann nun aber durchaus nicht sagen, warum ich den Mann hab' weggehn
lassen."
"Weiss es sehr wohl, Sievert: Bist von dem schwarzen Jäger gebannt worden."
"Gebannt, sagst du? Gibt's denn das in Wirklichkeit? Hab' viel davon gehört, hab's jedoch nicht glauben wollen."
"Hat die Macht gehabt, dich durch seinen Spruch, durch seinen Blick und durch das Tun seiner Händ' zu bannen. Hat dich erst losgesprochen, als er so fern gewesen, dass dein Büchs' ihm nicht mehr konnt' schaden."
"Hätt' dann aber mir bös' schaden können, wenn er gewollt," sprach nach kurzem Besinnen der Oppershäuser.
"Hätt' er sehr wohl. Sei froh, dass noch beieinander bist. Hast selbst dein Büchs' noch. Hätt' dir der Schwarz' doch leicht wegnehmen können."
"Der Mann hat auch wohl sein' Kunst von den Ahnsbecker Hexen. Hab' stets gesagt, müssten noch mehr von der Sort' brennen."
Bruno Brantwulf zuckte die Achseln: "Warum? Bist ja heil davon kommen. Können auch nicht jedem was anhaben."
"Müsst' man dagegen ein Kräutlein oder einen Stein tragen?"
"Mag sein. - Fester Will' ist besser."
Der Oppershäuser sah seinen Freund gross an und versank dann in Nachdenken. Den ersten Teil des Weges nach Oppershausen legten sie schweigend zurück.
Hatte vielleicht auch Armgard Salge solche Kräfte, die ihn anzogen, und die ihn zwangen, so oft an sie zu denken? So schoss es dem Steenläger durch den Sinn. Kann auch sie mit Spruch und
Sinnen andere zwingen?
Doch dann schüttelte er diese Gedanken von sich ab. Warum sollte man sie zu den Zauberischen zählen? Lag's nicht in ihrem Gesicht und an ihrer ganzen Gestalt, dass man von ihr nicht loskam? Da brauchte man schon nichts anderes bei ihr zu suchen.
Damit ihm aber nicht noch einmal Gedanken kamen, die ihn an Armgard zweifeln liessen, fing Bruno Brantwulf ein Gespräch mit Sievert von Oppershausen an. Warum sollte man auch den ganzen Heimweg schweigend verbringen!
"Den Bauern ist unser Jagen ein Dorn im Aug'. Halten dafür, dass sie selbsten auch das Recht hätten dazu."
"Ist doch starke Anmassung, unsere Rechte von alters her in Zweifel zu nehmen."
"Von alters her? - Die Bauern sagen grad umgekehrt: Von alters her hätten sie zum Jagen das Recht gehabt, ebensoviel wie die Herren, die es jetzt treiben."
"Ist aber nicht andem. Steht uns das Recht doch allein zu."
"Hab' schon mehrfach darüber nachdacht. Weiss aber nicht sicher, wie's sich in alten Zeiten verhielt."
"Möcht's denn dein Recht zu jagen, aufgeben oder mit den Bauern teilen?"
"Um's Himmels willen, nein! Was ich hab', das hab' ich. Wer gibt denn ein ererbtes Recht leichtfertig auf! Will mein' Jagd mit niemandem teilen."
"Na, siehst! Sag' ich doch auch."
"Ist aber noch eins. Der Bauer sagt: Reh und Hirsch und Sau und Hase fressen von meinem Kohl ebenso wie von dem Edelmann seinen, und mit der grünen Saat ist's geradso. Deshalb will ich auch das Fleisch geniessen, das mit meinem Grün sich mästet."
"Willst ihm denn abgeben?"
"Keinesfalls, wenn ich auch weiss, dass manch Stück Wild zu Schaden geht auf des Bauern Acker."
"Ist soviel sicher: Treff ich einen Bauern mit der Büchs' oder beim Stellen von Fallen, dann geht's ihm an Kopf und Kragen."
"Hast ja grad erzählt, wie du's machst!" lachte der Steenläger.
"Was willst du schon tun gegen die Zauberischen! Halt aber sonst dafür: Ist mein, was in den Lüften fleugt, was auf dem Erdboden läuft und was im Wasser schwimmt."
"Hast also ständig Krieg mit den Bauern, die dasselb' wollen."
"Du etwa nicht?"
"Wohl, wohl, geht mir nicht besser. Straf die Frevler aber nicht gleich hart am Leben, wie's noch mein Vater tat."
In dem Steenläger war doch ein Stück Bauerntum wieder zum Durchbruch gekommen, wenn er sonst auch oft genug den Herrenstandpunkt rücksichtslos verteidigte.
Er wusste auch, wie zäh der niedersächsische Bauer um jedes seiner Gerechtsame stritt. Der wilde Bauernkrieg und seine noch viel wildere Unterdrückung hatte seine Wellen nicht bis hierher geschlagen. Um so aufrechter war der Bauernstand geblieben, sehr zum Leidwesen der Edelinge und Ritter, die sich etwas besseres zu sein dünkten. Wie hart kämpfte nicht jedes Dorf und jeder Hof um die kleinste Berechtigung! Eine solche Unterdrückung der Bauern, wie man sie jetzt in vielen Landesteilen begann, würde hier auf den härtesten Widerstand stossen. Dazu kannte Bruno Brantwulf seine Niedersachsen viel zu gut. Doch sagte er diese Gedanken nicht mehr seinem Freunde, der sich derartiges noch nie hatte durch den Kopf gehen lassen. Stillschweigend betraten sie deshalb den Gutshof des Oppershäusers.
Man musste sich in Ahnsbeck beeilen, die letzte Fuder Hafer vom Felde weg ins Haus zu bringen. Kuhirt und Schaper wollten ihre stets hungrigen Untergebenen aufs Stoppelfeld führen, wo es eine fette Nachlese für sie gab.
Wehe dem, der so säumig war, noch einige Stiege Hafer oder Gerste auf dem Felde stehen zu lassen. Die nimmersatten Mäuler der Rinder und Schafe fielen über Leckerbissen, wie es die vollen Garben nun einmal waren, eilends her, und selbst wenn der Hirt auch die beste Absicht hatte, die Stiegen zu schonen - recht oft war sie aber überhaupt nicht vorhanden - vergebliche Mühe, die Tiere liessen nicht von ihrem Raub.
Armgard Salge hatte sowohl beim Garbenbinden als auch beim Einfahren der Feldfrüchte mit geholfen. Besonders als Regen drohte, musste jede Hand, die zu helfen fähig war, draussen bei den Garben mit zugreifen. Mit genauer Not bekam man dann auch das letzte Fuder Hafer einigermassen trocken auf den Boden.
Das Mädchen hatte es sich, trotz der hillen Zeit, nicht nehmen lassen, in aller Eile auf den Stoppeln einen Kranz aus bunten Feldblumen zu winden und ihn an den letzten Erntewagen zu hängen.
Am nächsten Sonntag gab es Erntebier, und da sollte es hoch hergehen.
Die jungen Burschen des Dorfes richteten am Abend vorher eine kurzgemähte Rasenfläche bei der Kapelle unter den Eichen her; dort sollte am folgenden Tage der Tanz stattfinden. Nur wenn's am Sonntage mit Mollen vom Himmel goss, wollte man auf eine Hausdiele gehn und dann an dieser Stätte das Fest zu Ende bringen.
Die Mädchen des Dorfes, unter ihnen Armgard Salge, wanden an demselben Vortage einen Kranz, der den ganzen Tanzplatz umsäumen sollte. Wenn man die Armgard ansah zwischen den übrigen Mädchen des Dorfes, dann wendete man nur ungern die Augen wieder von ihr ab. Das musste ihr der Neid lassen: sie war nun einmal die Schönste unter den Schönen Ahnsbecks.
Ob sie selber es wusste, bekam man nie heraus. Aber die jungen Burschen des Dorfes wussten es; sie sagten es aber nur unter sich; die Mädchen des Dorfs durften es nicht hören. Doch diese waren auch nicht auf den Kopf gefallen; sie merkten bald, wo der Hase lief und waren deshalb Armgard nicht recht grün.
Beim lustigen Kränzewinden - es ging hoch her dabei, und die Plappermäuler der jungen Mädchen standen nie still - und besonders beim Zureichen der Kränze und der Feldfrüchte an die jungen Burschen hörte man oft genug ein vergnügliches Jauchzen. Wie gern griff nicht ein junger Bursch, wenn ihm das grüne Gewinde oder die üppige Feldfrucht gereicht wurde, zu weit und bekam dann den vollen Arm eines Mädchens zu packen und beeilte sich durchaus nicht, das Gefasste alsbald wieder loszulassen.
Armgard brachte diesen Versuchen zum Näherkommen kein Verständnis entgegen. Wer ihren Arm mehr als nötig berührte, konnte sicher sein, im nächsten Augenblick einen schallenden Klaps einzuernten.
Dass Armgard niemandem eine besondere Annäherung gestattete, schien die jungen Männer durchaus nicht abzuschrecken, im Gegenteil - sie drängten sich immer wieder an das schöne Mädchen. - <> Das sah man auch beim Erntetanz, der am Sonntag nachmittag begann. Sie war immer mit dabei, wenn die Pfeifer und Fiedler zu einem neuen Tanz riefen, und brauchte nie zu befürchten, bei einem bunten Tanz oder beim Tanzreihen nicht geholt zu werden. Doch mochte sich niemand rühmen, eines Zeichens ihrer besonderen Gunst teilhaftig zu werden.
Die Kameradinnen Armgards sahen das Herandrängen der jungen Burschen an das schöne Mädchen nur mit scheelen Augen an.
"Möcht' mal wissen, was die Jungkerls eigentlich an dieser Armgard finden?" sagte Wobbeke Droffelt zu Beke Langerbein, ihrer besonderen Freundin.
"Magst wohl sagen!" entgegnete diese; "Ob sie wirklich besser tanzt als unsereins?"
"Finde ich nicht. Können mit ihr gut und gern antreten."
"Weisst was, die regiert die dummen Mannsleut' mit ihren Augen. Sieh mal hin, die richten sich immer nach ihren Blicken."
"Kalbsaugen hat sie; gross wie Köppen sind sie. Und was steckt drin in ihren dummen Guckern?"
"Möcht' sowas nicht im Blick haben; wer weiss, was dahinter lauert. Kann so ein Blick leicht vom Bösen eingegeben sein."
Die andere sah sie gross an: "Meinst wirklich, dass etwas Schlimmes dahinter zu suchen ist, dass es was Gefährlichs auf sich hat?"
Beke zuckte die Achseln: "Will nichts gesagt haben. Glaub aber mein Teil."
Wobbeke schaute Beke bedeutsam an: "Kann mir schon denken, wo du hinaus willst. Jaja, man muss schon die Augen offen halten, sonst wird einem noch blauer Dunst vorgemacht."
Das schienen jedoch die jungen Männer nicht zu befürchten. Ernst Braes hatte sich mit Met und Rotbier besonderen Mut angetrunken und rückte nach dieser besonderen Stärkung Armgard näher, als diese zu gestatten dachte. Sie hob schon den Arm hoch, um dem Tanzpartner handgreiflich anzudeuten, wo die Grenze lag, die sie niemandem zu überschreiten erlaubte. Doch liess sie die Hand noch wieder sinken. Ein zorniger Blitz ihrer grossen Augen hatte ihr bisher stets Respekt verschafft, und sie nahm wahr, dass er auch diesmal seine Wirksamkeit noch nicht eingebüsst.
Die Lust und Ausgelassenheit des jungen Volkes war aufs höchste gestiegen, und ein wilder Bursch hatte sogar schon eine junge Magd von Mossells Hof umgeworfen, was eigentlich streng verpönt und durch einen besonderen Erlass des Celler Herzogs scharf verboten war.
Da trat ein junger Jägersmann auf den Tanzrasen und sah eine Weile den Tanzenden zu. Man fragte sich raunend, wer es wäre. Doch niemand vermochte Auskunft zu geben, wenn auch einzelne vermeinten, den Jäger schon irgendwo gesehen zu haben. Doch wusste niemand den Fremdling irgendwo hinzubringen. Man sah ihn mit erstaunten Blicken an und riet hin und her, was man aus ihm machen sollte.
Es war allerdings doch ein Menschenskind da, das diesen feinen
Jägersmann genauer kannte; doch es verriet mit keinem Wort, dass es mehr von dem Mann im grünen Kleise wusste, dass es ihn schon in anderer Kleidung und unter anderen Umständen gesehen, und dieses Menschenkind war Armgard Salge.
Sie hatte den Jägersmann sofort nach seinem Erscheinen erblickt, ihre grossen Augen fest auf ihn gerichtet, war aber doch zunächst zusammengefahren. Gleich darauf hatte sie sich jedoch wieder völlig in der Gewalt und schien den Fremden nur noch gleichmütig anzuschaun. Dann wandte sie die Augen ab und tat, als ob der schmucke Jäger nicht mehr einer besonderen Betrachtung wert sei.
Der Mann im grünen Kleide liess seine Augen eine Weile über die Tanzenden dahin gleiten und schaute bald dieses, bald jenes Gesicht genauer an. Dann glaubte man wahrzunehmen, dass seine Blicke ständig einer Tanzenden folgten.
Als eine Tanzpause eintratt, stellte sich Armgard so, dass sie dem Jäger den Rücken zukehrte. Doch da wechselte der Weidmann seinen Platz und trat hinter sie. Er liess nun seinen Blick solange auf ihr ruhen, bis sie etwas davon fühlte und sie sich darum halb umwandte. Und nun begegnete ihr Auge dem seinen.
Da grüsste er sie mit einem leichten Nicken, und sein sonst so herrischer Blick bekam dabei einen freundlicheren Einschlag.
Bruno Brantwulf - denn kein anderer war der Jägersmann, der die Ahnsbecker mit seiner von ihnen wenig geschätzten Gegenwart beehrte- wartete ab, bis die Fiedler und Pfeifer einen neuen Tanz zu spielen anhuben, trat dann rasch zu Armgard und reichte ihr seine Hand, obgleich eigentlich schon Eggert Dedeken seinen Arm nach dem Mädchen ausgestreckt hatte. Doch bevor dieser soweit kam, des Mädchens Hand zu fassen, schritt schon Bruno Brantwulf mit Armgard Salge zum Tanz.
Wobbeke Droffelt stiess Beke Langerbein an: "Siehst du? Auch der fremde Jäger holt gleich diese eingebildete Armgard zum Tanz. Nun werden ihre grossen Kuhaugen wohl noch grösser. Dem hat sie's
auch angetan. Wer mag nur der schmucke Jägersmann sein?"
"Weiss nicht! Wird jedenfalls zu den Jägern unsers Herzogs in Celle gehören. Säh' sonst kaum so sauber aus."
"Glaub' kaum, dass er nach dort gehört. Würd' ihn doch ein Mensch kennen. Hab' schon viele gefragt, aber niemand weiss von ihm. Ist doch nicht so weit bis zur Stadt. Kommen auch tagtäglich Ahnsbecker dorthin. Hat ihn aber noch keiner in Celle gesehn."
"Mag ja auch erst seit kurzem zu den Jägern des Herzogs zählen."
"Wird wohl nicht so sein. Halt' ihn für ganz wen anderes. Ist schon besser, ein Dirn lässt sich nicht mit ihm ein. Könnt' leicht ein Pferdefuss dabei zutage kommen."
"Meinst du wirklich? Müsst man doch sein Hinken sehn."
"Wird so einer leicht verbergen können."
"Die Weiber, so man vor kurzem verbrannt hat, sind auch mit solch einem feinen Herrn beisammen gewesen, mit einem, der aussah wie ein Jäger oder wie ein Ritter."
"Auf was für Gedanken du einen nicht bringst. Wollen den Jäger scharf im Auge behalten. Soll uns kein X für ein U vormachen."
Die jungen Burschen sahen in den Pausen, die der Tanz liess, den Jäger nur mit bösen Augen an, sagten vorläufig aber nichts. Doch man merkte ihnen an, dass sie ihn für einen Eindringling in ein Revier hielten, wo es nur ihnen zustand zu jagen. Sie schienen ihn am liebsten bald wieder auf den Weg, den er gekommen, schicken zu wollen.
Es war aber auch nicht der hergebrachten Ordnung entsprechend, dass der Fremde stets wieder dasselbe Mädchen, noch dazu das schönste im Dorfe, zum Tanze holte. Unverholen glomm allmählich in den Augen der jungen Männer der Hass auf. Zwar konnte man nicht sagen, dass Armgard dem Jäger mehr gestattete als einem von ihnen, dass sie ihm vielleicht süsse Blicke zuwarf - nein, alles, was recht war, sie vergab sich nichts.
War es nicht auch dem Mädchen lästig, dass immer derselbe Tänzer sie holte? Musste man ihr nicht am Ende zu Hülfe kommen?
Ja, wenn der Jäger sich ein Dirnlein des Dorfes nach dem
anderen geholt, sich dann mit den jungen Burschen durch einen kräftigen Weinkauf angefreundet - nun, da hätte man schon ein Auge zudrücken können.
Aber nichts dergleichen. Was sonst auf dem Erntebier vorhanden war, schien der Weidmann nicht wahrzunehmen. Durfte man sich ein solch eigenmächtiges Handeln gefallen lassen?
Immer drohender wurden die Blicke, die man dem Eindringling zuwarf; doch prallten sie an diesem ab, wie an einem Eisenpanzer.
Man trank noch einige Kroos Bier aus, raunte miteinander, und dann schritt Eggert Dedeken, gefolgt von mehreren jungen Burschen, nach Beendigung eines Tanzes auf Bruno Brantwulf zu: "Jäger, ist nicht Brauch bei uns, nur mit einer Dirn zu tanzen."
"Aber bei mir!" entgegnete kurz und schroff der mit übereinander geschlagenen Armen dastehende Jägersmann verwegen.
"Wollt ihr bei uns tanzen, richtet euch nach unserm Brauch!" kam es nicht minder schroff von der Gegenseite.
"Lass mir nicht vorschreiben, was ich tun und lassen soll. Bin nicht gewohnt, nach jemandes Pfeife zu tanzen, wenn ich nicht will!" kam es wieder hart aus des Jägers Munde.
Wäre es nicht besser, Jäger, du sprächst milder mit den Burschen? Du stehst hier allein, und ihrer sind viele; sie haben noch zudem Brauch und Herkommen auf ihrer Seite.
"Nicht ihr habt hier zu sagen, sondern wir ganz allein, und den möchten wir sehen, der sich dem nicht fügt. Möcht' ihm bös' bekommen!"
In diesem Augenblick setzten Fiedler und Pfeifer wieder ein. Ohne sich an die zornigen Blicke der jungen Männer zu kehren, trat der Jäger wieder zu Armgard Salge, fasste ihre Hand und schwenkte sie im Reigen.
Das war den jungen Burschen an Nichtachtung denn doch zuviel. Sie hatten Geduld genug gehabt mit dem Fremden, wollten jetzt aber nicht vergeblich geredet haben und vor allen Dingen ihr Ansehn bei den Mädchen wahren.
Der Nächste stellte dem Jägersmann ein Bein, sodass der stolpern musste. Zum Hinstürzen des Fremden, wie man gehofft, kam es jedoch nicht; dazu hatte der seinen Körper zu sehr in der Gewalt.
Ohne sein Mädchen loszulassen, sah sich der Jäger zornentbrannt nach dem um, der sein Stolpern veranlasst. Er sah vor sich Eggert Dedeken und noch andere Burschen, die ihm drohend entgegentraten. Bruno Brantwulf erkannte, worauf ihre Mienen deuteten.
"Aus dem Weg, oder ich schaff' mir Raum!" rief er mit starker Stimme.
Es half nichts. Noch mehr traten um ihn herum.
Da endlich liess er Armgard Salge los, auf seine eigene Verteidigung bedacht. Er griff nach seiner blanken Wehr; doch soweit liessen es die Burschen, die jede seiner Bewegungen scharf im Auge behielten, nicht kommen. Raum zum Zurücktreten war auch nur wenig vorhanden; doch glückte es ihm, sich gegen einen dicken Eichenstamm zu lehnen, so wenigstens einige Rückendeckung gewinnend. Bevor er aber seinen Hirschfänger frei bekam, spürte er einen wuchtigen Schlag auf seinem Arm, und dann griffen derbe Fäuste nach ihm.
Doch er war nicht gewillt, sich niederringen zu lassen; harte Püffe teilte er aus und bekam er wieder zurück. Dass er jedoch bei diesem ungleichen Kampf, trotz seiner vorzüglichen fechterischen Ausbildung und seiner Kriegserfahrung, im nächsten Augenblick den kürzeren ziehen würde, wusste er auch. Noch hatte er den linken Arm frei, und er gebrauchte diesen mit grosser Geschicklichkeit, um sein Pistol hervorzuziehen.
"Hände weg, oder ihr seid des Todes!" schrie er laut, seine blinkende Schusswaffe emporhaltend.
Einen Atemzug lang stutzen die Burschen, gerade lange genug, um den Bedrängten einen gewagten Plan ausführen zu lassen.
Es wurde aber auch Zeit dazu. Einer der Burschen hatte sich mit einem Eichenknüppel bewaffnet, trat in diesem Augenblick auf die Kampfgruppe zu und wollte seinen dicken Eichenheister auf den Kopf des Weidmanns niedersausen lassen.
Bruno Brantwulf erkannte noch eben rechtzeitig die drohende Gefahr, hob sein kleines Gewehr hoch, zielte kurz auf den erhobenen Arm und drückte ab.
Ein starker Knall, ein Feuerstrahl, dazu Pulverdampf und das Wehgeschrei des Getroffenen - das alles brachte doch einige Verwirrung in die Schar der Angreifer, gerade genügend, um den Jäger seinen gefassten Plan ausführen zu lassen.
Hinter dem aus seinem Feuerrohr aufsteigenden Pulverdampf sprang der grüne Mann mit wildem Aufschrei und noch einen wuchtigen Schlag austeilend, rasch zur Seite, lachte dann gellend auf und war einen Augenblick später zwischen den Bäumen in der Abenddämmerung verschwunden.
Es lief ihm keiner nach. Der mit dem Eichheister bewaffnete Bursch hatte eine stark blutende Fleischwunde erhalten und musste verbunden werden, wobei sich allerdings zeigte, dass der Armknochen heil geblieben war.
Aber auch den hierbei nicht tätigen Burschen war die Lust vergangen, mit dem wilden Mann weiter handgemein zu werden. War es überhaupt ein Mensch? War er nicht nach dem einen jetzt noch in den Ohren drönenden Knall und dem gleissenden Blitz hinter einer Rauchwolke unter Hohngelächter verschwunden? Mit einem Hohngelächter, wie es sonst nur der böse Feind aus der Hölle ausstiess?
Mit Menschen wollte man schon den Kampf aufnehmen und auch mit ihnen fertig werden - aber mit dem Teufel? Konnte der einem nicht ohne weiteres den Hals umdrehn? Da liess man den schlimmen Patron lieber laufen und wandte sich wieder der unterbrochenen Tanzbelustigung zu.
Um den Verwundeten brauchte man sich auch nicht weiter zu sorgen, und deshalb nahm man sich vor, die ganze Störung des Festes rasch zu vergessen und die verschüchtert unter den Eichen stehenden Mädchen wieder auf den Tanzrasen zu ziehen.
Man gab sich am Ende einer fast krampfartigen Lustbarkeit hin und brachte auch die zögernden Mädchen bald aufs neue zum Lachen. Der Teufel sollte doch nicht denken, dass man sich von ihm unterkriegen liess.
Nur mit Armgard Salge war es jetzt eine eigene Sache. Durfte man noch mit ihr tanzen, nachdem der teuflische Jägersmann sie angefasst? Man wusste es nicht so recht, hielt sich zunächst jedoch vorsichtig von ihr zurück.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Armgard einige Tänze feiern musste, weil sich kein Tänzer fand, der sie holte. Ueber die Gesichter der anderen jungen Mädchen glitt ein spöttisches Lächeln, wenn sie an ihr vorübertanzten.
Armgard jedoch schürzte die Lippen, war zwar ein wenig bleich, steckte aber ihr hochmütigstes Gesicht auf und wollte gerade nach Hause gehen, als sich das Bild plötzlich wieder zu ihren Gunsten änderte.
Eggert Dedeken, der ein ziemlich bedeutendes Ansehen unter dem jungen Volk besass, hatte schon längst begehrend nach ihr ausgeschaut. Er mochte sie gern und tanzte mit keiner Dirn lieber. Zuerst hatte er sich von den Bedenken der übrigen jungen Leute anstecken lassen. Doch als jetzt wieder die Brüder Armgards auf dem Tanzrasen erschienen - sie hatten von dem Streit mit dem Jäger nichts gehört, da sie während der Zeit im Hause das Vieh versorgten - redete er mit diesen über all die Vorkommnisse, und liess sich von ihnen beruhigende Worte geben.
Dann stärkte er sich mit einigen Krügen kräftigen Bieres und erklärte allen, die es hören wollten, man habe durch den vergangenen Streit einem Menschen das Leben gerettet. Mit Armgard Salge habe der Teufel am Ende zum Dorf hinaustanzen und ihr dann auf einem Kreuzweg den Hals umdrehen wollen. Jetzt sei das arme Kind gerettet; man solle sich mit ihr freuen und es ihr auch zeigen.
Damit ging er hin, holte die Alleinstehende zum Tanz, und das war denn auch für die übrigen das Zeichen, sich gleichfalls über alle Anfechtungen des Teufels hinwegzsetzen und nun Armgard kräftig im Reigen zu schwingen.
Was half es noch Wobbeke Droffelt, dass sie mit Beke Langerbein im Bunde die jungen Burschen warnen wollte vor dem "Teufelsliebchen"! Man lachte sie aus; den Teufel habe man verjagt, so wurde den beiden geantwortet, aber alle Liebchen hierbehalten.
Auf alle Nachfragen wegen des seltsamen Gastes jedoch bewahrte Armgard Salge ein eisiges Schweigen. Das er ein wilder Geselle war, glaubte sie selbst; dass er aber ein schlechter Mensch sei, wohl gar mit dem Gottseibeiuns unter einer Decke stecke oder es selber sei - das schien ihr nicht glaubwürdig zu sein. Sie begrub das ganze Erlebnis in ihrem Innern und liess niemanden einen Blick dort hinein tun.
Bis weit in die Nacht hinein, deren Dunkelheit nur spärlich von einigen schwelenden Oellämpchen zurückgedrängt wurde, gab man sich der Lust am Tanze hin, und man würde sich trotz des Streites mit dem teuflischen Jäger in späteren Tagen wohl kaum so häufig dieses Erntefestes erinnert haben, wenn nicht schliesslich doch noch eine schlimme Störung dazwischen gekommen wäre.
Wieder hatte jemand Armgard Salge das Teufelsliebchen genannt, wohl durch Wobekke Droffelt dazu angestiftet, und Eggert Dedekenhatte es vernommen. Schon einigemal war er an diesem Abend für die Dirn eingetreten und hatte dann kurzweg erklärt, wer das böse Wort noch einmal in den Mund nehme, der habe es mit ihm zu tun.
Diesmal war es Hans Mechels gewesen, der das schlechte Wort so nebenbei hingeworfen. Ob man allerdings Hans Mechels noch irgendwie ernst nehmen wollte, stand dahin, hatte er doch stark über den Durst getrunken und ausser dem Bier auch dem gebrannten Wein zugesprochen.
Doch auch Eggert Dedeken hatte schon eine erkleckliche Anzahl von Bierkrügen gelehrt, war deshalb leicht gereizt, packte nun Hans Mechels, den er sonst gut leiden mochte, beim Kragen und wolte ihn von der Tanzwiese hinunterwerfen.
Hans Mechels liess sich das jedoch nicht gefallen, und so wurde eine Wrangelei zwischen den beiden daraus. Das wäre nun an und für sich nicht weiter schlimm gewesen; denn beide würden sich bald müde gerungen haben.
Doch man liess die Ringenden ihre Sache nicht miteinander austragen, nahm vielmehr für den einen oder den anderen Partei, obgleich nur wenige wussten, worum es eigentlich ging. Man sah eben seinen Freund in Bedrängnis, seinen Gegner im Vorteil - dieses und eine heute noch nicht gestillte Lust an der Rauferei brachten
allmählich die meisten jungen Burschen zur Teilnahme an dem Kampf der Fäuste.
Bald war eine allgemeine Prügelei im Gange, vor der sich die Mädchen schreiend an den Rand der Tanzwiese flüchteten. Endlich schien man genug vondem Streit zu haben. Einige ältere Bauern, die vorher im Kruge gesessen und erst herzutraten, als die gröbste Kampflust gestillt war, brachten es endlich fertig, Ruhe zu stiften.
Als man aber die sich Schlagenden voneinander getrennt, blieb einer auf dem Platze liegen, und der erhob sich nicht wieder, so sehr man auch an ihm rüttelte.
Man leuchtete dem Daliegenden ins Gesicht. Es war Eggert Dedeken. Als man ihn anfasste, spürte man kein Leben mehr in ihm.
Man trug den Leblosen ins nächste Haus, wo man ihm die Kleidung öffnete. Aus einer kleinen Wunde auf der Brust sickerten noch ein paar Tropfen Blut. Ein Messerstich hatte seinem Leben ein Ende gemacht.
Ratlos und schweigend stand man an der Leiche. Wer war der Messerstecher gewesen? Schlägereien hatte es schon häufiger bei Festlichkeiten gegeben, wenn man aufregenden Getränken zugesprochen hatte oder eines Mädchens wegen uneinig wurde. Aber zum Messer greifen - das war seit langem nicht mehr vorgekommen. Man begnügte sich sonst mit der Hände Arbeit. Hier mussten doch jemandem die aufgescheuchten Geister des Abends den blinkenden Stahl in die Hand gedrückt haben.
Doch niemand hatte ihn blitzen sehen, und niemand wollte bei einem Burschen einen raschen Griff in die Tasche wahrgenommen haben.
War es nicht auch die Schuld des fremden Jägers, dass das Fest einen solchen Verlauf genommen? Es steckte also doch wohl etwas dahinter, wenn man in ihm einen höllischen Gast vermutete oder ihn sich von teuflischen Geistern begleitet dachte.
Und durfte man Armgard Salge frei sprechen von Schuld? Zweimal hatte es an diesem Abend ihretwegen Streit gegeben unter dem jungen Volk. Im letzten Grunde kam doch aller Streit von ihrem Tanze mit dem seltsamen Weidmann her. -
Gewiss, sie war von dem Fremden zum Tanze geholt worden; nicht Armgard hatte sich den Tänzer gesucht oder sich ihm aufgedrängt. Aber musste nicht etwas in ihr stecken, was den wilden Jäger - mochte er nun teuflischer Art sein oder nicht - besonders bewog, den ganzen Abend nur ihre Nähe zu suchen? Das konnte unmöglich etwas Gutes sein. Man tat auf alle Fälle gut daran, sich von dem Mädchen fern zu halten und vorsichtig bei Begegnungen mit ihr zu sein.
So wurde es auch von Wobekke Droffelt und Beke Langerbein und einigen anderen Schönen des Dorfes gedeutet, und diese gaben sich redliche Mühe, den jungen Burschen gleichfalls ihre Meinung einzuprägen.
Doch mussten sie bald zu ihrem nicht geringen Aerger erkennen, dass die Burschen zwar scheinbar dem Gerede der Mädchen zustimmten, in Wirklichkeit aber deren Rede zu einem Ohr herein- und zum anderen wieder hinausgehen liessen. Armgard war den törichten Männern durch die Streitigkeiten nur noch anziehender geworden.
Ging Armgard vorbei, so folgten ihr noch mehr als sonst die Augen der jungen Männer, mochten auch einzelne Mädchen ihren Burschen verheissen, dass sie ihnen bei nächster Gelegenheit die Augen auskratzen würden und diesem glatten Lärvchen, dem Teufelsliebchen Armgard, dazu. Besseres habe die Dirn schon längst nicht mehr verdient.
An die teufliche Eigenschaft des jungen Jägersmannes glaubte also Armgard Salge durchaus nicht. Was sie bisher von ihm gehört und gesehn, unterschied ihn durchaus nicht von anderen Männern seines Alters. Dass er mehr Entschlusskraft und Unternehmungsgeist besass als viele andere Leute seines Schlages, gereichte ihm in den Augen des jungen Mädchens durchaus nicht zum Nachteil.
Er hatte mit ihr geredet während des Tanzes, sie aufgefordert, an einem Abend mit hinauszugehen in Heide und Wald, wo man ungestört miteinander Worte wechseln könne; doch sie hatte ihm keine Zusage gegeben. Noch kurz vor der gewaltsamen Trennung war er mit freundlichen Bitten in sie gedrungen, doch den folgenden Abend mit ihm zu verbringen. Sie hatte selber nicht gewusst, was sie ihm antworten sollte.
Ohne von ihr Abschied zu nehmen, hatte er dann von ihr weichen müssen. Ohne Eindruck waren seine Worte bei ihr jedoch nicht geblieben. Welches Mädchen würde bei anhaltender Werbung wohl ständig die kalte Schulter zeigen. Sein streitbarer Abgang hatte dann auf Armgard besonders stark gewirkt. Er war ihretwegen in Gefahr gekommen, und sie wusste sein mannhaftes Auftreten wohl zu schätzen.
Im Stillen dachte sie nun, an einem der folgenden Tage oder Abende würde sich Bruno Brantwulf ihr wieder nähern, und sie legte sich bereits die Frage vor, ob sie weiter so ablehnend gegen ihn bleiben wolle wie bisher, ohne mit sich wegen dieser Angelegenheit ins Reine zu kommen.
Wer sich aber lange Zeit in Ahnsbeck nicht blicken liess, das war der Steenläger. Er war und blieb verschwunden und schien sich Ahnsbeck völlig aus dem Sinn geschlagen zu haben.
Das verhielt sich zwar nun nicht so; aber eine dringende Botschaft hatte ihn aus Oppershausen, von wo aus er auch seinen Erntebierausflug nach Ahnsbeck unternommen, nach Steenlage zurückgerufen. Dort gab es nämlich allerlei Streitfragen zu erledigen, und Bruno Brantwulf war nun einmal nicht der Mann, Streitigkeiten aus dem Wege zu gehen. Die Aussicht auf bevorstehenden Hader und Zank war seinerzeit auch schon die Ursache dafür gewesen,
dass er im "Blauen Donner" durch die Anwerbung von Landsknechten seine Stellung im zukünftigen Streit zu verstärken gedachte.
Das feste Haus in Steenlage galt nämlich als Grenzburg des welfischen Landes gegen das Bistum Verden. Aus dieser Grenzlage leitete sich nun ein Rattenkönig von Streitfällen her, hinsichtlich derer es niemand mit seiner Ehre und seinem Vorteil für vereinbar hielt, dem Gegner auch nur um Haaresbreite nachzugeben.
Ein Teil dieser Streitigkeiten hatte nun seinen Ursprung in längst vergangenen Tagen. Es handelte sich dabei um den Kornzehnten von vier Höfen in Geddingen. Schon seit langem beanspruchten sowohl der Verdener Bischof als auch der Steenläger Brantwulf die Abgabe von diesen Höfen.
Bruno Brantwulf behauptete, der Zehnte sei seinen Vorfahren bei ihrer Belehnung als Gutsherren von Steenlage vom Celler Herzog mit übergeben. Der Vogt des Bischofs dagegen wandte ein, auch ein Herzog könne nur über das verfügen, was ihm gehöre. Der Celler Herzog habe jedoch nur das Verfügungsrecht über einen Hof besessen, und zwar über den kleinsten. Und dieser kleine Hof sein auch nur in dem Schriftstück, auf das sich der Steenläger stützte, gemeint. Wenn auch der Wortlau der Urkunde recht unklar abgefasst sei, so könne doch bischöfliche Regierung nur das Zehntrecht des Steenlägers über einen Hof anerkennen.
Bruno Brantwulf blieb bei seinen Ansprüchen und war auch nicht gesonnen, ein Tüttelchen von seinem Recht - mochte es nun ein begründetes oder angemasstes sein - dem Vogt gegenüber preiszugeben.
Hitzig wurde der Streit von beiden Seiten betrieben. Holten die Bischöflichen die zehnte Garbe, so wurde den Fuhrleuten eine starke Bedeckung von Bewaffneten mitgegeben. Auch Bruno Brantwulf tat dasselbe, und deshalb waren ihm die in Celle aufgegriffenen Landsknechte recht willkommen gewesen. Er wollte sie bei seinen nächsten Zug verwenden, wollte alles daran setzen, diesmal der erste zu sein, wenn es galt den willkommenen Zehnten einzuheimsen.
Fieberhaft rüstete man sich in Steenlage, um nur nicht zu spät in Geddingen einzutreffen. Uns stiess man dort mit den Bischöflichen
zusammen, so wollte man denen schon zeigen, was 'ne Harke ist.
Richtig war man der Erste auf dem Geddinger Felde, fuhr mit dem Leiterwagen an den Stiegenreihen entlang und lud jede zehnte Garbe auf sein Gefährt. Scharf schaute man aus, ob auch die Verdenschen sichtbar wurden. Doch nichts war zu erblicken.
Den Steenlägern fuhren sofort die Bauern nach mit ihren Gespannen. Es war zwar heiss und schwül; doch im Grunde war man froh, dass die Zehntleute dagewesen; - was kümmerte es die Bauern, ob die Wagen aus Steenlage oder aus Verden kamen; am liebsten hätte man beide mit der Forke vom Felde getrieben - vorher durfte man nämlich nicht einfahren, und sollte ein Unwetter auch noch so sehr dräuen. Jetzt jedoch suchten sie an Roggengarben noch auch den Boden zu bekommen, was irgendwie hinaufging.
Die Steenläger hielten bis zur Abfahrt, sogar noch auf dem Heimweg scharfe Ausschau, aber kein bischöflicher Reitersmann liess sich blicken.
Als ein paar Tage später die Verdenschen kamen, hatten diese getobt, hatten gedroht, die Bauern noch einmal zu zehnten; doch diese wussten ihr Korn im Trockenen, erwderten dem Vogt, er selber möge Bewaffnete beim Korn aufstellen,; sie vermöchten nicht den Steenlägern zu widerstehen. Die feste Haltung der Bauern bewog dann aber den bischöflichen Vogt, mit seinen Leuten abzuziehen, ohne Gewalt gegen die Dorfbewohner anzuwenden.
Das war bei der Kornernte, wie man die Roggenernte nannte, geschehen. Bei der Haferernte liessen die Bischöflichen sich jedoch nicht wieder überraschen. Aber auch die Steenläger passten auf.
Als die Wagen der Verdenschen auf die Aecker bei Geddingen einbogen, sahen die Begleiter schon eine Staubwolke sich nähern. Die Reiter des Bischofs wussten, was das bedeutete. Sie stellten sich geordnet auf, um die Steenläger gebührend zu empfangen.
Aber auch die Steenläger waren auf ihrer Hut. Sie fuhren mit ihren Gespannen auf den ihnen zunächst liegenden Acker und begannen hier eifrigst das Geschäft des Auszählens und Aufladens.
Eine solche Frechheit hatten die Bischöflichen denn doch nicht erwartet. Sie hatten zunächst mit dem Aufladen gezögert,
um erst einmal zu sehen, wie der sich entspinnende Kampf auslief. Schon beim Anritt wollte man den Gegnern einen heissen Empfang bereiten. Das war nun vereitelt, und deshalb begannen auch die Verdenschen, ihre Wagen zu füllen.
Die Bewaffneten beider Gruppen hielten sich vorläufig noch zurück. Jeder Anführer wollte zunächst erkennen, über wieviel Mannen der Gegner verfügte. Die Steenläger verbargen sich, soweit sie nicht mit dem Bergen der Hafergarben zu tun hatten, hinter den Machandeln, Birken und Fuhren der Heide, die unmittelbar an den Acker grenzte, während die Verdenschen auf freiem Felde hielten.
Dabei nahmen die Brantwulfschen zu ihrem Leidwesen wahr, dass der Gegner doppelt soviel Reiter gegen sie führen konnte, als sie selber zählten. Das war denn doch eine höchst unangenehme Beobachtung.
Den Mannen des Bischofs wurde nicht so rasch klar, wieviel Gegner zwischen Baum und Busch hielten. Deshalb sahen sie vorerst von einem Angriff ab, schirmten vielmehr die eigenen Wagen.
Vielleicht lief die ganze Geschichte am Ende darauf hinaus, dass jeder der beiden Gegner bei der Beobachtung des anderen blieb, im übrigen sich aber mit er Hälfte des Zehnten begnügte. Es war ja keiner von den Herren selber da, und einzelne der Reiter waren schon der Ansicht, man brauche sich wegen so und soviel Garben Hafers eigentlich nicht die Köpfe einzuschlagen. Das ging jedoch dem mitgekommenen Schreiber aus Verden gegen den Strich.
Er feuerte die Reiter auf seiner Seite an, sich diese offenbare Verhöhnung ihres Herrn nicht gefallen zu lassen, nicht zuzugeben, dass diese Fremden das Eigentum ihres bischöflichen Brotgebers stahlen. Bei seinen Hetzreden riskierte der Schreiber selber allerdings recht wenig; er war verwachsen, und deshalb kam für ihn ein Anteil an dem Kampfe nicht in Frage.
Doch so rasch war der Anführer der Reiter nicht bereit, den zornigen Reden des Schreibers, der nur bei seinem Herrn einen Stein im Brett haben wollte, zu folgen. Erst musste man auskundschaften, wieviel Berittene drüben im Busch steckten. Es wurde deshalb ein rascher Reiter vorgeschickt, der sich den Machandeln
soweit als möglich nähern sollte.
Das tat er denn auch mit solchem Erfolge, dass plötzlich eine Pistolenkugel an seinem Ohr vorbeipfiff. Doch hatte er einigermassen seinen Auftrag erfüllen können und brachte seinem Haufen die willkommene Kunde, dass der Gegner schwächer sei als man selber. Falls auch der eine oder andere Reiter von drüben sich seinen Blicken entzogen habe - man sei der jenseitigen Partei doch überlegen.
Der Streit entwickelte sich nunmehr in eigenartiger Weise. Die Verdenschen schickten zwei Reiter aus, die die Gespanne der Gegner einfach wegnehmen sollten. Als sich die beiden gut Bewaffneten jedoch den Wagen näherten, brachen die Steenläger aus den Machandeln hervor. Darauf drehten die beiden Berittenen um und suchten Hülfe bei ihrer Hauptmacht.
Die Brantwulfschen setzten ihnen jedoch nicht nach, da es dann sofort zu einem Scharmützel mit einem überlegenen Gegner kommen würde, und dem wollte man sich nicht ohne Not aussetzen.
Der Brantwulfsche Anführer hatte inzwischen seinen Gespannführern einen Wink gegeben und ihnen zugerufen, sie sollten nur solange Hafer laden, wie die da drüben untätig zuschauten. Ginge es dagegen hart auf hart, so möchten sie sofort mit ihren halbvollen Wagen davon fahren, damit das Geborgene in Sicherheit käme. Man konnte nämlich viel leichter einen Wagen in voller Fahrt decken als ein Gefährt, das man noch mit Feldfrucht belud.
Die Verdenschen zögerten noch einen Augenblick. Sie schienen Kriegsrat zu halten, wie man dem Gegner am besten beikäme. Nach kurzem Ueberlegen war man aber zu einem Entschluss gekommen. Der Anführer teilte seine Reiter in zwei Gruppen. Ein Teil der Gewappneten ritt sofort los, machte jedoch einen grossen Bogen, um den Brantwulfschen den Rückweg abzuschneiden. Die übrigen Reiter blieben zunächst auf ihrem Platze halten.
Als der Anführer der Brantwulfschen die Absicht der Bischöflichen erkannte, rief er den Gespannführern zu, so rasch als möglich mit den Wagen davon zu fahren.
Der zweite Haufe der Verdenschen setzte sich daraufhin auch in Bewegung und ritt nun geradewegs auf die Gegner los. Da der
lockere Ackerboden ihnen für das Anreiten nicht günstig erschien, zogen sich die Steenläger von den Haferstoppeln zurück und gedachten die Gegner auf dem festen Boden der Heide gebührend zu empfangen.
Es zeigte sich auch gleich, dass die Brantwulfschen gut daran getan; denn als jetzt die Verdenschen gegen die den Heiderand deckenden Feinde anritten, fehlte dem Ansturm die durchstossende Kraft. Die Steenläger empfingen ihre Gegner derart, dass diese sofort auf den losen Stoppelboden zurückgedrängt wurden. Es wäre diesen bischöflichen Reitern nicht gut ergangen, wenn sie nicht Verstärkung erhalten hätten.
Als der Haufe, der den Steenlägern den Rückzug abschneiden sollte, die abfahrenden Wagen sah, war er auf diese losgeritten. Noch hatten jedoch die Reiter die rasch davonfahrenden Gespanne nicht erreicht, da hörten sie hinter sich das Geschrei der Kämpfenden. Sie befürchteten nun mit Recht, dass ihre Genossen allein dem Gegner nicht standhalten würden, liessen deshalb von der Verfolgung der Wagen ab und ritten dem Kampfplatz zu.
Als sie sich näherten, erkannten sie die Not der Ihrigen, von denen schon zwei von den Gäulen gehauen waren. Sie kamen den Steenlägern in den Rücken und entschieden dadurch den Kampf zugunsten der Bischöflichen. Die Brantwulfschen vermochten sich nicht lange der Uebermacht zu erwehren. Einer von ihnen wurde duch einen Pistolenschuss getötet, ein zweiter gefangen genommen.
Die Steenläger hieben sich nach einem Zuruf ihres Führers durch, hielten sich dann die Gegner durch wohlgezielte Pistolenschüsse vom Leibe - da das Laden der Schusswaffen allerlei Schwierigkeiten bot, zögerte man stets bis zuletzt mit ihrem Gebrauch - und ritten ihren Wagen nach.
Die Verdenschen jagten zwar den Davoneilenden noch eine Weile nach, gaben dann aber die Verfolgung auf. Sie hatten selber mit einer Anzahl Blessierter zu tun.
Aergerlich fuhr Bruno Brantwulf auf, als er den Ausgang des Kampfes bei Geddingen erfuhr. Zwar hatte man den schon eingesammelten
Teil des Zehnten gerettet; doch war dem Gutsherrn ein Mann getötet, einer durch Gefangennahme entführt, und den musste er selbstverständlich wieder einlösen. Dazu hatte man zwei gute Pferde preisgeben müssen, und, was das Anzüglichste, dem Gegner war, trotz untadeliger Haltung der Steenläger, das Feld geblieben.
