übertragen von Josella Simone Playton und Herwig Huener


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  2. HEINRICH HÜNER

    Der
    unterirdische Gang

    (Absonderliche Menschen der Heide)




    1939
    Verlag Schweiger & Pick, Celle


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  4. Nachdruck verboten
    Alle Rechte vorbehalten.




    Druck von Schweiger & Pick (Cellesche Zeitung), Celle


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  6. Inhaltsverzeichnis

       Der unterirdische Gang . . . . . . . . . . . . . . . . .  7
       .... da hat die Magd dem jungen Jäger den Tanz versagt . 31
       Worthmanns Trina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
       Hinnerk Hoops  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
       Grotjohann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
    
       

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  9. <Ein Holzschnitt>

    Delke / M.


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  12. Der Unterirdische Gang

    Daß dem Jörg Ramdöhr wohl zumute war, durfte wirklich niemand behaupten, versuchte es auch gar nicht, wenn ihm die näheren Umstände mitgeteilt wurden.

    Jörg sollte am nächsten Tage durch eine Kugel vomLeben zum Tode gebracht werden, und solche Aussichten sind keinem Menschen erbaulich.

    Gewiß, Jörg Ramdöhr war Landsknecht im Heere Herzog Georgs von Braunschweig-Lüneburg und hatte während seiner Soldatenjahre viele hundert Kugeln pfeifen hören, ohne sich sonderlich darum aufzuregen. Das Blei hätte ihn ja längst treffen können, aber es schien bisher keine Kugel für ihn gegossen zu sein, mochte ihn auch manchmal eine von der Sorte nicht gerade sanft geschrammt haben.

    Wie oft hatte er des Abends seelenruhig am Wachtfeuer gelegen, wenn auch für den nächsten Tag ein hartes Treffen bevorstand! Gedanken an den nahen Kampf beschwerten niemals sein Herz, und, wenn er nicht gerade auf Wache ziehen mußte, dann hatte er an den Abenden vor den Gefechtstagen prächtig geschlafen, auch ohne ein Dach über dem Kopf, nur in seinen Mantel gewickelt.

    Aber heute würde nicht so leicht der Schlaf sich einfinden, trotzdem er ein Dach über sich hatte, sogar ein sehr festes, wie es nun eben über dem festen Turm des Celler Schlosses gefügt war. Es blieb doch ein vertracktes Gefühl, wenn man sicher wußte: morge pfeifft die Kugel, die dir ans Leben will. Noch dazu nicht einmal in Gottes freier Natur, zwischen Baum und Busch, wo es sich viel leichter stirbt, wenn gerade am Himmel eine Heidelerche trillert und bei ihrem letzten Tirili des Todwunden Seele mitnimmt in den tiefblauen Himmel hinein.

    Wie war Jörg Ramdöhr nur in den Turm des Celler Schlosses gekommen? -

    Ja, wenn Jörg das nur genau selber wüßte!

    Er war stets ein tüchtiger Soldat gewesen, hatte zu jeder - auch der tollkünsten - Unternehmung ja gesagt, sich mit Hans Klapperbein auf Du und Du gestellt - und nun dieses Ende!


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  14. In Bröckel war das Geschick über ihn gekommen. Die Bröckeler hatten am letzten Sonntag lustig gefeiert beim Erntebier. Jörg kannte manchen vielbefahrenen Mann aus dem lebhaften Fuhrmannsdorf. Hin und wieder traf er sie auf seinen weiten Märschen kreuz und quer durch das ganze heilige römische Reich Deutscher Nation, wo auch ihnen kaum eine der endlosen Straßen fremdgeblieben.

    Als die Bröckeler Freunde und Bekannten nun feierten, wollte Jörg mit dabei sein. Er nahm sich Urlaub von seinem Hauptmann in Celle und stapfte durch Eichklinth und Weggenbruch dem Fuhrmannsdorfe zu.

    Hoch ging es her auf dem Erntebier in dem feiernden Dorfe. Einige Fuhrleute waren mit gefüllter Geldkatze heimgekommen von weiter Fahrt, ohne durch Marodebrüder geschröpft zu sein, was in diesen unruhigen Zeitläuften viel besagen wollte. Auch Jörgs Tasche war von dem letzten Streifzuge her, der bis ins Fränkische ging, wohl gespickt. So kam es denn, daß man sich etwas zugute tat an Braunschweiger Mumme und Celler Korn und mit den Brökeler Freunden manchen Kroos und manchen Blaurand leerte.

    Und auch die drallen Deerns schwenkte man kräftig nach Soldatenart auf dem kurzen Tanzrasen.

    Doch am Ende hatte Jörg sich nur noch eine zum Tanzen geholt, eine hellblonde Deern mit dunklen Augen. Deren stattlicher Wuchs gefiel ihm absonderlich, und er ließ bald keinen Tanz aus, so daß die Freunde ihre liebe Not hatten, den frischen Soldaten an den Schenktisch heranzubekommen.

    Und dabei war es dann geschehen, das Unglück.

    Jörg blieb nicht der einzige Celler Soldat, der in Bröckel beim Erntebier mitfeierte. Sogar der junge Fähndrich seines eigenen Fähnleins hatte sich eingefunden und machte sich mit den rotbäckigen Mädchen des Flottwedels zu schaffen.

    Als nun Jörg Rahmdör gerade wieder einmal von seinen Freunden genötigt war, mitzuhalten am Schenktisch, da hatte sich beim Beginn eines neuen Tanzes der Fähndrich einfach seine Deern geholt, bevor sich der Landsknecht loszureißen vermochte aus dem fröhlichen Zecherkreis.