Der Junker nahm sich vor, es den Bischöflichen wieder heimzuzahlen, sobald sich Gelegenheit dazu bot, obgleich er sich eigentlich sagen musste, dass nach den jüngsten Erfahrungen in allen Gegenden die Ritter und Junker den Landesfürsten gegenüber stets den kürzeren gezogen. Die Gelegenheit zum Gegenschlag sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Der Bischof Eberhard von Holle, der regierende Herr Verdens, besass mehrere feste Schlösser in der Gegend. Unter diesen lag ihm vor allen Dingen die Rotenburg am Herzen. Diese Feste sollte vor allen anderen gut verproviantiert werden, damit sie dem Bischof, wenn einmal Not am Mann war, als Unterschlupf dienen konnte. Von mehreren Dörfern in der Umgebung von Steenlage brachte man deshalb auf Befehl des Fürsten den Zehnten nach dem festen Schlosse. Einen dieser Wagen schnappte sich nun Bruno Brantwulf mit seinen Knechten.
Nun ging das Gerücht, zugleich mit den übrigen Kornwagen sollten auch einige Planwagen aus der Heidemark in der Rotenburg eintreffen.
Bruno Brantwulf erhielt Kunde von der Zehntfahrt und auch von den Planwagen. Gerade diese Wagen sollten eine kostbare Ladung in ihrem Innern verstaut haben. Man redete von honig, Wolle und Wachs, alles Waren, die hoch im Preis standen.
Der Steenläger schmunzelte, als er dies erfuhr, liess seine Lanzenknechte aufsitzen und rief ihnen zu: "Heut´ wollen wir dem Bischof den Streich von Geddingen wieder heimzahlen!"
Hinter einem engen Moorpass in der Düsteren Heide stellte Bruno Brantwulf seine Mannen auf, gedeckt durch Poststräucher, Ellern und Weiden. Die Wagen mit ihrer kostbaren Ladung mussten einzeln und wenig gedeckt aus der Moorenge hervorkommen.
Es schien auch, als ob sich alles gut anliesse auf dieser Rachefahrt.
Man hatte noch nicht allzulange in der Düsteren Heide gewartet, als schon das erste Gefährt sichtbar wurde. Es war einer der Zehntwagen, auf dem der Anteil des Bischofs an der Ernte wohlgeborgen der Feste Rotenburg zurollte. Mit leichter Mühe und ohne auf kräftige Gegenwehr zu stossen nahm man dem Fuhrmann und dem ihn begleitenden Knecht den Wagen weg, und nicht besser erging es dem zweiten und dritten Fuhrwerk, die ebenfalls, mit dem Erntesegen schwer beladen, daherschwankten.
Auffällig erschien allerdings, dass die Knechte sich so wenig gewehrt hatten und auch als Gefangene recht zuversichtliche Mienen zur Schau trugen, wohl gar heimlich schmunzelten. Doch man nahm sich nicht die Zeit, diesen sonderbaren dingen auf den Grund zu gehen, nahten sich doch schon die Planwagen, die erst die wertvollste Beute versprachen.
Der erste der überdeckten Wagen wand sich aus der Moorenge heraus; ohne sonderliche Mühe entriss man dem Fuhrmann seine Kelle und führte das allseitig fest sein Inneres verhüllende Gefährt auf den festen Heidegrund. Ebenso machte man es mit dem zweiten und dritten und wollte nun daran gehen, die Plane zu lüften, als sich mit einem Schlage die gesamte Szenerie änderte.
Die Planlaken gerieten plötzlich in Bewegung; fast schien es, als ob es von selber geschah. In einem Nu waren sie beseitigt; aber an Stelle der unter ihnen erwarteten Wollballen, Honigfässer und Wachsbehälter tauchten die mit Sturmhauben bedeckten Köpfe von Bewaffneten auf.
Bruno Brantwulf erkannte zu seiner Ueberraschung, dass man ihn in eine Falle gelockt, dass die Gerüchte von der wertvollen Ladung wohl absichtlich ausgestreut waren, um ihn zu einem Handstreich zu veranlassen, und dass man seinen Unternehmungsgeist auch richtig eingeschätzt hatte.
Doch diese Ueberlegungen kamen zu spät, und es war auch nicht die geringste Zeit vorhanden, ihnen nachzuhängen. Es hiess
jetzt, sich seiner Haut zu wehren, und dazu war an sich der Steenläger auch der richtige Mann.
Von der Besatzung der drei Wagen sprang ein Teil eiligst über die seitlichen Brettleitern der Gefährte; andere blieben auf den Wagen stehen, legten ihre Musketen auf vorher zugerichtete Gabeln und schossen mehrere der Brantwulfschen Knechte von ihren Gäulen herunter.
In dem sich nun entspinnenden kurzen Handgemenge streckte der Steenläger zwar noch mehrere angreifer zu Boden; aber das ende des Kampfes konnte nicht zweifelhaft sein, da der Junker und seine wenigen Knechte sich gegen eine erhebliche Uebermacht zu wehren hatten und zudem auch von der zum angriff schreitenden Gegenwehr völlig überrascht wurden.
Auf weiche Wolle hatte man sich gespitzt; statt dessen traten hart kämpfende Männer den Brantwulfschen entgegen. Auf süssen Honig hoffte man; bittere Musketenkugeln wurden jedoch manchem zuteil. An Stelle des teuren Wachses erhielt man billige Schwertschläge.
Die kleine Schar der Steenläger war - soweit sie nicht etwa das Streitfeld bedeckte - rasch auseinandergesprengt. Bruno Brantwulf selber wurde durch die ihn hart bedrängenden Landsknechte von seinem wackeren Ross gestossen, was auch nicht ohne schmerzhafte wunden und Beulen abging. Den sich auch jetzt noch verzweifelt wehrenden Mann unterlief ein gewandter Landsknecht; ein paar andere griffen ebenfalls zu, und nach wenigen augenblicken hatte man den Steenläger derart verstrickt, dass er kein glied mehr zu rühren vermochte.
Den Gebundenen warf man auch einen Planwagen und verfuhr mit den Knechten, die man in die Hände bekam, ebenso; sie waren fast alle verwundet; nur wenige entgingen der Gefangenschaft.
Dann begrub man die Toten mit einem stillen Gebet an der Stätte des Kampfes.
Die erbeuteten Pferde und Waffen nahm man gleichfalls mit; den Besiegten hatte man schon vorher abgenommen, was sie an Rüstungsstücken besassen, und dann fuhr man los. Im Triumph unter viel Gejohl und Geplärr zogen die Sieger stolz in die Rotenburg ein.
Den gefangenen Junker brachte man am folgenden Tage nach Verden zum Bischof Eberhard von Holle, der seinen Knechten gegenüber nicht mit anerkennenden Worten und wirklichen Belohnungen zurückhielt. Zu oft hatte ihn der steenläger geärgert, und er war deshalb froh, dass er den verhassten Gegner zwischen festen Mauern in sicheren Gewahrsam unterbringen konnte.
Der Fürst säumte denn auch nicht, Herren seines Hofes zu Richtern über den Steenläger einzusetzen. Bruno Brantwulf erkannte bald, dass seine Sache schlecht stand, und dass die Verdener Richter durchaus nicht gewillt waren, Milde walten zu lassen. Bischof Eberhard mochte ihnen seine Meinung über diesen Fall wohl schon vorher eingehend begründet haben. Der Junker wurde der Wegelagerei, des Raubes und des Ueberfalls auf friedliche Erntewagen bezichtigt.
Was half es ihm, dass er sich auf sein vermeintliches Recht berief, dass er einwandte, er habe sich nur Ersatz für den ihm geraubten Kornzehnten in Geddingen verschaffen wollen! Was nützte es ihm, dass er von Schädigungen durch des Bischofs Leute redete, die ihm einen Knecht erschlagen, einen zweiten weggenommen, die ihm sogar zwei Pferde enteignet hätten! Was bedeutete es schon, dass er für sich das Recht der Wiedervergeltung in Anspruch nahm!
Er war nun einmal kein Reichsfürst, der sich Eigenhülfe herausnehmen durfte, hätte sich höchstens beschwerdeführend an seinen Herzog und weiterhin vielleicht an des Kaisers Majestät wenden dürfen, wofern er sich ungerecht behandelt glaubte.
Was er getan, war zudem nicht im geringsten mehr zeitgemäss. Ja, in vergangenen Jahrhunderten hatte wohl mancher kleine Herr entschlossen zur Eigenhülfe gegriffen, hatte sogar vor offenem Strassenüberfall und Raub nicht zurückgeschreckt; doch auch dazumal war´s stets ein gefahrvolles Unternehmen gewesen, dem manchmal ein hänfenes Ende bereitet wurde.
Aber jetzt - zu sagen hatten nur noch die Reichsfürsten im Land - wenn´s hoch kam, vielleicht auch noch die freien Städte - und die Fürsten passten schon auf, dass ihnen kein Junker über den Kopf wuchs, verboten sogar die Neuanlage von festen Häusern
und sahen zu, dass sie die etwa noch vorhandenen brachen.
Man verhandelte ohne grossen Zeitverlust gegen den Friedensbrecher, wie man ihn nannte, wollte damit wohl verhindern, dass der Landsherr des Steenlägers, Wilhelm der Jüngere aus Celle, sich in die Sache mische - liess zwar Bruno Brantwulf ausgiebig zu Worte kommen, wies ihm jedoch bei jeder Redewendung haarscharf nach, dass er von ganz verkehrten Voraussetzungen ausginge, was den Richtern schliesslich auch nicht allzuschwer fiel.
Das Endurteil lautete: Tod durch des Henkers Hand. Der Steenläger mochte noch von Glück sagen, dass ihm wenigstens erspart blieb, mit des Seilers Tochter Hochzeit zu machen, dass er nach dem Urteil seiner Richter nur mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden sollte.
Das Urteil löste allgemeine Befriedigung aus bei hoch und gering. Man wurde durch dessen Vollstreckung einen unangenehmen Nachbarn los, der dem gemeinen Volke als gewöhnlicher Wegelagerer und Raubritter geschildert war, in den regierenden Kreisen aber bisher nichts als Aerger und Zank verursacht hatte.
Am folgenden Tage sollte das Urteil vollstreckt werden. Die Bitte des Todeskandidaten, ihm Zeit zu gönnen, sein Haus zu bestellen und seinen Freunden und Verwandten Nachricht von seinem Schicksal zu geben, wurde vom Bischof rundweg abgeschlagen, obgleich man sie eigentlich nicht als unbillig und unverschämt ansehen konnte. Man wollte eben eine Fürsprache des Celler Hofes unmöglich machen, da man bei der Stärke des Nachbarlandes nicht umhin konnte, solchem Ansinnen Gehör zu schenken.
Die Henkersmahlzeit hatte Bruno Brantwulf schon hinter sich. Unter den Verwünschungen des Volkes und unter bösen Spottreden wurde er nach dem Richtplatz auf dem Burgberg geführt.
Als der Stab gebrochen war, fragte man den Verurteilten, ob er noch einen erfüllbaren Wunsch habe.
Ja, murmelte der Verurteilte, seinen Rappen möchte er noch einmal reiten. Fast die Hälfte seines wachen Lebens habe er auf dem treuen Tier zugebracht, und deshalb läge ihm daran, das Pferd noch einmal zwischen seinen Schenkeln zu spüren, bevor es ganz
aus wäre mit ihm.
Die Richter schüttelten zunächst die Köpfe ob des wunderlichen Ansinnens. Man schickte zum Bischof Eberhard von holle. Der meinte, man möge dem Todgeweihten, da ihm alle anderen Bitten abgeschlagen seien, in dieser Hinsicht zu Willen sein, möge jedoch alle notwendigen Sicherungen treffen und genügend Lanzenträger und Büchsenschützen aufstellen.
Das sei bereits geschehen, entgegnete der richterliche Bote.
Nun, meinte daraufhin der Bischof, was könne schliesslich ein waffenloser Mann gross vollbringen.
Also tat man Bruno Brantwulf nach seinem Begehr, holte den Rappen aus dem Stall, führte ihn in den weiten Ring und bot ihm dem Verurteilten.
Mit einem Wiehern, von dem einige Zuschauer nachher behaupten wollten, es habe schon fast teuflich geklungen, begrüsste das treue Tier seinen Herrn.
Der zeigte stumm auf seine gebundenen Hände; die musste man ihm notgedrungen denn doch losmachen, und dann reichte man ihm die Zügel.
Trotz seiner Wunden, die noch nicht völlig wieder heil waren, schwang sich der Steenläger nach wenigen Schritten leicht auf sein Ross. Dann trabte er auf dem prachtvollen Tier einigemal den von Menschen umsäumten Platz auf und ab.
Die aus Verden und aus seiner Umgebung stammenden Menschen bei der Richtstätte verstanden sich auf gute Pferde, und es ging deshalb ein wohlgefälliges Murmeln durch die Menge, als der Junker ihnen gleichsam seinen herrlichen Renner vorführte.
Man freute sich deshalb, als der Reiter eine raschere Gangart einschlug. Das Pferd gehorchte willig dem Schenkeldruck und den leisen Zurufen seines Herrn; Sporen hatte dieser ja nicht, und man erkannte, dass sie auch nicht vonnöten waren.
Immer rascher umkreist der Reiter die Richtstätte. Plötzlich eine scharfe Wendung des Junkers mit seinem Ross. Auf die Reihe der Stadtknechte los! Ehe diese sich richtig besinnen und ihre langen Spiesse vorstrecken, sausen Ross und Reiter über die Köpfe der Knechte hinweg, die Hellebarden zur Seite stossend. Die
Lanzenknechte sind so verblüfft, dass sie sich sogar einen Augenblick niederducken.
Ein hallender Schrei der Zuschauer, die zwar soeben die schönen Bewegungen des Pferdes mit Anerkennung genossen haben, aber sich deshalb doch nicht um das ihnen verkündigte weitere Schauspiel bringen lassen wollen. Im nächsten Augenblick sind auch die Stadtknechte und die Mannen des Bischofs wieder zur Besinnung gekommen und laufen hinter dem Flüchtigen her. Wie sollen jedoch die Waffenträger zu Fuss den raschen Reiter einholen!
Die Feuerschützen legen auf den Flüchtigen an; aber es ist nicht leicht, bei der wogenden Menschenmenge zum Schuss zu kommen, ohne Unbeteiligte zu treffen. Die abgesandten Kugeln fliegen deshalb auch irgendwo ins Blaue und tun dem rasend Dahinreitenden nichts, der zudem immer kurz und knapp seine Richtung ändert.
Ja, der Steenläger ist mit allen Hunden gehetzt; die Feuerrohre tragen nicht weit, und bald ist er aus ihrem Bereich.
Noch hofft man, dass ein Hindernis besonderer Art den Flüchtigen wieder in die Hände der Verdenschen liefert. Um die Strasse zu gewinnen, muss er nämlich einen breiten Graben nehmen, der an der einen Seite von dichtem Plankenzaun eingefasst ist.
Es sind inzwischen auch schon genügend Berittene - Söhne aus den vornehmsten Geschlechtern der Stadt, die zu Pferde zum Burgberg gekommen waren, und Reiter des Bischofs - die anfänglich durch das hin- und herwogende Volk am raschen Nachsetzen gehindert waren, hinter dem Davonreitenden her.
Bruno Brantwulf hat das schwierige Hindernis rechtzeitig überschaut. Das Pferd, durch Zurufe angefeuert, durch seinen Reiter im richtigen Augenblick hochgerissen, setzt - nein, fliegt - über Planke und Graben hinweg.
Niemand macht ihm den kühnen Sprung nach. Die Verfolger müssen einen Umweg einschlagen, und dadurch ist der Zwischenraum, der sie von dem flüchtigen Reiter trennt, bedeutend grösser geworden.
Die Verfolger haben zwar gute Pferde; aber der da vor ihnen weiss auch, was er seinem treuen Tier zumuten darf. Es setzt den letzten Hauch daran, seinen Herrn aus der Gefahr zu bringen. Fast
scheint es zu ahnen, was seinem Reiter droht.
Von den Verfolgern kommen einzelne wieder näher; sie sind hartnäckig und ausdauernd und setzen alles daran, das verfolgte Wild zur Strecke zu bringen.
Doch der Gehetzte kennt jeden Weg und Steg; es gelingt ihm, einige Vorteile zu erringen. Er wagt es, einen engen Wiesenpfad, der auf schmalen Stege über ein Bächlein führt, in raschem Ritt hinter sich zu bringen. Hier müssen die Verfolger langsamer reiten, da das sumpfuge Wiesental allerlei Gefahren mit sich bringt.
Wieder hat sich der Zwischenraum vergrössert; aber die Verdenschen wollen nicht ablassen von dem Junker. Doch dessen Stimmung hebt sich, er hat sein heimisches Flusstal vor Augen, reitet hinein und kommt seiner heimischen Burg näher und näher. In Rufweite stösst er scharfe Pfiffe aus, damit die Burgbesatzung zum Aufmerken gebracht wird.
Als die Mannen der Burg ihren Herrn auf keuchendem Ross dahersprengen sehen, laufen sie rasch zur Kettenwinde und lassen die Zugbrücke über den breiten Burgraben herab.
Froh ist der Verfolgte aber doch, als die Hufe seines Pferdes über die Bohlen der Zugbrücke donnern, und gleich darauf geht unter Knarren die Brücke wieder hoch.
In diesem Augenblick treffen die Verfolger ein und zügeln ihre Rosse vor dem breiten Graben. Wütend starren sie den Torturm an, werfen Scheltworte gegen den Entronnenen hinein und können´s am Ende nicht lassen, ihre Karabiner und Pistolen gegen die Luken und Fenster abzufeuern.
Doch das ist eine grosse Torheit, und es wäre ihnen auch bald übel bekommen. Wenn auch Bruno Brantwulf die meisten seiner streitbaren Knechte eingebüsst hat, es sind ihrer noch immer genug vorhanden, um Angreifer der Burg mit langen Gesichtern abziehen zu lassen.
Scharf pfeifen den Verdenschen Kugeln um die Ohren. Ein Mann wird verwundet und auch ein Ross. Da hält man´s für geraten, der ungastlichen Burg den Rücken zuzukehren und fluchend und schimpfend
heimzureiten zum bischöflichen Herrn, wo ihrer ein nicht gerade freundlicher Empfang wartet.
Bruno Brantwulf atmete ordentlich auf, als er die schützenden Mauern seines Hauses wieder um sich hatte. Seine Fürsorge galt zunächst seinem dampfenden Rappen, dessen Ausdauer und Schnelligkeit er sein Leben verdankte.
Um ein Haar wär´s ihm diesmal an Kopf und Kragen gegangen. Schauerlich kam´s ihm vor, wenn er nur daran dachte.
Auf Verdener Gebiet liess sich Bruno Brantwulf lange Jahre hindurch nicht wieder sehen. Man wusste doch nie, was solch ein Bischof, der jetzt, nach Einführung der Reformation in seinem Gebiet, zwar nur noch ein weltlicher Fürst war, an geheimen Plänen ausheckte.
Da blieb man schon lieber in den Lüneburger Landen, in der ersten Zeit sogar hauptsächlich zwischen den sicheren Mauern seiner festen Behausung. Hier steckte man zwischen Sumpf und Wasser. Im Falle der Not vermochte man die ganze Wiesenniederung zu überfluten, und dann mochten die Bischöflichen nur mit Musketen, Feldschlangen und Mörsern ankommen. Man würde ihnen schon widerstehen.
Das wusste auch der Verdener Bischof, und deshalb dachte er nicht daran, sich wegen eines Kriegszuges gegen das feste Steenlage in Unkosten zu werfen. Zudem konnte man nie recht erfahren, was der Celler Hof zu einem solchen Vorgehen sagen würde. Da liess man schon lieber den Fuchs in seinem Bau.
Mit der Zeit kam es sogar zu einem Vergleich zwischen dem Bischof und dem Steenläger. Bruno Brantwulf verzichtete auf alle Einkünfte aus zweien der strittigen Höfe in Geddingen; nur von dem dritten, dem kleineren, bekam er den Roggenzehnten. Eberhard von Holle gab ihm dafür die gefangenen Knechte zurück. So kehrten allmählich zwischen Steenlage und Verden wieder friedliche Verhältnisse zurück. Wenigstens einen kleinen Teil seiner Forderungen hatte der Junker ins Trockene gebracht. Mehr zu erlangen, durfte er nach den bestehenden Kräfteverhältnissen nicht hoffen. Bei den meisten Streitigkeiten zwischen Fürsten und den junkerlichen Geschlechtern waren die Ritter und Junker allein die Leidtragenden. Ihre Glanzzeit war eben unwiederbringlich dahin.
Trotz des nun wiederhergestellten Friedens sprach Eberhard von Holle aber doch den Wunsch aus, der Steenläger möchte sich zu Lebzeiten des derzeitigen Bischofs weder in der Stadt Verden, noch am Hoflager des Fürsten sehen lassen. Er sah es doch lieber, dass zwischen ihm und dem streitbaren Mann ein grösserer nicht so leicht überbrückbarer Raum bestand.
Bruno Brantwulf hielt sich den ganzen Herbst und den darauf folgenden Winter aus der Celleschen Gegend fern. Die Kunde von seinem Ueberfall auf die Verdener Wagen, die Falle, in die man ihn dabei gelockt, und auch das scharfe Urteil der Verdener Richter machten die Runde im ganzen Lande. Man vergass aber auch nicht, von seiner kühnen Flucht im allerletzten Augenblick zu erzählen, und alle, die mit seinem Ueberfall in der Düsteren Heide nicht einverstanden waren, rühmten sein tolles Tun auf dem Verdener Burgberg und hielten ihm dafür seine ungerechtfertigte Selbsthülfe zugute.
Der Steenläger meinte jedoch,es solle erst einmal Gras wachsen über seine Unternehmungen. Wenn er sich nicht sehen liess, so würde das Gerede am ersten zum Verstummen gebracht werden. Er wollte sich unterwegs auch nicht anstaunen lassen, wie ein Feuerfresser auf dem Jahrmarkt. Erst wenn die Leute neuen Gesprächsstoff erhalten hatten, wollte er sich unauffällig unter ihnen sehen lassen.
Zwei Bröckeler Fuhrleute waren beizeiten am Tage im "Blauen Donner" in Celle eingetroffen. Sie versorgten zunächst ihre Pferde, darauf sich selber mit dem Nötigsten, sahen dann nach dem Stande der Sonne und fanden, dass es eigentlich noch zu früh sei, um sich schon schlafen zu legen.
"Hm" brummte Ditrich Girenn wie selbstverloren vor sich hin, "wär´s nicht an der Zeit, einmal dem Einbeckschen Keller einen Besuch zu machen, soll verflucht süffig Bier haben." Er verschwieg dabei, dass er eigentlich seine Ausfahrt von vornherein darauf angelegt hatte, zu früh auf der Blumlager Vorstadt einzutreffen, um dann noch einen Grund zu haben, die Celler Innenstadt aufzusuchen und im Einbeckschen Keller einzukehren. Nur mit diesem Gedanken im Hintergrund hatte er seinen Kameraden bewogen, schon hier die erste Tagesfahrt zu beenden; eine volle Tagesreise war es von Bröckel bis Celle wirklich nicht zu nennen.
"Bin noch nie im Einbeck-Keller gewesen, hätt´ nicht übel Lust, ihn aufzusuchen," entgegnete Clawes Klappenberg, sein Kamerad auf weiter Fahrt.
Darauf schlenderten die beiden los durch das Oldenceller Tor, sahen sich unterwegs noch dieses und jenes an und trafen denn auch bald danach im Einbeckschen Keller ein.
Sie waren durchaus nicht die einzigen Besucher des Kellers. Zwei Studenten aus Friesland, die in Wittenberg dem Studium obgelegen hatten, einige Handwerksburschen und ein paar Bürger hatte der gute Ruf des Einbeckschen Bieres gleichfalls angelockt.
Es war nicht zu leugnen, dem Bier vermochte man schon Geschmack abzugewinnen; es löste denn auch bald den Gästen die Zunge, und die sonst wenig redseligen Niederdeutschen hatten bald eine allgemeine Unterhaltung in Gang gebracht.
Zunächst erzählten die Bröckeler von ihren Fahrten. Sie hatten ihre Reisen bis nach Warschau und Krakau ausgedehnt und berichteten von den schön ausgestatteten Kirchen, die sie dort angetroffen.
"Hab´ nicht vermeint, dass der Pole soviel Verstand zum Bauen hätt´," warf einer der Studenten aus Friesland ein.
"Ist auch nicht an dem, ist alles von deutschen Meistern aufgebaut und eingerichtet. In Krakau sah ich in der Marienkirche vom Nürnberger Meister Veit Stoss einen Altar geschnitzt und aufgebaut, gross wie ein ganzes Haus; hab´ seinesgleichen in aller Welt nicht gesehen."
"Kommt ihr denn soweit auf euren Fahrten durch die Lande?" erkundigte sich der andere Student aus dem meerbespülten Friesenlande.
"Wohl, sind schon zu den Moskowitern und den Ungarn gekommen, haben auch das Land Italia gesehen, haben schon mit Menschen aus allen Landen Europas die Füsse unter einen Tisch gesteckt."
"Und versteht ihr euch mit ihnen?"
"Ist manchmal nicht leicht. Findet man jedoch in allen Landen Menschen, die Deutsch verstehen. Sind überall darauf versessen, etwas zu hören von dem neuen Glauben, so aus Deutschland gekommen; die einen sind ihm zugeneigt, die anderen wenden sich voll Abscheu ab von ihm."
"Wisst ihr ihn denn dem fremden Volk zu bringen, klar und lauter?" mischte sich ein Celler Bürger, der Neteler Marten Ludersmedt aus den Fischeren ins Gespräch.
"Ist alles klar und rein bei uns, wie´s Bier im Kroos, geben die Lehr wieder nach unserm einfältigen Verstand," erwiderte der Fuhrmann.
"Hab´ jetzt aber gehört, was der Schwab´, der Doktor Andreä, diesen Winter in unserer Stadt hat wollen," wandte sich Marten Ludersmedt an den Potker Hans Hesse aus der Bergstrasse.
"Nu," fragte dieser, "was ist dir denn an Besonderem kund worden?"
"Wollt einen Brei herrichten aus dem Lutherschen und dem Calvinschen und dem vom Magister Melanchthon."
"Wie soll´s denn werden?"
"Hat ein grossmächtig´ Schrift hinausgehen lassen und viel des Falschen geredt´ vom freien Willen und vom Nachtmahl und seinem rechtem Verstand. Will sogar die guten Werk´ von Rom wieder hineinmengen in die rein´ Luthersche Lehr."
Da war man wieder beim Religiösen angelangt, ohne dass kaum noch ein Gespräch geführt werden konnte, weder im Hause, noch auf der Strasse, noch in den Krügen. Stets stand Meinung gegen
Meinung, Glaube gegen Glaube, und am Ende kam nichts dabei heraus als Zwietracht.
"Warum leid´t man denn solche Lehr´?" fragter der Potker den Neteler.
"Unser gnädiger Herzog denkt, er muss als anhören, was dem Frieden dient, um ein End´ zu machen mit dem vielen Streit."
"Was sagen denn die anderen Fürsten im Reich dazu?"
"Die anderen Fürsten? Ist grad das Uebel, dass man nach denen fragt. Der Schwab´ will ein gross´ Zahl von ihnen auf sein´ Seit´ haben. Ich sag´ aber: Je kleiner die Zahl jener, die zum rechten Glauben stehen, desto grösser die Ehr´ vor Gott, wenn man an der rechten Lehr´ festhält."
"Ist schon recht. Was soll´s auch mit den vielen, denen der rechte Verstand fehlt!"
"Auf die Auserwählten kommt´s an. Von ihnen hat´s niemals viel gegeben. Ist meist nur ein klein´ Häuflein gewesen."
"Aber ein soviel stärkerer Sturmblock, der allein´s Feld behält."
"Und zu diesem Häuflein muss ein rechter Christ gehören, dann ist die ganze Sach´ leicht."
Jetzt mischte sich der Bröckeler Clawes Klappenberg ein: "Ist doch stets Zank und Streit im Land. einer hat die rechte Lehr´, und der ander hat sie, und ist man draussen in der Fremd´, kann man doch nur ein Lehr´ den Leuten sagen. Sind auch zufrieden damit und hören eifrig zu. Kommt einer dann wieder ins Reich, ist ewig Hader und Hass. Hab´s schon erlebt, dass sich zwei die Köpf´ einschlugen, weil der ein´ die Meinung des andern nicht wollt´ gelten lassen."
"Kann einer auch nicht hingehen lassen, wenn der andre ein´ falsch Lehr ausbringt," meinte in scharfem Ton der eine Student aus Friesland.
"Versteh´ nichts von all dem Streit," warf nun einer der Handwerksburschen ein, "hab´ überall gute und schlechte Menschen angetroffen, unter den Wittenbergern und Römern, unter den Schweizern und Böhmen. Hab´ genug von all dem Spintisieren."
"Sind keine Spintisierer, sind echte Gläub´ge an Gott!" schrie
aufgebracht der Neteler und schlug mit der Faust auf den Eichentisch.
Währenddessen war der alte Hinrich Arlekamp in den Einbeckkeller getreten, hatte die letzten Worte gehört und sich stillschweigend an den Tisch gesetzt.
"So, Vater," wandte sich der Handwerksbursch an den Alten, "ihr seid am längsten von uns allen auf dieser Welt mit dabei gewesen - sagt eure Meinung: Führt´s Streiten um den rechten Glauben zu einem guten End?"
Der Alte schüttelte den Kopf: "Nein, wird mit all dem Streit nur immer ärger. Halt´ dafür, dass die Hadersucht, wenn sie immer mehr in sich verstärkt, uns gross Uebel bringt, wohl gar Krieg und Kriegsgeschrei im eignen Land."
"Wie meint ihr das?" fragte der Student.
"Wie ich´s mein´? Nun, ´s wird immer ärger mit dem Zank. Sollen auch nur noch die Fürsten und Herren sich so verzanken wie´s gemeine Volk, gibt´s Krieg einer gegen den andern!"
"Wird schon nicht so schlimm sein, seht zu schwarz. Kann einer doch aus lauter Friedenslieb´ nicht zu schwarz weiss sagen! Wird sich schon alles wieder einrenken."
Hinrich Arlekamp zuckte die Achseln: "Will´s selber wünschen. Werd´s wohl nicht mehr erleben. Aber was nachher kommt? Glaub´ nicht, dass ein gut End´ dahinter steht."
Jetzt rissen die beiden Studenten das Gespräch an sich und brachten ihre neu eingelernte Wittenberger Weisheit an den Tag, redeten dabei aber so fest und bestimmt, dass kein Einspruch dagegen aufkam.
Wer von den Tischgenossen nicht zu den Eiferern zählte, wandte sich ab und hörte den Worten der eben eingetretenen Bürger zu; es war der Harnischfeger Joachim Untzelmann und der Sadeler Hans Tileke.
Dem Harnischfeger sah man deutlich seinen Unmut an, der nur ganz allmählich nachliess, als das köstliche Bier seinen besänftigenden Einfluss auf den finster blickenden Mann ausübte.
Aus der Art, wie der Sattler den stattlichen Mann zu begütigen
versuchte, entnahm man denn auch bald, was dessen Blut in Wallung gebracht hatte.
"Hast gut reden, Nachbar Sadeler, müssen dir alle kommen, die Reiter und die Fuhrleut´, müssen alle ihr Pferdegeschirr in Ordnung haben, müssen neue Sättel und frisches Zaumzeug bei dir bestellen. Aber wie geht´s unsereinem? Wird immer schlechter, das Geschäft."
"Nun, nun," redete der Sattler dem Harnischfeger zu, "sah´ gerade noch dieser Tage mehrere Geharnischte durch unsere Stadt reiten, waren Ritter, wollten wohl zum Schott nach Hösseringen, allwo die Landsständ´ ihre Tagsatzung haben. Brauchen dorthin allerdings keinerlei kriegerische Rüstung, weiss aber nicht, warum sie dieselbe angelegt hatten."
"Bestellt kaum einer einen Harnisch neu, putzen lieber den verrosteten vom Vater her wieder blank, lassen sich, wenn´s hoch kommt, eine neue Schien´ oder ein paar Ringe wieder einsetzen."
"Sah´ aber einen, trug ein funkelnagelneues Panzerhemd."
"Wenn schon eins zu machen ist - kommt dann, der´s bestellt hat, bringt er nicht einmal genugsam Geld mit, es zu zahlen. Gibt dir ein paar Schilling und verspricht, das fehlende in ein paar Wochen nachzubringen. Hast lange Geld dran. Kannst ihm doch den Harnisch nicht wieder mit Gewalt nehmen, erst recht nicht, wenn er ein festes Haus hat mit tiefem Wassergraben ringsum. Ist eben kein Geld mehr im Land. Steckt viel Geld drin in den spanischen Händeln, sieht niemand einen Pfennig davon wieder. Handel und Wandel gehn nicht mehr; war doch früher ein ganz ander Leben, als die düdesche Hanse überall ihre Finger hineinsteckte und für Recht und Sicherheit sorgt´."
"Spür´ die Geldknappheit wie du, muss ständig hinter jedem Gulden her sein, kann ihn sonsten schon in den Rauchfang schreiben."
"Ist immer nicht so schlimm bei dir. Hat noch niemand sein Sattelzeug aus Ellernholz gemacht. Hat kein´ neue Erfindung dein Handwerk verderbt."
"Hab´ aber auch nicht gehört, dass Harnische aus Ellernholz gemacht sind."
"Das schon nicht. Hat aber das gottverfluchte Zündkraut alle Freud´ am Harnisch verdorben. Kann ja nicht mehr mit Sicherheit eine Musketenkugel vom Leib abhalten und erst recht nicht den Gruss aus der Feldschlang´."
"Aber gegen das Blei aus einem Pistol hilft doch das Eisenhemd immer noch."
"Wohl! Wohl! Und auch gegen Schwerthieb und Speerstich ist der Harnisch immer noch bester Schutz. Soll er aber gegen eisen und Blei helfen, muss der Panzer schwer sein, und den vermag nur der Ritter auf starkem Ross zu tragen. Doch den Lanzenknechten, die heut´ schon die höchst´ Zahl im Heer haben, denen ist ein voller Harnisch zu schwer, ist ihnen auch viel zu teuer, wenn der Schutz gut sein soll. Begnügen sich mit einem Lederkoller."
"Mag schon sein, wie du erzählst. Aber kommt Zeit, kommt Rat. Am End´ kommt dein´ Hantierung doch wieder hoch."
"Glaub´s nicht. Wird noch der Welt Lauf sein, dass kein Harnischfeger mehr sein Brot findet in seinem Gewerb´."
"Und was macht ihr dann?"
"Musketen und Mörser und Feldschlangen und Pistols, auch wohl gar die langen Landknechtsspiess´."
Ist auch gut als Hantierung. - Aber weisst´, wen ich gestern hab´ reiten sehn durch unsere Stadt, auch wohl zum Schott nach Hösseringen?"
"Kann´s nicht erraten. Sind viel der Landständ´."
"Den Junker, von dem du mir im Vorjahr hast erzählt, als er damals sich auch hier bei uns sehn liess, den aus Steenlage, Bruno Brantwulf. Hab´ dabei wieder an dein Erzählen denken müssen, vom hulend Voss und vom flaschen Eid auf dem Dorffeld."
"So? Lässt sich der auch einmal wieder sehn in unserer Stadt? Ist lang´ keinem in der Stadt mehr vor Augen gekommen. Wundert mich, dass er bei mir nicht hat vorgesprochen."
"Hast was für ihn in der Schmiede?"
"Mach´ für ihn schon ein rechtschaffen Stück Arbeit. Mag´s aber wohl auf dem Heimweg mitnehmen."
"Was für ein Stück hast denn in deiner Werkstatt?"
"Ist schon ein richtiges Panzerkleid. War das seine arg zerhauen. Solch ein Brantwulf kommt nun einmal nicht ungeschoren durch die Welt."
"Will man ihm was am Zeuge flicken?"
"Eigentlich liegt die Sach´ wohl umgekehrt. Er selber, der Brantwulf nämlich, ist über den Bischof von Verden sein Leut´ hergefallen."
"Ein Junker gegen einen Fürsten? Ei, ei, das gab´s wohl noch vor so und soviel Jahren, damals, als man bei Sievershausen und vordem bei Soltau sich schlug. Haben die Ritterlichen aber stets den kürzeren gezogen."
"Hat der Bruno Brantwulf auch. Ist ihm sein Ueberfall nicht gut bekommen."
"Kann´s mir schon denken. Doch erzähl der Reihe nach, wie sich alles hat zugetragen."
Der Harnischfeger gab seinen Bericht. Für den Ueberfall in der "Düsteren Heide" führte er mancherlei Entschuldigungen an, hielt darum auch das Urteil des bischöflichen Gerichts in Verden für zu hart.
"Geht der Junker gegen einen Reichsfürsten an, muss er eben Haare lassen."
Ordentlich lebhaft wurde das Erzählen des Harnischfegers, als er von der tollkühnen Flucht sprach, die dem in ärgsten Nöten stehenden Steenläger das Leben rettete. Man hörte es dem sprechenden an, dass er in der ganzen Sache mehr auf Seiten Brantwulfs stand. Wenn er auch den masslosen Storlz der Brantwulfs und die Eigenwilligkeit des Geschlechtes nicht billigte . der kühne Ritt nahm den Harnischfeger für den Steenläger ein. Dass Bruno Brantwulf bei dem Harnischfeger arbeiten liess, genügte dem aufrechten Manne nicht, für den Junker einzutreten, es musste schon eine Tat sein, die den anderen kennzeichnete als einen Menschen, den niemals die Herzhaftigkeit verliess.
Bei diesem Bericht verschwand allmählich der Unmut aus dem Gesicht Joachim untzelmanns. Sein Gewerbe hing nun einmal mit dem Glanz der Ritterzeit zusammen, und nach dem kläglichen Niedergang
des ganzen Standes erfreuten ihn doch noch ritterliche Taten. Er hielt nun einmal dafür, so zahm wie eine Haustaube könne der Adler nicht sein, und da müsse man ihm schon einmal einen Klauenhieb zugute halten, noch dazu, wenn er jemanden traf, der im Schutz des Krummstabes seine Behausung aufgeschlagen. Allem, was unter diesem Zeichen eine besondere Herrschaft aufrichten wollte, begegnete von vornherein das Misstrauen dieses Celler Bürgers.
Den ganzen Tag schon hatte es Armgard Salge hin und her gezogen. Am Abend zuvor war sie festen Willens gewesen, es nicht zu tun. Nein, auf keinen Fall! Wer konnte wissen, was daraus entstand! Durfte man dem Fremden trauen, der sich nun schon fast dreiviertel Jahr lang nicht hatte sehen lassen? Was mochte er im Schilde führen? Ja, das wäre noch schöner, monatelang unsichtbar zu bleiben und dann zu verlangen, dass man sich für den wilden Mann bereit halte! Mit diesem Gedanken hatte Armgard am abend vorher die Bettdecke im Dunkeln übers halbe Gesicht gezogen und war endlich nach langem Sinnen eingeschlafen.
Völlig verändert sah die Sache allerdings nach dem Erwachen beim blanken Licht des munteren Tages aus. Woher sollten Gefahren kommen, deren man nicht Herr ward? Man war zwar ein Mädchen, fühlte sich jedoch stark und frohgemut genug, um auch einmal mit beiden Füssen in ein Wagnis hinein zu springen.
Gleich nach dem Mittagessen kam aber ein starkes Gewitter herauf, das die ganze Gegend in ein ungewisses Dunkel hüllte. Grell zuckten die Blitze herunter, und lang hallte der Donner nach. Bei solchem Unwetter vermochte auch ein starkes Mädchen der Zaghaftigkeit nicht zu widerstehen, und es empfand in solchen Augenblicken die schützende Obhut des bergenden Hauses besonders wohlig. Es nahm sich also vor, am Abend nicht fortzugehn, vielmehr zwischen den schirmenden vier Wänden des väterlichen Hauses zu bleiben.
Dann aber klärte der Himmel sich auf, und es glitzerte und gleisste nach dem Regenguss an Baum und Strauch. Die Sonne entfaltete selbst am Spätnachmittage noch solche Kraft, dass die Perlen an den Blättern und Halmen bald wieder verschwanden. Selbst der Erdboden zeigte nur noch an wenigen Stellen die Spuren des plätschernden Regens.
Armgard wollte doch gehen; die Natur atmete so ruhig, dass von keiner Seite her eine Störung drohen konnte. Es war draussen eine solche Frische, dass es einen lockte, sich aus der dumpfen Luft des Hauses fortzubegeben und den duftigen Atem von Feld, Wiese und Wald in sich einzusaugen. Das schwellende Wachstum unter
dem dunklen Himmel zog den Menschen mit allen Kräften zu sich her.
Was war es denn nun, das Armgard nicht zur Ruhe kommen liess und sie bald nach dieser, bald nach jener Seite hin riss?
Nun, was sollte es wohl anders sein, als eine Abrede. Eine Abrede, bei der das Mädchen nicht so recht wusste, wie es sich zu ihr stellen sollte.
Denn - um es ganz genau zu sagen - eine richtige Abrede war es doch wohl nicht. Zu ihr gehört, wie jedermann weiss, eine Zustimmung von beiden Seiten, und so verhielt es sich nicht, dass beide Teile "ja" gesagt hatten. Oder doch? -
Es war nämlich so gewesen. Am späten Nachmittag des gestrigen Tages hatte sich Bruno Brantwulf hoch zu Ross an der Pforte des Salgeschen Hofes gezeigt, hatte dort niemanden angetroffen als nur einen Hütejungen, der noch einen Melkeimer für eine der Mägde aus dem Hause holen sollte. Dem hatte der Reiter kurzweg befohlen, seine Herrin an das Hoftor zu rufen; sie möchte ihm einen Becher mit Milch reichen. Der Junge hatte denn auch seinen Auftrag ausgeführt, und Armgard war zögernd mit einem Gefäss voll des erfrischenden Getränks am Tor erschienen und hatte ihm den Trunk gereicht.
Um der ganzen Angelegenheit aber mehr den Anstrich der Zufälligkeit zu geben, war der Junker inzwischen vom Pferd gesprungen, hatte sich an seinem Sattelzeug zu schaffen gemacht und nicht eher aufgeschaut, als bis Armgard Salge dicht vor ihm stand.
Freundlich hatte er dann Armgard gedankt für die kühle Milch, dann den Becher in einem Zuge geleert, einige belanglose Worte über Wetter und Wachstum dahergeredet und sich dann kurz an das Mädchen gewandt. Sie möge sich einen Tag später kurz vor Sonnenuntergang in der Allerheide einfinden, ungefähr dort, wo sie vor einem Jahr den Flachs gebreitet. Dann hatte er noch einige Worte über Spinnen und Weben gesprochen, die wenig zu der vorhergehenden Einladung passten, sich wieder auf sein Ross geschwungen, noch mit wenigen Worten erklärt, es wäre ihm lange Zeit unmöglich gewesen, hier zu erscheinen, und dann noch eine eindringliche Ermahnung an das Mädchen gerichtet, sie möge ja nicht
zu spät kommen. Darauf noch ein freundlicher Gruss, das Pferd gewendet, und nach wenigen Minuten war nichts mehr von dem Reiter zu sehen gewesen. Wahrgenommen hatten den Reiter wohl nur wenige Leute im Dorf, da der Salgesche Hof am Ende des Ortes lag, und besondere Gedanken machte sich niemand; denn warum sollte ein Reiter in diesen heissen Tagen nicht einmal ein Mädchen um einen frischen Trank kühler Milch bitten. Erkannt hatte man den Fremden sicherlich nicht; er sah doch ganz anders aus, als der trutzige Jäger auf dem Erntebier des vorigen Jahres.
Ja, so hatte sich die Sache abgespielt. War sie überhaupt bei der Begegnung mit ihm zu Wort gekommen? Hatte er sie überhaupt um ihre Zustimmung gefragt? Sie vermochte sich nicht zu erinnern, dass sie vor dem Hoftor den Mund aufgetan.
So wollte nun ein fremder Mann einfach über sie und ihre Zeit verfügen. Durfte sie sich das gefallen lassen? War sie nun gehalten, die Allerheide aufzusuchen und den fordernden Mann dort zu erwarten?
Das wohl nicht; sie hatte keinerlei Verpflichtung auf sich genommen; aber er sprach in solch bestimmten Ton, dass man nicht dagegen aufkam.
Zwar zu befehlen hatte er ihr gar nichts. Ueberhaupt kein Mannsbild, ausser dem Vater, durfte Zumutungen an sie stellen, und Befehle schon gar - brauchte sie darauf zu hören?
Nein, keinen Atemzug lang! Aber vielleicht gab es doch männliche Wesen, von denen man Befehle hinnahm und deren Wünsche man erfüllte. Gehörte der wilde Reiter zu jenen?
Darauf brauchte man sich selber keine Antwort zu geben.
Merkwürdig war es jedenfalls, dass sie diesmal in ihrem Innern nichts vernommen hatte, was sich diesem Befehl entgegenstemmte, und wenn ihr sonst nur eine Freundin mit einem reichlich kräftig ausgesprochenem Wunsch kam, ging es gleich in ihr hoch.
Ein inneres Widerstreben war also nicht vorhanden, was sie hin und her schwanken liess; es mochten wohl mehr die äusseren Umstände sein, die in ihr Bedenken wach riefen.
Doch diese schienen bald nach dem brausenden Gewittersturm wie weggeweht, und jetzt lagen eigentlich keinerlei Hindernisse im
Wege, die ihr das Wandern in die Allerheide unmöglich machten.
Rechtzeitig hatte Armgard alles im Hause beschickt, was ihr oblag, hatte die Kühe gemolken, ihren Leuten das Abendbrot bereitgestellt, hatte selber daran jedoch nur flüchtig genippt und war dann ihren Hausgenossen mit den Worten entschwunden, sie wolle noch ein paar blühende Zweige abschneiden.
Sie nahm auch wirklich ein Messer mit hinaus in den dichten Hag neben dem Garten, wählte einige zierliche Blütenzweige aus, schnitt diese zu einem hübschen Blütenstrauss zurecht und ordnete diesen mit geschickten Händen.
Währenddessen waren ihre Füsse ohne weiteren Befehl den Weg hinabgeschritten, der zur Allerheide führte.
Es war ein klarer Frühsommerabend, warm und Mollig. Im Osten kam schon der Mond herauf, sein Gesicht, schon fast gerundet, versprach eine Helle, die dem schreitenden Mädchen recht gelegen kam.
Das Westerfeld war bald durchschritten, und dann ging es durch Heiden und Weiden, und der Weg selber war von dichtem Hag umgeben. Sie durfte hoffen, weiterhin, wo das ganze Gelände mit Busch und Baum durchsetzt war, keinem Ahnsbecker mehr zu begegnen und vor allen Dingen keiner Ahnsbeckerin; denn Frauenzungen sind immer noch schärfer als die der Männer.
Als Armgard vom Wege abbog und der Heidefläche zuschritt, in der sie gewöhnlich ihren Flachs breitete, sah sie sich spähend nach allen Seiten um; doch kein Mann liess sich blicken.
Sie schritt einer alleinstehenden mächtigen Eiche zu, die das Blickfeld der gesamten Gegend beherrschte. Unter dem Schutz von Wacholdern, die den Baum vor dem Biss der scharfen Zähne zierlicher Heidschnucken bewahrten, war er aufgewachsen. Jetzt bedurfte er keines Schutzes mehr, gab ihn vielmehr anderen Wesen, so einem schwarzen Storchenpaar, das die Nähe des Menschen weniger liebt als sein hellerer Vetter, und deshalb in der Eiche sein Nest gebaut hatte.
Armgard ging langsam um den mächtigen Baum herum. Plötzlich fühlte sie sich am Arm berührt, und schon stand der Erwartete, ein Meister im leisen Heranpirschen, neben ihr.
Sie schrak zusammen; denn sie hatte ihn trotz aller Aufmerksamkeit nicht kommen hören. Doch da sie eben nicht zu den allzuschreckhaften Naturen zählte, hörte man von ihr wenigstens keinen Aufschrei.
Die nun folgende Begrüssung konnte wirklich noch nicht als besonders herzlich bezeichnet werden, vor allen Dingen nicht, soweit sie von des Mädchens Seite ausging. Es sah aus, als ob Bekannte, eigentlich einander völlig gleichgültig, sich die Hände reichten.
"Mich freut, dass du gekommen bist," so begann ohne weitere Einleitung Bruno Brantwulf die Unterhaltung; "hab´ zwar an sich keinen Zweifel daran gehabt, wusst´ aber nicht, ob dir´s zu Haus leicht oder schwer gemacht wird, von dort wegzukommen."
"Kann gehn, wohin ich will."
"Passt niemand dir auf?"
"Vater lässt mir meinen Willen."
"Gut, wer immer seinen freien Willen hat und behält!" Der Junker sagte das mit so eigenartiger Betonung, dass Armgard ihm unwillkürlich in die Augen sah.
"Euch ist doch der frei´ Will´ stets gegeben," meinte sie mit einiger Verwunderung in der Stimme.
"Meint man leicht. Ist aber dem nicht immer so."
"Wer mag denn euch hindern, zu gehn und zu reiten, wohin ihr wollt?"
"Glaubt auch, dass mich niemand hindern könnt´. Hab´s aber erfahren, wie leicht einem der frei´ Will´ genommen werden kann."
Sie sah ihn fragend an.
"Ja, Armgard, hast dich sicher gross gewundert, dass ich mich erst jetzt wieder um dich kümmere, und hab´ doch schon beim Erntebier im vergangenen Jahr von meinem Wiederkommen gered´t und es in nahe Aussicht gestellt. Was hast du dir gedacht, als ich nicht wiederkam?"
Armgard zuckte die Achseln: "Hab´ denkt, bei den Männern ist Zusagen und Halten immer zweierlei. Hab´ denkt, was geht den Jäger die Ahnsbecker Bauerndirn an!"
"Dachte viel mehr an dich, als du selber ahnst; aber´s Kommen wurd´ mir verleid´t."
"Durch die Burschen, die damals beim Tanz über euch herfielen?"
"Ach nein!" begann Bruno Brantwulf schmunzelnd, "hab´ kaum wieder an sie gedacht. Sah nur einen Atemzug lang gefährlich aus, war aber nicht so schlimm. Muss man sich als alter Kriegsmann immer aus solcher Lage herauswinden können. Hinderte mich wer anders, nach Ahnsbeck zu kommen."
"Wer mag denn stark genug sein, euch zu hindern? Seid ihr doch so rasch mit den Waffen bei der Hand."
"Gibt noch mehr stark Gewappnete im Land. Und der Stärkst´ von allen ist der grimme Tod. Wär´ ihm bald in der Rachen gelaufen."
"Habt ihr Streit gehabt?"
"Streit? - Wohl! Den hatt´ ich schon oft im Leben und hat mir niemals geschad´t. War diesmal schlimmer. Wollt mich der starke Tod beim Kragen nehmen.!"
"Um Gott! Wollt man euch mit scharfen Waffen zu Leib´?"
"Auch! Doch deren erwehr´ ich mich. Zielt´ aber diesmal das scharfe Schwert ohn´ Gegenwehr nach meinem Hals."
"Wollt´ man euch töten?"
"Hast´s erraten. Es heisst zwar: Die Nürnberger hängen keinen, sie haben ihn denn. Doch die Verdener hatten mich. Wollten mich auch ungehangen nicht wieder loslassen."
"Erzählt doch, wie das kam. Ihr macht einen ja fast bange."
Er hörte ihre Anteilnahme nicht ungern, fing von seinem Rechtsstreit mit dem Verdener Bischof an zu erzählen, über den Kampf auf dem Geddinger Felde, über seinen Racheplan und die Schlauheit Eberhard von Holles. Als er dann von seiner Gefangennahme, seiner Verurteilung, seinem Gang zur Richtstätte und dem kühnen Reiterstück auf dem Verdener Burgberge in heiterem Ton sprach, lauschte sie atemlos seinen Worten. Dabei gab er seine bunten Erlebnisse ohne eigene Ruhmredigkeit zum besten, sprach vielmehr in einer Weise, wie etwa ein Junge von seinen Streichen, den ausgeführten und den misslungenen, berichtet.
Mit einem Seufzer der Erleichterung wandte Armgard ihre grossen Augen von Bruno Brantwulf, als dieser seinen Bericht beendet hatte. Ueber Recht und Unrecht in dem geschilderten Streit zu befinden,
war nicht ihre Sache. Das Lebendige hat immer recht, und da sie den Steenläger frisch und gesund vor sich sah, so neigte sich ihr Rechtsgefühl unwillkürlich dem vor ihr Stehenden zu. Was wider ihn aufgetreten war, nahm sie nur als blasse Schemen wahr, für die man kein besonderes Gefühl aufbringen konnte.
Armgard Salge hatte sich, soweit sie überhaupt zu klaren Entschlüssen gekommen war, von vornherein vorgenomen, dem Junker aus Steenlage nicht besonders entgegen zu kommen, ihm keine Annäherung zu erlauben und ihm nichts zu gestatten. So glaubte sie in ihrem jugendlichen Trotz stark genug zu sein, um auch dem etwa drängenden Bruno Brantwulf zu widerstehen.
Doch der soeben vernommene Bericht löschte viel von ihrem Widerstandswillen aus. Es war, als ob die Scheidewände, die sie in Gedanken zwischen sich und ihm aufgerichtet, niedriger würden und einen Teil ihrer Festigkeit verlören.
Als der Steenläger jedoch jetzt ihre Hand ergriff, mit ihr dann auf der weiten Heide zwischen Machandeln und Birken hin und herschritt, meldete sich wieder bei ihr der alte Trotz und Widerstandswille. Er sollte sie nicht ohne weiteres anfassen und zum Mitgehen zwingen wollen; tat sie es aus freien Stücken, so war es damit gut. Sie entriss ihm deshalb ihre Hand mit einem kräftigen ruck, vergrösserte auch den Zwischenraum zwischen ihm und ihr, und als er sie daraufhin verwundert anschaute, tat sie, als merke sie nichts von seinen verwunderten Blicken.
Seine Stellung als Junker ebnete ihm die Wege bei ihr nicht im mindesten. In Ahnsbeck wohnte auch ein Junker, von dem sie aber nicht allzuviel hielt. Es war ein alter Junggesell mit vielen Schrullen und Sonderbarkeiten, der kaum das ansehen der grösseren Bauern genoss.
Bruno Brantwulf erzählte ihr nun von seinem Leben, fragte sie nach ihrem Tun, soweit er es nicht schon kannte, und kam ihr unmerklich wieder näher. Als sich so ein frisches, unbefangenes Geplauder erhob, da dachte wohl der Junker, jetzt wäre ein neuer Angriff auf das trotzige Mädchen an der Zeit und möchte auch wohl von Erfolg begleitet sein.
Er umfasste sie plötzlich, riss sie an sich und drückte ihr einen etwas gewaltsamen Kuss auf die widerstrebenden Lippen. Doch das hätte er nicht tun sollen; der Angriff war zu unvorbereitet gekommen und rief alle Widerstandsgeister in dem stolzen Mädchen zur Tat auf.
Noch immer trug Armgard in ihrer Hand, verdeckt von den abgeschnittenen Blütenzweigen, das scharfe Messer, und ehe Bruno Brantwulf sich dessen versah, fuhr ihm das spitze Eisen in den Arm.
Er liess das Mädchen augenblicklich fahren, griff nach seinem verletzten Arm, machte zunächst ein verblüfftes Gesicht, rief dann jedoch lachend aus: "Was tust du? Willst du vollenden, was die Verdenschen nicht fertig gebracht?"
Sie sah ihn erst finster an, blickte dann etwas ratlos auf den sich von Blut rötenden Aermel ihres Begleiters und erwiderte ihm: "Habt es selber schuld! Warum lasst ihr mich nicht? Will nicht genommen sein wie eine Allerweltsdirn. Braucht auf mich keinen Ueberfall zu tun, wie auf die Verdenschen."
"Hab´ immer geglaubt, die Weibsleut wären da zum Verbinden der Löcher in der Haut. Hab´ mich doch wohl geirrt; stechen selber Ratsche hinein!"
"Kommt her!" sagte sie, zwar noch immer nicht ganz versöhnt; aber man vermochte doch zu erkennen, dass ihr dieser Ausgang auch nicht recht war; sie näherte sich ihm, ergriff mit fester Hand seinen Arm, streifte den Aermel des Mannes zurück, besah sich die Wunde, nahm dann ein weisses Tuch, das unter ihrem Brustlatz verborgen war, und verband kunstgerecht den nur unerheblich beschädigten Arm.
Der Junker rührte sich nicht dabei, machte auch keinen Versuch, sie noch einmal zu umfassen, obgleich sie Strauss und Messer auf den Boden gelegt, sondern sah nur mit behaglichem Schmunzeln dem Tun des helfenden Mädchens zu, das sich mühte, den nicht ganz gewollten Stich wieder ungeschehen zu machen.
Den Griff nach dem Messer nahm er dem Mädchen nicht weiter übel, sagte sich vielmehr als kriegserfahrener Mann, dass er ohne gehörige Vorbereitung aufs neue den Sturm auf die wohlverteidigte
Feste gewagt und nannte deshalb im geheimen sich selber einen Narren.
Oder war er ein Narr, weil er nicht verstand, diesen Widerstand sofoert und mit aller Rücksichtslosigkeit zu brechen und das feste Haus doch zu nehmen? Er fürchtete sich sonst weder vor Gott noch vor Menschen und verstand es gewöhnlich meisterhaft, mit Widerstrebenden, mochten sie nun dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht angehören, fertig zu werden. Und nun liess er sich von einem Mädchen das Mass vorschreiben, nach dem er sich zu richten habe, und dabei war es nicht einmal ein vornehmes Edelfräulein, das ihm Mass und Ziel setzte, sondern eine kräftige Bauerndirn.
In seinen Augen tat es allerdings dem Mädchen keinen Abbruch, dass sie bäuerlicher Herkunft war. Wenn er daheim auch manchmal den Bauernschreck darstellte - über Standesunterschiede setzte er sich, wo es ihm behagte, ohne auf seine hochstrebenden Standesgenossen zu hören, keck hinweg und nahm seine Freunde und Kumpane, wo er sie fand.
Nachdem das Mädchen seinen Arm wieder in Ordnung gebracht, kehrte bald der Friede zwischen den beiden Menschenkindern wieder ein. Sie schritten ruhig nebeneinander her, als sei kein Tropfen Blut geflossen. Der Mann richtete häufig genug seine Blicke auf das neben ihm schreitende Mädchen und erfreute sich an dessen aufrechter Haltung. Er nahm sich vor, nicht wieder gewaltsam gegen die Dirn vorzugehen, sie vielmehr auf andere Weise für sich zu gewinnen. Eine ruhige und freie Werbung wollte er beginnen. Das Armgard ihm einmal verfallen würde, glaubte er fest und sicher. Es war aber vielleicht besser, bei einem solchen Mädchen nichts zu übereilen.
Der Junker schüttelte, als er wider auf seinem Rappen sass, den Kopf und lachte über sich selber. Sein Verhältnis zu Armgard Salge stand doch in vollem Gegensatz zu seinem sonstigen Tun. Ob seine Handlungsweise moralisch oder nicht moralisch, ob sie mit hergebrachter Sitte übereinstimmte oder nicht, war ihm oft genug völlig gleichgültig gewesen. Ihm kam es meist nur darauf an, seinen Willen durchzusetzen und den sich ihm entgegenstellenden Widerstand zu brechen. Dass er hier einen Willen, der nicht
der seine war, achtete, erschien ihm selber neu. Warum liess er sich nur diesen Widerstand gefallen? Oder reizte ihn die Neuheit desselben? Obwohl ihm seine eigene Haltung sonderbar vorkam, war er doch nicht unzufrieden mit ihr. Vor sich hinsummend und pfeifend liess er sein Rösslein eifrigst fürbass traben.
Bruno Brantwulf kehrte wieder bei Sievert von Oppershausen ein, hatte es also nicht weit bis zu seinem Nachtquartier. Die Einladung zur Jagd für die folgenden Tage nahm er an, und so fand er an den nächsten Abenden Gelegenheit, das frische Mädchen in der Allerheide wieder zu treffen.
Es erschien so, als ob sie seinen Einladungen in die umbuschte Heide bedenkenlos folgte. Man traf sich jetzt in einem Wäldchen, das den Namen Wulfhörnsche führte. Allzuviel herausnehmen durfte sich jedoch der Jägersmann auch an diesen Abenden nicht. Er traf dann sofort auf heftigsten Widerstand, den er sich merkwürdigerweise aber immer wieder gefallen liess; er ärgerte sich nicht einmal darüber, während ihn sonst das geringste Hindernis in eine zornige Stimmung versetzte.
Ein Kuss in Ehren wurde ihm zwar gestattet, und als er nach einigen Abenden auf lange Zeit von Armgard Abschied nahm, durfte er sie auch fest in seine Arme schliessen; doch dann entzog sie sich ihm sogleich wieder.
Dass sie einander für längere Zeit nicht zu Gesicht bekommen würden, wussten beide. Bruno Brantwulf hatte nämlich Armgard Salge erzählt, dass er eine grössere Reise nach Kurland antreten müsse. Dort sollte er nämlich eine wertvolle Erbschaft in Empfang nehmen, die einem entfernten Verwandten gehört hatte und die dieser ihm zugedacht. Niemand wusste, wie lange der Aufenthalt im Ostlande dauern würde. Einige Monate mochten zum mindesten vergehen, bis man einander wieder in die Augen schauen durfte. Die weite und beschwerliche Reise schlug der Junker nicht allzuhoch an.
Es würde schon die Zeit kommen, so sagte sich der Steenläger auf dem Heimritt, da die trutzige Feste in Ahnsbeck sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben müsse, ohne jegliche Gewaltanwendung von seiner Seite, die der streitbare Junker ausgeschaltet wissen wollte.
Wieder hatte sich das Jahr gewendet. Der strenge Winter war gewichen vor dem warmen Atem des Frühlings, und die Lerchen stiegen wieder hinauf in den klarblauen Himmel.
Armgard Salge sah allerdings im Augenblick nichts von diesen Herrlichkeiten der Natur draussen, da sie am offenen Herdfeuer im Flett hantierte, spürte aber desto mehr das Rumoren des Säftebringers im Blute.
Da öffnete sich die Blangentür am Flett, und eine Umträgersche trat herein. Sie hatte eine mächtige Kiepe auf dem Rücken und in dieser vielerlei Sachen, die wohl das Herz einer jungen Dirn konnten höher schlagen lassen.
Unter vielem Gestöhn setzte die Hausiererin ihre Kiepe auf den Eichentisch nieder, hockte sich daneben auf einen Holzschemel, wischte den Schweiss aus ihrem zerknitterten Gesicht, holte tief Atem und begann dann ihre Rede.
Sonderbar, dass sie nicht erst ihre Tücher, Bänder, Litzen, Schmucksachen und all die tausend Dinge aus ihrem schier unergründlich scheinenden Korbe ausbreitete und zum Kaufen aufforderte, vielmehr erst zu sprechen anhub.
Von unbeständigem Wetter, von den beinahe grundlosen Wegen und von Menschen, denen man nicht trauen dürfe, wolle man nicht übers Ohr gehauen werden, begann sie zu reden, wobei sie aber die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Hörerin vermisste. Diese setzte ohne Bedenken ihre Tätigkeit am hellflackernden Feuer des Herdes fort und antwortete entweder gar nicht oder doch nur einsilbig.
"Dich will ich schon zum Aufmerken bringen!" sagte sich im stillen die Hausiererin, stand plötzlich auf, schnallte das Regentuch von ihrer Kiepe, griff hinein in die Vorräte und warf, wie zufällig, ein feines Tuch aus gelber Seide auf den Tisch.
"Was sagst dazu? - Schau her!" fuhr die Umträgersche Armgard Salge an.
Diese warf kaum einen Blick auf das schmucke Tuch und antwortete dann gleichmütig: "Was soll´s? Darf´s ja doch nicht
tragen."
"Warum denn nicht?"
"Hat der Herr Herzog in Celle erst vor ein paar Jahren streng verboten für unsereins. Dürfen nur die fürnehmen Frauen am Hof in der Stadt und die stolz daherschreitenden von den Gewandschneidern tragen."
"Wenn´s dir aber geschenkt wird vom fürnehmen Herrn, darfst das auch schon über die Schulter schlagen."
"Haha, hat sich was mit fürnehmen Herrn! Welcher würd´ mir schon ein seiden Tuch schenken? Würd´s auch nicht nehmen können. Kenn´ niemanden von den reichen Herrn im hohen Schloss zu Celle."
"Nun seh´ einer die Dirn an! Gibt auch sonst noch fürnehme Herrn als nur im Schloss zu Celle."
"Kenn´ auch andernorts keinen fürnehmen Herrn, der mir wollt´ ein seiden Tuch schenken."
Das Weib schlug die Hände zusammen und lachte: "Hat keine fürnehme Bekanntschaft, sagt sie, und soll ihr doch´s feine Tuch vom grossmächtigen Herrn bringen."
"Willst meiner spotten, dann geh´ ´naus! Steck´s Tuch ein! Kann´s nicht zahlen und will´s auch nicht." Zorn stieg in dem schlanken Mädchen hoch.
Das Handelsweib ging jedoch nicht, sondern fuhr begütigend fort: "Brauchst nicht so wild zu tun! Ist doch wahr, was ich sagt! Sollst das Tuch gar nicht zahlen; sollst die Seide als Angebind´ nehmen von einem stolzen Herrn, wohnt weit von hier, in Steenlage."
"In Steenlage?"
"Jetzt endlich wirst hellhörig. Ja, sollst das Tuch haben vom gnädigen Herrn Brantwulf auf Steenlage."
"Von Bruno Brantwulf auf Steenlage?" Armgard liess von ihrem hellen Herdfeuer und wandte ihr Gesicht der Umträgerschen zu.
"Jaja, vom Bruno Brantwulf. Schickt dir dieses Tuch;" sie kramte wieder in ihrer Kiepe, "und diesen Gürtel und diese goldige Bernsteinkette." Sie legte beides zu dem Seidentuch auf den Tisch.
"Du lügst. Der Herr Bruno Brantwulf ist gar nicht in Steenlage, ist vielmehr nach dem fernen Ostland gereist."
"Ei, sieh da, wie fein die Dirn Bescheid weiss. Ist schon wahr. Der Herr hielt sich auch im fernen Ostland auf, woselbst er diese prächtige Bernsteinkette erstanden fürs Dirnlein. Kam nun aber der Herr vor wenig Tagen heim, hat von mir Tüchlein und Gürtel gekauft und mir aufgetragen, dir das alles sogleich zu bringen. und da bin ich nun und will´s dem feinen Dirnlein geben und bekomm´ nur unfreundliche Wort´ an den Kopf geworfen von Lug und Trug."
"Ist auch nicht wahr, was du sagst. Willst mich nur eitel und begehrlich machen und soll dir dein Sach´ dann abkaufen. Hast aber lang was dran."
"Ach, Dirn, red´ mir doch deshalb nicht die Zung´ aus dem Hals. Hab´ schon längst mein Geld vom gnädigen Herrn und den Botenlohn dazu. Freigebig sind sonst die Brantwulfs nicht. Gönnen so leicht keinem Menschen was."
"Und mir gönnt er diese feinen Sachen. Warum denn bloss? Möcht´ wissen, warum denn bloss?"
Die Umträgersche lachte: "Dumme Frag´ das. Warum schenkt denn ein junges Mannsbild einer jungen Dirn was, wenn sie nicht übel aussieht? Will sich bei der Dirn schon seinen Lohn holen." Sie liess prüfend ihre Blicke über die ebenmässige Gestalt des Mädchens huschen.
"Kann bei mir einer lang drauf warten! Will niemandem nichts schuldig sein! Pack dein Sach nur wieder ein in deine Kiepe und trag sie nach Steenlage zurück!"
"Gib dein Gesperre und dein Gequarre auf! Geh heran, und schau dir die Sach´ an! Gefällt dir ein andres Stück besser, kannst dir´s auch schon nehmen. Hab´ das dem Junker treulich versprechen müssen. Will mir den Hals umdrehn, wenn ich nicht alles wohl ausricht´. Hat mir das mit lästerlichem Fluchen noch nachgeschrien!"
"Was für ein Red´! Wie will er dir denn den Hals umdrehn, wenn du dich nicht wieder bei ihm sehn lässt?"
"Würd´ mich dann schon finden. Reit´ häufig genug aus dem Busch herfür, wenn man ihn weit weg glaubt, und erschreckt einen fast zu Tode. Hätt´ keine ruhige Stund´ mehr unterwegs, wenn du nicht alles nimmst, wie er´s befahl. Soll mir nicht gehn wie der Umträgerschen aus Walsrode, der Schlüseschen; hat der Steenläger mir nichts dir nichts an einer Wiechel aufgeknüpft, weil er meint´, sie hab´ ein´ Sach´ selber behalten. War zwar dem Bruno Brantwulf sein Vater, der das arme Mensch im Winde baumeln liess.
"Ist der Bruno Brantwulf denn auch so?"
"Weiss es nicht. Hab´ zwar noch nichts davon gehört, will aber nicht deinetwegen meinen Hals riskieren."
Armgard sah jetzt ein, dass das Handelsweib die Wahrheit sprach. Sie müsste aber auch kein Weib gewesen sein, wenn ihr die auf dem Tisch ausgebreiteten Schmuckstücke nicht doch am Ende in die Augen gestochen hätten.
Langsam trat sie an den Tisch heran, befühlte das seidene Tuch, nahm den gestickten Gürtel in die Hand und liess die leuchtende Bernsteinkette durch die Finger gleiten.
"Hast alles genugsam angeschaut, dann komm her!" kommandierte die Umträgersche.
Damit nahm das Weib die blinkende Bernsteinkette dem Mädchen aus der Hand, öffnete das Schloss und schlang den Schmuck der Dirn um den Hals, legte ihr auch den Gürtel an, faltete dann kunstgerecht das Tuch und legte es Armgard über Schulter und Brust.
"Ei ei! Welch feine Dirn! Fast so schmuck wie eine Braut! Wenn dich der junge Herr jetzt so würd´ sehn, wär´s um ihn geschehn."
"Red´ nicht solch dummes Zeug! Will nichts davon hören!"
"Aber schmuck siehst aus, wenn´s auch noch so bärbeissig aus deinem Mund kommt. Willst das nicht mehr tragen, dann leg´s in deine Truh´. Wird schon der Tag kommen, da du´s wieder herfürsuchst. Ein Band würd´ dir auch noch gut stehen. Soll ich dir eins verkaufen?"
Ohne auf die Frage zu achten, schlug Armgard heraus: "Dies will er mir schenken? Weiss aber noch immer nicht, was er dafür von mir erwart´. Geb´s ihm wieder zurück, wenn er nach Ahnsbeck
kommt."
"Gut, dass du mich drauf bringst! Der Herr von Steenlage hat mir auch noch eine Botschaft für dich aufgetragen."
"Wie heisst denn die Botschaft?"
"Mitbringen soll ich dich, wenn ich zurück komm´."
"Mitbringen? Mich? - Wohin denn? - Zu wem?"
"Närrin! Zum Herrn Bruno Brantwulf in Steenlage."
"Und dafür sollst du mir die Sachen geben? Hier nimm sie wieder mit!"
Ungestüm riss Armgard das Tuch ab, öffnete den Gürtel, gebrauchte jedoch längere Zeit, bis sie die Kette losgenestelt hatte.
"Pack alles wieder in deine Kiepe!"
"Dumme Dirn, dein´ Sach´ behälst doch! Darf nichts wieder mitbringen. Will doch nicht in einer Wiechel baumeln oder in einem Wassergraben elendiglich versaufen."
"Aber ich soll doch mitkommen, und das will ich nun einmal nicht."
"Gewiss, ich soll dich mitbringen, aber nicht mit Gewalt. Auch nicht für den Zierrat dort. Nur mit freiem Willen. So hat mir´s der Junker aufgetragen."
"Und soll wie ein Taternweib auf der Landstrasse dahergehn?"
"Sind viel achtbare Leut´ auf der Landstrass´. Glaubst gar nicht, was man dort alles trifft! Gehört unsereins doch auch dazu!" Der rasche Einwurf Armgards schien sie ernstlich gekränkt zu haben.
"Nun, sollt´ dir der Vorwurf nicht gelten. Will auch nichts dagegen sagen. Ist ja dein Gewerb´ und Hantierung. Doch nicht jeder passt auf die Gassen und Strassen. Würd´ mich ganz unglücklich drauf fühlen. Nichts für ungut; aber ich bleib´ hier."
"Muss jeder selber wissen, was er tut. Wollt´ nur mein Gewerb´ ausrichten, wie mir aufgetragen. Soll nicht einmal in dich dringen und dich überreden. Hat mir der Brantwulf nur gesagt: Würd´ sich freun, wenn du auf Steenlage einkehrst. Sein Haushälterin würd´ dort schon für dich sorgen. Sollst dich auf der Strassen nur auf ihn berufen, würd´ dir dann kein Mensch ein
Haar krümmen."
"Fürcht´ man ihn denn so sehr?"
"Kannst du glauben. Kommt aber wohl noch von seinem verstorbenen Vater her. War mit dem nicht gut Kirschen essen. Wünscht´ niemand mit den Brantwulfs in unfrieden zu kommen. War vielmehr jeder von Herzen froh, wenn ihn die Brantwulfs in Frieden liessen. Könnt dir Geschichten berichten, Geschichten, dass dir der kalte Schauder über den Rücken läuft."
"Woher hast denn deine Geschichten?"
"Hab´ sie in Steenlage gehört, in Walsrode, in Visselhövede und vielen Dörfern landauf und landab."
"Sind sie denn wahr oder erlogen?"
"Wahr, richtig wahr! Das heisst: möcht doch nicht mein´ Hand dafür ins Feuer legen, dass all die Geschichten sich wirklich so zugetragen."
"Dann bleib´ mir mit deinen Geschichten vom Leib."
"Aber was der Herr Bruno Brantwulf im vorigen Jahr erlebt hat, ist ganz gewiss wahr und nichts dazu gelogen."
"Welche Geschichte meinst denn?"
"Nun die vom Ueberfall in der "Düstern Heide" und wie er dabei Kopf und Kragen riskiert hat und es ihm in Verden beinah den Hals gekostet."
"Die Geschicht´ kenn ich." Armgard besann sich plötzlich; es ging ihr ein Gedanke eigener Art durch den Kopf: "doch erzähl´; ich mag wohl nicht alles genau gehört haben. Dir bring´ ich derweil ein wenig zu essen."
Eine solch günstige Gelegenheit, ihre Weisheit auszukramen, liess die redselige Frau sich nicht entgehn. Vor sich hatte sie eine Zuhörerin, für die sie ihren langen Erzählfaden abhaspeln konnte, und für den hungrigen Magen gab es auch noch einen Schmaus.
Sie legte also los und erzählte haarklein, was wir schon wissen, gab zwar noch manche Zusätze aus Eigenem; doch veränderte sie damit Inhalt und Farbe der Erzählung kaum merklich.
Armgard hatte hören wollen, ob die Bevölkerung bei Steenlage herum sich das Geschehen wohl anders zurecht legte, als es ihr von Bruno Brantwulf selber dargeboten war. Doch die Unterschiede erschienen so gering, dass man sie füglich auf die recht unterschiedlichen Erzähler schieben konnte. Für Armgard selber war dies ein Zeugnis für die Zuverlässigkeit und Wahrheitsliebe Bruno Brantwulfs.
Während die Umträgersche noch weitläufig und mit Behagen an ihren Berichten ihr Garn spann, tischte Armgard dem hungrigen Weibe auf. Es wurde eine zinnerne Schüssel mit Puttstroh der Hausiererin vorgesetzt. Sie kannte dieses Gericht, das in vielen Gegenden der Heide beinahe als Nationalgericht anzusprechen war. Es bestand aus dickgekochter Buchweizengrütze; in die Mitte des dicken Breies hatte man eine Delle gedrückt, und diese wurde mit geschmolzener Butter ausgefüllt. Die Frau tunkte nun die nahrhafte, süsse Grütze in die ausgelassene Butter und liess sie sich trefflich munden.
Aber auch während des Essens stand der Hausiererin Mundwerk, einem der neuen Uhrwerke gleichend, kaum einen Augenblick still. Sie sprach noch des Langen und Breiten über die Taten Bruno Brantwulfs, meinte aber am Ende, gegenüber seinem Vater sei der Junker noch der unschuldigste Waisenknabe.
Ob der denn soviel Schlimmes verübt habe.
"Kann ich dir sagen, mein Dirn. Will dir von ihm nur ein´ Untat erzählen, die er aber nicht zu Ende gebracht hat."
"Vergiss darüber dein Essen nicht!"
"Iwo, werd´ ich schon nicht. Solch gutes Puttstroh! Verstehst dein Tun
am Herd. Hab´s lang nicht so gern gegessen. Nun aber hör zu!
Der alte Brantwulf - Gott hab´ ihn selig, kann man bei dem nicht
sagen; viel eher schon: der Teufel hat ihn geholt - also der alte
Brantwulf hatt´ einen Diener. Franz nannte er ihn; ich hab´ ihn noch
recht gut gekannt, als er in Steenlage war.
Na, der Franz - Gott ja, den Besten konnt´ man ihn auch nicht nennen -
aber wie sollt´ er auch - bei solchem Herrn? Hatt´
aber wohl schon von Haus her allerlei dumme Grappen im Kopf
mitbekommen.
Der Franz war ständig bei dem alten, bösen Brantwulf und half ihm bei
allen Schlichen und Schlechtigkeiten damit durch. War bei jedem
Räuberzuge mit dabei.
Wenn der Diener aus Geheiss seines bösen Herrn eine ganz sonderliche
Schlimmheit ausgeheckt, verhiess ihm der alte Brantwulf jedesmal eine
hohe Belohnung. Zum Auszahlen des bedungenen Lohns kam´s aber meistens
nicht. Der Herr sagt´ dem Franz zu, später bekäm dieser alles auf
Schilling und Pfennig ausgezahlt, und der Diener war´s
zufrieden. Nicht einmal den vollen jährlichen Lohn liess er sich
geben. Wollt´ dann am End´ alles Geld auf einen Haufen haben.
Mit der Zeit war der Franz, der jeden Schurkenstreich seines Herrn
genau kannte, dem bösen Brantwulf doch zu dreist geworden. Er
gebraucht´ manch eine Redensart, die dem Herrn nicht passte, und mit
der Zeit wurde es kalt zwischen den beiden, wie denn aus lauter
Uebeltaten kein recht fester Kitt zu gewinnen ist. Da sahn sie denn
ein, ´s wär´ besser, ihre Wege gingen auseinander.
Der Diener trat vor den Brantwulf hin, kündigte dem die Stellung auf
und forderte den Lohn, der ihm von rechts wegen zustand. Dass der
Franz von ihm gehn wollte, war dem Herrn schon recht, nicht aber, dass
er dem soviel Geld mitgeben sollt´. Der böse Brantwulf selber war
nämlich ein gar arger Geizhals.
Er sann und sann, wie er den Franz um die sauer verdienten Gulden und
Schillinge bringen könnt´, und hatt´ sich am Ende einen Plan zurecht
gemacht.
Der böse Brantwulf holt´ seinen Diener herein und sagt´ zu ihm: in
einigen Tagen ginge er - der Franz nämlich - doch fort, und da wolle
er ihm schon heut´ die grössere Hälfte seines Lohns geben; die
kleinere Hälft´ könne er ihm bei seinem Weggang auszahlen.
Der Diener tat erfreut darüber, war auch mit der Höhe des Lohns
zufrieden und glaubt´ nun schon, er würd´ ungeschoren und ungerupft
aus Steenlage herauskommen.
Aber der Pferdefuss kam hinterher. als der Diener sich hinausbegeben
wollt´, rief ihm sein Herr noch nach: Wollen heut´ noch
einmal auf die Jagd reiten; kann sein, es kommt einem ein Fuchs oder
ein Wolf vors Gewehr. Aber halt, viel wird´s nicht sein, was man
antrifft. Lad´ nur mein Büchs´; kannst deine erst einmal ungeladen
mitnehmen.
Gut, der Diener ging also ab, holt´ die Büchsen und wollt´ sie
zubereiten für die Jagd.
Ist doch sonderbar, sagt´ er da bei sich, musst´ sonst stets beide
Gewehre zum Schiessen bereit machen. Der Herr nahm dann oft meins,
wenn er aus seinem die Kugel hinausgejagt und nicht warten wollt´, bis
ich ´s wieder lud.
Hm, was tun? Hat der Herr auch eine Teufelei im Sinn? Seine Büchs´
soll ich laden und meine nicht? Wenn ich´s nun umgekehrt macht´ und
nachher mit der Ausred´ käm, ich hätt´ die Büchsen beim Zureichen
verwechselt?
Gedacht, getan! In die eine Büchs´ lud der Franz Kraut und Lot, in des
Herrn Gewehr schüttet er nur Pulver hinein und setzt´ einen
Papierpfropf davor.
So, sagt´ sich der Franz, nun kann kein Unheil passieren. Ja, bei
einem solchen Herrn wird man mit der Zeit doch schon misstrauisch.
Die beiden, der Franz und sein Herr, ritten durch den Sunder. Für
gewöhnlich zottelte der Diener hinter seinem Herrn her, nur wenn´s
eine Bosheit auszutifteln gab, neben ihm, um gleich alle Schliche zu
besprechen. Diesmal jedoch sollt´ der Diener vor dem bösen Brantwulf
herreiten; er käm´ gleich nach, sagt´ der Herr.
Ist doch gut, dacht´ der Franz, dass ich Vorsicht gebraucht hab´. Soll
mich wundern, wie dieser Ritt ausgeht.
Er braucht´ sich nicht lang´ zu wundern. Als sie durch einen Windbruch
ritten - der Knecht voran und der Herr hinten nach - hört´ auf einmal
der Franz einen dumpfen Knall. Er blickt´ sich rasch um und sah das
rauchende Feuerrohr des bösen Brantwulf auf sich gerichtet. Da aber
die Kugel im Lauf gefehlt, so war der Schuss für die Katz´.
Der Diener riss sofort sein´ eigen Büchs´ hoch und legt´ sie auf den
Herrn an. Doch das muss man dem Brantwulf lassen, gefürcht´ hat er
sich niemals; mit dem leibhaftigen Satan hätt´ er´s aufgenommen.
Als er so das Feuerrohr des Knechts auf sich gerichtet sieht, hält er
nicht um gut Wetter an; vielmehr flucht und schimpfieret er und ruft
dem Franz mit zorniger Stimm´ zu: Lass die Narrenpossen sein, und
scher´ dich zum Teufel! Komm mir nicht wieder unter die Augen, sonst
reisst dir ´ne blaue Bohn´ ein Loch ins Fell. Damit macht´ der
Brantwulf kehrt, ohne weiter auf den Knecht und dessen schussfertige
Büchs´ zu achten.
Der Franz liess sein Rohr sinken und dacht´ bei sich: Verdient hatt´s
der böse Junker schon, dass er ins Gras beissen müsst´; aber sollt´
man ihn hinstrecken auf die grüne Erd´? Ist doch am End´ der
Herr. Find´t man ihn tot, wird man doch gleich wissen, ich hab´s
getan. Wird man mir dann glauben, dass der Herr zuerst auf mich
angelegt? Nein, die grossen Schelme lässt man laufen, und die kleinen
hängt man. Lieber, als mit des Seilers Tochter Hochzeit zu machen,
reit´ ich schon davon. Den meisten Lohn hab´ ich in meiner Geldkatz
bei mir, und den hat er mir nicht abgejagt, wie er´s gern getan. Will
sehn, ob ich ihm den fehlenden noch durch einen anderen Menschen
abzwack´. Will aber lieber mit heiler Haut dastehn, als mit dem
verwünschten kleinen Loch darin, aus dem´s dann rot heraustrieft.
Damit macht´ sich der Diener auf den Weg und reit´ davon. Weiss nicht,
ob er´s Geld noch erwischt hat, glaub´s aber kaum.
Ja, so war der Alt´, der jetzt längst tot ist."
"Um Gottes willen, ist dein´ Geschicht´ wirklich war?"
"Jenun, glaub´s schon. Die Köchin auf Steenlage hat mir´s erzählt. Ob die´s vom Franz hat, weiss ich nicht, wird aber wohl nicht anders sein."
"Ist doch ständig viel dazu gelogen, wenn´s von einem Mund zum andern geht. Kann ja heut´auch einerlei sein; der Alt´ ist längst mit Tod abgegangen und tut niemandem mehr weh." setzte die Alte dann noch hinzu, gleichsam, um die Wirkung ihres Berichts abzuschwächen.
"Aber sein Sohn lebt doch!"
"Achso, darauf willst hinaus. Kann dir jedoch zum Trost sagen; solche Bosheiten hat niemand von ihm erfahren, sind ihm auch kaum eigen."
"Wenn er doch diesen Vater gehabt?"
"Ist aber auch ein´ Mutter dagewesen, ist früh gestorben, hab´ sie nicht mehr gekannt, soll aber engelgut gewesen sein. Solche Menschen nimmt der Herrgott dann immer bald zu sich."
"Meinst, dass der Bruno Brantwulf mehr nach der Mutter schlägt?"
"Dirn, will dir einige Wort´ sagen. Schlechtigkeiten stecken in jeder Menschenseel´. Ob sie aber an den Tag kommen, oder ob sie untergetaucht werden, das macht den Unterschied. Bei dem bösen Brantwulf wird in der Jugend etwas verabsäumt sein, sonst hätt´ man ihm die bösen Gelüst´ aus dem Kopf geprügelt. Ist nicht einmal so leicht, ein richtiger Bösewicht zu werden. Gehören schon immer mehr Leut´ dazu, um die Welt mit einem solchen zu beglücken. Stecken immer auch viel gute Trieb´ im Menschen von den Voreltern her, dürfen nur nicht unterdrückt werden."
"So, meinst du, der böse Brantwulf hab´ von Natur nicht notwendig bös´ zu werden brauchen?"
"Was heisst schon bös´? Hat ihm niemand genug des Guten gezeigt, und wenn dann schon ein wilder Sinn da ist als Erbteil, und der nicht gebändigt wird, geht´s eben mit dem Menschen durch."
"Kannst recht erbaulich über die Menschen reden. Meinst also nicht, dass man vom Bruno Brantwulf etwas zu befürchten hätt´?"
Die Alte wiegte den Kopf hin und her: "Will das nun auch gerad´ nicht sagen. Ein wilder Sinn steckt auch in ihm. Hab´ aber noch nichts schandbar Schlechtes von dem Mann gehört. Gutes und Böses wohnen aber immer dicht beieinander. Kommt er nicht in böse Gesellschaft, mag sein guter Kern wohl die Ueberhand behalten."
"Und die Geschicht´ mit den Verdenschen?"
"Kann einer noch so recht nirgends hinrechnen. Weisst, mein Dirn, die Männer sind nun doch ein wildes Geschlecht. Gruselt einem oft vor ihnen. Man muss sie eben so nehmen, wie sie geschaffen sind. Muss unser Herrgott so gewollt haben, dass er sie so gemacht hat."
"Meinst, sind alle nicht besser?"
"Ach, Dirn, frag nicht soviel! Wirst schon noch wahrnehmen,
wie ´s Mannsvolk ist. Werden die Weiber ja doch nun nicht ohn´ sie fertig. Und du auch nicht. Bei deinem Gesicht schon gar nicht. Muss eben doch jede ihr Schicksal auf sich nehmen. Hilft ihr niemand davon."
Die Hausiererin stand auf.
"Muss weiter. Dank für die gute Speis´! Willst mir noch ein Band abkaufen?"
Ohne lange auszusuchen, wählte Armgard rasch ein farbiges Band, bezahlte es der Frau und ging, als diese wortreichen Abschied genommen, mit den zierlichen neuerworbenen Schätzen, die sie eigentlich ohne ihren Willen dabehalten hatte, an ihre Truhe und legte das Neuerworbene gedankenvoll hinein.
Mit sich selber aber konnte sie lange Zeit des Gehörten wegen nichts ins Reine kommen. War die Welt wirklich so toll, wie ihr eben gesagt?
Die Gedanken liessen sie nicht zur Ruhe kommen und verfolgten sie selbst in der Nacht. Es kam vor, dass sie aufwachte, von schreckhaften Traumbildern gepeinigt.
Nicht lange nach dem Besuch der Umträgerschen, der Armgard Salge soviel Kopfzerbrechen hinterliess, kam wieder eine alte Frau ins Haus. Auch diese hatte sich eine Zeit ausgesucht, in der die Mannsleute draussen in Feld und Flur ihre ihre Arbeit verrichteten, wollte also wohl der Haustochter allein ans Wort.
Es war Metke, die Hirtin von Ahnsbeck, der Armgard von Ansehen gut bekannt. Doch hatte das Mädchen niemals den Umgang der Frau gesucht, war ihr vielmehr schon als Kind weit aus dem Wege gegangen.
Die Hirtin stand nämlich nicht in gutem Ruf. Man sagte ihr allerlei Hexenwerk nach und wunderte sich oftmals, dass sie nicht auch bei St. Georg vor Celle in Rauch aufgegangen war.
Doch fürchtete man auch wieder die Alte, von der man sich zuraunte, sie habe den bösen Blick, und deshalb hütete man sich wohlweislich, ihr offen ein böses Werk nachzusagen. Es könnte einem selbst und dem Vieh, das man besass, recht übel bekommen. Im geheimen wusste man allerdings genugsam von ihren Taten auszukramen.
Dass sie und ihr Mann, den man übrigens nur als ein gutmütiges Schaf bezeichnete, das Hirtenamt über die Rindviehherde von ahnsbeck trotz allem Geflüster behielt, lag an ihren glücklichen Viehkuren. Man musste schon zugeben, von der diesen Hirten anvertrauten Vieherde wurde selten ein Stück krank, und kam´s wirklich einmal dazu, dann wusste die Metke soviel Kräuter, Tränklein und Sprüche, dass die Krankheit ob solchen Angriffs erschreckt eiligst von dannen stob.
Man wusste also die wertvolle Viehherde bei Metke in guter Obhut, und das sprach so zu ihren Gunsten, dass man ob ihres übrigen sonderbaren Tuns nicht nur das eine der Augen, sondern oft beide zudrückte. So kam es denn, dass bisher über die Hirtin noch nichts sie schwer Belastendes an die Herren des hohen Gerichts in Celle gelangt war. Wie lange dies aber noch gut ging - wer mochte das wissen!
Diese Frau also war es, die eines Vormittags zu Armgard Salge
ins Flett trat, ihr einen guten Morgen wünschte, dann aber ohne weitere Worte die rotumränderten Augen unstet umherschweifen liess.
"Was will denn nur dieses Weib?" fragte sich Armgard ganz im stillen.
Sie brauchte jedoch nicht lange zu warten, bis die Hirtin mit ihrem anliegen herauskam. Einige Umschweife gebrauchte sie zwar auch, da es als unhöflich und unfein galt, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nach einigen Redensarten über Wetter und Vieh steuerte sie glatt auf ihr Ziel los.
Sie, die Armgard nämlich, tanze doch gern, wie man´s beim Erntebier, am Fastelabend und bei Hochzeitfeierlichkeiten wahrnehmen könne.
Ja, wenn die Gelegenheit sich böte und ordentliche junge Leute zusammenkämen - warum nicht.
Nun, dann möchte sie am Abend mitkommen zum Schmarloh; dort würde getanzt; es wären auch feine Kavaliere da, mit denen man sich schon vergnügen könne.
Welcher Art Kavaliere sich denn in dem einsamen Flagg blicken liessen.
Oh, ansehnliche Herren - sie möchten wohl vom Hof in Celle sein, auch sonstige Junker und Standesherren; doch wollte sie nicht mit der Sprache heraus, wenn man sie nach Namen und Behausung fragte.
Es schiene ihr doch absonderlich, meinte daraufhin Armgard, wenn die Herren nicht einmal Namen und Herkunft kund geben wollten. Man müsse doch von jedem Christenmenschen, der nichts Böses im Schilde führe, erwarten, dass er nicht damit hinterm Berge halte, wie er gerufen werde, und wes Standes er sei.
Böses im Schilde? Nein, die Herren sähen gut aus und liessen es sich und anderen wohl sein; aber je vornehmenr, desto geheimer täten solche Männer.
Welche Frauen und Mädchen sich denn bereit fänden, mit diesen namenlosen Männern zu tanzen.
Oh, die Annecke Meches und die Margarete Kruwels wären stets dabei und noch andere mehr.
Ob man sich denn recht häufig zusammenfände.
In der jetzigen Jahreszeit sei man schon einigemal beieinander gewesen. Jedoch seien letzlich immer mehr Tänzer als Tänzerinnen dabei gewesen, und darum habe man ihr, als der Anstifterin der abendlichen Zusammenkünfte, zu verstehen gegeben, sie möge noch einige Jungfrauen zum Reigen mitbringen.
Mit Tänzern, die nicht ihren Namen nennen wollten und ihre Herkunft geheim hielten, wolle sie nichts zu tun haben.
Nun ja, sie nennten sich zwar gegenseitig mit Namen, wie Lukefatz und Jasper und Kaspar; jedoch glaube sie nicht, dass die Herren sich zu Hause auch so rufen liessen.
Wie die Kavaliere denn eigentlich aussähen.
Metke beschrieb einzelne der Teilnehmer an den abendlichen oder nächtlichen Zusammenkünften.
Armgard hörte aufmerksam zu; sie lauschte, ob wohl eine der Beschreibungen auf Bruno Brantwulf passe. Aber nein, es schien nicht so. Das war ihr lieb. Sie selber wollte sich auch von diesen Tanzereien fern halten und steckte deshalb zu den einladenden Worten der Hirtin ein abweisendes Gesicht auf.
Oh, der Tanz könne einer frischen jungen Dirn schon gefallen. Man tanze unter einer breiten Eiche auf grünem Anger. Der Baum würde beim Reigen mit rotem Garn umwunden; das mache sich gut am abend, und von den Männern könne sie nur berichten, dass sie die Freundlichkeit selber wären.
Aber Armgard wollte nicht. In Schmarloh ging noch der alte Schäfer Jasper um, der habe einen Bandmacher totgeschlagen und ihn beraubt; dafür müsse er nun bis in alle Ewigkeit mit der Karre die Leiche des Ermordeten von einem Ort zum andern schieben und fände doch immer noch nicht die richtige Grabstätte. Es könnt´ schon sein, dass dieser Schäfer und ähnliche Tote die Tänzer wären, die wiedergingen und sich an dem Blute der Lebenden vergreifen wollten, damit sie selber einmal Ruh´ im Grabe hätten. Wer wisse, was im verrufenen Schmarloh alles zusammenströme! Nein, sie ginge nicht mit.
Was sie sich wohl einbildete, meinte daraufhin die Hirtin, die Herren wären quicklebendig und gäben solche Spässe an, dass
man sicher sei, sie wären keine Wiedergänger, die nach dem Blute der Lebenden trachteten.
Doch Metke halfen ihre Ueberredungskünste nichts. Armgard schlug es rundweg ab, der Einladung zu folgen. Der Weg wär´ ihr zu weit; sie müsse erst durch das ganze Dorf, dann übers Osterfeld und dann, wer weiss, wie weit, in den Schmarloh hineingehen. Dazu sei sie am Abend zu müde. Sie ginge lieber rechtzeitig ins Bett und schlafe.
Oder träfe einen Jäger in der Allerheide - kicherte die Alte.
Armgard wurde zornig. Niemand habe sie in der Allerheide gesehen, und am Ende sei sie alt genug, um ohne Aufpasserin einen Weg zu machen.
Die Hirtin merkte, dass sie mit ihrem Einwurf bei Armgard ins Fettnäpfchen getreten war. Sie bot all ihre Mundfertigkeit auf, um Armgard anderen Sinnes zu machen.
Doch Armgard meinte schliesslich, die ganze Tanzerei am Abend oder in der Nacht, noch dazu im unheimlichen Schmarloh, käme ihr so spukig vor, dass sie nichts damit zu tun haben wolle. Was andere trieben, ginge sie nichts an; sie lasse sich auch von anderen nicht vorschreiben, was sie tun solle. Damit basta! Vom Schmarloh wolle sie ein für allemal nichts mehr wissen.
Metke zog, böse Worte vor sich hinmurmelnd, unverrichteter Sache ab.
Armgard musste noch lange über diese sonderbare Einladung nachdenken. Es kam ihr alles, was die Hirtin ihr erzählt, so schemenhaft und unwirklich vor. Sollte nicht die ganze Tanzerei nur in der ausschweifenden Einbildung Metkes vor sich gehen? Es wollte ihr immer weniger einleuchten, dass etwas Wirkliches hinter den gehörten Worten stecke. Was mochten dann aber die rätselhaften Reden der sonderbaren Hirtin bedeuten? Sie wurde nicht klug daraus.
Es zeigte sich indes bald, dass es ein Glück für Armgard bedeutete, sich nicht mit der hexenhaften Metke in irgendeiner Weise eingelassen zu haben.
Wieder brach eine Pestepidemie, wie schon so oft, über das
Land herein, war diesmal allerdings nur von kurzer Dauer, aber doch lang genug, dass sich mancher Kirchhof bis an den Rand mit frischen Gräbern füllte. Es fehlte so wenig in den Städten wie in Ahnsbeck an Pestkranken und rasch eintretenden Todesfällen.
Bei dieser Seuche nun sollten sich die drei Weiber, die Hirtin Metke, die Annecke Meches und Margarete Kruwels recht sonderbar angestellt haben. Sie hätten sich, so erzählte man in Ahnsbeck und in den Dörfern der Nachbarschaft, mitten auf dem Dorfplatz laut schwatzend und lachend aufgehalten; vor solchem Benehmen solle sich doch in diesen trübseligen Zeiten jeder Christenmensch hüten. Sie hatten es, wie man sich erzählte, übereifrig mit den Händen zu tun gehabt und hierhin und dorthin gezeigt; wohin ihre finger gedeutet, dahin war denn auch gehorsamlich die Pest mit ihrem stickigen Atem gewandert. Was sollte man dazu sagen?
Ja, einige Frauen mit besonders lebhafter Einbildungskraft und noch lebhafterem Mundwerk hatten noch mehr gesehn. Die Metke habe, so wussten sie zu berichten, vor einiger Zeit an einem heissen, aber windigen Tage Russ aus ihrem Backofen genommen, diesen gen Himmel geworfen nach allen vier Winden hin. Das schwarze Zeug sei denn auch sofort verschwunden gewesen, dafür aber am Tage darauf die Pestseuche gekommen und habe so manchen jungen und alten Menschen auf den Friedhof gebracht.
Nur die Hirtin und ihre beiden Busenfreundinnen hätten die schlimme Seuche verschuldet.
Als der Amtmann im nahen Beedenbostel von diesen Anschuldigungen hörte, hatte er nichts Eiligeres vorzunehmen, als die drei beklagten Frauen in seinem Amthause festzusetzen. Alles war mit dieser Handlungsweise des Amtmanns zufrieden, hatte man doch nun ein paar Menschen gefunden, auf die man das gesamte Missgeschick von Krankheit, Elend und Tod abschieben konnte, und das tat von jeher allen Mitmenschen wohl.
Der Amtmann wollte sich jedoch bei solch schwerem Malefizverbrechen nicht die Finger verbrennen; er lieferte die beschuldigten Frauen diensteifrig an das hohe Gericht in Celle ab.
Die Weiber leugneten vor diesem natürlich jede Schuld an dem
Auftreten der Seuche. Doch damit kamen sie nicht weit. Man befragte sie peinlich, und da wurde man dann gewahr, was man erfahren wollte.
Die gequälten Frauen bekannten, dass sie es gewesen, die die schlimme Seuche verschuldet hätten. Sie erzählten dann weiter von den Zusammenkünften und Tänzen mit Lukefatz und Jasper und all den anderen sonderbaren Gestalten in Schmarloh.
Von diesen hätten sie eine Salbe bekommen, sich mit ihr eingerieben, und dann seien sie imstande gewesen, sich durch die Lüfte zu bewegen. Auf einem hohen Berge im Gasmerfelde bei Brelingen seien sie mit vielen anderen Hexen und dem Höllenfürsten selber zusammengekommen und hätten dort in der unanständigsten Weise getanzet.
Nach den Folterungen sollten sie ohne Pein ihre Angaben wiederholen, und da sie in Angst waren vor der Qual, die ihnen durch die Knechte zugefügt und die ihnen aufs neue drohte, wenn sie ihre Bekenntnisse widerriefen, so taten sie den Richtern den Willen und blieben bei ihren unsinnigen Aussagen, wobei allerdings nicht mit Sicherheit festzustellen ist, ob nicht einige der Weiber selber die Ungereimtheiten, die ihnen zum Teil in den Mund gelegt waren, glaubten.
Bei der Vernehmung wurden denn die Weiber auch nach Helfershelfern gefragt. Dabei nannte Metke einmal nebensächlich Armgard Salges Namen. Ob sie sich dadurch für die Abfuhr, die sie bei dem Mädchen erfahren, rächen wollte, liess sich nicht beweisen.
Die Hirtin mochte aber nachher wohl Reue empfunden und bedacht haben, welches Unheil aus ihrer Aeusserung für das Mädchen entspringen könne, sie versuchte deshalb die Nennung des Namens rückgängig zu machen; er sei ihr nur versehentlich über die Zunge geschlüpft. Sie wisse nichts Nachteiliges von dem Tun und Treiben der Dirn anzugeben.
Die Richter schüttelten zwar die Köpfe, meinten, irgendetwas würde doch dahinter stecken, merkten sich zwar den Namen für die Zukunft, hielten jedoch dafür, dass die vorliegenden Beschuldigungen noch nicht ausreichten, um das genannte Mädchen gefänglich einzuziehen.
Armgard konnte von Glück sagen, dass sie auf die erste Aussage der gepeinigten Hirtin hin noch nicht in Verstrickung verfiel. Geschah das erst, so war´s in den meisten Fällen um die Gefangene geschehn. Für ein genügend belastendes Zeugnis sorgten schon die Gerichtspersonen selber.
Den drei Ahnsbecker Weibern erging es natürlich, wie man erwartet. Erschwerend für sie fiel noch ins Gewicht, dass bald nach ihrer gefänglichen Einziehung die Seuche wieder verschwand, ebenso schnell, wie sie gekommen war. Seht nur, so raunte man sich überall zu, da haben wir´s; jetzt können die Weiber nicht in Freiheit mehr ihre Bosheiten ausüben, und schon ist auch die schlimme Krankheit verschwunden; man hat also die richtigen Unheilbringerinnen erfasst. Sie wurden als Hexen zum Tode durch Feuer verurteilt.
Bald danach rauchte wieder bei St. Georg ein mächtiger Scheiterhaufen, auf dem die armen Frauen ein rasches Ende fanden; der Henker sorgte dafür, dass sie nicht lange zu zappeln brauchten; er trieb ihnen den Rauch ins Gesicht, und sie verloren rasch die Besinnung und spürten nicht mehr den harten Tod.
Wieder waren unzählige Menschen an der Gerichtsstätte versammelt, die fast alle felsenfest überzeugt waren, dass ein gerechtes Gericht vollzogen und dem leidigen Teufel wieder einmal sein falsches Spiel mit den Menschenseelen verdorben war.
Bruno Brantwulf war zunächst ärgerlich gewesen, als ihm durch die Umträgersche die Antwort Armgard Salges überbracht wurde. Zuerst hatte er daraufhin vorgehabt, sich nicht weiter um das ihm so wenig entgegenkommende Mädchen zu bekümmern. Nach ein paar Tagen jedoch musste er sich bei ruhiger Ueberlegung gestehen, dass die Ahnsbeckerin kaum anders handeln konnte. Er musste sich am Ende selber sagen, dass die Einladung sehr unüberlegt von ihm abgegangen war. Wie durfte er von einem Mädchen, das etwas auf sich hielt, eine andere Antwort erwarten? Würde sie nicht in seiner eigenen Wertschätzung ausserordentlich gesunken sein, wenn sie ihm den Willen getan hätte? Ihre Zurückhaltung war es doch gerade, die ihn immer wieder antrieb, um das stolze Mädchen zu werben.
Wenn er nur genau wüsste, dass Armgard Salge auch jedem anderen Mannsbild gegenüber so zurückhaltend war, wie ihm gegenüber. Er glaubte es zwar; sicher wissen konnte er es nicht; doch das liess sich vielleicht in Erfahrung bringen. Auf jeden Fall musste er aber wieder seinen Rappen satteln und nach Ahnsbeck reiten.
Er durfte schon sein angestammtes Gut häufiger verlassen, da es bei einem tüchtigen Hausmeier in guten Händen war. Zudem arbeitete er selber nur im Notfall bei der Ernte mit; sonst hatte er zu allem seine Leute, und wenn er nur die passenden Anweisungen erteilte, ging seine Wirtschaft schon ihren gewohnten Gang, so dass er sich um die Kleinigkeiten nicht zu kümmern hatte.
Als Bruno Brantwulf sich jedoch aufs neue entschloss, den weiten Ritt nach Ahnsbeck zu unternehmen, war ihm der Weg verbaut, nicht durch Feinde und kriegerische unternehmungen, - diesen würde er schon ein Schnippchen geschlagen haben - sondern durch einen geheimen, aber darum desto furchtbareren Gegner, durch die schlimme Pestseuche nämlich.
Man war in den Pestzeiten überaus misstrauisch gegen Fremde, sperrte Wege ab, stellte Wachen auf, damit nur kein Ausheimischer sich dem Orte nähere, und prüfte jeden Unbekannten auf Herz und
Nieren. Wer wusste, ob nicht der harmlos scheinende Wanderer aus Pestgegenden stammte oder verseuchte Ortschaften berührt hatte und durch Ansteckung den schlimmen Würgeengel weiter verbreitete. Gar nicht vorsichtig genug konnte man dem Todbringer gegenüber sein, und man schreckte auch vor Gewalttätigkeiten gegen verdächtige Personen nicht zurück.
Wer deshalb in besonders argen Pestzeiten nicht notwendig reisen musste, blieb lieber in seinen vier Wänden daheim. Man holte sich auch nicht den schleichenden, heimtückischen Feind ins Haus.
Nachdem die Pest so plötzlich aufgetreten war und so gar arg gehaust hatte, blieb also auch Bruno Brantwulf Ahnsbeck fern und verschob seinen Reiseplan bis zum Erlöschen der bösen Seuche.
Als nun aber die todbringende Krankheit so rasch wieder verschwand, als keine Todesfälle mehr vorkamen, atmete alles Volk auf und wurde auch gegen Fremde wieder duldsamer.
Da entschloss sich der Steenläger, den nun schon so lange aufgeschobenen Ritt nach Ahnsbeck zu unternehmen. Er musste vor allen Dingen doch feststellen, ob Armgard auch die böse Zeit gut überstanden hatte. Eigentlich zweifelte er kaum daran; es kam ihm nicht einmal der Gedanke, dass Armgard ernstlich krank werden könnte; ein Mädchen von solch blühendem Aussehen würde wohl keinem Krankheitsstoff Einlass gewähren in den Wunderbau seines Körpers.
Er liess also nicht erst anfragen, ob sie auch gesund geblieben, sondern bestellte sie einfach für den nächsten Abend in die Allerheide zum Wulfhörnschen.
Zur Ausführung seiner Botschaft bediente er sich wieder der Umträgerschen, die er schon früher geschickt hatte und die ihm fest versprach, alles getreulich auszurichten.
Da dem Steenläger Kunde geworden, dass er am Celler Hofe nicht gerade in einem günstigen Licht dastehe - man hatte ihm seine Verdener Streitigkeiten, die viel Staub aufgewirbelt, noch nicht vergessen - so liess er die Stadt diesmal rechts liegen. Er sagte sich eben: Gut, wenn man am herzoglichen Hofe nichts von mir wissen will - ich kann auch ohne die Sonne der herzoglichen Gnade leben.
Unterwegs kehrte Bruno Brantwulf noch bei verschiedenen Bekannten ein, um kleinere geschäftliche Angelegenheiten ins Reine zu bringen und richtete es dann so ein, dass er am Abend beim Wulfhörnschen in der Allerheide eintraf. In vergnüglicher Stimmung befestigte er seinen Rappen miteiner langen Leine an einer jungen Eiche und hielt dann Umschau nach Armgard Salge.
Diese war denn auch, nachdem sie ihren Hausstand in Ordnung gebracht und für Mensch und Tier gesorgt hatte, übers Westerfeld gepilgert und der Allerheide zugegangen. Sie kam in demselben Augenblick im Wulfhörnschen an, als der Junker sein Pferd versorgt und seine Augen auf die Suche nach ihr geschickt.
Mit einem prüfenden Blick schaute er ihr ins Gesicht, begrüsste sie dann herzlich, gab ihr einen Kuss, umfasste sie sogar und trug sie lachend zum Fuss einer mächtigen Eiche hin, wo sich eine Art Rasenbank, gut zum Niedersitzen geeignet, dem stattlichen Paar darbot.
Er wunderte sich selber, dass sie sich nicht sträubte gegen seine Arme und sein keckes Zufassen duldete. Woher es kam, wusste er sich nicht zu deuten. War es die lebenstötende Seuche, die hinter ihr lag, und nach der alles Leben wieder frischer strömte - war es der laue Sommerabend mit seinen treibenden Säften in allen Lebewesen, der ihren stets bereiten Widerstand gegen ein Allzunahekommen unterdrückte?
Jedenfalls freute er sich ihrer Aufgeschlossenheit und liess es an nichts fehlen, damit das schöne Mädchen bereit war, eine Verteidigungsstellung nach der anderen aufzugeben und ihm manches zu gestatten, was er früher nicht hatte tun dürfen.
Als dann ein lauer Luftzug Lindenblütenduft von einem nahen Hag herüberführte, da wusste sie sich kaum in seinen Armen zu lassen. Sie hörten allmählich auf zu sprechen und lauschten nur noch den gedämpften Stimmen des Sommerabends, dem feinen Zirpen der Grillen, dem fernen Froschkonzert und dem Treiben und Drängen des eigenen Blutes, ohne dass sie sich dessen bewusst wurden.
Schliesslich kam noch der Mond über den dichten Hag herauf
und hüllte alles in ein gänzlich unwahrscheinliches Licht, so dass beide jede Wirklichkeit vergassen. Man lebte sonst nicht in einer Zeit, da man so leicht die nüchternen Seiten des Lebens in die Ecke stellte und sich Schwärmereien hingab; aber diesmal hatte es die beiden einsamen Menschenkinder doch gepackt.
So nahe waren sie einander noch nie gewesen, und Bruno Brantwulf konnte in diesem Augenblick mit sich, mit ihr und der ganzen Welt zufrieden sein. Nun schien er es geschafft zu haben bei der Dirn und war ihr doch, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ohne Gewaltsamkeit begegnet. Also gewann man ein Mädchen auch in sinniger Art, was ihm früher niemals so recht nach der Mütze gewesen.
Fast sah es so aus, als wolle sich Armgard an diesem lauen Abend ganz dem um sie werbenden Mann überlassen, als habe die lange Zögerung nun alle Gefühle in ihr hoch aufgestaut, und als müsse die Flut jetzt überlaufen. Wollte er sie nun nehmen, wie sie war, und sich ganz zu eigen machen? -
Da riss eine Störung nicht nur den Mann, der sich schon aus der traumhaften Stimmung herausgewunden, sondern auch das Mädchen, das noch ganz von ihr eingehüllt war, völlig in die wache Wirklichkeit zurück. Eine kräutersuchende Alte kam ihnen nahe - ach, es war ja Johannisnacht, in der nach altem Glauben so manches Kräutlein seine verborgenen Kräfte aufschloss.
Als das Weiblein den angebundenen Rappen erblickte, ging es mit furchtsamen Blicken um das schwarze Tier herum, sah sich nach dem Herrn desselben um und nahm nun auch die Umrisse der beiden Menschen unter der Eiche wahr. Anstatt nun das Paar in Frieden zu lassen und ihm ein ungestörtes Beieinander zu gestatten, kam die Alte immer näher. Es drückte ihr wohl das Herz ab, wenn sie ihre Neugierde nicht vollständig befriedigen konnte.
Bruno Brantwulf, so nahe dem seit langem angestrebten Ziel, wurde wütend auf das näher und näher schleichende Weib. Er fasste nach seinem Pistol und hätte in diesem Augenblick nichts dafür genommen, der neugierigen Alten eins aufzubrennen.
Erst jetzt wurde Armgard das widerliche Näherschleichen des Weibleins und die drohende Gegenwehr Bruno Brantwulfs gewahr.
Sie schlug noch gerade rechtzeitig ihrem Jägersmann die Waffe zur Seite, und als zur selben Zeit der Schuss krachte, verlor sich die Kugel irgendwo im dichten Busch.
Doch obgleich das Weib von dem bösen Geschoss verschont geblieben war, wusste es doch endlich, was die Glocke geschlagen hatte. Sie kam erst jetzt dahinter, dass es Menschen gab, die über unangebrachte Neugierde und rücksichtslose Störung, derart in Harnisch gebracht wurden, dass man seines Lebens nicht sicher blieb. Sie schlug ihre Röcke über den Kopf und lief laut schreiend und ständig stolpernd davon, und zwar so rasch, wie man es der hutzligen Alten kaum zugetraut hätte.
Bruno Brantwulf lachte schallend auf, als er dieses sonderbare Bild erblickte. Es war auch zu komisch: die schreiende und, wie es schien, auf Stelzen dahinhuschende Alte, deren Bewegungen im unsicheren Mondenschein fast gespenstisch aussahen.
Die lästige Störerin war man zwar los, aber nicht die Störung. Es schien so, als ob der scharfe Knall des Schusses und sein Widerhall von fernen Waldwänden auch die ganze lauschige Mittsommerstimmung zerrissen habe. Die Vögel waren aufgewacht und flatterten ängstlich von Zweig zu Zweig; einige Hasen hoppelten über die Heide, und ein paar Krähen strichen sogar mit einem lästigen Krahkrah über die Baumgruppen dahin.
"Aber wolltet ihr denn das alte Weib gleich totschiessen?" wandte sich Armgard an Bruno Brantwulf.
Unwirsch entgegnete dieser: "Am Totschiessen lag mir nichts. Wollt aber, die Kugel hätt´ sie geschrammt. Wär´ ihr dann schon ihre Neubegierde vergangen."
"Wegen Neubegierde schiesst man doch nicht gleich auf einen lebendigen Menschen."
"Wenn das Menschenkind aber sonst nicht lernt, wie es sich verhalten muss?"
"Nun, nun, vielleicht wär´ sie auch nach einigem Zureden gegangen."
"Die Störung hätt´ sie damit nicht hinweggenommen, war schon geschehen."
"Was für Wesen seid ihr Männer doch! Gleich alles in Aufruhr
wegen eines alten Weibes, und gleich bereit zu Mord und Totschlag!" Armgard schüttelte den Kopf
Bruno Brantwulf schwieg und sah in die Ferne.
Die linde, sommerliche Stimmung, die die beiden Menschen unter dem Eichbaum eingehüllt, war zerrissen und liess sich nicht wieder knüpfen. Es schien, als ob sich sofort die alten Scheidewände zwischen den beiden Menschenkindern von neuem aufrichteten, und so sehr sich auch der Mann mühte - er vermochte sie nicht nieder zu reissen.
Die einsamen Menschen schienen plötzlich meilenweit voneinander entfernt zu sein, obgleich sie noch immer unter einem Baume sassen. Sie war sofort von ihm abgerückt, und er wusste keinen Weg zu finden zu dem Mädchen da neben ihm.
Seine bodenlose Keckheit, die ihn sonst jedes weibliche Wesen im Sturm nehmen liess, versagte diesem Mädchen gegenüber. Bei Armgard konnte er eben das nicht anwenden, was er sonst stets dem weiblichen Geschlecht gegenüber hervorkehrte.
Der wilde Bruno Brantwulf schalt sich selber, als er bald darauf höchst sittsam von Armgard Abschied genommen, einen schwachherzigen Weiberknecht und nahm sich vor, das nächste Mal bei der Dirn anders zu verfahren, sagte sich jedoch gleich darauf selber, dass er es von sich aus kaum fertig brächte, falls ihm nicht etwa das Mädchen den Weg dazu ebnete.
Wollte er überhaupt die Ahnsbeckerin anders haben? Lag nicht gerade in ihrer Sprödigkeit und Zurückhaltung die starke Kraft, die ihn zu ihr zog? Würde sie ihm nicht bald fade und schal erscheinen, wenn sie sich anders gäbe? Wäre sie ihm nicht schon längst wieder aus dem Sinn gekommen, wenn sie sich ihm, wie er zunächst gehofft, ohne weiteres hingegeben hätte?
Ja, gestand er sich nach diesen Gedankengängen ehrlich ein; er würde sie schon längst fortgeworfen haben wie eine taube Nuss, falls sie sich leicht von ihm hätte gewinnen lassen.
Soweit war er mit seinem Nachsinnen gekommen, und da wurde ihm so recht fröhlich zu Mut; es war doch alles in bester Ordnung; er gedachte voller Freuden des schönen Mädchens und pfiff wie ein Junge ein Landsknechtsliedlein vor sich hin.
Hans Baers in Ahnsbeck hatte Unslump auf seinem Hofe mit dem Vieh. Die Pferde wurden dämpfig; die Kühe verkalbten; bei den Schafen brach eine Seuche aus, und die Schweine bekamen Rotlauf. Wie mochte das zugehen?
Es war für den Bauern nicht leicht, wenn es mit dem Vieh nicht so gehen wollte, wie man es eigentlich erwartete. Der hohe Viehschatz musste in Gulden, Schillingen und Pfenningen bezahlt werden. Woher sollte das bare Geld kommen, wenn man keine Einnahmen aus dem Vieh hereinbekam?
Nicht zu verwundern war es, wenn man sich bei solchem Unslump nach Hülfe umschaute. Sonst hatte man in solchen Fällen stets zu Metke, der Hirtin, hingeschickt, und das Weib war dann, trotz anfänglichen Murrens und Sichwehrens, auf den Hof gekommen und hatte nach dem Rechten gesehen. Wenn auch ihr böser Blick den Menschen schadete, wie man erzählte - beim Vieh schlugen ihre oft sonderbaren Kuren gut an.
Aber wo war Metke, die Hirtin? - Sie war in Rauch aufgegangen. Viel aus dem Dorf hatten´s der Hexe, die sie seit langem fürcheten, von Herzen gegönnt. Aber nun sass man da mit dem kranken Vieh und wusste sich nicht zu helfen.
Inzwischen hatte man zwar so etwas wie Ersatz für die Metke gefunden; aber viele meinten doch, diese verstünde nicht so von Grund aus ihr Gewerbe wie die Hexe. Die Häuslingsche auf dem Haverkamp war es, die ausstreuen liess, dass sie etwas von dem geheimen Wissen der Hirtin mitgekriegt habe, nicht aber von ihren Teufelsgeschichten und Nachttänzen - der liebe Herrgott möge sie vor solchem Satansdreck behüten - aber wie man´s liebe Vieh wieder in Gang bringe, davon wüsste sie ein Liedlein zu singen.
Was sollte man nun machen? In der Not frisst der Teufel Fliegen, und Viehkrankheiten sind wahrhaftig kein Spass; da holt man schon lieber die Häuslingsche, wenn sie auch noch nicht so richtig die Probe aufs Exempel gemacht hat.
Also gab der junge, noch unbeweibte Hans Baers der Häuslingschen auf dem Haverkamp einen Wink, und diese verstand den auch
und liess sich nicht lange nötigen. Hans Baers schilderte ihr in beweglichen Worten die Nöte in Stall und Kaben und liess das Weib überall hineinschauen.
Sie wüsste nun Bescheid, meinte die Häuslingsche, und könne ihm auch ein ganz probates Mittel sagen, dass ihn mit einem Schlage von all seinem Ungemach befreie. Dem Bauern gab sie nun ein ganz merkwürdiges Rezept, das ihm auch zunächst recht sonderbar vorkam, er war durchaus nicht davon erbaut und kam der Häuslingschen mit so vielem Wenn und Aber dazwischen, dass diese am Ende davongehen und ihn seinem verdienten Schicksal überlassen wollte.
Da erst entschloss sich der junge Bauer in seiner Hilflosigkeit, nach den Vorschriften des Weibes zu handeln, und versprach auch, alles genau auszuführen, wie es ihm vorgeredet worden, obgleich er nach dem Weggange der Häuslingschen mehrmals bedenklich den Kopf schüttelte.
Er holte sich nun, nach Angabe des Weibes, sein schärfstes Beil vom Holzplatze her und stellte es griffbereit neben den offenen Herd. Dann ersah er sich ein vollständig schwarzes Huhn - halt, eine gelbe Feder hatte es doch; nun, die riss man ihm eben aus - und steckte dieses lebend in einen Grapen mit kochendem Wasser, worin das arme Tier natürlich rasch verendete. Ein Bedauern über diese Tierquälerei vermochte Hans nicht zu unterdrücken. Dann setzte sich der junge Bauer neben den Herd auf einen Holzschemel, legte Holz und Torf unter den mächtigen Grapen, damit das Kochen nicht unterbrochen wurde und nahm dann auf alle Fälle das Beil in die Hand, um es im Bedarfsfalle sofort gebrauchen zu können.
Jetzt würde die Hexe schon kommen müssen, die ihm Unslump unters Vieh gebracht; sie wäre durch dieses Mittel gezwungen, ins Flett zu treten, um sich ein Stück Hausrat zu leihen - so hatte die Häuslingsche gesagt, und ihm bliebe dann weiter nichts zu tun übrig, als dem eintretenden Weibsbild mit dem scharfen Beil den Kopf zu spalten. Er könne dem Weib auch den Kopf vor die Füsse legen - das bliebe sich gleich. Kein Richter und kein Gericht würde ihm deswegen ein Haar krümmen; so, wie man heute hinter den Hexen her sei, würde man vielmehr heilfroh sein, wenn er den Richtern bei ihrem nicht gerade leichten Handwerk helfe.
Der junge Bauer wartete nun auf die Hexe, die ihm die Seuche über sein Vieh gebracht, und hatte sich nach langem Ueberlegen denn auch vorgenommen, nicht Gnade für Recht ergehen zu lassen, vielmehr das nun einmal notwendige Strafgericht zu vollziehen. Man mochte ein armer Mann dabei werden, wenn das Hexenvolk tun und lassen konnte, was es wollte. Nein, Selbsthülfe war hier angebracht, und das würden auch die hohen Richter schon einsehen. War erst einmal die Hexe tot - so hatte die Häuslingsche gesagt - dann würde kein Stück Vieh mehr eingehen.
Es wurden Tritte neben dem Haus hörbar, und Hans Baers fasste sein Beil fester. Da öffnete sich die Blangentür zum Flett und hereintrat - Armgard Salge, die er solange im stillen verehrt. Das Beil entsank seiner Hand; ihr konnte er doch nicht den Hals durchhacken, den weissen Hals, den er so gern in seinen Arm genommen und das ganze Mädchen dazu.
Armgard wollte nur auf dem Nachbarhofe eine Bratpfanne ausleihen; ihre sei durchgebrannt, und der Schmied könne sie ihr erst in einigen Tagen wieder zum Gebrauch fertig machen.
Der junge Bauer gab ihr mit Freuden das gewünschte Gerät und hätte ihr gern noch viel mehr gegeben, wenn sie es verlangt. Alle Wut auf die böse Hexe war verflogen. Die schöne Nachbarstochter konnte es doch nicht sein, und alle Dinge, die ihm die Häuslingsche auf dem Haverkamp eingeblasen, mochten wohl Hirngespinste sein.
Als aber die junge Nachbarin neugierig, wie die Frauen nun einmal sind, in seinen Grapen hineingucken wollte, um zu sehen, was so ein Junggesell bei dem hellflackernden Herdfeuer siedete, wurde er denn doch verlegen.
Nein, das dürfe sie nicht sehen, was er, unbeweibt, wie er sei, sich da in seinem Topf zurecht bruzzele. Sie würde ihn nur auslachen, und das möge sie ihm doch nicht antun; er schaute sie bei seinen Worten so recht treuherzig an.
Sie schien aber kaum von ihrem Vorhaben lassen zu wollen, drängte sich vielmehr an den Herd und wollte auf alle Fälle den Deckel vom Grapen heben. Ihrem Spielgefährten aus der Kinderzeit
gegenüber glaubte sie sich das herausnehmen zu dürfen.
Doch da erblickte sie das Beil neben dem Herd, liess von dem Topf ab und fragte Hans: "Willst du denn Holz auf dem gemauerten Herd kleinhacken? Mag der Feuerherd auch kräftig aufgesetzt sein, so wird er doch das nicht aushalten."
"Will ich auch gar nicht, beileibe nicht," kam es beteuernd aus Hansens Mund, "hab´ nur das Beil so in Gedanken mit hereingebracht, als ich einen Arm voll Holz an den Herd trug." Er durfte doch nicht verraten, was er wirklich mit dem auch als Waffe brauchbaren Gerät vorgehabt.
"So viele und so schwere Gedanken gehn dir schon durch deinen Kopf?"
"Na und ob? Ist man von solch schlimmen Viehkrankheiten geplagt und sucht einen dann noch das böse Viehsterben heim, da sollen schon die schweren Gedanken nicht ausbleiben. Und wie soll einer sich vor den grausamen Hexen hüten, die einem unter der Schwelle des Stalles allerlei unheimliche Zaubermittel eingraben, damit einer nur nicht wieder auf ´nen grünen Zweig kommt, sondern zeitlebens ein Matteler bleibt."
"So ist dir denn das in deinem eigenen Hause unter der eigenen Schwelle geschehn?"
"Gewiss! Wie kann einem sonst all das Vieh krank werden und soviel davon mit Tod abgehn?"
"Wer hat denn dir das mit den Hexen und ihrem bösen Tun eingered´t?"
"Eingered´t? - Nichts davon! Das ist wirklich und wahrhaftig so; ´s kann doch jeder vernünftige Mensch sich an seinen fünf Fingern abzählen. Die Häuslingsche auf dem Haverkamp hat mir´s auch gesagt."
"Ho, was versteht denn solch eine davon? Die sollt´ lieber ihr eigen Hauswesen in Ordnung halten und sich nicht in fremde stecken; sieht bei ihr aus wie in ´nem Schweinestall."
"Hast gut reden! Wie soll denn bei mir all der Unslump ins Haus gekommen sein? Na, weisst du´s? - Und wie bringt einer ´s wieder raus?"
"Schaff´ dir´n ordentliche Frau an, die dir´s Vieh und´s ganze Hauswesen richtig versorgt und dich dazu. Dein´ Trulle von Magd wird erstmal ´n ganzen Tag nicht fertig, und dann ist sie so schmierig, dass sie beinah´ an der Wand kleben bleibt, würd´ man sie einmal dagegenwerfen. Hat denn bei der das Vieh sein´ Pfleg´?"
"Hast gut reden! Eine Frau nehmen! Aber erstmal eine finden. Zum Freien gehören doch immer zwei - hab´ ich mir sagen lassen. Stimmt´s?"
Dabei sah er sie so eigentümlich fragend an. Armgard wusste jetzt, dass sie ein Wort zuviel gesagt hatte, und dass jetzt gleich eine Frage an sie kommen würde, der sie aber auf alle Fälle ausweichen müsse.
"Geh nur zur Beumannschen in Beedenbostel; die weiss schon eine für dich. Oder hast du nicht ´n Muhme, die für dich freiwerben kann?"
"Ist aber immer´n weitläufig´ Geschicht´. Wär´ schon viel besser, wenn ich hier eine finden könnt´, die mein´ Hausfrau würd´. Was meinst, Armgard -"
"Oh, mein Leut´ kommen vom Feld," fiel sie ihm ins Wort, "und ich steh´ hier und verschwätz´ die Zeit und hab´ noch nicht einmal das Abendbrot gerüst´!"
Damit war Armgard zur Tür hinausgewitscht, ehe er seinen Satz zu Ende gebracht.
"Ist doch schad´, dass sie kein Zeit hat. Hätt´ sie so gern gefragt, ob sie in mein Haus kommen mag. Läuft einem immer, wenn man soweit ist, doch wieder was dazwischen. War eben so schön imgang. Wann wird´s wieder passen zum Fragen!"
Während er so vor sich hin seufzte und angestrengt nachdachte, wann sich ihm wohl Gelegenheit böte, die unvollendete Frage anzubringen, wurde die Blangentür aufgerissen, und die Häuslingsche auf dem Haverkamp stürzte herein.
"Komm´ eben an deinem Hof vorbei und wollt´ bei dir nach dem Rechten sehn. Hast das schwarze Huhn im Topf?"
Sie riss den Deckel vom Grapen und stellte mit Befriedigung den Inhalt des Topfes fest.
"Sah vor´m Augenblick die Salgesche aus der Hoftür gehn. War sie die Erste?"
"Die Erste? - Ja! - Nein! - Weiss es wirklich nicht mehr ganz genau."
"Das weisst nicht mehr? - Wer soll denn vor ihr hier im Flett gewesen sein?"
"Keine!"
"Keine? Und dann läuft die noch mit ihrem Kopf herum. Hätt´ doch längst runter müssen. Ist doch die schlimmste Hex im ganzen Dorf. Kann nun wieder neues Unheil ausbrüten."
"Glaub´ ich nicht."
"Jaja, da hat man´s wieder. Er glaubt´s nicht, und die andern jungen Kerls glaubens´s nicht. All den ledigen Männern verkeilt sie die Köpf´. Und andere ordentliche Mädchen haben´s Nachsehn."
Sie wollte schon längst ihre Schwestertochter mit dem jungen Bauern verheiraten, hatte aber bemerkt, dass er hinter Armgard Salge hersah und deshalb von anderen Mädchen, die ihn freundlich anblickten, nichts wahrnahm.
"Kann´s einfach nicht glauben, dass die Armgard ´n Hex ist. Hat doch gar kein Hexenhaftes an sich."
"So sagen die Jungkerls alle, bis sie von ihr verstrickt sind. Werden aber noch viel Schlimmeres erleben müssen, bis die dort ist, wo sie nun einmal hingehört. Gott danken muss man, wenn die erst einmal bei St. Georg raucht."
Damit ging sie für diesmal hinaus, erzählte aber unterwegs jeder Frau, die es hören und nicht hören wollte, von der jungen Hexe, die alles Vieh auf Baers Hof verdorben, so dass der Bauer nicht aus noch ein wüsst´. Eben habe der Bauer ein Mittel gebraucht und sie gezwungen zu erscheinen. Da sei nun ihre Hexenschaft offenbar. Statt nun aber der schlimmen Hex´ eins mit dem Beil vor den Kopf zu geben, habe er das Unmensch wieder laufen lassen. Solch eine Torheit! Aber die Dummen würden nun einmal nicht alle, womit sie sonst nichts gegen Hans Baers gesagt haben wolle.
Es liess sich nicht leugnen, der Schaper von Helmerkamp gehörte zu den Spökenkiekern. Man hatte sich damit abgefunden, dass er willkommene und wenig erfreuliche Tatsachen aus der Düsternheit der Zukunft in das grelle Licht des gegenwärtigen Tages zog.
Dabei zeigte sich denn aber, dass die Menschen letzten Endes gar nichts davon wissen wollen, was ihnen die zukünftigen Tage bringen. Wenn der Schaper in bester Absicht jemandem etwas von dessen kommenden Schicksalen im voraus verkünden wollte, wurden ihm nicht allzuselten harte Redensarten an den Kopf geworfen. Es verderbe einem alle Lust am Leben, so hiess es dann, wenn er einem ein Unglück, eine Feuersbrunst, einen Todesfall vorhersage. Man erfahre das Schlimme noch früh genug, wenn es einen wirklich anpacke; vorher wolle man nichts davon im Sinne haben, und schon gar den eigenen Tod - gut wär´s, wenn man den überhaupt nicht erführe.
So kam es denn, dass der Schaper einsilbig und schweigsam wurde und die Leute mit seinen Geschichten, die ihm offenbar worden, verschonte.
Nur heute kam er einmal dazu, seinem Freunde, dem Schaper in Ahnsbeck, ein Erlebnis mitzuteilen, auf das er sich im Augenblick noch keinen Reim zu machen wusste. Dass die Geschichte bei seinem Kameraden nicht auf Ablehnung stiess, vielmehr bei ihm gut aufgehoben war, wusste er schon manches Jahr.
"Geh´ ich da vor ein paar Tagen,"
so erzählte er dem Ahnsbecker,
"als
ich nach Bunkenburg wollte, an euren Lehmkulen vorüber. Es war schon
düster, und ich hatt´ meine liebe Not, den schmalen Heidpadd zu
wahren. Von den Kulen war ich wohl noch ´n Stücker tausend Schritte
ab, da sah ich nach dem Lehmstich zu ein Licht auftauchen.
I, denk ich, wer will denn noch um diese Zeit bei den Lehmkulen
rumbiestern? Ist doch schon alles so schwarz, dass einer leicht vom
Weg abkommen und ins Wasser hineinrutschen kann.
Sollst doch einmal gucken, wer das wohl ist, sag´ ich zu mir. Ich
bieg´ also von dem Padd ab und geh´ vorsichtig auf die Lehmkulen zu.
Das Licht scheint auch langsam weiter zu gehn und immer dichter an die
Kuhlen zu kommen. Ich denk´, wenn der Mensch da so weiter macht, sitzt
er bald drin im Nassen, und ob er wieder rauskommt, weiss keiner; denn
die Kulen sind tief.
Ich bleib´ also stehn und und ruf: Halloh! Der Schmarloh gibt mein
Halloh zurück; aber von dem da bei dem Licht kommt weder Stimm´ noch
Antwort.
Ich ruf noch einmal: ´Wer geht dort?´ Vom Schmarloh kommt wieder
Antwort; aber nicht von einem Menschen.
Ich geh´ also weiter, das Licht aber auch; das muss nun schon am Rand
der Kulen sein.
Noch ein paar Schritt, und da seh´ ich denn auch schon das Wasser in
den Kulen beim Sternenlicht blinken.
Das Licht gleitet langsam den steilen Abhang runter und ist dann am
Wasser angekommen. Es geht sogar eine kleine Ecke übers Wasser hin;
aber keinen Menschen kann ich zu Gesicht bekommen, der das Licht
trägt.
Das tiefe Wasser liegt ganz still und ruhig da, und ich kann sehn, wie
sich die Sterne darin spiegeln. Aber kein Licht spiegelt sich im
Wasser.
Ein paarmal geht es noch auf dem Wasser hin und her, und dann sinkt es
ins Nasse, und aus ist es. Auch als es ins Wasser fällt, bleibt der
Spiegel ganz still, als ob es nichts sei, das da eintaucht.
So, das hab´ ich gesehn, und nun wollen wir einmal aufpassen, was
danach passiert. Das hat was zu bedeuten; ich weiss nur noch nicht,
was."
Der Ahnsbecker Schaper zuckte die Achseln und sagte kein Wort zu dem, was er gehört.
Der Helmerkamper sollte nicht lang zu warten haben, bis sein Gesicht sich erfüllte, und das hing so zusammen.
Armgard Salge spürte allmählich, wie sich bei manchen Frauen und Mädchen in Ahnsbeck gegen sie eine gehässige Stimmung breit machte. Sie achtete zunächst nicht darauf, da sie es gewohnt war, von einzelnen mit feindseligen Augen angeschaut zu werden. Da ihr wiederum von anderen, besonders von dem männlichen Teil
der Bevölkerung viel Zuneigung und Gutwilligkeit entgegen gebracht wurde, so liess sie sich durch einzelne gehässige Aeusserungen nicht in ihrem Gleichgewicht stören.
Doch jetzt schienen die Gehässigkeiten schärfere Formen anzunehmen, und das fiel ihr auf. Durch einen ihrer Brüder erfuhr sie denn auch, was die Häuslingsche auf dem Haverkamp von ihr geredet.
Sie konnte bald spüren, dass die hässlichen Worte des missgünstigen Weibes nicht in den Wind gesprochen waren, dass sie sogar bei einem Teil der Einwohnerschaft, der ihr bisher wohlgesinnt gewesen, ein williges und aufnahmebereites Ohr fanden, und dieser Teil war die liebe Jugend.
Es ist immer schlimm, wenn besondere Gehässigkeiten und boshafte Erzählungen von der Jugend gehört werden. Da ihr ein eigenes Urteil fehlt, ist sie stets bereit, das Vernommene als unumstössliche Wahrheit hinzunehmen und aus ihm Anreize für ihr Tun zu schöpfen.
Armgard ging eines Tages ohne Arg die Dorfstrasse entlang. Auf einmal hörte sie hinter sich herrufen: "Olle Hex! Olle Hex!"
Als sie sich umwandte, sah sie hinter einem Hofzaun eine Horde Jungen stehn, die ihr das bedrohliche Schimpfwort zuriefen.
Sie kümmerte sich nicht weiter um die Jungen, setzte vielmehr ihren Weg fort, als ob die Rufe sie nichts angingen.
Auf einmal traf ein Stein ihren blossen linken Arm, dass ihm sogleich Blut entquoll. Armgard fasste mit der rechten Hand nach der schmerzenden Wunde und sah sich dann nach dem Uebeltäter um. Sie erblickte ihn denn auch, obgleich er sich Mühe gab, hinter einer Eiche unsichtbar zu werden. Von den Jungen dagegen, die ihr das Schimpfwort nachgerufen, war nichts mehr wahrzunehmen.
Armgard hielt nicht dafür, dass man den Jungen alle Unarten hingehen lassen soll. Sie suchte und fand einen Stock und wollte damit dem Bürschchen zu Leibe. Der Junge riss natürlich aus, konnte auch rascher laufen als sie, und Armgard musste daher die Verfolgung bald aufgeben.
Sie drohte ihm noch mit der Faust und rief ihm nach: "Du Unband! Das soll dir dafür noch schlimm ergehn!" ging dann aber ihres Weges und vergass bald das kleine Erlebnis, zumal die Wunde rasch heilte und nur eine kaum sichtbare Spur hinterliess.
Doch den Ausruf und die Drohung hatte zufällig die Häuslingsche auf dem Haverkamp gehört. Sie rief dem Jungen noch zu: "Junge, Junge, dir geht´s an den Kragen. Die Hex hat dir geflucht, und so etwas geht niemals gut ab."
Und nun geschah etwas Merkwürdiges, und das trug sich wenige Wochen nach dieser unfreundlichen Begegnung zu.
Der Junge, der den Stein auf Armgard geworfen und von ihr bedroht war, gehörte dem Ahnsbecker Schaper an, und es kam nicht allzuselten vor, dass er seinen Vater im Hirtenamt vertrat. Das geschah auch jetzt im Spätsommer einmal wieder.
Die Schafe sollten geschoren werden; es war die zweite Schur im Sommer, deren Erträgnisse sich zwar nicht mit der ersten zu messen vermochten, die aber doch niemand gern entbehrte.
Vorher mussten die Schafe gründlich gewaschen werden, was gewöhnlich von dem Schaper und ein paar gewandten Knechten ausgeführt wurde.
Der Junge des Schapers hielt nun dafür, dass ein kräftiger Schafbock, der sich manchmal durch besonderen Eigensinn auszeichnete, die Wäsche vor allen Dingen nötig habe. Den wollte er sich einmal allein vornehmen, wenn die Gelegenheit dazu günstig erschien, am besten vor der Wäsche der anderen Schafe.
Der Junge trieb gerade wieder mit seiner Schnuckenherde an den Lehmkulen vorbei, und da fiel ihm ein, dass der Augenblich eigentlich für sein Vornehmen besonders günstig sei. Er wollte dem Schnuckenbock einmal beibringen, wer der Herr sei, und ihn ordentlich in das Wasser eintauchen.
Ohne weiteres packte er den Schafbock bei den Hörnern und zog ihn den Abhang hinab nach einer der Lehmkulen hin. Das Tier schien zunächst guten Willens zu sein; es liess sich, ohne Widerstand zu versuchen, bereitwilligst bis zum Wasser hinführen. Der Junge hoffte nun, mit der Wäscherei ganz rasch fertig zu werden. Doch der Bock hatte seine Nücken. Als der Junge sich
bückte, um mit den Händen die Wärme des Wassers zu erproben, riss der Bock sich überraschend los, lief aber nicht davon, sondern stellte sich auf die Hinterbeine, und, bevor der junge Schaper eine standfeste Haltung einnehmen konnte, sausten die harten Hörner des kräftigen Tieres gegen den vollständig ungeschützten Kopf des Jungen.
Der plötzliche Stoss kam dem Menschenkinde so unerwartet, dass es sein Gleichgewicht verlor und überkopf in die Lehmkule stürzte. Von dem starken Stoss wohl halb betäubt, vermochte der Junge auf dem glitschigen Boden der alten Lehmkule sich nicht zu halten. Er rutschte bis an die tiefste Stelle, wo selbst ein ausgewachsener Mann keinen Grund mehr fand, und kam nicht wieder hoch. Bei vollem Bewusstsein hätte er wohl die Kraft besessen, sich wieder empor zu arbeiten.
Sein Hund, der währenddessen auf die Herde gachtet - er umkreiste sie ständig -, hatte nichts von dem Unfall seines Herrn wahrgenommen, sonst hätte er vielleicht noch den Retter gespielt.
So ertrank der Junge ganz elendiglich in den Lehmkulen anderselben Stelle, wo seinerzeit der Schaper aus Helmerkamp das Licht hatte erlöschen sehen, wie er es selber dem Vater des Knaben erzählt.
Als die Herde am Abend nicht rechtzeitig in den Stall kam, ging der alte Schaper ihr nach, fand den Hund in wilder Aufregung, da ihm allein die Herde nicht recht gehorchen wollte, suchte dann mit Hülfe des Wächters den Verunglückten und fand ihn auch in der Lehmkule.
Für den Schaper lag die Natur des Unglücksfalles ganz klar zutage; er war vor einiger Zeit durch die Erzählung seines Berufsgenossen gewarnt worden und sah deshalb den traurigen Fall als einen Schicksalsschlag an, dem man nicht zu entrinnen vermochte. Er war ihm ja im Vörlaat verkündet, und was in dieser Weise einmal angezeigt wurde, traf auch nach seiner eigenen Meinung stets ein. Unmöglich war´s, sich dagegen zu wehren. Der Schaper gab seine Meinung ohne Umschweife auch allen Dorfbewohnern kund.
Ganz anders stellte nun aber die Häuslingsche den Unglücksfall dar. Nur die Hexe, die Salgesche, habe es mit ihrem Fluch verschuldet, dass der Junge ein solch klägliches Ende genommen.
Der Schnuckenbock habe im Auftrage des Teufels so heimtückisch gehandelt und den armen Jungen in die glitschige Lehmkule gestossen. Der Teufel führe natürlich alles aus, was seine Buhlerinnen wünschten, wofern sein eigenes Reich nur dadurch gestärkt werde.
Der Unglücksfall verschlechterte die Stellung Armgards wieder bei einer Reihe von Dorfgenossen, und es begannen allmählich mehr Leute an ihre Zauberkünste zu glauben.
Es sollte noch schlimmer kommen.
Am andern Ende des Dorfes Ahnsbeck stand eine windschiefe Kate, in der Jürgen Vule und sein Junge hausten. Keine menschliche Wohnung im ganzen Dorfe stand so zu, nicht einmal eins der ältesten Häuslingshäuser.
Einige Fach Lehmwände hatten sich nach und nach auf die Wanderschaft begeben und waren neben dem Hause auf dem sicheren Erdboden gelandet. Tiefer konnten sie nun nicht mehr fallen. Zwar hatte Jürgen Vule die entstandenen Löcher notdürftig mit Brettern, Latten und Zweigen ausgeflickt, wodurch die Kate allerdings so rauhborstig geworden war, wie ein wilder Eber im Spätwinter; aber haltbarer durfte man sie auch jetzt nicht nennen.
Mit dem schwarzen Strohdach hatte der Wind zu spielen begonnen und sich höllisch gefreut, wenn er wieder einmal einen Arm voll Stroh über die ganze Nachbarschaft umhergestreut. Da Jürgen Vule keinen Dachdecker bezahlen konnte, war er selber auf sein niedriges Dach geklettert und hatte es mit dürftigem Stroh ausgeflickt und dann die Windseite des Strohdaches mit ein paar dünnzähnigen Eggen beschwert, damit den leichten Flicken doch einiger Halt zuteil wurde. Merkwürdig sahen die gestopften Stellen jetzt im Sommer aus. Jürgen Vule war nämlich zu faul gewesen, das Stroh richtig auszudreschen. So war Korn drin geblieben, und das hatte dem in ihm liegenden Triebe gehorcht und war zu Halmen hochgeschossen, die jetzt vom Dache ganz lustig herunternickten.
Unten am Boden begannen die Fundamente auszuweichen, und so bekam die ganze Behausung eine vornüber gebeugte Haltung, als sei sie gänzlich tiefsinnig geworden, und nur die Tatsache, dass seinerzeit ein tüchtiger Zimmermann Balken und Ständer aneinander gefügt, hielt das rauhborstige Bauwerk aufrecht.
Wäre ein tüchtiger Hauswirt Besitzer der Kate gewesen, hätte es nie so weit mit ihr kommen können. Bevor der Verfall bemerkbar geworden, wäre es diesem gelungen, mit leichter Mühe das Häuschen in einen erträglichen Zustand zu versetzen.
Doch Jürgen Vule war nun einmal kein tüchtiger Hauswirt, und darum hatte auch die Kate ihr gramvolles Aussehen erhalten. Was würde nur der nächste Nordweststurm bringen? Sollte er wohl dem windschiefen Häuschen sein Sterbestündlein ansagen?
Armgard Salge ging eines Tages an der Kate vorbei und sah Vater und Sohn Vule sich mühen, ein Fach der Kate zu dichten, damit der Ostwind nicht einfach auf den Tisch im Flett pusten konnte.
Die beiden flickenden Bauherren riefen dem vorüberschreitenden Mädchen scherzhafterweise zu, es möge ihnen helfen, damit das Haus wieder in einen wohnlichen Zustand käme.
Armgard fing an zu lachen und rief den beiden nur langsam werkenden Menschen, die nur nach einer Ablenkung von ihrer Arbeit suchten, mit spöttischen Worten zu, jede Arbeit an dem alten Kasten sei vergeblich; sie möchten sich nur ein neues Haus zusammen zimmern; das alte würde beim nächsten Sturm doch über Eck gehen, sich auf der Erde breit machen und unter Umständen seine Bewohner unter sich begraben.
Jürgen Vule erging es wie den meisten Menschen, die berechtigten Spott als eine Beleidigung ansehen. Er wusste selber viel zu gut, wie es um sein Pracherwerk stand, konnte aber trotzdem den Spott des Mädchens nicht vertragen. Sofort schlug seine Stimmung um, und er rief Armgard zu, den Sturm wolle sie ihm wohl schicken; auf zauberische Kunststücke, die dem Menschen Schaden zufügten, verstünde sie sich ja wie kaum eine andere.
Er möge nicht so entsetzlich dumm daherreden, erwiderte das Mädchen seine bösen Anzüglichkeiten; wie es mit dem Haus stünde, sähe jeder Christenmensch und er doch wohl auch. Damit schritt sie ihres Weges weiter.
Die Hexe soll nicht recht behalten, so besprachen sich Vater und Sohn, die beide gleichviel, nämlich herzlich wenig, taugten. Beim nächsten Gewitter wolle man einen grellen Blitz und dann einen harten Donnerschlag abwarten und dann selber das Haus anzünden.
Der Blitz könne dann als Brandstifter gelten, und niemand würde nur zu vermuten wagen, dass sie selber, die Vules nämlich, für einen warmen Abbruch des Hauses gesorgt.
Gesagt, getan!
Als einige Tage darauf ein schweres Gewitter von Westen her sich näherte und eine unheimliche Düsternheit die Gegend überzog, machten die Vules alles fertig, um ihr Häuschen aufflackern zu lassen.
Der Junge nahm einen alten Holschen, tat einige glühende Kohlen hinein und stellte sich auf der windgeschützten Seite des Hauses unter dem tief herunterhängenden Strohdach auf.
Der Vater fasste auf der entgegengesetzten Seite des Hauses Posto, schaute in die Wolken hinauf und überlegte bei jedem züngelnden Blitz und bei jedem krachenden Donner, ob diesmal wohl das himmlische Feuer als Brandstifter gelten könne.
Ungeduldig fragte der wartende Junge nach jedem heftigen Donnerschlag: "Vater, nu?"
Doch der dämmte den Brandwillen seines Sprösslings vorläufig noch immer mit einem langweiligen: "Junge, wart noch!" ein.
Erst als einem grellen Blitzstrahl ein dröhnender Donnerschlag auf dem Fusse folgte, war nach des Vaters Meinung der richtige Augenblick zum Handeln da.
Mit einem lauten "Jung´, steck an!" gab er dem lauernden Sohn den ersehnten Befehl. Die glimmenden Kohlen wurden in eine vorher zubereitete Dachhöhlung geschüttet, und ein paar scharfe Windstösse, die, das Gewitter begleitend, um das Häuschen herum fuhren, fachten bald die schwelenden Funken zu einem kräftigen Brande an, der trotz des einsetzenden Regens gleich das ganze Haus ergriff und das müde Bauwerk in Asche verwandelte.
Die Feuersbrunst war also ganz nach dem Wunsche der Brandstifter verlaufen. Hülfe kam natürlich zu spät, da das Feuer sich, bevor es von den Nachbarn bemerkt wurde, im Innern des gesamten Häuschens verbreitet hatte.
Erst als nichts mehr zu retten war, begannen die beiden Vules "Feuer" zu rufen. Als dann die Hülfe wirklich eintraf, verstand Jürgen Vule mit solch wehleidiger und klagender Stimme von dem unersetzlichen Verlust all seiner Habe zu reden - sie hatte nur aus Plünnen und Scharteken bestanden - dann ein paar heimliche Tränen in den Augen zu zerdrücken, dass manche mitleidige Seele ihm
gerührt die Hand reichte und kräftige Hülfe zusagte.
Dass Jürgen Vule das bischen fahrbarer Habe, das er überhaupt besass, schon längst in einer gut zugedeckten Kule im Garten untergebracht, verschwieg der alte Sünder wohlweislich.
Jeder Hausbesitzer, der von solch einem Schadenfeuer überrascht wurde, hatte dann das Recht, nachbarliche Hülfe in Anspruch zu nehmen, die auch niemals verweigert wurde. Bauholz durfte man dem Gemeindewald entnehmen, Lehm der Lehmkule; Stroh zum Decken des Hauses gab es übergenug von allen Höfen. Dazu stellte jeder Bauer sein Fuhrwerk zum Heranschaffen von Baumaterial zur Verfügung. Wer keine Pferde besass, sprang mit seiner Hände Arbeit ein. Ausserdem gestattete man dem Geschädigten eine Geldsammlung, deren Ertrag zur Bezahlung der Bauhandwerker verwandt wurde. So half man sich, als noch keine Feuerversicherung den entstandenen Schaden deckte, und wer gut zu jammern verstand und sich des Gabenheischens in einem weiteren Umkreis nicht schämte, bekam wohlmöglich ein besseres Haus aufgerichtet, als es das abgebrannte gewesen war.
Gewöhnlich spendete man nach einem Schadenfeuer, das durch Blitzschlag entstanden war, noch besonders reichlich, da man annahm, dass weniger gerettet wurde, und dieser Sitte gemäss hofften die beiden Vules, Vater und Sohn, eine reiche Ernte halten zu können.
Doch da wurde ihnen ein Strich durch die Rechnung gemacht. Es kam das Gerücht auf, Vater und Sohn seien selber schuld an dem Brande ihrer Kate und nicht etwa der Blitz. Eine ältere Nachbarin hatte nämlich die beiden Brandstifter bei ihrem auffäligen Gehabe beobachtet, zwar nicht gesehen, dass die Kohlen mit dem Dachstroh in Berührung kamen, auch nicht sofoert den Ausbruch des Feuers bemerkt, jedoch aus allem, was sie wahrgenommen, ihre Schlüsse gezogen.
Sie hatte dann auch durchaus nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berge gehalten, sondern rundweg die beiden Vules als Brandstifter bezeichnet. Das Gerede vom Tun der Katenbewohner hatte sich rasch verbreitet und dämpfte augenblicklich alle Hülfsbereitschaft. Warum sollte man Menschen beispringen, die mit voller Absicht
ihre schwierige Lage herbeigeführt.
Nicht lange dauerte es, so hatte auch das Gericht von dem Gerücht Kunde erhalten. Man zog die beiden Beschuldigten gefänglich ein; sie verlegten sich zunächst aufs Leugnen; doch das nützte ihnen nichts; durch Anwendung der peinlichen Frage kam diesmal die Wahrheit bald heraus, und die beiden Uebeltäter mussten sich zu einem offenen Geständnis bequemen.
Als man den Brandstiftern schärfer auf den Zahn fühlte und wissen wollte, wie sie auf den Gedanken, ihr Haus anzuzünden, gekommen wären, antwortete der alte Vule ganz unverfroren, die Hexe, die Salgesche, habe sie zu ihrer Tat verleitet.
Ob sie ihn denn angestiftet, die schlimme Handlung in der geschilderten Weise zu vollbringen.
Nein, das nicht; aber sie habe von einem starken Sturm geredet, der das Haus bald umstossen würde. Man müsse nun doch annehmen, dass die Salgesche selber vermöge ihrer zauberischen Kräfte den Sturm schicken würde. Um nun aber das Wort der Hexe nicht Wahrheit werden zu lassen, habe man die Kate angezündet. Man müsse doch darauf aus sein, dass der Teufel und seine höllischen Helfershelfer nicht ihren Willen bekämen.
Der Richter hätte eigentlich gar nicht nötig gehabt, die letzten Fragen an die Brandstifter zu richten. Der jämmerliche Zustand der Kate, die Faulheit und Bosheit ihrer Bewohner und die Sucht derselben, auf bequeme Weise zu einer neuen Behausung zu gelangen, begründeten eigentlich das Tun der beiden Missetäter genügend.
Er schüttelte denn auch den Kopf ob der seltsamen Anschuldigungen Jürgen Vules, liess aber doch Armgard Salge vorladen und fragte sie, wie sie sich die Zerstörung der Vuleschen Kate gedacht habe.
Sie habe überhaupt nicht an eine Zerstörung der Kate gedacht; doch jeder vernünftige Mensch wisse, dass das baufällige Geracke einem starken Windsbraus nicht mehr würde Widerstand geleistet haben.
Dem liess sich nichts entgegensetzen, zumal die Ansicht Armgards von zuverlässigen und wohlbeleumundeten Leuten bestätigt wurde, und so fand denn das Gericht keine Gelegenheit, den Gedanken der Vules nachzugehen und gegen das Mädchen Anklage wegen versuchter oder in Aussicht genommener Zauberei zu erheben.
Die Brandstifter erhielten den zu ihrer Zeit üblichen Lohn. Sie mussten mit des Seilers Tochter Hochzeit machen und mochten noch von Glück sagen, dass die Todesstrafe nicht verschärft wurde, wie es bei diesem Vergehen recht häufig geschah.
Es ist nun aber kein Gerücht so dumm, dass es nicht Menschen findet, die es glauben und weiterverbreiten. So gab es auch diesmal Freunde der gehängten, die mit aufgehobenen Finger auf Armgard Salge deuteten. Ganz ohne Grund wäre sie wohl nicht vor den Richter geladen. Irgend ein kleiner Anteil an dem Feuer, das die Vulesche Kate in Asche verwandelt, würde schon bei ihr vorhanden sein. Man solle sich nur vorsehen; zauberische Kräfte wären nun einmal bei der Salgeschen nicht abzuleugnen; es nähme kein gutes Ende mit dem stolzen Mädchen, so hiess es bei den ärgsten Klatschbasen des Dorfes.
Wieder war dem Mädchen ein kleiner Makel angehängt, mochte er auch noch so unbedeutend erscheinen und von keinem vernünftigen Menschen geglaubt werden; aber ein wenig blieb auch von dieser üblen Nachrede hängen.
Das Gefährlichste für Armgard bestand jedoch darin, dass wieder einmal auf dem Gericht ihr Name in Zusammenhang mit Hexerei und Zauberei genannt war. Er stand in den Gerichtsakten drin und konnte jederzeit wieder aus ihnen hervorgeholt werden und sie, zu unsäglich schauerlicher Fratze verunstaltet, so böse anstarren, dass ihr fast das Blut in den Adern zum Gefrieren kam.
Diesmal war´s ein Taternweib, eine Zigeunersche, die Armgard Salge einlud, in die Allerheide, zum Wulfhörnsche, zu kommen.
Was für Leute Bruno Brantwulf aber auch zu seinen Aufträgen verwandte! Zum Verwundern war´s schier, dass er diesen Gestalten soviel zutraute.
Ein zerlumptes Weib kam diesmal nach Ahnsbeck, noch nicht sehr alt, mochte einst vielleicht sogar schön gewesen sein, aber jetzt - vor Schmutz starrend, mit zerzaustem Haar und blossen Füssen daherlaufend.
Sie hatte schon mehrere Häuser im Dorf aufgesucht, ohne dass man so recht wusste, warum.
Dann kam sie auf Salges Hof, liess ihre unruhigen Augen vom Gartenstegel bis zur Blangentür und von dieser bis zur Hofeinfahrt schweifen, ging dann ins Flett, wo Armgard das Herdfeuer betreute, und gönnte auch hier ihren schwarzen Augäpfeln kein ruhiges Verweilen in einer Blickrichtung.
Mit unterwürfigem Gruss trat sie leisen Schrittes vor Armgard hin.
Was sie hier suchte, wollte Armgard wissen.
"Reicht mir die Hand, schönes Maidlein, reicht mir die Hand!" kam es mit gurgelndem Kichern aus der Kehle des Taternweibes.
Armgard, die gerade das Gemüse für die Mittagsmahlzeit zubereitete, schaute erst auf ihre Hand, dann auf die braune des Weibes und empfand einen Widerwillen dagegen, sich von der schmutzigen Zigeunerin, wenn auch nur an den Händen, berühren zu lassen.
"Kann schönes Maidlein mir wohl die Hand geben, haben schon grossmächtige Damen vom hohen Schloss in Celle und in Torgau getan."
Armgard wusste noch immer nicht recht, ob sie der Aufforderung nachkommen sollte, oder ob es nicht besser wäre, die Zigeunersche brüsk von sich zu weisen.
"Werd´ Maidlein auch Gutes sagen aus Hand!"
Endlich überwand sich Armgard soweit, dass sie ihre weisse Hand, der man sehr wohl die Spuren zäher Bauernarbeit ansah, der dunklen ausgestreckten des Weibes anvertraute.
Eine Zeitlang fuhr die Zigeunerin mit ihren Fingern den Linien in Armgards Hand nach, murmelte dann etwas für sich und wiegte den Kopf hin und her.
Darauf zog ein freundliches Grinsen über das Gesicht des Taternweibes: "Wird sich Maidlein noch heut´ abend mit grossmächtigem Junker treffen bei hohem Baum und dichtem Busch, wie schon oft."
"Was seid ihr eigentlich, Botin oder Wahrsagersche? Seid ihr Botin, was braucht ihr da mein´ Hand?"
"Ist doch feine, weisse Hand von Maidlein mit vielen Linien."
"Sagt, ob euch jemand schickt, oder ob ihr heischen gekommen seid?"
"Wohl, wohl! Schickt mich doch grossmächtiger Junker aus Steenlage, Herr Bruno Brantwulf."
"Was braucht ihr da mein´ Hand? Sagt eure Botschaft!" Mit einem kräftigen Ruck entwand Armgard ihre Hand der des Taternweibes.
"Warum wegnehmen weisse Hand? Kann noch viel drinnen sehn und lesen."
"Erst eure Botschaft! Wollen dann weiter sehn!"
"Hat Junker sagt: Will kommen zu Maidlein eine Stund´ vor Sonnenuntergang; will sein bei ihr zwischen Baum und Busch, wo immer Maidlein bei Junker ist gewesen."
"Wann ist euch eure Botschaft worden? Wo hat man sie euch gegeben?"
"Schon vor drei Tagen im dichten Eich bei Steenlage. Hat mich ein schöner Herr im Wald troffen. Hab ihm schwören müssen mit dreifachem Eid, dass ich will Botschaft ausrichten an feines Maidlein in Ahnsbeck. Will mich sonst hängen an höchsten Ast von höchstem Baum."
"Und wenn ihr mich nun nicht hättet funden?"
"Wär dem gestrengen Herrn nicht wieder unter Augen kommen. Hätt´ mich schon vor ihm verbergt. Nicht so dumm wie Umträgersch. Hat nicht wollen, was strenger Herr will, hat Peitsche kriegt. Hihi!" Dabei lachte das Weib hämisch.
"Geht ihr wieder hin zum Herrn Brantwulf?"
"Werd ihn morgen schon finden. Hat mir zugesagt guten Lohn, wenn schönes Maidlein kommt, wo Herr will."
"Sollt auch von mir Botenlohn haben!" sagte Armgard kurz und wollte sich von dem Weib entfernen.
Doch dieses liess nicht locker: "Nicht nur Botschaft. Auch aus Hand lesen."
Damit ergriff sie wieder Armgards Hand mit ihrer Rechten, zog noch einmal mit einem Finger der Linken alle Linien in des Mädchens Handteller nach.
"Viel erleben! Viel erleben! Gutes und Schlimmes, schönes Maidlein!" stiess sie dann heraus.
"Wovon denn mehr, vom Guten oder Schlimmen?"
Das Taternweib zuckte die Achseln: "Kann nicht sagen, wovon das meist´. Nennt einer gut, was dem andern schlimm scheint. Kommt immer auf Menschen an, wie er´s rechnet."
"Scheint mir aber, dass ihr vom Schlimmen grad genug heraus lest."
Die Alte murmelte etwas vor sich hin, sah wieder in die Hand; dann kam´s beschwörend aus ihrem Munde: "Hüt´ euch vor dem Feuer, schönes Maidlein; hüt´ euch vor dem Feuer!"
Armgard erschrak. Ueber sie kam, was sie in den letzten Zeiten erlebt hatte. Tonlos fragte sie: "Werd´ ich im Feuer sterben?"
Das Taternweib kam erst nicht mit der Sprache heraus, schaute immer wieder in die Hand; dann murmelte sie: "Weiss nicht! Kommt stets was dazwischen bei den Linien der Hand. Habt viel Schutz. Halt´ den fest."
Armgard sah betreten das Weib an.
Dieses liess die Hand fahren: "Ist viel wirrig. Kann Fortlauf nicht sehn. Hab´ solch Wirrsal noch nicht schaut´."
Sie schüttelte den Kopf, nickte dann und meinte: "Kann aber alles gut werden. Weiss nicht. Weiss nicht, was wirklich ist und was Trug."
Armgard gab sich einen Ruck und hatte sich wieder fest in der Hand: "Dass es gut und schlimm werden kann, weiss ich auch. Brauch´
dazu niemanden, der Handlinien deutet!" erwiderte Armgard ärgerlich nach Ueberwindung des Schrecks, den ihr einen Augenblick die Worte des Weibes eingeflösst hatten.
Sie reichte dann aber dem Taternweibe speise und Trank und einen Botenpfennig.
Das Weib entfernte sich unter vielen Dankesworten und murmelte dazwischen unverständliche Redensarten, sah dabei Armgard noch ein paarmal mit schiefgestellten Augen an und war dan verschwunden; das Mädchen hatte inzwischen längst wieder seine Arbeit am Herde aufgenommen.
Am Abend schüttete Armgard aber doch Bruno Brantwulf ihr Herz aus. Sie sprach von den dunklen Andeutungen des Taternweibes, von dem klaren Widerstand, der ihr bei manchen Mädchen und Frauen des Dorfes begegnete, von den Missdeutungen ihres Tuns und ihres Redens, an denen sie doch gänzlich schuldlos sei, von dem schlimmen Vorwurf der Zauberei, den sie oft genug hören müsse, und von all dem, was sie bedrückte.
Bruno Brantwulf war froh, dass sie ihn endlich auch an ihren Sorgen teilnehmen liess. Er suchte sie zu beruhigen und meinte, man dürfe all die Reden im Dorf nicht allzuhoch im Wert ansetzen.
Freilich, meinte er dann auch, wenn solche Reden zu Ohren des Richters kämen, wüsste man nicht, was der daraus machen würde. Fürchten solle sie sich jedoch nicht; er stümde stets hinter ihr und würde nicht dulden, dass man ihr ein Haar krümme.
"Ihr seid aber nur die wenigste Zeit in meiner Nähe. Es sind einige falsche Weiber im Dorf. Wenn nun eine von ihnen ihrer Bosheit freien Lauf lässt und mich beim Richter verklagt?"
"Werd´ ich für dich eintreten und mit dieser Hand bezeugen, dass kein Makel an dir ist."
"Und wenn man eurem Zeugnis nicht glaubt? Hat man doch schon böse Dinge geört, wenn ein Mann für ein Weib zeugt. Es sei ihm von ihr ein Tränklein eingegeben und darum die Fürsprach´. Soll mannichmal ein Zeugnis des Mannes dem Weib erst recht zum Verderben werden, wenn´s auch noch so ehrlich gemeint ist."
Bruno Brantwulf lachte in seiner unbekümmerten Weise und sprach für sich hin: "Dumme Leut´! Als ob bei einem Weibsbild sein´ Schönheit für nichts gilt. Dem Mann sein Sinnen ist viel mehr empfänglich für ein schön´ Gesicht und für ein schön´ Wachstum, denn für ein zaubrisch Tränklein, mag es nun süss oder bitter schmecken."
Und zu Armgard gewendet, setzte er seinen gemurmelten Worten solche voller Kraft und Zuversicht hinzu: "Sag´ dir das: Kommt´s zum Schlimmsten, lass ich dich nimmer im Stich. Soll man dann in Celle was erleben, wovon man noch lang´ spricht. Eh´ ich deinen schönen Leib zu Asche brennen lass, gibt es Funken und Feuer aus Schwert und Musket."
Sie schmiegte sich an ihn, fühlte sie sich doch bei ihm am meisten geborgen. Er freute sich, dass ihre Sprödigkeit diesen Abend von ihr wich, nahm sie fest in seine Arme und küsste sie herzhaft, und sie erwiderte auch seine Liebkosungen.
Er verstand es in dem weiteren Gespräch, ihren Sinn von all den Sorgen, die sie in letzter Zeit befallen hatten, völlig abzulenken und sie zu einem frischen Sprechen zu veranlassen. Allmählich kehrte sogar schon wieder etwas Frohsinn bei ihr ein, und Bruno Brantwulf tat denn auch alles, um die düsteren Wolken trüber Stimmungen von ihr fern zu halten.
Das jedoch Armgards Befürchtungenn nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen waren, sollte auch ihr Begleiter noch an diesem Abend erfahren, der ihnen sonst so voller Frieden erschien und an dem man gegen kein Geschöpf irgendeinen Argwohn durfte laut werden lassen.
Es mussten schon scheelsüchtige Menschen in Ahnsbeck vorhanden sein, die ein scharfes Auge auf Armgards Tun und Treiben zu jeder Tageszeit warfen. An diesem Abend hatten boshafte Augen bemerkt, dass sie sich vom Dorf entfernte und übers Westerfeld der Allerheide zustrebte.
Dort war sie vor den Augen der sie Verfolgenden im dichten Wulfhörnsche verschwunden. Doch hatte man sich durch Busch und Hag geschlängelt und nicht eher geruht, bis man den Treffpunkt des Paares ausgekundschaftet, hatte sie und den Junker entdeckt,
seinen grasenden Rappen wahrgenommen und sich dann auf die Lauer gelegt, um nichts von dem zu verlieren, was sich etwa im Wulfhörnsche zutrug.
Nun war jedoch das Jungvolk - denn um dieses handelte es sich bei den Nachspürenden und Nachlauernden - nicht nahe genug gekommen, um etwas von der leisen Zwiesprach des Paares aufzufangen. Deshalb hatte die jungen Burschen am Ende die Langeweile gepackt, und sie waren näher gekommen, als es für ihre eingenommenen Lauscherposten zuträglich erschien.
Die nimmer rastenden scharfen Sinne des Steenlägers hatten bald Unrat vermerkt. Er liess plötzlich sein Mädchen aus den Armen, schritt dorthin, wo es ihm nicht geheuer erschien und schrie in den dunklen Winkel ein scharfes "Wer dort?" hinein.
Eine Antwort erhielt er nicht, wohl aber vernahm er ein unterdrücktes Lachen.
Da schwoll ihm die Zornader. Er rief noch einmal in den Busch: "Wer dort? - Antwort! - oder ich schiess´!"
Als wieder nichts erfolgte, sprach er, wie zu sich selbst: "Will doch einmal sehn, ob mein Pistol auch im Dunkeln trifft!" wartete dann noch einen Atemzug lang, und als sich noch nichts rührte, schoss er sein kleines Gewehr ab. Der Schuss schien nicht daneben gegangen zu sein; man hörte ein klägliches Geschrei, dann ein überhastetes Flüchten, und darauf wurde es wieder völlig still im Wulfhörnsche.
Bruno Brantwulf durchsuchte den Winkel, soweit es bei der geringen Helligkeit der Sommernacht möglich war, fand aber nichts mehr vor.
Er kehrte zu Armgard zurück, die ihm schon auf halbem Wege entgegenkam: "Zum zweiten Mal sind wir hier im Wulfhörnsche gestört worden," so sprach er ärgerlich zu dem Mädchen; "das gefällt mir nicht. Komm doch mit mir in mein festes Haus auf Steenlage; dort hemmt uns niemand. Nicht einmal der Bischof hat´s gewagt, mich mit seinen Gewappneten heimzusuchen, obgleich er ´s gern getan."
"Und wer soll dann dem Vater und den Brüdern das Haus in Ordnung halten? Nachdem die Mutter von uns ging, haben sie niemanden,
der für sie sorgt als mich."
"Hast doch eine Magd fürs Haus. Lass die für die Mansbilder sorgen!"
"Die alte Trulle, die immer über ihre eigenen Füsse stolpert? Nein, möcht das den Meinigen nicht antun. Verkäm´ alles in Schmutz und Dreck."
"Kann denn nicht dein ält´ster Bruder sich ein Weib nehmen? Ist doch schon in den Jahren, wie du mir gesagt. Was zögert er noch?" fragte der Steenläger ungeduldig.
"Wär´ wohl möglich. Geht aber nicht von heut´ auf morgen. Muss erst richtig überlegt werden und ein Weib gewählt sein, das zu ihm passt."
"Hilf doch den Bruder bei der Wahl! Verstehst dich darauf doch ebenso gut wie ein Mann und weisst, was sich für die Deinigen schickt."
"Will ich gern. Will Ausschau halten, wenn´s eigentlich auch Sach´ der Aelteren ist. Aber Hals über Kopf lässt sich kein´ Freier stiften."
"Tu nur dein Bestes! Und wenn du dein Hauswesen in guten Händen weisst, hol´ ich dich her nach Steenlage."
"Als was?"
"Als mein´ Liebste."
"Als Liebste komm´ ich nicht zu euch."
"Und was willst denn sein?"
"Komm nur als eure Eheliebste nach Steenlage."
"Wird schon alles in die Reih´ kommen, wenn du erst einmal zwischen den festen Mauern von Haus Steenlage dein Wesen hast. Komm nur!"
"Dann frag´ ich kurz und bündig, was sonst stets die Eltern oder andere berufene Personen in die Weg´ leiten: Wollt ihr mich zur Ehefrau oder nicht? Wär´ doch euer Sach: mich von meinem Vater als Ehefrau zu fordern."
Sie richtete sich stolz vor ihm auf und sah in dieser Haltung aus wie eine Edelfrau vom Celler Schloss.
Er sah mit Bewunderung auf die wohlgewachsene Gestalt, deren Umrisse er selbst in dieser halbdunklen Nacht noch gut zu erkennen
vermochte. Ja, sie konnte wohl einen Mann an sich ketten und ihn für immer halten.
Als er zuerst die schmucke Ahnsbeckerin gesehen, hatte Bruno Brantwulf durchaus nicht an eine eheliche Verbindung mit der schönen Armgard gedacht. Er hatte sie nur nehmen wollen, wie manch anderes Weib, das ihm die Eroberung leicht gemacht. Doch das mühelose Zufassen war ihm nicht geglückt.
Erst die stolze Zurückhaltung Armgards hatte dem Steenläger das Mädchen um so begehrenswerter gemacht. Statt ihr die Sprödigkeit übel zu nehmen, war er gerade durch sie um so fester angezogen worden; er hatte Feuer gefangen und sich fest entschlossen, die Ahnsbeckerin um jeden Preis zu gewinnen.
Um jeden Preis? -
Eine kurze Zeit war er an eine junge Frau aus adeligem Hause gefesselt gewesen, die ihm von älteren Verwandten ausgesucht war und die man ihm mehr aufgeredet hatte in ganz jungen Jahren, als dass er nach ihr Verlangen getragen. Die meisten Ehen kamen doch so zustande, und sie wurden trotzdem recht und schlecht zu Ende geführt.
Bruno Brantwulf und sein junges Weib hatten sich nicht verstanden. Beide waren hart und herrisch aufgetreten wie Stahl und Stein, und wenn solche Naturen zusammenschlagen, gibt es Funken. Und daran hatte es in der jungen Ehe niemals gefehlt.
Einmal war´s in der Nacht soweit gewesen, dass er die ihm zuwider redende Frau packte, sie ans Fenster schleppte, dieses öffnete und mit steifen Armen sie aus dem Fenster hielt, ihr dabei drohend, sie bei weiterer Widerspenstigkeit in den Burggraben gleiten zu lassen.
Die junge Frau hatte es doch mit der Angst bekommen, als die nächtliche Kühle ihrem blossen Körper zusetzte und sie unter sich das schwarzfunkelnde Band des moorigen Burggrabens erblickte. Zudem wusste sie, dass im Zorn mit den Brantwulfs nicht zu spassen war und dass auch ihr Mann imstande war, seine Drohungen auszuführen.
Sie hielt um gut Wetter an, und er nahm sie dann wieder ins Zimmer. Seit dieser Nacht wagte sie wenigstens keinen offenen
Widerspruch mehr.
Gross war deshalb die Trauer Bruno Brantwulfs nicht, als seine Frau nach wenigen Jahren an den Folgen eines Sumpffiebers, das sie nicht zu überwinden vermochte, verstarb. Einen Sohn und Erben hatte ihm die Frau noch hinterlassen, und der war bei der Hausverwalterin in Steenlage in guten Händen.
Der Steenläger hatte während seiner kurzen Ehezeit keine traute Häuslichkeit kennengelernt, sich immer noch halbwegs als Junggesell gefühlt und auch nachher die Gewohnheiten seines Jungmannenlebens in vollem Umfange wieder gelten lassen.
Allen Versuchen seiner Verwandten, ihn zu einer neuen Eheschliessung zu bewegen, begegnete er mit ausgesprochenem Misstrauen. So richtig verheiratet war er seiner Ansicht nach überhaupt noch nicht gewesen, und was er von der Ehe kennengelernt, erfüllte ihn mit offenem Abscheu vor dieser Einrichtung. Sie mochte zwar notwendig sein; aber besser schien es ihm, wenn man sich möglichst fern hielt von einer derartigen Bindung. Einen Sohn und Erben besass er; sein Gut kam also nicht in Gefahr, in fremde Hände zu geraten, und dabei mochte alles sein Genügen haben.
Jedem Gedanken an eine neue Eheschliessung war Bruno Brantwulf deshalb weit aus dem Wege gegangen. Er wollte noch lange Jahre damit warten, bis er sich so etwas wieder durch den Kopf gehen liess, und sollte er einmal Neigung verspüren, ein Weib zu ehelichen, so wollte er es sich nicht wieder von seiner Verwandtschaft aufreden lassen, sondern sich selber eins aussuchen.
Kam ihm einmal ein Gelüste zum weiblichen Geschlecht an, so fand er schon ein Mädchen, das sich dem ungestümen Werber ergab, dem er aber von vornherein sagte, dass er nicht die Absicht habe, sich ihr fester zu verbinden.
Und wie stand er jetzt?
Bei der damaligen Eheschliessung hatte die Verwandschaft darauf gesehen, dass der blutjunge Bruno ein Weib aus vornehmen Geschlechte bekam, damit den Brantwulfs die eben erst erworbene Stellung nicht wieder verloren ging. Die Landtagsfähigkeit
hatte man ihnen allerdings auch früher, als sie noch ein Freibauerngeschlecht waren, nie streitig gemacht.
Durch seine frühere Heirat war für das Fortbestehen seines Geschlechts und die Erhaltung der ihm überkommenen Güter bei seiner Familie gesorgt. Konnte man jetzt auch nicht auch für sich selber sorgen?
So war es denn gekommen, dass er selbst, als Armgard ihm näher und näher trat, er dennoch den Gedanken an eine eheliche Verbindung mit ihr immer wieder in den Untergrund seines Bewusstseins schob. Wie er sich das Leben mit ihr eigentlich dachte, hatte er sich selber nie klar gemacht; das würde sich schon alles finden, wenn sie nur auf Steenlage war. Es kam ihm selber wohl manchmal in den Sinn, dass er etwas ganz Unmögliches anstellen wolle; doch derartige unbequeme Gedanken schob er dann rasch wieder in ein geheimes Schubfach. Er war und blieb doch immer der grosse Junge, der ihm nicht genehme Gedankenreihen einfach beiseite schob, damit andeutend, sie wären nicht vorhanden.
Und nun forderte diese Armgard von ihm, er solle sich augenblicklich in einer Frage entscheiden, die er sonst stets in den Hintergrund geschoben hatte!
Zwar dass es Armgard Salge, die Bauerntochter aus Ahnsbeck, war, die diese Forderung an ihn stellte, machte ihm wenig aus.
Wieder eine Frau zu ehelichen, die ihm seine Stellung festigen half, kam ihm schon gar nicht in den Sinn. Ob Bauerntochter, ob adeliges Fräulein war ihm an und für sich völlig gleichgültig. So stolz er auf sein eigenes Geschlecht war - er wusste, im Gegensatz zu vielen anderen, dass trotz allem in ihm Bauernblut steckte. Warum sollte er die Bauern verachten, da doch nur erst wenig Zeit verflossen war, seit sich seine Familie etwas über den landläufigen Bauernstand erhoben hatte.
Allzuhoch dachte er im allgemeinen nicht von seinen Mitmenschen, weder von den Adeligen, noch von den Bauern; nicht einmal die durchlauchtigte Gestalt des regierenden Herrn Herzogs in Celle nötigte ihm besonderen Respekt ab.
Er war durchaus nicht abgeneigt, hin und wieder die Bauern zu drangsalieren und die Adeligen zu ärger; damit beide zu ihrem
Recht kamen, wie er zu sich selber manchmal sagte.
Mit Armgard ständig zusammen zu leben, das vermochte schon zu locken. Sie war wirklich die Frau, wie man sie sich in seltenen Stunden einmal erträumt hatte.
Und sie wollte nun schon hier ein Heiratsversprechen haben. Hm ja, eigentlich könnte man ihr den Gefallen schon tun. Vor allen Dingen tat man damit seinen Standesgenossen einen Tort an. Das sprach auch wieder für die Freite.
Man hätte sich die Sache doch schon eher überlegen, nicht nur nach dem Besitz des Mädchens trachten, sondern sich auch die Form dieses Besitzes klar machen sollen. Frauen wollten doch nun einmal für alles besondere Formen haben.
Jetzt stand das Mädchen vor einem und wartete auf Antwort, und man kam mit seinem Nachgrübeln nicht so rasch zu Rande, wie es die Dirn haben wollte.
Zwar kreuzten die Ueberlegungen des Junkers viel rascher im Kopf des Junkers hin und her, wie sie etwa niedergeschrieben werden können; aber Armgard Salge dauerte dies alles doch schon viel zu lange. sie stand auf.
"Gehabt euch wohl, Herr Junker!" Damit wandte sie sich zum Gehen.
Bruno Brantwulf bekam noch soeben ihre Hand zu fassen und hielt sie fest: "Wohin, Armgard?"
"Nach Hause!"
"Aber du wolltest doch Antwort von mir haben!"
"Wer solange Zeit zu einer Antwort gebraucht, dem schenk´ ich sie. Lasst mich!"
"Nein! Bleib hier!"
"Will mit keinem Mann beisammen sein, der soviel Nachsinnen nötig hat, ob er mich zur Frau will oder nicht." Sie sagte das mit zorniger Stimme.
"Sei nicht so bös´! Will dir sagen, warum ich solang´ zögerte. Kommt nicht von dir."
"Liegt solch´ Missachtung in dem Hinauszögern, dass ich gar nicht hören will, warum. Soll wohl noch mehr an Niederziehendem kommen."
"Um Gott! Sei nicht so ärgerlich! Sollst mich hören, wenn´s auch nicht dein Wille ist! Muss dir mancherlei aus meinem Leben sagen."
Damit zog er so kräftig an ihrem Arm, dass sie wohl oder übel sich niedersetzen musste auf den erhöhten Rasensaum an der hohen Eiche. Er setzte sich neben sie, hielt aber ihre Hand so fest, dass es für sie kein Entrinnen gab. Sie kehrte ihm den Rücken zu, noch immer voller Zorn.
Er fing von seinem Leben an zu reden, ganz ruhig und ohne etwas zu beschönigen, sprach von seinen wilden Zügen und brachte dann die Rede auf seine Ehe mit dem ungeliebten widerborstigen Weib. Er verschwieg nichts, nicht einmal seinen Zorn und seine Drohungen in einer Nacht voll aufregenden Streits, das Weib in den Burggraben zu werfen.
Er sprach dann davon, dass die ihm aufgeredete Frau kein freundliches Heim zu bereiten verstanden, sprach von seinem Misstrauen gegen jede eheliche Bindung, das ihn schon seit Jahren beherrscht.
Inzwischen hatte er ihre Hand losgelassen, überzeugt, dass sie ihm nicht mehr davonrennen würde.
Und nun kam das Ende seiner langen Auseinandersetzung: "So, Armgard, jetzt weisst, was mein Ueberlegen bedeutet hat bei meiner Ehefeindschaft. Trotz alledem frag´ ich dich jetzt: Willst meine Frau werden auf Steenlage?"
Sie antwortete ihm nicht.
"Dreh´ dich herum, Mädchen, und sieh mich an!"
Ganz langsam kam sie der Aufforderung nach.
"Du hast mein´ Frag´ gehört. Antwort will ich nun! Hab´ mich zu der Frag´ überwunden, und war doch kein Freund der Eh´. Ueberwind´ dich nun zur Antwort! Will nicht lang´ warten! Willst Frau sein auf Steenlage?"
"Damit ihr mich auch in den Burggraben werft, wie ihr´s mit jener tun wolltet, wenn nicht nach eurem Sinn gered´t wird."
"Werd´s nicht tun mit dir. Halt´ zuviel von dir. Lass nun die alten Geschichten!"
"Wollt´ euch das Hineinwerfen auch nicht geraten haben. Würdet selber mit hineintauchen in den moorigen Graben."
Ein Schmunzeln glitt über seine Züge. Weit davon entfernt, ihr den Mut zur scharfen Gegenwehr übel zu nehmen, versuchte er vielmehr sie zu begütigen, was sicherlich selten genug bei ihm vorgekommen sein mochte: "Weiss schon von deinem Wehrgeist. Hast doch schon mit dem Messer nach mir gestochen. Würd dir auch nichts ausmachen, mich in den Burggraben zu stossen."
"Hab´ nichts von Hineinstossen gesagt. Nur wenn ich hinein soll, taucht ihr mit."
Jetzt musste er aber doch laut lachen: "Hab´ dich gefragt, ob du mein Weib sein willst, und da redst du immer noch vom Hineintauchen in den Steenläger Burggraben."
Sie sah ihn an, sprach aber noch kein Wort.
Er fasste sie wieder an dem Arm: "Ach, was frag´ ich lang! Dich pack ich, werf´ dich auf mein Ross und reit´ mit dir hin zu meinem festen Haus."
Mit kräftigem Ruck hatte sie ihm ihren Arm entwunden, stand dann auf und warf dem gleichfalls sich erhebenden Mann nur das Wort "Versucht´s!" entgegen.
In solch trotziger Haltung war ihm noch kein Weib entgegengetreten. Aber noch nie hatte ein solches verlockender ausgesehn. Es meldete sich in ihm das alte wilde Blut seiner nächsten Vorfahren und raunte ihm zu: "Nimm sie dir! Wirst doch wohl ein Weib zwingen können!" Doch dann tauchte mänliches Ehrgefühl in ihm auf: "Ist es ein ehrenhaftes Spiel, ein Weib zu überwinden, mag sie auch noch so kräftig sein? Soll doch wohl ein Mann mehr Körperkraft haben, denn ein Weib! Wird dir mit Recht das Weib todfeind werden, wenn du deine Kraft anwendest!"
Der Ehrbegriff des Mannes behield die Oberhand: "Will dich nicht zwingen. Was soll´s, dass wir hier streiten? Wollen in Frieden miteinander auskommen. Also schlag´ ein!"
Er hielt ihr dabei seine Hand hin. Der Ton seiner Worte hatte den harten Klang nicht mehr; er sprach gewinnender und sanfter.
Scharf blickte sie in seine Züge und suchte in ihnen trotz der Dunkelheit zu lesen. Zögernd reichte sie ihm dann die Rechte, die er mit kräftigem Griff packte und heftig drückte. Sie
hielt die Umklammerung ihrer Hand aus, ohne ein Wehschrei zu tun.
"Nun komm mit mir auf meinen Rappen; er trägt uns beide bis Steenlage!"
"Dann sieht´s aus, als ob ihr euch ein Liebchen von der Strasse aufgesucht."
"Hast doch durch Handschlag versprochen, dass du mein Weib sein willst."
"Hab´ ich auch! Halt auch mein Versprechen! Komm´ aber nicht mit bei Nacht und Grauen."
"Hast Angst vor dem nächtlichen Ritt?"
"Nein, nicht! Will das Haus des Vaters und der Brüder nicht in Unordnung lassen. Was denken die von mir, wenn ich so im Dunkeln davongeh´."
"Kann dann leicht noch Jahre warten, bis es dir passt und du eine Frau für deinen Bruder hast funden."
"Nein, soll nicht lang dauern. Will der Bruder bald frein, gut, hab´ dann mein´ Ablösung im Haus und brauchen die Meinen mich nicht mehr. Will er´s nicht, hol´ ich mein´ alre Muhm´ ins Haus, muss sie aber erst anlernen."
"Und dann?"
"Kannst mich holen, nicht bei Nacht und Nebel, sondern offen am hellen Tag vor allem Volk und von meinem Vater."
"Zu Ross oder zu Wagen?"
"Ist mir gleich. Doch lieber zu Wagen, da ich sonst mein´ Sach´ nicht mirkrieg´."
"Soll sein nach deinem Wunsch. Wie lang´ muss ich noch warten?"
"Nicht gar so lang´. Nur noch wenig´ Wochen. Geb´ schon Nachricht, wenn alles bereit ist zum Holen."
Ihre Stimme war bei diesem Reden allmählich traulicher und freundlicher geworden. Als sie erkannt hatte, dass es ihm wirklich ernst war mit seiner Werbung, wurde sie das anschmiegsame Weib, das niemand in ihr vermutet, der ihrem Zornausbruch beigewohnt.
Sie bat ihn nun aber, nicht wieder zu kommen, bevor sie ihm Nachricht gegeben, damit das Gered´ nicht neue Nahrung erhielt,
und er sagte es ihr zu.
Sie liessen sich nun auf der Rasenbank am Fusse des Baumes nieder, und er erzählte ihr von Steenlage, seinem festen und sicheren Hause, dem schirmenden Graben, dem grünen Wiesental und den weiten Wäldern, von der Kapelle am Bachlauf, in der die Trauung sein solle, und von den Menschen, auf deren Umgang sie angewiesen wäre.
Sie wurde nicht müde, ihn nach allen Dingen zu fragen, liess sich von ihm ihre gemeinsamen Zimmer beschreiben und taute bei diesem Frage- und Antwortspiel so auf, dass sogar hin und wieder ihr klingendes Lachen leise durch Busch und Hag erscholl.
Nach vielem Herzen und Küssen und nachdem er sie bis in die Nähe ihres väterlichen Hofes gebracht, nahmen sie Abschied voneinander. Es waren ihnen jedoch die Stunden so rasch verronnen, dass schon im Osten der junge Tag sich sehen liess, als sie sich trennten.
Er schwang sich auf sein Ross, und sie sah ihm lange nach und trat erst auf den Hof, als schon das erste Leben im Dorf erwachte.
Eine Woche nach der anderen verging, ohne dass Bruno Brantwulf in Steenlage die ersehnte Nachricht aus Ahnsbeck bekam. Noch immer nicht durfte er sich mit seinem Staatswagen, um den er selber allerdings nicht viel gab, dem jedoch jetzt eine besondere Rolle zugedacht war, auf den Weg machen, um, begleitet von seinen Mannen, die Braut heimzuholen.
Zu dumm, dass er ihr das Versprechen gegeben, sie nicht vor der endgültigen Heimholung zu besuchen. Doch nun musste er wohl oder übel sein einmal gegebenes Wort halten.
Was sollte man nun während der langweiligen Wartezeit Besseres tun, als einen wilden Ritt nach dem anderen zu unternehmen, in seinen Wäldern zu jagen und die nahe wohnenden Freunde mit seiner Jagdbegierde zu belästigen.
Er legte sich manchmal auf den Heimwegen wohl die Frage vor, ob er späterhin auch noch solche Ritte vollführen werde, wenn im Hause eine schöne Hausfrau seiner wartete.
Hm, mochte schon sein, dass man dann häufiger im Hause blieb, obgleich er es sich nur schwer vorzustellen vermochte, wie man still daheim hocken könne, wenn draussen wilder Ritt und abenteuerliche Unternehmung lockte.
Ein herzlicher Willkommengruss nach weitem Ritt musste aber auch eine starke Kraft ausüben auf den Mann mit abenteuernden Gedanken.
Mochte aber auch sein, dass es einem dann auf Steenlage am schönsten zu sein dünke, wenn man eine Armgard in den Armen hielt, ein Weib voller Kraft und Leben, das man herzhaft an sich ziehen konnte, ohne dass einen die Furcht ankam, man möchte das weibliche Wesen zerbrechen. Nein, zum Glück, eine Zimperliche und Zierliche war seine Armgard nun einmal nicht.
Wenn nur bald Nachricht von Ahnsbeck käme! Armgard war doch nicht auf den Kopf gefallen und würde schon dafür sorgen, dass auf dem väterlichen Hofe eine Stellvertreterin einzog, und Gelegenheit zu einer Botschaft nach Steenlage könne sie auch schon ausfindig machen.
Ob er sich nicht selber Bescheid holte? Nein, das wollte er doch lieber bleiben lassen; besser war´s schon eine Umträgersche aus Walsrode loszuschicken, die erfuhr am leichtesten, wie der Hase lief.
Ja, das wollte er nach der nächsten Jagd ausführen, falls bis dahin noch immer keine Botschaft eingetroffen war, die er so oft bei einer Heimkehr vorzufinden hoffte.
Für die nächsten Tage war er nämlich vom Kanzler Friedrich von Weihe eingeladen, mit ihm im Becklinger Holz des edlen Weidwerks zu pflegen, und eine solche Einladung schlug er nur ungern aus.
Er ritt also nach dem noch in voller Sommerpracht dastehenden Becklinger Holz und war mit ganzem Herzen dabei, als man den flüchtigen Hirschen und Rehen folgte.
Abends kehrte man im Jägerhause in Becklingen ein und liess es sich gut schmecken nach der anstrengenden Jagd, der man einen leeren Magen und müde Beine verdankte. Es klönte sich so angenehm in dem kleinen Raum des Hauses, und Kanzler Friedrich von Weihe wusste dann von all den Neuigkeiten zu berichten, die in letzter Zeit am Celler Hofe sich zugetragen hatten.
Herzog Wilhelm war schon wieder von einem Schwermutsanfall geplagt worden, und dann musste man ihm viele Regierungssachen vom Leibe halten, da eine seltsame Entschlusslosigkeit über ihn käme. Er kümmere sich dann grundsätzlich nicht um Staatsangelegenheiten und liess alles gehen, wie es wolle.
Nur in religiösen Büchern blättere er herum, besuche auch eifrigst nach wie vor all die Gottesdienste in Schlosskapelle und Stadtkirche. Sonst halte er sich dann aber viel zu viel bei dem niedrigen Volk auf, trinke mit den Knechten, bis sie alle unterm Tisch lägen, was sich doch nicht für einen Herzog gehöre.
Ob die Frau Herzogin dem denn nicht Einhalt gebieten könne.
"Nur sehr schwer. In diesen Stimmungen lässt der gnädige Herr sich nichts sagen."
"Wie muss es sie doch verdriessen," meinte Bruno Brantwulf, "dass der Herr Herzog solch schwere Stunden hat. Damals, als die dänische Königstochter an den Celler Hof kam, wurde sie
von dem gesamten Adel des Landes zur Hochzeitsfeierlichkeit eingeholt. Was für ein Prunk ist nicht an der Hochzeitstafel entfaltet worden. Ich hab´ dazumal als Page die Vermählungsfeier mitgemacht und weiss noch, was an den Tischen verzehret wurde: Allein 214 Rehe und 29 Wildschweine, 108 Hasen und fast 7000 Stück Wildgeflügel, einige hundert Tonnen Bieres und viel Fass edlen Weines. Viel beneidet war die Braut, die solch eine Feier begehen konnte. Man glaubte damals, es fehle nichts zu ihrem Glück. Und heute - wieviel Ungemach hat nicht allein des Herzogs Düsternheit über sie gebracht!"
"Geht selten im Leben so aus,wie´s bei den Hochzeitsfeiern scheinen möcht."
"Wer vollbringt denn die Regierungsgeschäft´, wenn das Uebel den Herzog überfällt?"
"Einiges, was durchaus nicht liegenbleiben kann, versucht die Frau Herzogin zuwege zu bringen. Unsereiner hilft ihr so gut dabei, wie´s angängig ist."
"Versprech mir nicht allzuviel vom Weiberregiment. Geht´s mit dem Herzog absolut nicht mehr weiter, muss man sich doch an die Verwandtschaft des Herrn wenden, dass diese eine Regentschaft aus den ersten Familien des Landes einsetzt."
"Mit der Verwandtschaft ist´s auch ´ne eigene Sach´! Seit ein paar Jahren ist in dem Verhältnis zum Herzog Heinrich, dem Bruder des Fürsten, auch das Ei entzwei. Die Frau herzogin sucht sich darum mit unserer Hülf´ recht und schlecht durchzuschlagen."
"Welcher Art Sachen sind´s denn jetzt, um die sich die Frau Herzogin zu kümmern hat?"
"Liegen ihr wieder die Prozess´ aus Ahnsbeck am Herzen. Sie will gern, dass sie bald zu einem End´ kommen."
Ahnsbecker Prozesse? Bruno Brantwulf wurde hellhörig, während er bisher die ganze Unterhaltung ohne besondere Anteilnahme, nur zum Zeitvertreib, geführt hatte. "Was für Prozesse sind denn in Ahnsbecker Sachen anhängig gemacht?"
"Nun, wenn von Ahnsbecker Prozessen die Red´ geht, kann man stets versichert sein, dass es sich um Hexenprozesse handelt. Ist nun diese Sach´ in dem Ort schon seit Jahr und Tag imgange. Das Dorf
kommt in diesen Zeitläuften wohl nie richtig zur Ruh´. Tauchen irgendwo Hexen auf, weist die Spur des Erlernens der zauberischen Kräfte stets auf Ahnsbeck, wenn auch die Angezeigten aus einem anderen Ort stammen."
"Ist mir zwar bekannt, dass in Ahnsbeck Hexenprozesse ihren Ausgang genommen," liess sich der Steenläger vernehmen, wandte sich nun aber von der allgemeinen Unterhaltung mehr dem Gespräch mit dem Kanzler zu, da er mehr von ihm zu erfahren hoffte; "war mir jedoch gänzlich unbekannt, dass schon wieder solche Sachen im Schwange sind. Was wirft man den Weibern aus Ahnsbeck denn diesmal vor?"
"Oh, mancherlei! Hab´ nicht auf alles acht gegeben, was von den Ahnsbeckerinnen erzählt ist. War ja Angelegenheit des Grossvogts, die Verhandlungen zu leiten. Scheint mir aber die Hauptanklage von einem Hagelwetter herzukommen, so vor einigen Wochen bei Ahnsbeck herum vielfachen Schaden angerichtet. Ist nun merkwürdig, dass einige Felder nach dem Schmarloh zu völlig von dem Unwetter verschont geblieben, indes auf den Feldern dicht daneben alles kurz und klein geschlagen ist, so dass man nicht einmal erkennen kann, welcherlei Frucht auf dem Acker gestanden. Da haben etliche ahnsbeckische Weiber erzählt, die Davordische habe den Hagel verschuldet, habe die Felder der anderen verwünschet, mit sonderbarem Murmeln eine unbekannte Materie den Wolken zugeworfen, und daraufhin habe sich der Himmel mit aschgrauen Wolken bezogen; es sei ein Hagelwetter losgebrochen, wie seit Menschengedenken nicht erlebet. Am Tage habe man müssen den Tankrüsel anzünden, um nur aus einer Dönze in die andere zu kommen, eine solche Finsternis sei übers Dorf gebreitet gewesen. Und da ist nun die Grenze des Hagelschlags haarscharf am Rain vom Acker der Wetterhexe entlang gegangen, als ob eine Richtschnur dahin geleget. Auf ihren Feldern war kein Halm geknickt. Daraufhin hat der Amtsmann in Bedenbostel die Davordische gefänglich eingezogen und sie ins Graue Haus zu Celle eingeliefert. Hat man schon gesagt: Verhält sich alles so, wie vermeld´t, soll an der Hexe ein Exempel statuieret werden und sie an dem Ort ihrer Schandtat
ihr Vergehen büssen, um andere Weiber von ähnlichen zauberischen Kunststücken abzuschrecken."
"Wirft man der Hexe also vor, dass ihr Feld vom Hagel nicht betroffen ist, und hat dicht daneben das Unwetter alles zerschlagen. Muss nun aber sagen: Ist mir selber auch schon mehrfach begegnet auf eigenen Aeckern, dass Hagelgrenzen scharf gezogen sind wie nach einer Schnurr. Ist für mich kein Zeichen, dass eine Zauberische dabei ihr Wesen getrieben. War manchmal auf dem einen Acker die ganze Frucht in Grund und Boden geschlagen und zwei Schritt daneben kein Halm gekrümmt. War jedoch beides mein Eigentum und kein Hexenwerk möglich."
Der Kanzler Friedrich von Weihe zuckte die Achseln: "Die eingezogene Davordische hat dann gleich andere Weiber bezichtiget, und da sind dann noch mehr derselben ins graue Haus gesetzet."
"Was sollen denn die vollbracht haben?"
"Eine soll unter die Türschwelle des Nachbarn etwas von einem toten Tier eingegraben haben, wovon der Mann denn auch richtig krank geworden und verstorben ist. Mit einer anderen will sie sogar in Beedenbostel auf dem Kirchhof die Leiche eines totgeborenen Kindes ausgegraben, davon die Fingerknöchelchen losgelöst und diese zu Pulver verbrannt haben, welches Pulver eine sehr wertvolle Materie darstellen soll. Auf was für Einfäll´ die Menschen nicht kommen!"
"Die Weiber reden sich gegenseitig zu Schanden. Sie können nun einmal nicht ihrer Zunge Einhalt gebieten. Würden sie schweigen, rauchten nicht soviel Scheiterhaufen in allen Landen."
"Mag sein! Weiss auch nicht, warum sie soviel daherreden. Findet sich aber auch Mannsvolk dabei ein, wie mir ein Richter kundtat."
"Wohl! Finden sich auch unter den Mannsleuten genugsam, die´s den Weibsbildern im Reden gleichtun. Was war´s denn mit dem Geschwätz der Männer?"
"Eine Junge und Hübsche ist angeklagt; die soll mit dem wahrhaftigen Gottseibeiuns in der Allerheide Umgang gepflegt haben. Der Leibhaftige hat sie häufig genug besucht, ist gekleidet gewesen wie ein Jäger mit einer Feder auf dem Hut. Ist sogar
mit einem höllischen Feuerrohr Männern und Weibern zu Leibe gegangen und haben sich diese nur mit genauer Not vor den Nachstellungen des bösen Feindes haben retten können. Soll sogar einer getroffen sein von einer teuflischen Kugel und hat lange Zeit die Wunde nicht heilen wollen."
"Wo soll das gewesen sein?"
"In der Allerheide, im kleinen Wäldchen, so man das Wulfhörnsche nennet - so hab´ ich mir erzählen lassen von einem, der genau Kunde hatte. Kann mich selber für das Faktum nicht verbürgen. Muss mich mit dem Nacherzählen begnügen. Hab´ ja das Verhör nicht geleit´. Gehört nun einmal in des Grossvogts Bereich."
Bruno Brantwulf überlief es in diesen Augenblicken heiss und kalt. Sollte es wirklich Armgard Salge sein, der man Teufelsbesuche zuschob? Und sollte er selber am Ende gar als der Teufel gelten? Die Oertlichkeiten stimmten allzusehr mit denen der Zusammenkünfte zwischen ihm und Armgard überein.
Er riss sich jedoch zusammen und fragte ruhig den Kanzler: "Wisst ihr, wie die anderen Ahnsbeckischen heissen, so man ins Graue Haus geworfen?"
"Nein! Hab´ die Namen zwar gehört. Sind mir aber wieder entfallen. Kennt ihr einige der Ahnsbeckischen Bauern?"
"Ja, dieser und jener ist mir noch in Erinnerung."
"Liegt euch daran, lass ich mir die Namen sagen und teil´ sie euch dann mit.
"Lasst nur! Hab´ keinerlei Gerechtsame in Ahnsbeck. - Ist auch die Junge, Hübsche, von der ihr spracht, schon festgesetzt im Grauen Hause?"
"Nicht, dass ich wüsst. Habt ihr euch mit den jungen Weibern von Ahnsbeck schon einmal vergnügt?"
"Wär´ schon möglich. Sagt einmal, Hochverehrtester, wird solch ein jung´ Ding ins Graue Haus geholt - fragt man es dann auch peinlich?"
"Jedenfalls! Man macht nur selten Ausnahme davon, wenn einmal der Verdacht vorliegt, dass eine Person der Hexerei verfallen sei."
"Würde man gegen solch eine Junge auch so hart vorgehn, wenn ein Mann von Stande für sie eintritt?"
Friedrich von Weihe bewegte gedankenvoll das Haupt: "An der Prozessordnung würde kaum etwas geändert werden, zumal seine herzoglichen Gnaden dem Hexenvolk nicht wohlgesinnt sind und am liebsten das ganze Teufelspack mit Stumpf und Stiel ausrotten möcht."
"Wer also dem Hexenrichter erst einmal in die Klauen geraten ist, hat wenig Schonung zu erhoffen, auch wenn jemand günstig für ihn aussagt?"
"Tritt irgendein Mensch für eine offenbare Hexe ein, gilt er entweder selber als Teufelsdiener, oder es wird von ihm geglaubt, dass er dem Bann der Hexe verfallen, also von ihr verzaubert ist."
"Glaubt ihr selber an Hexerei und an die Wirksamkeit des Teufels in verruchten Menschenkindern?"
Da kam jedoch der wendige Hofmann zum Vorschein: "Hab´ bislang diese Fragen auf sich beruhen lassen, hab´ mir nicht über derartige Ding´ den Kopf zerbrochen. Solang´ man ein Weib, das als Hexe vor dem Richter steht, nicht selbsten kennt, kümmert man sich nicht darum, wie man mit ihr verfährt. Ist des Richters Sach´, und soll man zu diesem schon das Vertrauen haben, alles zu einem richtigen Ende zu führen."
"Eigentlich sollt´ man Fragen, wie den Werken des Höllenfürsten in dem menschlichen Herzen, ganz und gar auf den Grund gehen - Doch ist solches keine Unterhaltung beim Nachttrunk. Lasst uns von anderen Dingen reden!"
Trotz dieser Worte war es dem Steenläger gar nicht um eine weiteres Reden zu tun. Ihm hatten die Worte des Kanzlers alle Sprechlust zerschlagen. Er war doch recht nachdenklich geworden.
Sollte wirklich Armgard in Gefahr sein? Ihre eigenen Befürchtungen, die er damals wenig ernst genommen, sie sogar fast in den Wind geschlagen, fielen ihm jetzt ein und lasteten schwer auf seiner Seele.
Auf jeden Fall musste er sofort nach Ahnsbeck reiten, und dann wollte er sich an keine Einwendung von ihrer Seite aus kehren, sie vielmehr vor sich aufs Ross nehmen und sie nach Steenlage in Sicherheit bringen, mochte sie auch noch so sehr sich dagegen
auflehnen und von Taternfreite reden.
Sollte sie sich sträuben; er würde sie schon zu beruhigen wissen. Sie war bei seiner alten und gesetzten Haushälterin besser aufgehoben als in dem jetzt so unsicheren Ahnsbeck, wo sie doch, wie er vernommen, aufs äusserste bedroht war.
Und hatte er sie erst einmal auf seinem stattlichen Ross, dann mochten alle Hexenrichter der Welt gegen sie auftreten - er wollte sie allen anfeindungen zum Trotz schon in sein festes Haus bringen, und dort im Schutze des breiten Burggrabens und der sicheren Mauern und Gelasse durfte er´s schon mit einem ganzen Heer von Verfolgern aufnehmen.
Bruno Brantwulf war nicht der Mann, der es für richtig hielt, einen einmal gefassten Entschluss auf die lange Bank zu schieben. Er nahm sich schon während des Gespräches mit dem Kanzler vor, noch in dieser Nacht loszureiten, um nach seinem Plan zu handeln. Bald nach Mitternacht, nachdem er seinem Pferd ein paar Stunden der diesem so notwendigen Ruhe gegönnt, wollte er aufbrechen.
Er machte deshalb schon an diesem Abend seinem Gastfreund Mitteilung, dass er am frühen Morgen noch einen Ritt vorhabe. Jedenfalls würde er erst später wieder zu der Jagdgesellschaft stossen, die auch am folgenden Tage des edlen Weidwerks pflegen wollte.
Sollte ihm jedoch der Teufel ein Hindernis in den Weg werfen, was leicht angehen könne, da er eine sehr verzwickte Angelegenheit zu regeln habe, noch dazu in einem etwas entfernten Orte - erst heute sei ihm die fast vergessene Sache eingefallen - so möge man seinen frühen Aufbruch verzeihen.
Der Gastfreund nickte ihm begütigend zu. - So, nun hatte der Steenläger alle Hände frei, hatte allen etwaigen Missdeutungen von vornherein die Spitze abgebrochen und hatte einen langen Tag vor sich.
Schon in erster Morgenfrühe traf Bruno Brantwulf bei Ahnsbeck ein.
Nun wollte er sich zunächst erst einmal Gewissheit verschaffen über all die Dinge, die im Dorf wirklich vorgegangen waren. Ritt er jedoch geradewegs in den Ort hinein, so konnte das auffällig erscheinen und zu neuem Gerede in dem jedenfalls stark aufgestörten Dorfe Anlass geben.
Am besten, er suchte einen Ahnsbecker ausserhalb des Dorfes zu treffen, der ihn dann über alles genauer unterrichtete. Auf der Westseite des Dorfes, die von dem Steenläger zuerst erreicht wurde, führte ein Weg den Namen Schapsdrift; wenigstens erinnerte sich Bruno Brantwulf, dass Armgard mehrfach davon geredet hatte. Möglich, dass er in der Nähe dieser breiten Drift den Schaper von Ahnsbeck mit seinen Schafen antraf.
Der Steenläger hatte Glück bei seinem Suchen. Der alte Schaper, der seine Herde auf dem Felde in eine Hürde eingepfercht, hatte die Nacht in seinem Schäferkarren neben seinen Schutzbefohlenen zugebracht und war soeben aus seinem engen Schlafraum hervorgekrochen. Seine Heidschnucken entliess er in diesem Augenblick aus der Hürde und trieb sie in die freie Heide, wo sie genügend Beschäftigung für ihre scharfen Zähne fanden.
Als der Junker sich nun dem Schaper nähern wollte, sah er, dass der Hüter seiner Herde jetzt auch an sich selber dachte und seiner Ledertasche ein kräftiges Frühstück entnahm. Halt, sagte sich der Steenläger, es ist besser, wenn man hungrige Menschen zufrieden lässt; der Schaper muss erst einmal sich selber gründlich gestärkt haben; dann ist er in menschenfreundlicherer Stimmung; mit satten Leuten ist stets besser zu kramen.
So machte er denn mit seinem Pferde zunächst noch einen Umweg, behielt jedoch den frühstückenden Schaper stets im Auge. Erst als er sah, dass der Schaper auch seinen Hund ausgiebig bedachte, näherte er sich ihm, und da die Schnuckenherde nicht weit vom Wege ihren Morgenimbiss nahm, so konnte er ohne viel Aufsehens mit dem Lenker des braunen Volkes, das auf seinen zierlichen Beinen langsam durch die Heide weidete,
ins Gespräch kommen.
"Hast keine Angst vor den Ahnsbecker Hexen, wenn du so mutterseelenallein die ganze Nacht in deinem Karren zubringst?" begann der Reiter sein Frage- und Antwortspiel. Er war jedoch, um völlig unauffällig vorzugehen, vorher mit einem derben Fluch vom Pferd gesprungen, um einen Gurt fester anzuziehen, und machte sich dann auch an Sattel und Zaumzeug zu schaffen.
Der Schaper war, scharf auf das Gehabe des Herrn schauend, näher getreten, hatte sich aber erst noch einmal einen tüchtigen Knaggen Schwarzbrot von seinem Knust heruntergesäbelt und diesen mit einem nicht zu kleinen Stück Mettwurst vereint, in den Mund gesteckt. Es dauerte deshalb eine geraume Zeit, bis Antwort kam.
"Hexen," sagte er dann langsam und sicher, "Hexen komme nicht in meinen Karren, können´s auch gar nicht."
"Warum denn nicht? Hab´ doch gehört, sie schlüpften manchmal sogar durch ein Schlüsselloch."
"Mag sein. Aber nicht da hinein;" er deutete mit dem Daumen der linken Hand auf seinen Schaperkarren; "hab´ ein Hufeisen auf der Kopfleiste und Krähenflüchten auf der Fussseite angenagelt. Sollen´s wohl bleiben lassen, da unterdurch zu kommen. Hab´s mit´m Tor zur Hürde ebenso gemacht."
"Hilft das sicher gegen Hexen?"
"Das hilft!"
"Habt ihr denn noch immer soviel Hexen in eurem Dorf?"
"Noch´m ganze Masse. Sind jetzt aber weniger worden."
"Warum denn weniger?"
"Stecken einige davon nun in Celle im Grauen Haus. Ist dicht zu. Kann keine Hexe wieder ´rausfliegen."
"Wieviele sind denn hingebracht nach Celle?"
"Drei alte Weiber und eine junge Hexe."
"Wann sind denn die ins Graue Haus kommen?"
"Die junge haben sie erst gestern mitgenommen; die alten sind schon vorige Woche beigesteckt, die eine, glaub´ ich, am Montag, die andern am Freitag."
"Wer ist denn die junge?"
"Dem Bauern Salge sein´ Dirn, die Armgard."
Bruno Brantwulf erschrak; also war er mit seinem Vorhaben doch zu spät gekommen; doch durfte er sich vor dem ihn scharf beobachtenden Schaper nichts anmerken lassen. Er fragte also auch nach den alten weibern und erhielt bereitwillig eine weitläufige Auskunft, auf die er aber nicht im geringsten hörte. Als der Junker vermeinte, jetzt habe er den ihm gleichgültigen alten Weibern wohl genügend Anteilname entgegengebracht, kam er wieder auf das, was sein ganzes Inneres in aufruhr brachte.
"Und die Junge - warum hat man die festgesetzt?"
"Ach die, das ist´n ganz Schlimme. Wie kein´ andre soll sie sich aufs Menschenverhexen verstehn. Ist aber noch nicht das Aergste." Er sprach leise und neigte sich dem Reiter zu: "mit dem Schwarzen ist sie beisammen gewesen. Ihr versteht wohl, mit dem -", er schlug ein Kreuz.
"Wo denn?"
"Drüben in der Allerheide; im Wulfhörnschen waren sie beieinander, und was da passiert ist - na, wollen lieber nicht drüber reden."
"Woher weiss man denn das?"
"Die jungen Leut´ aus´m Dorf haben sie dabei gefasst, als sie dort im Busch mit dem - hm- ihr Wesen trieb."
"Wie sah der denn aus?"
"Haha, schwarz sicher nicht, wenn er auch so heisst. Kann sich ja äusserlich in einen Engel des Lichts verwandeln. Ist wohl meist im grünen Jägerkleid angekommen, fast so wie ihr," - ein misstrauischer Blick streifte den Steenläger schärfer - "oder in streifeter Tracht."
"Woher weiss man denn, dass es der Höllenfürst ist, wenn er gar nicht danach aussieht?"
"Sprecht nicht so laut vom Bösen. Ihr könnt ihn mit euren Worten anlocken. - Woran man ihn erkennt? Nun, an seinen Werken."
"Was für Werke tat er denn?"
"Er selber gibt sich nicht den Anschein, als ob er die Werke tut. Das überlässt er meistens den Hexen, und die vollbringen´s dann in seinem Namen."
"Was vollbringen sie denn?"
"Alle Schlechtigkeiten der Welt. Vieh- und Menschenseuch, Blitzschlag und Hagelwetter, Misswachs und schlecht Wasser, Feuersbrunst und unverhoffter Tod - alles kommt von den schlimmen Weibern."
"Hat die Junge denn dabei mitgeholfen?"
"Die erst recht. Hat die meisten argen Taten verübt."
"Welche denn?"
"Nun hört zu!" - Und nun begann der Schaper all die Geschichten, die wir schon kennen, in massloser Uebertreibung und in seltsamer Verkehrung dem junker aufzuzählen. Auf dem Erntefest hatte es natürlich ein halbes Dutzend Tote gegeben, und der Gottseibeiuns habe unter Schwefel, Feuer und Rauch den Ort verlassen. Bei der Lehmkule sei das Mädchen selber dabeigewesen, einen höllischen Bock am zügel haltend. Der Vuleschen Kate habe sie tatsächlich einen Blitz aus einer schwarzen Wolke geschickt. Und liess man eine Hexe bannen im Dorf, wär´ es jedesmal die Dirn, die sich dann habe blicken lassen. Das alles wurde mit einer solchen Gehässigkeit vorgebracht, dass den Steenläger vor den Abgründen derselben schauderte.
"Woher weiss man denn all die Geschichten?"
"Werden von den Leuten im Dorf erzählt. Könnt jeden fragen, wird dasselbe sagen."
"So glauben alle, dass sie´n Hexe sei."
"Nur´n paar junge Leute nicht. Wollen sogar für sie die Hand ins Feuer legen. Sind aber nur von ihr behext."
"Kann man ihr denn das nachweisen, was du mir da alles erzählt hast?"
"Nachweisen? - Da passt der Böse schon auf und hilft den Weibsleuten. Aber in Celle hat man schon Mittel, dass dem sein Verbergen nichts hilft. Da kriegen sie auch die ärgsten Schätze des höllischen Meisters kirre. Geht dann die ganze höllische Pracht in Rauch auf. Gehört sich auch so, damit das Reich des Bösen zerstöret wird." Damit endete in salbungsvollem Ton der Schaper seinen Sermon.
Bruno Brantwulf wurde es fast übel ob solcher Bosheit. Der
Schaper war fest überzeugt, dass alle Hexen nur erhielten, was ihnen von rechts wegen zukam. Wie er dachten wohl die meisten Menschen.
"Bring´ nur deine Schnucken nicht mit deinen bösen Reden um die Ecke!" rief der Reiter dem Schaper zu, schwang sich dann auf seinen Rappen und ritt davon.
Was sollte er sich noch weiter mit dem gehässigen Mann abgeben! Was er wissen wollte, hatte er gehört, leider viel mehr, als er begehrte.
Der Schaper sah ihm kopfschüttelnd nach. Ganz reine Sache war´s mit dem Reiter da auch nicht. Sollte es auch wohl einer der höllischen Sendboten sein? Man tat gut, einen Segen zu sprechen und damit den gefährlichen Bann des Reiters zu brechen.
Bruno Brantwulf war, als er sich von dem Schaper entfernte, in einer verzweifelten Stimmung. Jetzt war er doch zu spät gekommen. Er ritt zunächst nur in die Allerheide hinein und zwar soweit, dass ihn der Schaper nicht mehr erblicken konnte. Nachdem ein dichtes Gebüsch ihn den spähenden Augen des Nachschauenden entzogen, hielt er seinen Rappen an, stieg langsam vom Pferde, band es an einen Baum, setzte sich ins grüne Gras und dachte angestrengt darüber nach, was nun zu tun sei.
Ob er den Oppershäuser ins Vertrauen zog? Doch was konnte der ihm helfen! War er nicht selber allzusehr von der Kraft der Hexen überzeugt? Nein, Hülfe fand er nur bei einem Menschen, dem die ganze Hexenfrage gleichgültig war, oder der selbst nicht an die Kraft der Zauberischen glaubte. Aber solche Menschen waren dünn gesät, und er fand auch am Ende einen solchen - würde der dann Tatkraft genug besitzen, um ihm zu helfen?
Er dachte an seinen Freund, den Kanzler Friedrich von Weihe, einen klugen aufgeklärten Mann. Trat der aber gegen den Grossvogt auf, in dessen Hände all die vielfach durcheinander schiessenden Fäden des gesamten Rechtswesens zusammenliefen? Es war bei diesem Hofmann nicht zu erwarten.
Wie er nun auch sann und diesen Gedanken fasste und jenen verwarf - wollte er etwas erreichen, durfte er nur auf sich selber, auf seine eigene Unternehmungslust und seinen anschlägigen
Kopf bauen.
Soviel stand bei ihm fest: Unternehmen musste er etwas für seine Liebste; ein tatenloses Abwarten der Geschehnisse lag ihm nicht, würde vielmehr seine Gedanken aus Rand und Band bringen. Aber was war zu tun? Er konnte doch nicht mit seinen paar Gewappneten, die noch dazu bei dem Handstreich in der Düsteren Heide arg zusammen geschmolzen waren, eine Unternehmung auf das feste Celle in Aussicht nehmen. Und das graue Haus mit stürmender Hand zu überrumpeln? - Auch wenn´s gelang - er sass dann doch immer zwischen den hohen Wällen Celles wie in einer Mausefalle gefangen.
Ob er nicht vielleicht in der Stadt selber etwas zu erfahren vermochte von dem ferneren Schicksal, das Armgard Salge bedrohte? Vielleicht? Besser war´s aber doch wohl, man liess sich dort nicht allzuviel sehen. Wenn man dort dem von der Jagd heimgekehrten Friedrich von Weihe begegnete? Welche Ausreden wollte man dem gegenüber dann gebrauchen?
Aber bis in die Blumläger Vorstadt durfte man sich schon wagen. Wenn man wieder im "Blauen Donner" einkehrte, mochte man schon einiges erfahren können. also auf zum "Blauen Donner"!
Am besten war es aber jedenfalls, wenn man sich erst während der Dämmerung der Stadt näherte. Der Steenläger hielt sich also den Tag über in der Allerheide auf, ritt, um sich die Ungeduld zu vertreiben, bis dahin, wo man schon die neue Papiermühle in Lachendorf ruckeln hörte, näherte sich aber erst gegen Abend der Aller, durchritt sie in der Bannföhrde, kam an der Oldenceller Kirche vorbei, sah bald darauf neben sich den Platz des Hochgerichts, wo noch die angebrannten Pfähle vom letzten Hexenfeuer zeugten, was selbst dem unerschrockenen Junker ein Frösteln durch die Glieder jagte, liess St. Georg, das Stift und das Kapellchen, hinter sich, ritt über die Blumlage und kam, ohne ein ihm bekanntes Gesicht zu erspähen, im vollbesetzten Kruge zum "Blauen Donner" an.
Hier konnte er sich ungestört zwischen die Bröckeler Fuhrleute und die Fuhrknechte aus den oberen Landen mischen, ohne
befürchten zu müssen, auf ihm wohlbekannte Personen zu stossen.
Dann vertraute er sich dem Wirt an, den er als eine umsichtigen und verschwiegenen Menschen kannte. Von den Gefangenen im Grauen Hause wusste der zwar auch nichts Näheres zu berichten; doch versprach er dem Junker, am folgenden Morgen herum zu horchen. Irgendetwas würde sich schon zwischen den Wällen der Stadt erkunden lassen.
Dann setzte sich Bruno Brantwulf in eine Ecke und lauschte den meist unbekümmert und laut geführten Gesprächen der Fuhrleute. Vielleicht vernahm er hier einen Hinweis, der ihm dienlich erschien. Doch er hoffte vergebens; niemand schnitt den ihm am Herzen liegenden Gesprächsstoff an.
Dennoch hörte er alsbald eine Geschichte, die ihn aufs äusserste packte und verwirrte und ihn fast von den ihn immer noch durchwühlenden Gedanken ablenkte.
Er vernahm aus dem Munde eines Fuhrmanns mehrmals das Wort Steenlage und dann auch seinen eigenen Namen.
Den Sprecher schaute er sich genau an, um festzustellen, was dieser von ihm wollte. Doch der beachtete ihn überhaupt nicht, und wusste jedenfalls auch nichts von ihm, was man deutlich wahrbehmen konnte, wenn der Fuhrmann seine Augen über den Steenläger achtlos hingleiten liess.
Bruno Brantwulf spürte auch bald, dass er selber nur beiläufig erwähnt wurde, dass vielmehr in der Hauptsache sein Vater gemeint war. Es fiel nämlich der Ausdruck "der böse Brantwulf", und es war ihm nicht unbekannt geblieben, dass der Vater im Volksmunde diesen wenig angenehmen Namen wegbekommen hatte.
Er selber dachte sich nicht allzuviel dabei, dass sein Vater mit dem üblen Beinamen bezeichnet wurde. Wenn er auch einen grossen Teil der Handlungen seines Vaters nicht billigte - dass man ihn deshalb schon "den bösen" nannte, war nach seiner eigenen Meinung so wenig zutreffend, das man sich darüber mit einem Achselzucken hinwegsetzen konnte. Man sah einmal wieder, wie wenig verlässlich manchmal doch die Volksmeinung ist.
Doch als er am Abend diese Geschichte vernommen hatte, wurde ihm manches über den Ruf seines Geschlechtes klar. Glauben konnte er zwar die Erzählung nicht; aber er hörte nun doch, was das Volk seinem Vater zugetraut, und da durfte einen am Ende der arge Name nicht wunder nehmen.
Dass die Fuhrleute sich am Abend in den Krügen lange Geschichten erzählten, war nichts Neues. Womit sollten sie die Zeit verbringen! Viele kannten sich vom immer wiederkehrenden gemeinsamen Uebernachtungen her. War nun ein guter Erzähler dabei, so sammelten sich um ihn gleich seine näheren Bekannten und lauschten dem sich abwickelnden Knäuel seiner Geschichten. Ob sich alles genauso verhielt, wie der Berichtende es hinbreitete, war schliesslich nebensächlich. Die Hauptsache war schon ein sich lang ausspinnendes Band voll guter Farben.
Auch hier wickelte ein guter Erzähler seinen Faden ab und hatte verschiedene Zuhörer, unter denen aber niemand so atemlos lauschte als der Steenläger. Was er nun aber vernahm, war die Geschichte
"Auf der alten Königsstrasse bist du doch schon gefahren?" so begann der Erzähler, einer der Bröckeler Fuhrleute, sein Garn abzuhaspeln, sich dabei an sein Gegenüber wendend.
"Welche meinst du?" fragte der dem Bröckeler gegenüber sitzende Fuhrmann.
"Mein´ die, so bei Rethem über die aller geht und sich dann allmählich durch die Heide schlängelt und auf Lüneburg stösst."
"Kenn´ ich ganz genau."
"Gut! Wenn du nun von Rethem ungefähr eine Tagfuhr hinter dir hast und dann ein bisschen nach links ausbiegst, kommst du nach Steenlage."
"Weiss schon Bescheid, wo du meinst."
"Und da in Steenlage nun wohnt´ der böse Brantwulf, und von dem will ich nun noch mehr erzählen. Jetzt ist der alte Eisenfresser zum Glück tot."
"Brantwulf? - Brantwulf? - Hab ich nicht erst vor kurzem den Namen gehört?"
"Kann schon sein! Der Sohn lebt noch und liegt sich mit dem Verdener Bischof in den Haaren. Ist auch von dem jungen Brantwulf mancherlei zu berichten, will das aber jetzt nicht, halt´ mich nur an den alten, den bösen Brantwulf."
"Schön! Was willst du von ihm zum Besten geben?"
"So sehr lang´ ist der Alte ja noch nicht tot. War nicht weit mehr bis zu seinem End´, da fasst der böse Brantwulf den Entschluss, eine Kapell´ zu bauen. Mocht´s auch wohl nötig haben, der alte Raubritter, etwas für sein Seelenheil zu vollbringen. Wer so der Sünden Menge auf sich geladen, sehnt sich danach, seine Rechnung mit dem Himmel in Ordnung zu bringen, besonders, wenn einen das Zipperlein plagt, das man auch nicht gerad´ vom gottseligen Leben bekommen soll. Hat der Seeräuber, der Störtebecker, doch auch so gehalten beim Verdener Dom. Hat der grossen Domkirche sieben hohe Fenster geschenkt und der Stadt noch Geld, um Brot und Heringe am Sonntag Lätare für die Armen auszuteilen. Glaubten solche Leut´, dadurch besser angeschrieben zu sein da oben."
"Hast recht! Scheint bei grossen Sündern Gebrauch zu sein, wollen dadurch wohl versuchen, unserm Herrgott Sand in die Augen zu streuen, damit er das recht hoch angelaufene Schuldkonto in seinem grossen Buch durchstreicht."
"Mocht´ dem nun sein, wie dem wolle, jedenfalls wollt´ der böse Brantwulf eine Kapelle bauen, die sich sehen lassen konnt´ unter ihresgleichen. Sprach auch mit dem Burggeistlichen dieserhalb, und der bestärkt´ ihn in seinem gottwohlgefälligen Tun.
Noch ein paar unsanfte Stösse des Zipperleins, und der alte Sünder wollt´ seinen Entschluss nun in die Tat umsetzen.
Dabei freut´s ihn vor allen Dingen noch, seinem Bischof noch einen Tort antun zu können. Gehört´ nämlich Steenlage in den Sprengel des Mindener Bischofs; der Steenläger stand mit diesem nun ebensowenig gut wie mit dem Verdenschen; die Bischöfe lagen ihm allesamt besonders schwer im Magen.
Geht da nun an der Burg vorbei ein Flüsschen, das die Grenz´ zwischen den beiden Bistümern Minden und Verden darstellt. Fragt der Brantwulf nun beim benachbarten Archidiakonat an, ob etwas dagegen einzuwenden sei, wenn man jenseits des Bächleins ein Kapellchen baue.
Nein, gewisslich nicht, antwortete dieses, ohne sich erst lange mit seinem Bischof zu beriechen.
So, nun konnt´ der Bau losgehn. Eine Ziegelei hatt´ man selber im Busch, wo denn auch die Steine grossen Formats gebrannt wurden. Eichen für das Gebälk und den Dachstuhl hatt´ man auch genügend im Sunder; also gingen Maurer und Zimmerleut frisch an die Arbeit.
Viel zu langsam für den bösen Brantwulf stiegen die starken Mauern des Kirchleins in die Höhe; viel zu lang´ behieben die Zimmerleut´ ihre mächtigen Eichenstämme. Er flucht´ und wettert´, nannt´ die Gesellen Faulenzer, und die Meister hatten ihre liebe Not, sie bei der Arbeit festzuhalten.
Obgleich nun die Steenläger Bauern kräftig mit Hand anlegen mussten und auch ihre Gespanne manche Fuhre ausführten, kam der Bau dem geizigen Brantwulf viel zu teuer.
Nicht, dass es ihm an Geld fehlte. Nein, er hatt´ davon genug in seiner schweren Eichentruhe, die, mit dicken Eisenbändern beschlagen, in seiner Schlafkammer stand. Aber jedesmal, wenn er sie öffnen wollt´, kriegt´ er einen Krampf in die Finger und einen schlimmen Hustenanfall, so dass er zwei-, dreimal dabei anfangen musst´, und sollt´ er sich dann von seinen lieben Gulden und Talern trennen, stöhnt´ er und flucht´ ganz gottserbärmlich.
Na, am End´ waren denn doch die Maurer und Zimmerleut´ fertig geworden, und der Dachdecker tat sein Werk. Mit dem Kirchendach kam er bald zu Rande, und der böse Brantwulf braucht´ nur ein paarmal in die Truhe zu langen und zu fluchen.
Aber dann fing er beim Turmdach an, und da kam und kam er nicht weiter. Das Türmchen war nicht allzuhoch, hatt´ aber soviel Ecken und Winkel und Vorsprünge, dass man keine Dachziegel aus der eigenen Ziegelei dabei verwendet´.
Zu einem Kupferdach hatte sich der Steenläger gleichwohl erst entschlossen, als ihm das Zipperlein in einer Nacht ganz elediglich zusetzte. Er sagt´ sich dann aber auch in jener schlimmen Nacht: Das Kupfer blinkt so schön golden nach dem Himmel hinauf, und nachher wird´s so schön grün, dass sich alle Engelein dran freuen mögen.
Als nun aber der Meister da droben noch immer werkte und nicht zum Schluss kommen konnte, wurde der Brantwulf immer ärgerlicher und ungeduldiger. Die bunten Glasfenster waren in der Zwischenzeit auch allmählich fertig geworden und hatten eine Stange Geld gekostet, die man dem Glaser auch nur unter Seufzen und Stöhnen aushändigte.
Endlich hatt´ der Meister auf dem Turm sein´ Arbeit getan und wollt´ sein Geld mitnehmen. In der letzten Zeit war er gar nicht mehr zum bösen Brantwulf hingegangen, um sich einzelne Geldsummen zu holen; denn er sagt´ sich: Warum so häufig den Aerger wegen des Geldes; mach´s nur auf einmal ab; dann wird´s auch nicht schlimmer sein!
Nun ging denn der Meister zum Brantwulf hinein und legt´
ihm die Schlussrechnung vor.
Als der die Endsumme ins Auge fasst, beginnt er ingrimmig zu fluchen, schliesst dann aber nach mehrmaligem Anlauf die schwere Eichentruhe auf und beginnt unter Gestöhn und Geanke das Geld dem Meister hinzuzählen.
Dabei guckt denn der böse Brantwulf so nebenbei aus dem Fenster, sieht nach dem Turm hinauf und vermeint, das Kreuz stehe schief da droben. Pfuscherarbeit sei einmal wieder von dem geleistet, der das Kreuz festgemacht.
Dafür konnt´ er doch dem Meister eine hübsche Summe abziehn. Dieser trat auch ans Fenster, sah hinauf und vermeint, möglich sei es schon, dass dem Kreuz ein klein wenig von der lotrechten Richtung fehl´; doch das sei leicht zu ändern; er selber habe von dieser Seit´ noch niemals zum Kreuz hinaufgeschaut, und darum möge der kleine Fehler sich eingeschlichen haben.
Damit springt der Meister auf, eilt nach draussen und klettert wieder das Gerüst hinauf, das zum Glück noch steht. Dann richt´ er die letzte Leiter hoch, und, ohne diese zu sichern und zu festigen, steigt er nochmals zur Spitze hinauf. Das bisschen Arbeit, so meint er, würd´ er auch ohne Sicherung zu End´ bringen.
Brantwulf sieht den Dachdecker oben auf dem Turm hantieren. Wenn der Meister aus der Höhe jetzt abstürzt´, braucht´ er, der Brantwulf nämlich, die schöne Summe, die noch auf dem Tisch lag, nicht zu bezahlen. Die Rechnung lag schon quittiert da. Der Meister war unverheiratet. Wer wollte nachher sagen können, dass der seinen Lohn nicht erhalten, seine Auslagen nicht ersetzt bekommen.
Ja, aber der Dachdecker arbeitete so sicher, dass an einen Absturz niemand zu denken brauchte. Wenn er jetzt aber erschreckt würde - ob er dann nicht herunterfiel? - Ach, da lehnte wie immer die Büchse an der Wand, natürlich geladen.
Da oben umkreisten Dohlen den arbeitenden Mann. Wenn man nun ein paar davon herunterholte und die Kugeln pfiffen dem Dachdecker um die Ohren - ob der dann wohl erschrak?
Eigentlich müsste man´s einmal ausprobieren, so ging es dem Steenläger durch den Sinn. Trotz seines Kirchenbaues war der Patron
doch der Alte geblieben.
Er hatt´ das Gewehr schon in der Hand, sah es prüfend von allen Seiten an, führt´ es an die Backe und zielt´ auf die Dohlen.
Er setzt´ die Büchse noch einmal ab, Nein, auf den Meister wollt´ er keineswegs schiessen; aber auf die Dohlen - wer wollt´ ihm das verwehren!
Er setzt´ nochmals die Büchse an, zielt´ wieder auf das kreischende Gezücht, macht´ den Finger krumm, und schon kracht´ der Schuss, und der Schall brach sich an Mauern und Wänden.
Wegen des Pulverdampfes konnt´ Brantwulf einen Augenblick nicht erkennen, was sein Schuss bewirkt. Ein wilder Schrei drang aber dennoch an sein Ohr.
Als er wieder klar sah, waren oben weder Dohlen noch Dachdecker mehr vorhanden. Jedoch unten liefen die Handwerker zusammen.
Bald sah er zwei Mann, die eine aus Brettern rasch hergestellte Bahre trugen, und auf ihr lag ein Mann, furchtbar zugerichtet, soweit man´s erkennen konnt´. Die Werkleut´ brachten den Herabgestürzten in die benachbarte Mühle.
Der Mann war nicht wieder zum Leben zu erwecken.
Ueberall wurd´ nun erzählt, der böse Brantwulf hab´ den Dachdecker vom Turm heruntergeschossen. Glaub´s aber nicht. Eine Schusswunde hat man bei dem Menschen auch nicht gefunden. Es lag auch eine tote Dohle unter dem Meister, und nach dieser wird der wilde Mann geschossen haben.
Aber was braucht´ er zu schiessen, wenn ein Mensch da oben in Lebensgefahr stand! Man weiss nicht, was man zu solchem Tun überhaupt sagen soll.
Das Geld auf dem Tisch hat dann aber der habgierige Mann gleich wieder zusammengerakt und in seine eisenbeschlagene Truhe geschüttet.
Als die Verwandten des Meisters Zahlung begehrten, wurd´ ihnen zur Antwort, der Dachdecker hab´ sein Geld auf Heller und Pfennig hingezählt erhalten, was ja auch wörtlich stimmte, und eine Zahlungsbescheinigung schien dies auch nachzuweisen.
Sieben Wochen darauf nahm´s auch mit dem bösen Brantwulf ein schlimmes End´. Er war auf´s Dorffeld geritten, und da soll sein Pferd vor einem Fuchs, der daherschnürte, und von einer der Dohlen, die dem Reiter um den Kopf flogen, scheu geworden sein.
Es warf seinen Reiter ab. Wie das zuging, ist nicht recht klein zu kriegen, da der Brantwulf der sicherste Reiter war, den man sich denken konnt´.
Ob er da einen Herzschlag gehabt, ob er´s Genick gebrochen, oder in einen kleinen Wassertümpel zuviel Wasser geschluckt hat - wer kann das wissen.
Ja, seinen Richter kann schon kein Mensch entgehn, und wenn er den irdischen entwischt, läuft er den himmlischen in die Arm´.
Der böse Brantwulf soll noch durch die Gegend als hulend Voss laufen und die Leute erschrecken."
Damit schloss der Bröckeler Fuhrmann seine Erzählung, deren Schluss wir bereits genauer kennen. Der Erzähler und seine Zuhörer standen auf und verfügten sich ohne ein weiteres Wort zu ihrer Schlafstätte.
Bruno Brantwulf hatte erschrocken diesem Bericht zugehört. So also deutete sich das Volk einzelne Ereignisse in Steenlage.
Von dem plötzlichen Tode des Dachdeckers hatte er vernommen. Er sei, als er soeben seine Arbeit vollendet, vom Turm gestürtzt. Da ein Dachdecker stets in Gefahr schwebt, so hatte sich Bruno Brantwulf durchaus nicht über den Unglücksfall gewundert; vom Schuss des Vaters war ihm nichts erzählt worden. Ob der wirklich gefallen war?
Seinen Vater hatte, wie man ihm mitgeteilt, auf einem Ritt ein Herzschlag getroffen. Das war die einzige Nachricht, die ihm über den Tod seines Vaters geworden war.
Da er selber, während sich diese Geschehnisse in Steenlage abspielten, am Türkenkriege teilgenommen, war es leicht zu erklären, dass ihm keine weiteren Einzelheiten übermittelt wurden, und er hatte auch niemals ein Verlangen in sich gefühlt, in vergangenen Zeiten herumzuwühlen; es mochte wohl eine geheime Furcht in ihm stecken, dass mancherlei auch in seiner Familie
vorgegangen war, das man besser mit dem Schleier des Vergessens überdeckte.
Dass jedoch solch schlimme Geschichten über sein Haus im Volke umliefen, hätte er kaum für möglich gehalten. War nun die Kunde, wie sie das Volk sich zurecht gelegt, glaubwürdig oder nicht?
Bruno Brantwulf blieb noch lange, in Gedanken versunken, auf seinem Platz.
Ganz gleich, ob diese Erzählung wahr sei oder nicht - umsonst hatte sein Vater den schlimmen Beinamen nicht erhalten. Es gab also doch manche Schuld zu sühnen in seinem Hause.
Arg mitgenommen hatte den Steenläger doch die Geschichte des Bröckeler Fuhrmanns, fast ebenso stark wie am Morgen der bericht des Schäfers.
Dann raffte er sich auf, streckte seine Glieder und sprach zu sich selbst: "Tu, was du musst!" und damit begab er sich an seine Schlafstätte im "Blauen Donner".
Der Wirt zum "Blauen Donner" war nicht auf den kopf gefallen. Wollte er einmal einem Gaste, den er schätzte und der nicht mit zugeknöpften Taschen dasass, einen besonderen Dienst erweisen, dann führte er sein Vorhaben auch durch, mochten sich ihm dabei auch mancherlei Schwierigkeiten in den Weg stellen.
Am frühen Morgen, sobald das Oldenceller Tor sich geöffnet, gin er in die Altstadt, um etwas über die Insassen des grauen Hauses zu erfahren. Das war nicht gerade leicht; denn nur wenige hatten Zutritt zu dem Gebäude, das stets ein gewisses Grauen umwitterte. Man kam nur mit Schaudern in die Nähe des Hauses, aus dessen Keller man zuzeiten furchtbare Schreie wollte gehört haben, und die Gerüchte davon mochten wohl nicht aus der Luft gegriffen sein, befand sich doch in den unterirdischen Gewölben des unheimlichen Gebäudes der Torturkeller.
Der Wirt hatte Glück bei seinem Umherstreifen. Er fand den gerichtsdiener Hans Klopperogk, den er gut kannte, in der Ridderstraten. Er wusste, dass der Mann einem guten Trunk niemals abgeneigt war.
Mit dem kam er in ein Gespräch, liess sich von ihm etwas vorjammern über endlose Dienste, bedauerte ihn deswegen und meinte dann, es sei doch schade, dass der Mann des Gerichts Tag und Nacht in Anspruch genommen werde und so selten eine ruhige Stunde für sich habe.
"Kannst glauben, nicht eine Minute Zeit lässt einem der Gerichtsvogt, immer muss er einen hierhin jagen und dahin schicken, dass man am Ende gar nicht mehr weiss, wo einem der Kopf steht. Immer im Sturmschritt strassauf, strassab."
"Schade, jammerschade, dass dir sowenig Zeit bleibt! Hör´ dich so gern erzählen,; aber wenn du keinen Augenblick über hast, darf ich dich nicht weiter in Anspruch nehmen."
"Geht wirklich nicht. Muss nun schon wieder traben, dass ich überall hinkomm´. Erst nach der Kannengeiterstraten zum Bürgermeister Lüdeke von Sehnden, dann nach´m Hilligen Krütz in die Nienburg zum Grossvogt Gabriel von Donop; zum Hokenhändler Severloh in der Muernstraten geht´s auch noch hin, und wer weiss,
was der Gerichtsvogt mir sonst noch zugange sucht."
"Ist aber doch zu schade! Hätt dich von der Muernstraten gern mitgenommen nach´m "Blauen Donner"."
"Wär´ gern eingekehrt, wenn´s mir nicht unterm Nagel brennte! Was willst machen! Dienst geht vor!"
"Ist wirklich übel. Hab´ grad´ eben ´n Fass Braunschweiger Mumme angestochen. Wenn einem der Ruch davon in die Nasen steigt, kommt ´n kaum los davon. Sollt´ mir nicht auf einen Kroos Mumme oder deren zwei ankommen; aber tu nur dein Botschaft ausrichten!" Damit wollte sich der Wirt von dem Gerichtsdiener verabschieden, oder er tat wenigstens so.
Es war aber wirklich zuviel verlangt von Hans Klopperogk, wenn man erwartete, er würde solch lumpiger Laufereien wegen einen frischen Kroos Mumme ausschlagen, noch dazu, wenn er einem mit diesen verlockenden Worten angeboten wurde.
"Frischen Trunk Mumme hast? Will dir was sagen: Mach´ den Weg in umgekehrter Reih´. Fang in der Muernstraten an, und da will ich dir schon den gefallen tun, ein paar Schritt weiter zu machen durch Oldenceller Tor."
Nun hatte der Wirt den Hans Klopperogk soweit, wie er ihn haben wollte. Er wusste, dass sein Kumpan, wenn er erst einmal im "Blauen Donner" festsass, stundenlang erzählen konnte, obgleich er nach den eigenen Worten keine Minute Zeit übrig hatte.
Als Hans Klopperogk den ersten Kroos Mumme geleert hatte, ging ihn die ganze Welt nichts mehr an, nicht mehr der Grossvogt Gabriel von Donop und nicht mehr der Bürgermeister Lüdeke von Sehnden. Mochten die grossen Herren zusehen, wie sie ihre eiligen Botschaften und Handschreiben bekamen - der Gerichtsdiener brachte sie ihnen fürs erste nicht. Mochte die ganze Altstadt in Flammen aufgehen - Hans Klopperogk sass fest auf seinem Schemel und kippte einen Kroos nach dem anderen weg.
Der Wirt fragte ihn nun nach alledem, was im Grauen Hause vor sich ging; doch Hans Klopperogk verschwor sich dreimal hoch und heilig, über seine Zunge käme kein Sterbenswörtchen von dem, was in jenem Gebäude passierte,
und risse man ihm die Zunge mit glühender Zange aus dem Halse. Dann jedoch, unter der Wirkung neuer Mengen Mumme, rückte er dem Wirt näher und fing an, unter Beschwörung ewiger Heimlichkeit allerhand auszukramen.
Der Wirt sass mit Hans Klopperogk in einer Ecke der Krugdönze, so dass man im übrigen Teil des Raumes wenig von dem Gespräch der beiden Heimlichtuer vernahm. Doch hielt sich Bruno Brantwulf auf Anweisung des Wirts dicht daneben in einem dunklen Verschlage auf, nur durch eine Holzklappe von den Sprechenden getrennt, was ihn jedoch nicht hinderte, jedes Wort zu verstehen, selbst wenn der Gerichtsdiener zum Flüstern überging, wobei er allerdings immer noch laut genug dem anderen etwas ins Ohr raunte.
Von den vier Ahnsbecker Hexen, die erst vor kurzem ins Graue Haus eingeliefert waren, wollte der Wirt etwas wissen.
Da berichtete denn der Gerichtsdiener über die Davordische, die man erst vor ein paar Nächten peinlich gefragt. Sie wäre an den Händen hochgezogen, und man habe an ihre Füsse einen schweren Stein gehängt; da habe sie gejammert und gesagt, man solle sie herunterlassen; sie wolle alles bekennen, was man von ihr verlange.
Ja, das schwere Hagelwetter, so berichtete sie auf eine Frage hin, sei durch ihre Schuld entstanden, und als man auf des Nachbarn Seuche und Tod angespielt, habe sie auch hierfür alles auf sich genommen.
Nun schien sich jedoch Hans Klopperogk ins Uferlose verlieren zu wollen; es kamen endlose Schandtaten, die man der Hexe zuschob, auf den Tisch; doch griff der Wirt kurzer Hand ein und lenkte das Gespräch in Bahnen, die ihm zusagten.
Ob sie denn noch andere Hexen angegeben habe.
"Sicher, sonst wären die anderen doch nicht eingelocht worden."
"Sind denn die drei anderen auf einmal geholt?"
"Nein, erst die beiden alten und dann die junge."
"Warum die junge denn erst später?"
"Die beiden alten sind der Hexe schon während der Pein eingefallen,
die junge erst nachher, als sie am Richtertisch wieder gefragt wurde."
"Ist sie denn nachher bei dem geblieben, was sie in der Pein gesagt hat?"
"Frag´ nicht so dumm! Hätt´ sie widerrufen, wär´s ihr noch schlimmer ergangen."
"Aber du sagst doch, dass sie die junge erst nachher angegeben hätt´!"
"´s wird gern gesehn, wenn´s Bekenntnis verstärkt wird. Die Hex wird immer gefragt, ob sie noch mehr ihresgleichen wüsst´. Da hat sie denn gemeint, die junge gehört´ zu den ganz schlimmen."
"Wie ist denn der Nam´ von der jungen Hex?"
"Ist die Dirn vom Bauern Salge in Ahnsbeck. Armgard heisst sie - glaub´ ich."
"Wurd´ sie denn auch schon peinlich gefragt?"
"Nein, erstmal im Guten."
"Und hat sie da was bekennet?"
"Das ist ´n ganz Hartgesottene. Nichts kam aus ihr raus."
"Was hat man sie denn gefragt?"
"Na, so mancherlei - ob sie mit dem feinen Herrn - weisst ja, mit dem aus der Höll´ - zusammen gewesen wär´?"
"Was war ihr Antwort?"
"Mit dem Höllenfürsten und ähnlichem Gelichter hätt´ sie keinen Umgang, nur mit ordentlichen Menschen."
"Hat man ihr´s geglaubt?"
"Wie kannst nur so hinreden! Aber erstmal hat man sie dann nach andrem gefragt: nach der nächtlichen Tanzerei in der Allerheide und nach dem Schaden an Mensch und Vieh."
"Und sie?"
"Nichts hat das junge Weibsbild eingestanden. Wird aber schon kommen."
"Wie will man´s denn bei ihr rauskriegen? Will man sie auch in der Pein fragen?"
"Wohl! Doch erst will man bei ihr etwas anders proben."
"Was denn?"
"Soll´s eigentlich nicht von Mund geben. Soll ganz geheim
bleiben."
Der Wirt füllte den Kroos Hans Klopperogks aufs neue mit brauner Mumme.
"Wirst doch nichts über die Lippen bringen, Wirt?"
"Iwo! Ist alles bei mir gut aufgehoben. Erzähl nur frisch von der Leber weg!"
Hans Klopperogk neigte sich dem Wirt zu, letzten Grundes doch froh, dass er für sein Geheimnis einen Abnehmer fand: "Will´s dir ganz heimlich sagen: Die Wasserprob´!"
"Die Wasserprob´? Was ist denn das?"
"Soll die Salgesche im Wasser erprobt werden, ob sie eine Hex ist."
"In welchem Wasser?"
Hans Klopperogk schüttelte den Kopf. "Weisst aber auch rein nichts, Wirt. - In der Aller, wo denn sonst!"
"Wann soll´s denn erprobt werden, das junge Weib?"
"Uebermorgen, in der Früh´."
"Kann man die Prob´ sich auch ansehn?"
"Soll ja eigentlich verschwiegen bleiben. Kenn´ das aber schon. Sind doch immer Leut´, die´s ausschwatzen. Komm nur her! Halt´ aber´s Maul, und tu´ keiner Menschenseel´ kund, dass ich etwas davon hab´ verlauten lassen. Gehab´ dich so, als ob du zufällig an die aller kämst."
"Hab´ nur kein Sorg´! Werd´ doch einen Freund nicht in Ungelegenheiten bringen."
Hans Klopperogk fühlte sich geschmeichelt, von dem vielgenannten Wirt als Freund tituliert zu werden.
"Hab´ solch´s noch niemals gesehn," begann der Wirt nun wieder, "wie wird denn ein´ Wasserprob´ gemacht?"
Händ´ und Füss´ werden dem Mensch kreuzweis´ zusammengebunden, und dann wird´s einfach ins Wasser geworfen."
"Wie denn? Im Zeug oder splitterfasernackt, wie sonst in der Badstuben neben dem Tor?"
"Wo denkst denn hin! Sind doch Christenmenschen und kein´ Heidenleut´. Ein Röcklein hat die Dirn schon an."
"Ja, wenn die Dirn nun ins Wasser geworfen wird, kann sie doch ersaufen."
"Wird schon aufgepasst, das sie nicht ersauft. Kriegt ´n Strick unterm Arm durch und wird schon zur rechten Zeit aus der Aller kommen."
"Warum wirft´n denn die Dirn ins Wasser, wenn man sie gleich wieder rausziehn will."
"Ist doch grad´ die Prob´. Schiesst´s Weibsbild auf dem Wasser hin wie ein´ Ent´, ist es ´n Hex. Geht´s aber unter, ist´s kein´."
"Wie will man denn das daran kennen wollen?"
"Na, kannst dir´s doch denken! Wasser ist ´n rein´ Element, duldet nichts Unreins und nichts Teuflisches. Nimmt´s Wasser sie an, ist sie rein; wo nicht, ist sie ´n Höllenbraten."
"Hast schon bei solcher Prob´ zugesehn?"
"Schon mehr als einmal."
"Wie war´s denn da? Sind wohl meist untergegangen, die Weibsbilder?"
"Ist dem nicht so. Schossen meist so über´s Wasser hin. Wusst einer dann gleich: Sieh dich für, die da schwimmt, ist ´n Hex."
"Muss das Weib also wünschen, dass es untergeht. Ein sonderbar´ Sach´. Will sonst jeder, der ins Wasser fällt, dass er oben bleibt, und hier: Je näher dem Versaufen, desto besser! Holt man´s Weibsbild auch wirklich so bald heraus, dass es nicht ersäuft? Nützt ihr doch sonst das ganze Schuldlossein nichts."
"Wird schon alsobald aufs Trockene gebracht."
"Lässt man sie dann laufen?"
"Gewiss, ist ja kein´ Buhlin des Höllenfürsten."
"Und die schwimmt?"
"Wird solang peinlich gefragt, bis sie die Teufelsbuhlschaft verrät."
"Will mir die Wasserprob´ doch auch ansehn. Was sagst doch? Uebermorgen in der Früh´ soll sie sein?"
"Ja, ganz früh, wenn´s noch kühl ist im Wasser."
"Und im Allerfluss soll´s sein?"
"Wohl, in der Aller. Von der Brücken wird sie ins Wasser geworfen."
"Nach welcher Seit´ hin?"
"Nach der Mühlen zu."
"Wo steht man da am besten? Auf der Allerbrücken?"
"Besser sieht man´s schon vom Wehr; aber da ist nicht viel Platz. Stell´ dich nur ans Ufer diesseits."
"Gut, werd´ mich einfinden."
"Sag´ dir aber nochmal: Bericht´ keinem Menschen von dem, was dir kund ist. Käm´ sonst in dem Satan sein´ Küch´. Tu nur so, als wollst schon in der Früh´ einen Gang machen. Kommst dann ans Wasser, tust verwundert ob der vielen Leut´. Fragst dann dummerweis, worauf man wart´. Wird dir dann schon Antwort zuteil. Werden doch immer allzuviel Menschen gewahr."
"Hab´ kein´ Sorg! Wird niemand aus mir ein Wörtchen herausholen."
"Dein Bier ist gut. Ist mir so leicht durch den Schlund gelaufen. - Muss nun aber eiligst wieder durchs Tor und mein´ Sach´ bestellen. Komm´ sonst zu spät heim am Mittag, und dann schilt mein´ Alt."
Damit erhob sich Hans Klopperogk und wollte rasch den Krug verlassen. Da es ihm aber gefallen hatte, dass der Wirt so freigebig das Bier gespendet, kam ihm plötzlich ein neuer Gedanke: "Nimm´s nicht für ungut, Krüger, wenn ich dir noch mit einem anliegen komm´. Sag, hast auch Einbecksch Bier im Keller? Möcht´s gern einmal wieder proben. Läuft unsereinem so selten durch die Kehl´."
Der Wirt lacht: "Hast schon recht. Am liebsten trienken´s die feinen Herrn vom Rat und die hohen vom Hof selbster. Hab´ aber grad noch ein Prob´ im Keller. Sollst was davon haben, weil du´s bist."
Damit ging der Krüger hinaus und kam nach einer Weile mit einem Krug des geschätzten Einbecker Bieres zurück. Er hatte jedoch inzwischen dem Junker in seinem Verschlage schon einen Wink gegeben und ihn leise gefragt, ob er noch etwas von dem
Saufaus da drinnen zu wissen begehre.
"Nein!" hatte der Herr nach kurzem Bedenken geäussert, "aber halt! Fragt doch einmal das Saufschwein, wo das Mädchen ist untergebracht."
Der Krüger setzte seinem geschwätzigen Gast den neuen Krug Bier vor die Nase, und der Man des Gesetzes schlürfte den köstlichen trunk mit innigem Behagen.
"Sag´, wo hast denn die junge Dirn untergebracht?" begann der Krüger von neuem das Gespräch.
"Hihi!" lachte Hans Klopperogk, auf den die Menge des genossenen Getränks durchaus nicht ohne Wirkung geblieben war; "willst sie besuchen? Hab´ kein´ Sorg´! Kommst nicht rein. Schaut durchs Gitterfenster auf Mauern. Ist in der Eck nach der Kalkhütten zu untergebracht. Und dann noch ein Treppen hoch." Er lachte noch einmal in sich hinein. "Nein, kommst nicht rein, und könntest auch klettern wie ein Katteker."
Damit stand er, sich rülpsend, auf, wischte sich den Bart, reichte dem Krüger die Hand und torkelte mit wortreichem Dank und kurzem Gruss hinaus.
Bruno Brantwulf trat gleich darauf in die Krugdönzen: "Dank dir, Krüger! Hast gut gefragt! Nimm dafür den Dukaten!"
Der Junker hängte sich dann den Mantel über, drückte seinen Hut tief ins Gesicht und schlenderte gleichmütig, als ob er nichts suche, über den Kreis, schritt dann aber nicht durchs Oldenceller Tor, blieb vielmehr ausserhalb von Wall und Graben auf der Fritzenwiese, bog darauf beim Hospital St. Anna auf die Allerbrücke, wandelte jenseits derselben am Bürgerfelde entlang, setzte seinen Fuss auf das Allerwehr und schritt auf ihm dahin bis zur Walkmühle. Dann wurde Kehrt gemacht, und es ging noch einige Schritte auf dem Gelben Damm hin, wobei einige Fischerboote, die am Allerufer festgekettet lagen, besonders ins Auge gefasst wurden. Darauf schritt der einsame Mann wieder über die Allerbrücke zurück, besah auch das linke Flussufer bis zur Ratsmühle und zur Poltermühle hin, und dann kehrte er in derselben langsamen Schreitweise über die Fritzenwiese zum "Blauen Donner" zurück.
Wer ihn auf dem Gange oberflächlich angesehen, würde gedacht haben: Nun, da hat wohl einer der Herren, die auf dem Schloss zu Besuch sind, Langeweile, will sich deshalb die Füsse etwas vertreten und die Aller beschauen.
Man hätte dem sorglos scheinenden Mann schon scharf in die Augen sehen müssen, um wahrzunehmen, mit welch aufmerksamen Blicken jede Kleinigkeit am Ufer und im Flusse angeschaut wurde, wie unruhig der Schreitende hin und her guckte. Da er´s aber mit äusserer Gelassenheit tat, so achtete niemand des beobachtenden Mannes genauer, und dieser war seelenfroh, dass er keine bekannten Menschen hatte begrüssen müssen. Es war zufällig die Zeit, da die Bürger der Stadt ihre Mittagsmahlzeit einnahmen, und so traf denn der Junker nur wenige Menschen auf seiner kurzen Forschungsreise.
Als Bruno Brantwulf wieder im "Blauen Donner" eintraf, schien er aufgeräumt und munter zu sein. Er musste wohl einen Plan gefasst haben, der ihm selber behagte, liess sich vom Wirt ein kräftiges Mittagsmahl auftragen, gab dem Knechte Anweisung, sein Pferd ordentlich zu füttern, sah auch selber nach, ob es geschehen war, wartete dann noch eine kurze Zeit, liess sich seinen Rappen vorführen, schwang sich hinauf und ritt davon.
Wieder mied er die Stadt Celle, trabte vielmehr die Blumlage hinab an St. Georg und seiner Kapelle vorbei, wandte sich dann allerdings nach rechts, benutzte die uralte Steinföhrde durch die Fuhse, um auf Westerceller Gebiet zu gelangen, sprengte dann durch Wald und Heide nach Hambühren und Oldau, ritt erst bei Winsen über die Aller und weiter durch die weite Lohheide dem festen Steenlage zu.
Es kam allerdings auf diesem Ritt vor, dass er zeitweise wenig des Weges achtete und es seinem Pferde überliess, den richtigen Pfad zu finden. Fast schien es, als ob den Junker die Besonderheiten eines vorgefassten Planes stark in Anspruch nahmen. Hin und wieder traten Sorgenfalten auf seine Stirn, und er vermochte vielleicht überlegen, was zu tun sei, wenn sein Vorhaben nicht ganz nach Wunsch ausgeführt werden könne.
Doch als er am Abend über die Steenläger Zugbrücke ritt, da nahm man auf seinem Gesicht eine gewisse entschlossene Ruhe wahr; alles Planen musste wohl bis ins einzelne überdacht sein. Im Steenläger festen Hause brachte sein Kommen allerdings mancherlei Unruhe hervor. Waffen und Rüstungen wurden herbeigeschleppt, die Pferde gemustert, sogar ein Bote zu einem befreundeten Nachbarn geschickt, was zur Folge hatte, dass am anderen Morgen sich von dorther noch ein paar bewaffnete Knechte einfanden.
Der Morgen des zweiten Tages nach dem Besuch des Steenlägers auf der Allerbrücke war angebrochen.
Wer darauf geachtet hätte, würde schon recht früh am jenseitigen Ufer der Aller auf der Bremer Strasse und dem Geöben Damm ein unruhiges hin und Her festgestellt haben.
Doch niemand achtete darauf, war man ja selber etwas in Unruhe gekommen und hatte den Kopf voll absonderlicher Gedanken.
Man wollte auf keinen Fall die Wasserprobe der jungen Ahnsbecker Hexe versäumen. Von Gerichts wegen bestand zwar durchaus nicht die absicht, diese Prüfung an die grosse Glocke zu hängen, hoffte vielmehr, sie ihne Zulauf zahlreichen Volkes abhalten zu können, da man bei starkem Gedränge befürchten musste, dass allerlei Unheil angerichtet werde. Die Allerbrücke zunächst war nicht sehr breit, und auf ihr könnten allzuleicht die Gerichtsknechte in ihrem Dienst behindert werden; ein paar Stützen der Brücke hatten zudem bei dem letzten eisgange sehr gelitten, man war aber noch nicht dazu gekommen, sie zu erneuern; wurde das Menschengedränge auf dem Allerübergang nun beträchtlich - wer konnte wissen, ob nicht etwa Balken und Bohlen durchbrachen! Und dann das steil abfallende Allerufer - wurden die Menschen unvernünftig, was bei grösseren Ansammlungen leicht der Fall sein konnte, so stiess der eine wohl den anderen in die Fluten des Flusses hinein. Also es war schon besser, wenn nur wenige Leute von dieser Wasserprobe erfuhren.
Doch man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wie das gekommen? - Je nun, ein Gerichtsknecht erzählte seiner Frau von dem, was er über die Wasserprobe erfahren, bedrohte sie dabei allerdings aufs heftigste, wenn sie nur ein Wort davon aus ihrem Munde kommen liesse, und sie versprach denn auch tiefste Verschwiegenheit bis ins Grab. Als sie jedoch zu ihrer Gevatterin kam, drückte es ihr das Herz ab, diese ohne eine ahnung von dem an der Allerbrücke Geschehenden zu lassen. Sie erzählte ihr alles Wissenswerte, bat sie dann aber händeringend, ja kein Sterbenswörtlein von dem Erfahrenen weiter zu sagen, was diese denn auch zusicherte und hielt bis auf eine Ausnahme.
Aehnlich wie diesem Gerichtsknechte erging es einigen anderen Knechten und Dienern, ja sogar ein paar Schreibern und Gerichtsherren. Alle waren völlig verschwiegen bis auf einen Fall, und dieser eine Fall genügte vollständig, um am Morgen des besagten Tages eine erhebliche Menschenmenge auf die Beine zu bringen.
Kaum war die Sonne über die Oberaller emporgestiegen, kaum hatten sich die Stadttore geöffnet, da strebten allerlei Leute, einzeln und in Scharen, der Allerbrücke zu. Bald sah man, dass es nicht nur Stadtbewohner waren, die sich das seltene Schauspiel nicht entgehen lassen wollten - auch von den Dörfern kamen Schaulustige in dichten Gruppen. Zunächst suchte jeder einen Platz auf der Brücke zu ergattern; doch diese wurde von den bald eintreffenden Stadtknechten fast völlig wieder von Menschen geräumt. Das hatte Bürgermeister Lüdeke von Sehnden so angeordnet: Wie sollte die Wasserprobe bei sich drängenden und hin und her stossenden Menschen ordnungsgemäss ausgeführt werden, ganz abgesehen davon, dass man über die Standfestigeit der Brücke seine eigenen Ansichten hatte - doch darüber schwieg man lieber.
Die Zuschauer fanden sich denn auch grösstenteils ohne viel Widerworte mit ihrer Verdrängung ab, stellten sich dafür aber in den Fischeren bis zur Ratsmühle hin auf; auch das jenseitige Ufer wurde besetzt. Einige drängten sich sogar über den schmalen Schleusenpfad bis zur Walkmühle hin. Kopf an Kopf gedrängt stand auf beiden Flussufern die Menschenmenge, die ständig noch mehr anschwoll. Sogar die "Grüne Schanze" auf der Allerinsel war von einigen fürwitzigen Jungen erklettert; doch sie wurden vom Stadtbüttel bald wieder hinuntergejagt, und die Burschen versuchten nun, um die Schanze herum zu kommen und neben dem Schützenhause noch einen Ausblick zu gewinnen.
Man war früh genug gekommen, liess sich die Zeit des Wartens auch durchaus nicht verdriessen; mit Geduld wappnete man sich zu jeder Schau und wurde besonders am Hochgericht trotz vieler Stunden unnützen Lauerns niemals missgelaunt.
Gesellschaft hatte man ja genügend neben sich, und man vertrieb sich die Zeit mit dem Nachbarn durch mancherlei Gerede: "Wird sie untertauchen?" - "Wird sie auf dem Wasser schwimmen?" - das war
für jetzt die grosse Frage, die in jeden Menschengruppe eingehend besprochen und nach allen Seiten um und um gewendet wurde. Es gab Leute, die von derartigen Proben mehr zu wissen vorgaben, und deshalb ihr Urteil schon vorher allen, die es hören wollten, klipp und klar verkündeten.
Der alte Hinrich Arlekamp, ein Handwerksmeister von echtem Schrot und Korn, gönnte gern dem Mädchen das Untertauchen in die schirmende Flut, und seine Nachbarn, ebenfalls biedere Handwerksmeister, stimmten dem zu und wünschten der Dirn ein glückliches Bestehen der Probe.
Es gab jedoch auch hämische Leute unter den am Allerufer Stehenden, die darauf rechneten, dass sie wie ein Schwan über das Wasser hinwegschiessen würde. Dann durfte man nämlich später auf ein zweites Schauspiel hoffen bei St. Georg vor der Blumlage, und an der Befriedigung ihrer Schaulust lag diesen heimtückischen Gesellen mehr als an der Rettung eines blühenden Menschenlebens.
Ein altes Weib, die humpelnde Wartschen, hielt sogar die ganze Wasserprobe für überflüssig. Durch sie brächte es unter Umständen der Teufel fertig, eine Hex, die zu Asche werden müsste, vor dem Feuer zu bewahren.
So wogten die Meinungen durcheinander, und es wäre keinem Unparteiischen möglich gewesen, einwandfrei festzustellen, welches denn die eigentliche Volksmeinung sei.
Selbst die Wasserfläche war nicht leer von Zuschauern. Mehrere Fischer hielten mit ihren Booten oberhalb der Allerbrücke, um unter den Brückenbalken hindurch alles in Augenschein nehmen zu können. Es war nicht gestattet, sein Boot unter der Brücke oder wohl gar nach der Mühlenseite hin festzumachen.
Nur ein einziges Boot lag wirklich unter der Brücke; es war das des Gerichtsvogts, dessen Leute die junge Magd wieder aus dem Wasser fischen sollten.
Man achtete kaum darauf, dass hinter einem Brückenpfeiler ein Boot mit drei vermummten Menschen hielt. Es gab so oft neugierige vornehme Fremde, manchmal sogar im Herzogsschloss zu Gaste,
die nicht kund sein wollten; man liess sie am besten ungeschoren, da sie bei Belästigungen manchmal recht ungehalten wurden und nichts dafür nahmen, mit den Waffen auf den Störenfried loszuschlagen.
Ebensowenig machte man einen Arg daraus, dass neben dem Bremer Weg unter den Bäumen eines Gartens mehrere wohlgesattelte Pferde bereit standen. Ja, wer spionieren wollte, hätte sogar hinter dem Bürgerfriedhof zwischen den Weingärten einige Rosse erblickt, und bei näherem Zusehen wären ihm wohl gar, verdeckt durch die Büsche am Rande des Kirchhofs, einige schwergewappnete Reiter aufgefallen, die bereit schienen, im geeigneten Augenblick loszupreschen.
Doch was kümmerten derartige Nebensächlichkeiten die Menschen an den Allerufern! Ihr Sinn war auf den Fluss gerichtet und auf das, was sich über ihm und in ihm abspielen sollte.
Der Gerichtsvogt liess sich Zeit, was jedoch die harrenden Zuschauer durchaus nicht verdross. Man würde ausgehalten haben, wenn es geregnet und gestürmt hätte, und heute stieg doch die Sonne, nachdem sie einen leichten Morgendunst überwunden, am klarblauen Himmel herauf.
"Wird die Hex sich nicht verkühlen?" fragte der freche Adrian, Lehrjunge bei Hans Tileke, dem Sadeler, seinen Kumpan Segewaldt, der beim Riemersneider Marcus Müller in der Lehre stand.
"Oho, ihre Schuppen wird sie schon wieder im Feuer bei St. Georg los!" erwiderte der rotznasige Bengel mit einem schmierigen Grienen.
Gerade wollte der andere Bursche seinem Genossen noch unbarmherzigere Worte zurufen, da kam Bewegung in die Masse der Zuschauer.
Durch den finsteren Bogen des Hehlentors bewegte sich nämlich ein seltsames Gefährt. Es war ein Karren, der von zwei Männern langsam an St. Annen vorbei auf die Allerbrücke geschoben wurde. Auf dem zweirädrigen Fuhrwerk sah man einen weitläufig geflochtenen Korb. in diesem aber hockte, ganz in sich zusammengekauert, wie ein Häuflein Elend, eine menschliche Gestalt, von der man
zunächst nur das lange, über Schultern und Rücken niederfliessende Haar und ein schäbiges, leichtes Gewand, das die Arme und Füsse der Tiefgebeugten freiliess, sehen konnte.
Erst als das Gefährt auf die Allerbrücke fuhr, sahen die Näherstehenden, dass das im Korbgeflecht sitzende Weib nicht aus eigenem Willen diese kauernde Haltung einnahm. Ihr waren Hände und Füsse kreuzweis aneinander gebunden, so dass es ihr kaum möglich war, ein Glied ihres Körpers zu rühren.
Da es vom "Grauen Hause" bis zur Allerbrücke nur ein kurzer Weg war, hatte man schon drüben im Gefängnis das Binden des armen Wesens besorgt.
In der Mitte der Allerbrücke hielt der Karren, dem mehrere mit Piken bewaffnete Gerichtsdiener und Hülfsmannen und einige Gerichtspersonen gefolgt waren. Den rückwärtigen Teil des Gefährts schob man dicht an das hölzerne Brückengeländer. Darauf nahm einer der Gerichtsknechte ein langes Seil aus dem Korbe heraus. Er entrollte es, dass es übers Geländer hinaushing, und nahm das freie Ende fest in seine Hände. Man sah, dass das andere Ende um die Brust der im Korbe Hockenden geschlungen war.
Nun stellte man den Karren schräg, so dass sein hinterer Teil sich dem Wasser zuneigte, schob dann das Korbgeflecht mit der darin Sitzenden ein Stück über Geländer und Boden des Karrens hinaus und nahm die Rückwand des Geflechts weg.
Das in ihm hockende Weib bekam dann von der rohen Hand eines Gerichtsknechtes einen kräftigen Stoss, so dass es aus dem Korbe rutschte und im Bogen auf das Wasser klatschte. Glücklicherweise hatte es ein paar Tage vorher ein tüchtiges Gewitter gegeben, und die Aller führte Hochwasser. Der Sturz erfolgte deshalb nicht aus allzugrosser Höhe, und das war ein Glück für die Herabstürzende, die nicht Herrin ihrer Glieder war. Kam es doch nicht allzuselten vor, dass die in die Flut geworfene den Hals brach.
Diesmal schien der Sturz ohne besondere Gefährdung des Mädchens zu erfolgen. Doch bei dem Aufschlagen des Körpers auf das Wasser kam die ganze Heimtücke dieser Probe zum Vorschein. Der
Fall und die plötzliche Berührung mit der morgenkühlen Oberfläche des Flusses veranlassten die Dirn unwillkürlich, die Handflächen und Fusssohlen, die einen kleinen Rest von Bewegungsfreiheit beibehalten hatten, so zu stellen, dass sie breit auf dem Wasser lag. Ebenso hielt der flatternde lange Rock beim Auftreffen auf das Wasser einen Teil der Stärke des Anpralls auf. Sie sank deshalb nicht völlig unter, und da sie keine weiteren Bewegungen auszuführen vermochte, wurde ihr bald zur Ruhe gekommener Körper vom Wasser fortgetragen, und man sah ihr bleiches Gesicht aus dem Wasser ragen und das lange Haar, gleich dem einer Nixe auf dem Flusse schwimmen.
Bei dem raschen Sturz hatte man nur kurz das Aufleuchten ihrer weissen Glieder wahrgenommen; doch nicht dem Sturz selbst galt die Aufmerksamkeit der Zuschauenden, sondern dem Verhalten der Dirn im Wasser. Wichtig war allen nur, festzustellen, ob sie untergung oder nicht.
"Sie schwimmt! Sie schwimmt!"
"Das Wasser mag sie nicht!"
"Die Aller will nichts mit dem Hexengelichter zu tun haben!"
"Ist doch´n richtige Hex!"
"Die ist geliefert!"
"Die kommt an den Brandpfahl!"
"Im Feuer wird sie schon wieder trocken werden!"
So hallten von einem Ufer zum anderen tausendstimmig die Worte durch die Menge, die im Augenblick von der vollen Unbarmherzigkeit der eigenen Zeit angesteckt war. Eine Masse wird stets viel leichter hartherzig als der einzelne Mensch.
Der Gerichtsherr hatte genug gesehn. Er gab dem nebein ihm stehenden Gerichtsknecht ein Zeichen, und dieser begann das lange Seil anzuziehen, um dadurch zu verhindern, dass das Mädchen weiter stromabwärts schwamm und dadurch in die Strudel des Mühlenwehrs und Ueberfalls geriet.
Zugleich beugte sich der Richter über das Brückengeländer und winkte dem unter der Brücke haltenden Bootsführer, was bedeutete, dass dieser das Mädchen aus dem Wasser fischen und zu sich ins Boot nehmen sollte.
Da geschah jedoch etwas Seltsames und Unerwartetes. Bevor das Boot des Gerichts das im Wasser treibende Mädchen erreicht hatte, schoss ein anderer Kahn unter der Brücke hindurch, von zwei Männern mit starken Stössen vorwärts getrieben. Das zweite Fahrzeug kam früher bei dem armen Wesen an als das Boot der Gerichtsherren. In jenem rasch bewegten Kahn stand noch ein dritter Mann, dessen Gesicht man wegen einer tief heruntergezogenen Kappe nicht zu erkennen vermochte. Dieser packte die hilflos im Wasser Treibende mit fester Hand, hob sie mit einem kräftigen Schwunge ins Boot, griff dann nach einem bereitliegenden Beil und hieb auf dem Bootsrande mit einem einzigen derben Schlage das Seil durch, mit dem man von der Allerbrücke aus das Mädchen hielt, nahm dann ein langes Messer und zerschnitt rasch die Bande, die des jungen Weibes Hände und Füsse aneinander fesselten.
Währenddem hatten die beiden Ruderer das Boot schon herum gerissen, dann die Richtung auf die mitten im fluss liegende Walkmühle eingeschlagen und waren mit wenigen Ruderschlägen bei ihr angelangt.
Hier sprang der eigentliche Befreier des Mädchens zuerst aus dem Boot, einer der beiden Ruderer hielt den Kahn fest, der andere reichte dem auf sicherem Grunde stehenden Mann das Mädchen zu, das seine Glieder noch nicht wieder bewegen konnte, auch wohl noch halb ohnmächtig war.
Plötzlich hatten die Ruderer statt ihrer Riemen blanke Waffen in den Händen, stürmten über den Steg, der die Walkmühle mit dem rechten Allerufer verband und schufen so für Mann und Mädchen eine freie Bahn.
Es standen zwar auf dem Brückenstege einzelbe Zuschauer; doch diese wichen rasch vor den blanken Waffen zurück. Es kam niemanden in den Sinn, Männer und Mädchen aufzuhalten, wusste doch noch immer so recht keiner, welchen Sinn er dem, was sich da vor ihm abspielte, unterlegen sollte.
Der Gerichtsvogt auf der Brücke war wohl der erste unter all den vielen Menschen, der sich von seinem masslosen Staunen erholte und merkte, was hier gespielt wurde. Er rief über die
Aller hinweg: "Haltet die Mannen fest!"
Auch die Zuschauer begriffen allmählich, dass sie durch den Zugriff der kecken Männer um ihr nächstes Schauspiel jenseits von St. Georg gebracht werden sollten, und alles schrie bald aus Leibeskräften: "Haltet die Männer! Haltet die Männer!"
Als ob das so leicht gewesen wäre!
Auf der Bremer Strasse hielt plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, ein Zug schwer Gewappneter und Gepanzerter auf starken Rossen; alle hatten die Speere vorgestreckt.
Die Zuschauer, die in Massen der Bremer Strasse zuströmten, wichen vor dem spitzigen Zaun zurück. Aber auch die Gerichtsdiener und die Hülfsmannen aus der Stadt, sämtlich mit Piken ausgerüstet, aber doch nicht auf einen ernsthaften Streit vorbereitet, kamen zwar herbei, sobald es ihnen möglich war, die Menge zu durchdringen und an die Seite zu schieben. Man hatte jedoch hier am Sitz des Herzogs mit keinerlei ernsthaften Widerstand gegen eine Gerichtshandlung gerechnet, hatte höchstens die stumpfen Enden der Piken zum Zurückdrängen der Neugierigen benutzt - und jetzt hielten vor den Pikenträgern Schwerbewaffnete, denen sie in keiner Weise gewachsen waren. Ja, wenn man noch Musketen bei sich gehabt! Aber wer konnte an solch ein Vorkommnis denken: niemals hatte man so etwas erlebt.
Was nützte es selbst, dass der Gerichtsvogt seinen Mannen ein "Drauf! Drauf! Drauf! Brecht durch!" zurief! Er hatte keinen Gewalthaufen wohlgeübter Landsknechte zu seiner Verfügung, der alle Reitergeschwader aus dem Felde schlug, sondern nur Gerichtsdiener und Stadtknechte in einem engen Strassenpass.
Inzwischen war aus einem Garten an der Aller im Rücken der schwerbewaffneten Reiter ein zweiter Reitertrupp herausgekommen, zwischen ihnen, in einen Mantel gehüllt, das soeben befreite Mädchen.
Der zweite Trupp hielt sich nicht einen Augenblick auf, war vielmehr gleich darauf an der nächsten Biegung der Bremer Strasse verschwunden.
Nun blieb auch die Reihe der Gewappneten nicht lange mehr am Eingang dr Bremer Strasse halten. Plötzlich wendeten die Reiter ihre Pferde und fegten in scharfem Trabe hinter dem ersten Trupp her, die verdutzten Zuschauer und die Pikenträger mit langen Gesichtern stehenlassend.
Solange hatte der Gerichtsvogt jedoch nicht mehr gewartet. Als er die völlige Ohnmacht seiner Mannen gegenüber den waffenstarrenden Reitern eingesehen hatte, war er spornstreichs über die Allerbrücke und durch das Hehlentor zurückgeeilt, hatte in der Vorburg Lärm geschlagen und die Reiter des Herzogs auf die Beine gebracht.
Das war aber nicht ganz so einfach, wie man zunächst denken sollte.
Sämtliche Reitersknechte hatten natürlich dem Schauspiel an der Aller zugeschaut und waren durchaus nicht vorbereitet, sich sofort auf die Pferde zu werfen und den fremden Berittenen nachzujagen.
Sie hatten sehr wohl wahrgenommen, welcher Art die Reisigen waren, die man verfolgen sollte. Man wusste unter ihnen, dass es nicht damit getan war, denen einfach nachzureiten, um sie einzuholen. Traf man unterwegs auf jene Schar, so würde es blutige Köpfe setzen. Darauf musste man sich eben vorbereiten.
Also schnallte man sich ein Panzerhemd an, setzte eine Sturmhaube auf, suchte sich die besten hieb- und Schusswaffen aus und nahm auch genügenden Mundvorrat mit. Wer mochte wissen, wie lange die Verfolgung aufhielt!
Mit diesen Vorbereitungen, so notwendig sie waren, hatte man aber doch eine geraume Zeit zugebracht. Der Gerichtsvogt wetterte und tobte über die Langsamkeit der Reiter, erreichte jedoch nicht, dass man sich seinetwegen irgendwie beeilte. Er hatte gut reden, brauchte nicht zu befürchten, dass ihm die Haut geritzt würde.
Endlich trabte die Reiterschar des Herzogs aus dem Tor, ritt über die Allerbrücke und bog in die Bremer Strasse ein. Dass die fremden Reisigen und das Mädchen längst über alle Berge waren, wussten sie selber.
Es galt nun, den Spuren der Fremden zu folgen. Zunächst schien das durchaus nicht schwer zu sein. Die Reisigen mussten über Winsen geritten sein, und man vermochte den frischen Hufspuren ohne sonderliche Mühe zu folgen. Fragen konnte man allerdings unterwegs keinen Menschen, weil eben niemand sichtbar wurde. Selbstverständlich waren die Menschen sämtlich nach Celle gepilgert, um der Wasserprobe zuzuschauen.
Erst in Winsen traf man hin und wieder einen Menschen auf der Strasse. Doch als man etwas wissen wollte von den Reitersleuten, die durch das Dorf gekommen, da lauteten die Auskünfte, die man erhielt, höchst unbefriediegend.
Ja, Reiter seien durch Winsen geritten. Man habe sogar einen ganzen Trupp zu Gesicht bekommen.
Ob man ein Mädchen unter den Reisigen erblickt habe.
Ein Mädchen? - Nein, das sei nicht dabei gewesen; lauter Männer seien durch den Ort getrabt. Ein Mädchen zu Pferde wäre doch allen Leuten aufgefallen. Nein, man könne mit Sicherheit sagen, dass keins durch Winsen geritten sei.
Die Reiter wären doch wohl gut mit Waffen versehen gewesen, hätten Spiesse und Schwerter gehabt und sogar Rüstungen, wenigstens Eisenhemden?
Nein, kein Gepanzerter sei hindurch geritten, und einen langen Bratspiess habe schon keiner bei sich getragen; höchstens ein paar Pistolen möchten wohl am Sattel gebaumelt haben; nicht einmal ordentliche Schwerter wären zu sehen gewesen.
Die Verfolger sahen betroffen einander an.
Wohin die Reiter sich denn gewandt hätten.
Ueber die Allerbrücke. Wo sie dann geblieben, wisse man nicht.
Die Celleschen Reiter trabten über die Aller. In Südwinsen hatte man dieselben Reiter noch gesehen. Dann jedoch wurde es schwierig für die Verfolgenden.
Weder in Hornbostel, noch in Wietzermühlen, noch in Wiekenberg hatte man einen Reitertrupp erblickt. Einzelne Reiter habe man wohl hier oder dort gemächlich traben sehen; aber weiter wusste man nichts. Eine sichere Richtung liess sich überhaupt nicht mehr
feststellen.
Ratlos hielten des Herzogs Reiter jenseits der Dörfer, die sich südlich der Aller ausbreiteten.
Die Berittenen, die man verfolgte, mussten sich getrennt haben, und das machte eine weitere Verfolgung so ausserordenlich schwierig. Wollte man die Spuren der Verfolgten behalten, sah man sich veranlasst, ebenfalls in einzelnen Gruppen durch das Land zu reiten. Vor allem galt es, den oder die Reiter ausfindig zu machen, die ein Mädchen in ihrer Begleitung hatten.
Allerdings - traf man in solch zerstreuten Trupps auf die Davongerittenen, so vermochte man kaum etwas Ernsthaftes gegen sie zu unternehmen. Man konnte dann höchstens nach Celle melden, wohin sich jene, die den Ueberfall ausgeführt, gewandt hätten, und es dann der Obrigkeit überlassen, wieweit sie ihren Forderungen auf Sühne der ungesetzlichen Tat Nachdruck verschaffen wollten.
Einige der Verfolgergruppen ritten nun durch die nächsten Dörfer südlich der Aller und forschten hier nach den Spuren der einzelnen Reiter.
Die meisten Berittenen des Herzogs machten kehrt, trabten nach Winsen zurück und zerstreuten sich dann in den weiten Heide- und Moorgebieten nördlich der Aller, ständig nach Reitern mit oder ohne Mädchen forschend.
In Celle jedoch warteten die Gerichtsherren voller Ungeduld darauf, dass Nachrichten von dem Verbleib der Flüchtigen eintrafen. Man war durchaus nicht gewillt, einer solch frechen Störung des ordentlichen Gerichtsverfahrens tatenlos zuzusehen.
Seit Menschengedenken war eine derartige Handlung nicht vorgekommen, und das war denn auch der Grund, weshalb man sich hatte so schmählich überraschen lassen.
Wenn man nur die schlimmen Gesetzesverächter erst einmal in sicherem Gewahrsam wüsste! Wer mochte eigentlich der Anführer dieser schlimmen Gesellschaft sein?
Es waren eigentlich nur zwei Menschen in Celle, die einigermassen den wirklichen Zusammenhang der Störungen an der Allerbrücke ahnten.
Der eine war der Wirt zum "Blauen Donner" auf der Blumlage. Nicht umsonst hatte er dem Bruno Brantwulf aus Steenlage die Kunde des Gerichtsdieners vermittelt. Selbstverständlich war der Krüger auch zum Allerufer gegangen, hatte mit begreiflicher Neugierde die dortigen Vorgänge verfolgt, glaubte in dem Befreier des Mädchens auch den kühnen Junker wieder erkannt zu haben, hütete sich aber, seine Gedanken durch die Zunge laut werden zu lassen. Schweigsamkeit gehörte seiner Ansicht nach zu den allerersten Geboten jedes Wirts, der etwas auf sich hielt.
Nicht so genau wusste zwar die andere Person über mancherlei Einzelheiten Bescheid, ahnte aber auch das Richtige. Kanzler Friedrich von Weihe ging bald nach dem Ueberfall auf der Allerbrücke die Namen seiner sämtlichen Bekannten durch und fragte sich, welchen von diesen allen er wohl mit der gutüberlegten, kühnen Tat in Verbindung bringen könnte. Dass einer seiner adeligen Standesgenossen sie ausgeführt haben müsse, stand bei der ganzen Art der Bewerkstelligung seiner ansicht nach unwiderruflich fest.
Da hakte sich bei ihm immer mehr die Ueberzeugung fest, dass nur Bruno Brantwulf zu der Ausführung des tollen Handstreichs in Frage kam. Es war ja nicht der erste Ueberfall, den der Steenläger vollbrachte. Zudem ging dem Kanzler ständig das Gespräch im Becklinger Jägerhause durch den Kopf. Zuzutrauen war dem Bruno Brantwulf, der Mann mit dem scharf geschnittenen, Kraft verratenden Gesicht, sehr wohl die Tat.
Auch der Kanzler hütete sich, irgendeiner Menschenseele seinen Verdacht mitzuteilen, vor allem nicht seinen Kollegen in der Nienburg am Hilligen Krütz, dem Grossvogt Gabriel von Donop, dem die Leitung des Gerichtsverfahrens oblag. Er schätzte eben kühne Taten und kühne Männer und wollte um keinen Preis seinen jungen Freund in eine böse Verlegenheit bringen.
Und wo war nun das Mädchen, dem man die Wasserprobe auferlegt; wo war das junge Weib, dem der Brandpfahl bei St. Georg drohte; wo war Armgard Salge in Wirklichkeit geblieben?
Als sie von kräftig zupackenden Fäusten, die nicht einmal allzusanft mitihr umgingen, aus dem Wasser gezogen war, als sie befreit wurde von den rauhen Stricken, die ihr schmerzende Rinnen in der Haut hinterlassen, als sie rasch wieder aus dem Boot auf festen Grund und Boden kam, wusste sie noch immer nicht, was eigentlich mit ihr geschah.
Sie kam erst einigermassen zu sich selbst, als sie, in einen Mantel gehüllt, ein Pferd unter sich fühlte und ein kräftiger Arm sie umspannte. Ein frischer Luftzug vom eiligen Ritt schlug ihr ins Gesicht, und dabei wurde ihr denn allmählich klar, was mit ihr geschehen war.
Sie sah in das Gesicht, das dicht neben dem ihrigen bald in die Ferne schaute, bald den Weg in der Nähe scharf ins Auge fasste, und blickte in die gespannten Züge Bruno Brantwulfs. Er lenkte sein Pferd, hielt sie dabei noch in seinen Armen, damit sie nicht etwa vom Pferde glitt, und bot ihr in jedem Augenblick Sicherheit und Halt.
Nach dem, was ihr in den letzten Tagen im "Grauen Hause" und an der Allerbrücke begegnet war, fühlte sie sich geborgen bei dem starken Mann.
Man raste auf der Bremer Heerstrasse dahin, begegnete aber keinem Menschen. Schon hatte man die Heide neben Stedden erreicht und war bei der Oertzefurt angekommen.
Auf einen Wink Bruno Brantwulfs hielt der Zug plötzlich neben einem dichten Gehölz aus Fuhren, Birken und Brombeerbüschen. Man ritt ins dichte Gebüsch hinein, sodass von der Strasse aus kein Mann und kein Ross des ganzen Trupps erblickt werden konnte.
Armgard Salge fühlte sich plötzlich auf die Erde gesetzt. Ihr Schützer gab ihr ein Päckchen: "Rasch in den Busch, Armgard! Hier ist Mannskleidung. Zieh sie sofort an, damit dich niemand als Mädchen erkennt!"
Sie sprang rasch in ein Dickicht, froh darüber, dass sie in eine sie völlig einhüllende Kleidung schlüpfen konnte. Was sie
trug, bedeckte ihren Körper doch nicht völlig, weder das schäbige graue Gewand, das man ihr im "Grauen Hause" gegeben und das ihr noch nass am Körper klebte, noch der Mantel, den ihr Bruno Brantwulf in aller Eile übergeworfen. Arme und Nacken waren frei geblieben, und auch Schenkel und Füsse liessen der Ueberwurf manchmal ohne Hülle, und sie fühlte sich ständig spähenden Männerblicken ausgesetzt, die, wie es nun einmal Männerart ist, nach ihren weissen Gliedern hin und wieder die Augen wandten. Das war ihr allmählich unbehaglich geworden.
Gleich danach kam der zweite Reitertrupp, der zunächst den Ueberfall am Eingang der Bremer Strasse bei der Allerbrücke gedeckt hatte, auf dem Wege in raschem Trabe dahergesprengt, wurde ebenfalls in das Gebüsch hineinbeordert, und nun gab er Anführer eine Reihe von Befehlen, deren Ausführung in wohlüberlegter Weise vorbereitet war.
"Speere entzwei! Nur die Spitzen mitnehmen! die Schäfte zerbrecht, und werft die Stücke in die Oertze! In Steenlage machen wir uns neue."
Rasch zerschlug man die Speerstangen und barg nur die blanken Eisen in den Satteltaschen.
"Fuhrmannskittel über!" hiess es dann von dem Junker.
Auch das war bald getan. Die Panzerhemden blieben unsichtbar unter den Wämsern und Kitteln. Niemand würde jetzt die soeben noch von Eisen starrenden Reiter wieder erkennen.
"Pistolen nachprüfen und locker festschnallen!"
Alle taten anch dem Befehl.
Nachdem nun auch noch von den Schwertträgern die blanke Waffe möglichst unauffällig verstaut war, ebenso die Sturmhauben, glich der ganze Haufen mehr einer Gruppe von Fuhrleuten und Bauernknechten. Das hatte der Anführer erreichen wollen.
Währenddessen kam aus dem Gebüsch ein feiner Page heraus, der beinahe echt aussah. Nur das üppige Haar war nicht zu bändigen gewesen, und an ihm erkannte man denn doch noch das Mädchen Armgard Salge.
"Wollt ihr mir mein Haar abschneiden? Ich krieg´s nicht unter
meine Kappe!" wandte sich Armgard an Bruno Brantwulf.
"Um´s Himmels willen nicht! Dein schönster Schmuck! Der muss geborgen werden. Komm, ich helf´ dir."
Damit griff Bruno Brantwulf sofort zu, und es gelang ihm, wenn auch mit vieler Mühe, die Fülle des Haares unter der Kopfbedeckung zu verstauen.
Dann hängte er ihr noch einen Burschenkittel über, schwärzte seine Hand an dem Eisen der Rüstung und fuhr ihr ein paarmal durch das Gesicht, sodass von ihrer weissen Haut nicht viel mehr sichtbar blieb. Niemand hätte jetzt in dem etwas struppig aussehenden Burschen ein Mädchen vermutet.
"Auf die Pferde!" befahl dann Bruno Brantwulf; "jeder reitet auf dem ihm zugewiesenen Wege nach Steenlage; niemand lässt sich die Umwege verdriessen!"
Sofort trennte man sich. Nur ein kleiner Trupp ritt duch Winsen und über die allerbrücke, von wo aus jeder dann seinen eigenen Weg nahm.
Auch die Mannen der grösseren Gruppe blieben nicht beieinander. Einzeln trabten die Reiter über Wolthausen und Hassel, über Walle und Bergen, über Belsen und Hörsten, über Manhorn und Hohne in die weite Heide hinein.
Nur zwei blieben beisammen: Bruno Brantwulf und Armgard Salge. Auch sie ritt jetzt ihr eigenes Pferd, das man zwar schon an der Allerbrücke für sie bereitgehalten, ihr jedoch wegen ihrer unzulänglichen Bekleidung und wegen der noch vorhandenen Steifheit der Glieder nicht angeboten. Jetzt hatte sie jedoch wieder den vollen Gebrauch der Glieder erlangt, wenn sie auch noch immer an den Hand- und Fussgelenken spürte, wo die Stricke ihr ins Fleisch geschnitten. Dass sie zu reiten verstand, wusste ihr Begleiter.
Auch Bruno Brantwulf hatte eine Verkleidung angelegt, die ihn ziemlich unkenntlich machte. Jedenfalls hätte kaum ein Mensch, der ihn etwa an der Allerbrücke gesehen, es für wahr haben wollen, dass dieser Reiter und der Mann, der vor kurzem das Mädchen aus der Aller gefischt, ein und dieselbe Person sein sollten.
Diese beiden Menschen nun, unscheinbar gekleidet und ohne ein auffälliges Kennzeichen, ritten dahin, und niemand ahnte, dass sie verschiedenen Geschlechts seien, niemand, der ihre sorglose Art des Reitens gesehen hätte, nur im entferntesten vermutet, dass es sich hier um Flüchtige handle.
Sie jagten um Winsen herum, trabten bei Sunder durch die Meisse und verloren sich dann in den weiten Gebieten der Lohheide. Auf schmalen Heidwegen ging es dahin, auch wohl auf einem weissen Heidpadd, zuzeiten sogar ohne Weg und Steg durch die rot blühende Heide. Selbst in den Heidbächen ritt man streckenweise, um ganz sicher jede Spur zu verwischen.
Von den vielen Immenzäunen der Heide hielt man sich fern aus einem zwiefachen Grunde. Man wollte nicht, dass ein sinnierender Imker die beiden Reitenden allzu scharf ins Auge fasste. Dann wusste man aber auch, dass die grossen Pferde und die kleinen Immen durchaus nicht aus einem Hause waren. Sie schlossen nun einmal keine Freundschaft, und nur allzu leicht glaubte das eifrige und zornmütige kleine Volk, von Schwanz und Mähne der grossen Tiere bedroht zu sein. Und klang dann erst der Not- und Kampfruf einer Imme, die sich im Haar der Pferde verheddert, scharf durch die Heide, dann eilten von allen Seiten bewaffnete Helferinnen herzu, fielen über die Leiber der grossen Tiere her und stachen sie, trotz aller versuchten Gegenwehr, jämmerlich zu Tode.
Da kam man besser den Behausungen der Immen nicht zu nahe, wurde man doch von den kleinen Honigträgerinnen auch so genugsam umschwärmt, die aus dem duftenden Blumengarten sich ihre Süsse Speise holten. Es ritt sich angenehm in diesem endlosen rosenroten Blumenbeet, dessen Honigduft weithin die Luft erfüllte.
Der Schatten der beiden Reitenden fiel bald links, bald rechts von ihnen auf den braunen Heidboden, ein Zeichen dafür, das man gerade Wege mied. Ein weniger wegekundiger Mann als Bruno Brantwulf würde bald bei diesem ständigen Kreuz und Quer die Richtung verloren haben. Doch der Steenläger war nirgends im Zweifel, wohin er sich wenden sollte.
Als man in die Gegend des Falkenberges kam, ritten die beiden einsam durch die Heide Ziehenden um die Höhen herum, näherten
sich dann aber von der Nordseite her den aussichtsreichen Hügeln. Kurz unterhalb der Kuppe des Falkenbergs stieg der Junker ab, liess Armgard halten und begab sich allein auf den runden Rücken der Höhe. Scharf hielt er Umschau nach Süden hin, wo die ganze Gegend, aus der Gefahren drohten, offen vor ihm lag. Bei der klaren Luft vermochte er sogar die Zinnen des Celler Schlosses zu erkennen. Aber so scharf er auch seine Augen umherschweifen liess - nirgends entdeckte er Reiter, die er als Verfolger ansprechen konnte
Da beschloss er, auf der Höhe zu rasten. Er hielt auch für Armgard eine Ruhepause vonnöten.
Als er ihr zurief, sie wollten hier eine Rast einlegen, sprang sie, bevor der Begleiter ihr zu Hülfe kam, vom Pferd herunter. Ihre alte Gelenkigkeit hatte sie also schon wieder gefunden.
Erschöpft war sie aber doch, und etwas Ruhe tat ihr gut. Die magere Gefängniskost der letzten Tage hatte ihr nicht zugesagt, und der Mangel bekömmlicher Speise an ihren Kräften genagt. Am Morgen dieses Tages war sie zudem ohne Trank und Speise gebunden in den Korb geschleppt.
Dazu die aufregungen der Wasserprobe, von deren Verlauf es doch abhing, ob sie mit dem Leben abzuschliessen hatte oder ob ihr noch weitere Jahre vergönnt waren. Dann die Scham, vor all den fremden Leuten in mehr als mangelhafter Bekleidung ins Wasser geworfen zu werden! Und nun die Hatz der Flucht über Stock und Stein, wozu die Angst vor den Verfolgern kam.
Ja, armgard musste schon ein kerniges Mädchen sein, wenn sie nach all diesen Erlebnissen noch die Kraft aufbrachte, munter vom Pferde zu springen.
Als sie dann aber auf dem festen Boden stand, war es ihr einen Augenblick, als drehe sich die weite Heide um sie herum im Kreise. Es kam jetzt doch eine Ermattung über sie, und sie fühlte sich völlig erschöpft.
Er sah, wie es um sie stand, griff zu und liess sie auf dem weichen Heideboden nieder.
"Ruh dich aus! Du hast es nötig!"
Dann holte er aus seinen weiten Satteltaschen zu essen und zu trinken und breitete alle möglichen Vorräte vor ihr aus.
"Iss und trink! Du musst Hunger und Durst haben! Geht es mir doch ebenso!"
Er reichte ihr zunächst einen kräftigen Trunk Wein, der wieder Leben in ihren mitgenommenen Körper bringen sollte.
Ganz langsam begann sie dann auch zu essen, während er dem duftenden Schwarzbrot, dem appetilichen Schinken und der schmackhaften Wurst kräftig zusprach.
"Sind wir hier aber wirklich sicher?" fragte sie dann ängstlich, nachdem sie die ersten Bissen zu sich genommen hatte.
"Unsere Verfolger werden erst hinter dem grösseren Haufen her sein, der bei Winsen über die Allerbrücke ritt, werden den dann auch bald verlieren und ratlos hierhin und dorthin eilen. Nach allen Dörfern der ganzen Gegend laufen einzelne Spuren, denen sie vielleicht folgen, was ihnen aber wenig nützen wird, da meine Knechte nicht wieder zu erkennen sind. Wege, die wir beide benutzt haben, kennt kaum einer der Verfolger. Wer uns finden will, muss schon im fährtensuchen firm sein. Und sollt´ einer wirklich viel Finderglück haben und unsere Spuren erkennen - wir sitzen hier hoch, können weit in die Heide schauen und jeden Näherkommenden schon von weitem erkennen. Im Augenblick sind wir noch sicher."
Sie war zufrieden mit der Antwort, bekam allmählich Geschmack an der Speise, wie es den meisten ähnlich ergeht, denen draussen unter freiem Himmel alles viel besser mundet, als drinnen in der eingeengten Welt des Hauses.
Schweigend beendeten die Rastenden dort oben auf dem Falkenberge ihre Mahlzeit. Die wundersame Ruhe der blühenden Heide, auf der die sumsenden Immen ihre süsse Tracht suchten, und die duftete, wie ein mit Honig gefülltes Fass, teilte sich nach und nach auch dem Mädchen mit. Konnte es irgendwo friedlicher aussehen als zwischen den dunklen Wacholdern und lichten Birken, in deren Schatten man rastete! Alles Eintracht und Zusammenklang, nirgends ein dunkler Verfolgungswahn wildgewordener Menschen.
Am blauen Himmel stieg eine Heidelerche hoch, die mit ihrem herzigen Liede einen besonders freundlichen Ton in die Landschaft brachte.
Hier mochte man stundenlang ruhen. Hier wäre Armgard am liebsten geblieben. Hier war nirgends ein Wesen sichtbar, das Böses von einem glaubte.
Bruno Brantwulf legte seine Hand auf Armgards Arm und unterbrach das Schweigen: "Armgard, wärst du damals mit mir geritten nach Steenlage - viel Ungemach der letzten Tage wär´ dir erspart geblieben; wärst nicht in solche Wassers- und Feuersgefahr gekommen."
"Damals konnt´ ich euch nicht folgen; es hinderte mich daran so mancherlei."
"Und heut´?"
"Heut´ reit´ ich mit euch, soweit der Himmel über die Erde reicht."
"Auch nach Steenlage?"
"Auch nach Steenlage!"
"Und was dich damals zurückhielt, mit mir zu reiten?"
"Liegt alles hinter mir, weit zurück. Alle brücken dahin sind abgebrochen."
"Hast also kein´ Sorg´ mehr vor mir?"
"Wie sollt´ ich! Wer sich so müht und sich in Gefahr begibt, um mich aus schlimmster Verstrickung zu lösen, dem trau ich über alles."
Da schloss er sie fest in seine Arme, und sie bot ihm willig ihren Mund zum Kusse dar.
Doch auch jetzt schaltete er nicht seine Wachsamkeit aus. Trotz aller Liebkosungen, die auch sein Blut in Wallung brachten, liess er doch ständig die Augen über die weite Heide zu seinen Füssen schweifen.
Er erblickte einen Reiter, der diessseits Bergen nach Norden ritt. Das genügte schon, um ihn aufspringen zu lassen und den fernen Menschen scharf ins Auge zu fassen.
"Seht ihr Gefahr?" frage Armgard gleich besorgt.
"Seh´ nur einen Reiter."
"Reit´ er auf uns zu?"
"Nein, mag so ungefähr auf den Hengstberg treffen."
"Kann er dort uns schaden?"
"Aha, seh jetzt schon, wer dort reit´. Kann´s am Gang des Pferdes erkennen. Ist mein Schrammhans, einer meiner Getreuesten. Hat dich mir zugereicht aus dem Fischerboot auf der Aller."
Er setzte sich wieder zu ihr.
Jetzt kamen ihm auch wieder die Bilder vom Morgen in den Sinn: "Wie gefiel dir denn der Streich heut´ früh bei der Allerbrücke?"
Sie legte die Hand auf seinen Arm: "Das nennt ihr einen Streich? War doch viel, viel mehr. War doch ein´ richtig´ Heldentat zu nennen, wie´s in alten Mären berichtet wird."
Er lachte: "Red´ nicht unvernünftig! Ein Streich war´s, der mich zeitlebens unbändig freut, zum ersten, weil er mir dich beschert hat, und zum zweiten, weil ich damit den Schreiberseelen auf hohen Stühlen hab´ eine rechte Nase gedreht."
Noch einmal lachte er unbändig los wie ein Junge, dem eine kapitale Dummheit geglückt ist. Eigentlich fühlte er sich nach einem solchen Unternehmen noch wie ein Bub´. Der festgefügten Ordnung eins zu versetzen, stimmte ihn stets heiter, selbst wenn nicht soviel dabei heraussprang wie diesmal.
Sie neigte sich zu ihm hin: "Aber Bruno!" es war das erste Mal, dass sie seinen Vornamen vor ihm aussprach; "nennt nicht eine Tat, so mir das Leben gerettet, einen Streich.Ich schulde es euch doch ganz allein, dass ich mein Dasein behalt´. Wie mir´s sonst erginge, weiss ich schon. Nur Qual und Weh käm´ über mich und dann ein schauderhaft´ End´ am Brandpfahl. Nicht daran denken mag ich. Ueberall ist´s besser als im "Grauen Haus". Darum sag´ ich doch: Könnt mich hinführen, wohin ihr wollt. Folg´ euch stets mit Freuden."
Er schloss sie aufs neue in seine Arme, und sie war es jetzt, die ihn mit Küssen überschüttete.
Doch dann sprang er hoch, hob sie mit einem kräftigen Schwunge auf seine Arme, trug sie lachend den Berghang hinab, setzte sie auf ihr Pferd und sagte darauf: "Noch ein paar Strecken Wegs wollen wir kreuz und quer reiten; damit auch der allerärgste Spürhund unsere Fährte verliert, und in dunkler Nacht treffen wir dann auf Steenlage ein, hat uns dann niemand sehen einreiten."
Es war ein herzerfreuendes Reiten der beiden durch die hohe Heide, die ihr Hochzeitskleid angetan; hochzeitlich war auch den einsam Reitenden zumut. Als es dem Abend zuging, legte sich ein solcher Goldschein über die rotbraune Fläche, dass man meinen konnte, die weite Heide habe von Frau Sonne selber ihr Kleid bekommen.
Wo es des Weges wegen irgend anging, fing man ein munteres Geplauder an, und der Mann freute sich, wie frisch und fröhlich Armgard dabei werden konnte. Dann wieder schwieg man in den leuchtenden Abend hinein. Es wollte Armgard scheinen, als habe es niemals einen schöneren Abend auf der Welt gegeben, und der schreckliche Morgen rückte ihr dabei ferner und ferner und stand schliesslich nur noch wie eine dunkle Wolkenwand eines abziehenden Gewitters an einem sonst klarblauen Himmel.
Man umritt, wo es sich machen liess, die Dörfer der Heide. Wenn um diese Zeit Berittene selbst in den einsamsten menschlichen Siedlungen auch keine Seltenheit waren, so wollte man doch möglichst allem aus dem Wege gehn, was nur im entferntesten dazu dienen konnte, sie selber in den Augen der Leute mit den Geschehnissen an der Allerbrücke in Verbindung zu bringen.
Geritten wurde nur langsam, was auch schon wegen der stark mitgenommenen Pferde nötig erschien; hin und wieder musste man noch Fütterungspausen einlegen.
Es war bereits völlig dunkel geworden, als man in einen hohen Wald einbog. Soviel vermochte man jedoch zu erkennen, dass er aus Eichen, Buchen und Tannen bestand.
"Dies ist der Steenläger Sunder; hier beginnt mein Herrschaftsbereich," raunte Bruno Brantwulf dem Mädchen zu.
Dann öffneten sich die düsteren Waldwände, und man ritt in ein sanft abfallendes Tal hinein.
"Mein Wiesengrund!" sagte der Reitende zu Armgard.
Auf einmal sah man rechts neben sich ein dunkles Gewässer.
"Der Burggraben, der sicherste Schutz für Steenlage," liess sich Bruno Brantwulf vernehmen.
Und da war auch schon der Weg zu ende. Ein dichtes Gitter wehrte den Berittenen jedes weitere Vordringen.
Drei scharfe Pfiffe schrillten durch die Nacht. Aus einem Seitenhäuschen kam ein alter Mann; ein Zuruf des Reiters, und gleich darauf öffnete sich ein Tor in dem Gitterwerk.
Eine kleine Strecke führte der Weg noch neben dem düsteren Graben weiter; dann war er zu Ende. Da senkte sich plötzlich vor den Reitenden eine schmale Zugbrücke. Hohl klang der Hufschlag der Pferde, als diese darüber hinwegschritten.
Scharfgezackte Giebel ragten vor den Ankommenden auf. Man war in Steenlage angelangt.
In derselben Nacht, da Bruno Brantwulf und Armgard Salge in Steenlage eintrafen, kehrten auch schon die meisten der Knechte heim; am folgenden Tage bis gegen Abend hin ritten die noch fehlenden ein; unter ihnen befanden sich die aus dem nachbarlichen Gutshof des Freundes Bruno Brantwulfs stammenden. Niemandem war ein Haar gekrümmt. Nicht einmal angehalten hatte man sie, so gut war die Kriegslist des Steenlägers gelungen.
Am morgen desselben Tages wurde der Burggeistliche benachrichtigt, er möge sich bereithalten zu einer Trauung.
Und richtig, am Mittag schritt ein stattliches Paar über die niedergelassene Zugbrücke und über das den Burggraben mit Wasser füllende Flüsschen in das kleine aber prächtige Kirchlein, das so heiter zwischen den grünen Linden hervorschaute und seinen spitzigen Finger in die Bläue des Himmels reckte. Ja, man musste es dem bösen Brantwulf lassen - seine Kapelle war wirklich ein Schmuckkästchen geworden.
Der Geistliche erschrak, als ihm zugemutet wurde, die ihm gänzlich unbekannte im zierlichen Kränzlein daherschreitende Braut seinem Burgherrn als dessen Eheliebste anzutrauen.
Er wollte noch vor dem schon mit Blumen geschmückten Altar einige Einwendungen hervorsuchen von fehlenden Urkunden über Namen und Herkunft der schmucken Braut.
Doch Bruno Brantwulf war nicht gesonnen, auf derlei Zwischenreden zu hören. In scharfen Ton wandte er sich an den Geistlichen: "Hier ein Schriftstück mit dem Namen der Braut, gesiegelt mit dem Petschier auf meinem Schwertgriff. Mein Insiegel hat noch niemals ein Mensch angezweifelt."
Damit reichte er herrischen Blicks das Schriftstück dar, und der Geistliche wagte daraufhin keinen Widerspruch mehr, hielt vielmehr seine Traurede und gab das Paar nach Brauch und Herkommen zusammen.
Jetzt war Armgard Bruno Brantwulfs rechtmässige Frau und Herrin auf Steenlage. Er hatte also sein wort gehalten und nicht etwa die Notlage Armgards ausgenutzt, die ihm nach der Rettung bei der Walkmühle widerstandslos auf Tod und Leben ausgeliefert war.
Gäste waren nicht eingeladen zu der Hochzeit auf Steenlage. Doch ging es mehrere Tage hoch her unter den Mannen und den Gesinde Brantwulfs. Man feierte beides, die Vermählung des Herrn und den wohlgelungenen Streich bei der Walkmühle.
Doch bevor das eigentliche Feiern begann, hatte Bruno Brantwulf erst einmal alle die Knechte, die den Ritt nach Celle mitgemacht, um sich versammelt. Er händigte jedem zunächst eine anständige Belohnung in harten Geldstücken aus. Dann schärfte er ihnen sein früheres Schweigegebot noch einmal ein, und er verstand, es den Reisigen so überzeugend einzuhämmern, das niemand daran dachte, das Erlebte auszuplaudern.
Bruno Brantwulf erklärte ihnen kurz und bündig, wer nicht schweige werde einen Kopf kürzer gemacht. alle hätten mitgeholfen, ein schwebendes Gerichtsverfahren zu stören, und man wüsste ja, darauf stünde die Todesstrafe, die oft genug noch durch ausgesuchte Qualen verschärft werde.
Wer plaudere, risse die anderen mit ins Verderben; aber bevor es soweit käme, wolle man dem, der seine zunge nicht im Zaum hielte, drüben auf dem Galgenberge das Handwerk legen. Vor allen dingen möge man den Frauen gegenüber seinen Mund halten. "Wahret eute Zungen, so euch das Leben lieb ist!" Mit diesen worten schloss der Steenläger seine Ansprache.
Betreten entfernten sich die Knechte. Doch als sie sahen, was ihrer an Speise und Trank in den Räumen des festen Hauses zu Steenlage wartete, besserte sich rasch die Stimmung. Man sprach dem, was auf den Tischen stand, mit gesundem appetit zu, und mancher, der dieser Schmauserei beiwohnte, mochte vielleicht denken, die Knechte hätten seit acht Tagen nicht mehr satt zu essen bekommen. Auch mit süssem Met wurde nicht gespart, und bald hatte Männlein und Weiblein die übermütigste und ausgelassenste Heiterkeit erfasst.
Nun galt es aber noch für Bruno Brantwulf, seinen Leuten und auch den guten Bekannten seines Hauses eine Herkunft für Armgard zu erfinden, die weitab lag von Ahnsbeck.
Solche Ausreden und Täuschungen passten eigentlich dem Steenläger durchaus nicht. Viel lieber hätte er sich mit Waffen und Mannschaft
versehen, seine Zugbrücke hochgezogen und jedem, der seinem festen Hause in unfreundlicher Absicht zu nahe kam, zum mindesten ein Musketenrohr, lieber sogar noch eine Feldschlange gezeigt.
Doch jene Zeiten, da ein einzelner derartiges wagen durfte, waren unwiderruflich dahin, und wenn auch im Reich sowohl, wie im Lüneburgischen die Herrschaftszügel schlaff am Boden schleiften - offenen Widerstand durfte man nicht mehr wagen.
Man musste also mit der Zeit rechnen und zur Sicherung Armgards vor den zugriffen des Gerichts eine weitläufige Geschichte ersinnen, die keinem Uebelwollenden eine besondere Handhabe bot. Mochte man die aufgetischte Erzählung glauben oder nicht - man durfte nur keine offene auflehnung zeigen; soviel Respekt verschafften einem schon das feste Haus und die vorhandenen Waffen und Mannen, dass man auf der anderen Seite gern, wo es nur irgend anging, beide Augen zudrückte.
Bruno Brantwulf versammelte also am folgenden Tage sein gesamtes Ingesinde, stellte allen seine junge Frau und ihre neue Herrin vor und erzählte dann kurz, dass sie aus Kurland käme, wo sie selber aber weder Freunde noch Verwandte mehr besitze. Sie habe flüchten müssen vor ungerechten Leuten, habe viel Verfolgungen erduldet und sei nur mit genauer Not von ihm ihren Widersachern entrissen, die sie am liebsten um Leben und Erbschaft gebracht. Er selber wolle nun aber nicht, das viel über ihre Herkunft geredet würde, damit nicht etwa die Feinde ihre Spur fänden. Es wäre Christenpflicht, sich des Verfolgten anzunehmen, sie aber nicht durch unbedachtes Reden in neue Gefahren zu stürzen. Bei vielem Geschwätz habe man nur Kampf zu gewärtigen, und den wolle man doch nicht unnötig herbeiziehen.
Die Knechte, die Bruno Brantwulf nach Celle hin begleitet hatten, hörten sich die weitschweifigen Ausführungen ihres Herrn mit undurchdringlichem Gesicht an und schwiegen.
Es war immerhin das klügste, was man tun konnte; man kannte doch den jäh ausbrechenden Zorn der Brantwulfs, und in dieser Hinsicht mochte Bruno Brantwulf seinem Vater wohl wenig nachstehen.
Trotzdem kamen nachher Gerüchte auf über die Herkunft der jungen Frau, die wohl nicht allzuweit aus der Kehre gingen. Laut wagte man jedoch nicht davon zu sprechen.
Doch wurden mit der Zeit die dunklen Reden immer seltener ans Tageslicht gebracht.
Die Nachbarn der jungen Steenläger Familie hörten selbstverständlich die Erzählung, die Bruno Brantwulf seinen Leuten aufgetischt hatte, und schüttelten die Köpfe; sie hörten auch von den geheimen Reden, die von Mund zu Mund gingen, und spitzten die Ohren.
Fragten sie Bruno Brantwulf nach der Herkunft seiner jungen Frau, so bekamen sie nur eine knappe und hochmütige antwort, die entweder gar nichts enthielt oder doch auf Kurland deutete.
Man tuschelte natürlich im Geheimen alles Mögliche, und so nahe manche alte Klatschbase weiblichen oder männlichen Geschlechts auch der Wahrheit kam - niemand erriet, dass das junge Mädchen, das seinerzeit bei der Wasserprobe in Celle verschwand, und wohl als Hexe gelten konnte, und die junge Gebieterin auf Steenlage ein und dieselbe Person waren.
Ja, es wurden schon genugsam Geschichten aufgetischt; doch hütete man sich, offen davon zu reden. Bruno Brantwulfs Waffen waren zu gefürchtet, als dass man wegen einer solchen Sache, die einen im letzten Grunde doch nichts anging, wenn man auch gar zu gern seine Neugier befriedigt hätte, sein eigenes Leben in Gefahr brachte.
Noch eines war da, das die Lästerredner immer wieder zum Schweigen brachte, und das steckte in der jungen Frau selber. In ihrer natürlichen Art und Weise mit ihrem ruhigen sich ihres Wertes bewusstem Auftreten ohne hervorstechenden Stolz, in ihrer alles entwaffnenden Schönheit, in ihrer Würde als Frau und bald auch als Mutter fand sie soviel Anerkennung unter den Nachbarn, dass die meisten es als unter der eigenen Würde ansahen, Amgard herabsetzende Gerüchte weiter zu verbreiten.
Am ersten hätten die Verwandten des Steenlägers urkundlich belegte Nachweise von der Herkunft Armgards fordern können. Doch
ein Erbe aus ebenbürtiger Ehe war vorhanden. Es hatte also niemand Grund, aus Erbschaftssehnsüchten der Abstammung der jungen Frau nachzuforschen. Ja, wenn der Sohn aus erster Ehe etwa stürbe, dann mussten erblüsterne Verwandte vielleicht allerlei unbekannte Hintergründe aufzuhellen versuchen.
Aber der Erbe des festen Hauses von Steenlage war quicklebendig. Mit scharfen Augen musterte er die neue Mutter, von der ihm der Vater schon mancherlei erzählt. Sie fand in ihrer Schönheit nicht nur Gnade vor den unbarmherzigen Kinderaugen, sondern er fing bald an, sie still zu verehren und ihr unwillkürlich Huldigungen darzubringen. Da hatte sie gewonnen Spiel, und der Knabe, der von seiner eigenen Mutter nichts mehr wusste, ordnete sich willig der ihn freundlich anlächelnden Frau unter.
Wie stellte man sich nun in Celle zu dem Raub der dem Gericht verfallenen Armgard Salge?
Die ausgesandten Reiter kehrten nach der Stadt zurück, wurden wiederum ausgeschickt und ritten aufs neue heim zu dem wohlbehüteten Gemeinwesen an der Aller.
In jedem Dorf der näheren und weiteren Umgebung der Stadt hatte man Nachfrage gehalten; selbst die einstelligen Höfe waren aufgesucht worden. Man musste es, wie der Augenschein lehrte, mit sehr schlauen Menschen zu tun haben, und denen konnte man wohl zutrauen, dass sie nach kurzer Zeit eine Richtung einschlagen, die der ursprünglich angenommenen völlig entgegengesetzt war. Deshalb hatte man nach allen Seiten Nachfrage gehalten.
Aber überall dasselbe Ergebnis.
Einzelne Reiter waren in verschiedenen Ortschaften zwar gesehen worden, aber keine Speerträger, keine Menschen mit Eisenhemden und Sturmhauben, nicht einmal solche mit Schwertern waren aufgefallen. Was man in den Dörfern an Reitern wahrgenommen, deutete man als harmlose Bauernburschen und Fuhrleute.
Ein Mädchen hatte man nirgends reiten sehen; das konnte in allen Ortschaften mit Sicherheit angegeben werden. Nein, ein reitendes Mädchen war keine Alltäglichkeit und wäre keinesfalls den beobachtenden Augen der Dorfbewohner entgangen.
Auch in Ahnsbeck wusste man nichts von Armgard Salge. Allen war der Verbleib des Mädchens unerklärlich.
Doch erhob sich im Dorf bald ein seltsames Raunen. Es hiess, die Dirn sei von ihrem höllischen Geliebten, demselben, der sie in der Allerheide so oftmals aufgesucht, dem irdischen Richter entzogen. Das sie noch lebe, glaube man kaum. Jedenfalls schmore sie schon für immer am teuflischen Feuer in der ärgsten Hölle, und das sei viel schlimmer als das Braten am Brandpfahl, was bald danach ihren Genossinnen aus dem "Grauen Hause" zuteil wurde. Das Brennen auf dem Holzhaufen dauere doch nur kurze Zeit; aber sie sei nun, nachdem der seltsame Begleiter ihr den Hals umgedreht, zu ewigen Höllenqualen verdammt.
Dieses Gerede war von einigen alten Weibern aufgebracht worden,
und es fanden sich nur wenige, die ihm zu widersprechen wagten. Auf dem Salgeschen Hofe sagte niemand ein Wort über das Schicksal der Haustochter. Niedergedrückt und schweigsam verrichtete man seine Arbeit.
In Celle war man fast allgemein der Ansicht, dass die Ahnsbecker mit ihrem Gerede wohl recht haben möchten. Die wenigen, bei denen der Hexen- und Teufelsglaube noch nicht die gesunde Ueberlegung verbannt hatte, wagten es nicht, offen ihre Meinung kund zu tun.
Vom Gericht aus wurden die Nachforschungen nach dem Verbleib der schönen Ahnsbeckerin noch fortgesetzt, wenn auch nur lau und verdrossen. Man glaubte vorläufig noch an einen irdischen Entführer, da alles zu fein und klug eingefädelt erschien. Der Gerichtsvogt hatte verlauten lassen, man werde den Uebeltäter, der in ein schwebendes Verfahren eingegriffen, wohl zu fassen und zu strafen wissen.
Doch kamen ihm so mancherlei Sachen in die Quere, dass sich sein zunächst so brennend erscheinender Eifer bald merklich abkühlte.
Vom Hof wurde er wegen der Gemütserregung des Herzogs mit so vielerlei zeitraubenden Aufträgen versehen, dass er am Ende die ergebnislosen Fahndungsbestrebungen einstellte. Er war nun einmal kein findiger Richter, der aus kleinen Anzeichen seine Schlüsse zog und mit der Zeit doch sein Ziel erreichte.
Die Akten über den Fall Armgard Salge liess er zwar noch eine geraume Zeit liegen, stets hoffend, dass ihm ein günstiger Fingerzeig doch noch eine Weiterführung des Prozesses gestatten würde. Als jedoch nichts dergleichen erfolgte, als auch des Geredes allmählich weniger wurde und mit der Zeit gänzlich verstummte, hängte er dem geduldigen Papier aus der Lachendorfer Papiermühle einen nichtssagenden vieldeutigen Schluss an von teuflischen Einwirkungen und Entrückungen und knallte dann das Bündel ärgerlich auf den letzten Platz der langen Bank. Niemand weiss, wo schliesslich das Aktenbündel geblieben ist, während die Schriftstücke der anderen hochnotpeinlichen Prozesse noch auf unsere Tage gekommen sind.
Und die ferneren Schicksale Armgards auf Steenlage?
Eines drückte sie noch manchen Tag; dass sie nämlich ihrem Vater und ihren Brüdern auf dem heimischen Hof kein Lebenszeichen zukommen lassen durfte. Sie musste der eigenen Sicherheit halber für Ahnsbeck verschwunden sein und bleiben.
Das war aber auch ihr einziger grösserer Kummer. Ihr Leben auf Steenlage gestaltete sich viel ruhiger, als man nach dem abenteuerlichen Einzug hätte annehmen sollen.
Bruno Brantwulf selber hielt seine schöne Frau stets in Ehren. Er schien ständig daran zu denken, wie schwer ihm deren Erwerb geworden.
Nicht, dass der Steenläger nun ein nachgiebiger und ständig zu Hause hockender Ehegatte wurde. Die Wildheit der Brantwulfs steckte nun einmal in ihm und suchte sich stets aufs neue wieder Luft zu schaffen. Manch wilder Ritt zur Jagd und einem bedrängten Freund zu Hülfe wurde noch ausgeführt. Doch häuslicher erschien er wirklich, und Armgard verstand es, in ihrer vorsichtigen und taktvollen Art, ihm manchen Zug seines Ungestüms abzugewöhnen. Er nahm doch nicht mehr an jedem tollen Streiche teil, und ihr gelang es hin und wieder, ihn bei sich zu halten, wenn das unruhige Blut den unternehmungslustigen Junker zu weiten Fahrten verleiten wollte.
Stürmische Tage blieben auch dieser Ehe nicht erspart, da beide Ehegatten Vollnaturen waren; doch brachte es Armgard immer wieder dahin, dass er auch nach dem heftigsten Ausbruch zu ihr zurückfand.
Die Ehe wurde mit einer Schar von Kindern gesegnet. Die Söhne bekamen später Freihöfe, die der Vater ihnen erworben, gingen also wieder ins Bauerntum zurück, aus dem ihr Geschlecht stammte. Sie und ihre Familien waren stark und gesund genug, um auch die Schrecknisse des grossen Krieges, der aus den endlosen Streitigkeiten der hasserfüllten Menschen dieses Zeitalters hervorwuchs, zu überdauern. Die Töchter heirateten tüchtige Männer bürgerlichen Standes.
In Celle liess sich Bruno Brantwulf viele Jahre hindurch nicht sehen. Erst als die alten Richter und alle näheren Bekannten
mit Tod abgegangen waren, besuchte er hin und wieder die Herzogsstadt an der Aller. Er konnte jetzt sicher sein, dass niemand es fertigbrachte, allerlei dunkle Zusammenhänge in das helle Licht des klaren Tages zu rücken.
Es war doch gut, dass die schöne Armgard auf Ahnsbeck nach ihrem unfreiwilligen Wasserbad in der Aller nicht bei St. Georg in Rauch aufging, sondern noch manches Jahr in Steenlage als tüchtige Hausfrau und sorgende Mutter wirkte, also ihrer eigentlichen Aufgabe erhalten blieb und nicht dem verderblichen Wahn einer zerrissenen und absinkenden Zeit zum Opfer fiel.
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