    Das war schon schlimm, und Jörg wäre am liebsten aufgesprungen und hätte dem jungen Dachs, dem Fähndrich, eine gelangt, daß der die Engel im Himmel pfeifen hörte. Doch hielt er an sich. Man durfte es bei diesem freien Tanz niemandem verwehren, sich eins der schlanken Mädchen zu holen.


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  16. Jörg folgte jeder Wendung des Paares, sah wohl, daß die Augen des Mädchens nach ihm ausschauten, beachtete seine Zechkumpane überhaupt nicht mehr und nahm sich vor, beim nächsten Tanz so rechtzeitig aufzuspringen, daß der junge Frechdachs da drüben das Nachsehen hatte.

    Als aber der Tanz aus war, ließ der junge Fant seine Deern - so nannte Jörg sie schon - doch noch nicht los. Er hielt sie an einer Hand und tat schön mit ihr. Honigsüße Worte schienen aus seinem Munde zu kommen; denn das Mädchen - Metta hieß sie - sah ihn unverwandt lächelnd an.

    Das war mehr, als Jörg in seinem jetzigen Zustand ertragen konnte. Er sprang auf - daß er seinen mächtigen Bierkroos noch in der Hand trug, wußte er augenscheinlich nicht - ging mit festen Schritten auf das Paar los und riß die Hand des Mädchens dem Fähndrich fort. Als dieser den zornigen Landsknecht neben sich erblickte, der es wagte, ihm, den Höhergestellten, ein Mägdlein streitig zu machen, wurde auch er gleich rot angesteckt.

    Das Nächste war, daß der Fähndrich nach seinem Degen griff, um Jörg eins zu versetzen. Soweit kam er aber nicht. Inzwischen hatte Jörg seinen dickwandigen dickwandigen Bierkroos erhoben und ihn mit voller Wucht auf den Kopf des Fähndrichs niederfallen lassen; er behielt nur den Henkel seines Trinkgefäßes in der Hand.

    Der Fähndich war dann wie ein Strohhalm zusammengeknickt, hatte seine Plempe fallen lassen und lag gleich danach längelang auf dem grünen Rasen. Er stand nicht wieder auf, so sehr man sich um ihn bemühte.

    Man sah den Soldaten in den damaligen kriegerischen Zeiten zwar viel nach, mehr als gut war - daß sich aber ein Landsknecht gegen seinen Vorgesetzten erhob und ihn zu Boden streckte, war auch in jenen Zeiten ein todeswürdiges Verbrechen.

    Ein anwesender Korporal packte Jörg und ließ ihn von den mitfeiernden Soldaten gewaltsam nach Celle schaffen, ohne daß der Landsknecht sich im geringsten zur Wehr setzte; er war nach dem Fall seines Gegners merkwürdig still und in sich gekehrt gewesen.

    In Celle wurde kurzes Gericht über ihn gehalten. Der Fall lag nach Ansicht des Kriegsgerichtes klar vor aller Augen. In Notwehr gehandelt zu haben, billigte man Jörg nicht zu. Wohin sollte das führen, wenn jeder, der mit einem Mädchen sprach, gleich in Lebensgefahr kam! Mußte


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  18. man sich etwa vorher erst Gewißheit verschaffen, ob ein anderer ältere Rechte für sich in Anspruch nahm? Der Fähndrich, so hieß es, sei in Notwehr gewesen, als er sich dem angriffslustigen Landsknecht gegenüber sah, und habe nur zu seiner Selbstverteidigung die Wehr gelockert. Ein Auge zuzudrücken, sei nach Lage dieses Falles nicht möglich, da sonst die ganze Disziplin, die so schon manches zu wünschen übrig ließe, zum Teufel ginge.

    Der Delinquent mochte noch von Glück sagen, daß man ihm eine Kugel zubilligte und ihn nicht einfach mit des Seilers Tochter Hochzeit machen ließe. -

    Ja, so war's gewesen. Warum aber den Jörg, der doch sonst ein ruhiger Busch zu sein vermeinte, der Zorn so übermannt hatte, daß er gleich seinen Nebenbuhler den Schädel einschlug, das wußte er heute noch nicht. Die Metta mochte er zwar gern leiden, und es wurde ihm noch jetzt warm ums Herz, wenn er an sie dachte. Doch dem jungen Fähndrich gönnte er gern das Leben; er war ihm durchaus nicht mehr feind, und hätte sein eigenes Leben in die Schanze geschlagen, wenn er damit den toten Körper des so jäh Dahingestreckten wieder mit Atem würde füllen können. Doch wer konnte Geschehenes wieder gut machen? Zudem wurde man im Kriege hart und schlug ein Menschenleben, weder das eigene noch ein fremdes, allzu hoch an. Dem Geistlichen, der ihn besuchte, hatte er aus ehrlichem Herzen gesagt, daß er seine rasche Tat bereue, und daraufhin von ihm Absolution empfangen. -

    Als Jörg Ramdöhr so tief im Turm des Celler Schlosses seinen schweren Gedanken nachhing, vernahm er das Schlüsselgerassel des Schließers. Na, der wollte ihm wohl noch sein karges Abendbrot bringen. Morgen gab es dann zu guter Letzt noch ein herrschaftliches Mahl und dann: Welt ade!

    Doch als die Kerkertür sich öffnete, trat neben dem Schließer, der ihm wirklich sein abendliches Brot und einen Krug mit Wasser brachte, der Großvoigt von Celle herein.

    Was der nur wollte?

    Jörg Ramdöhr erhob sich.

    Der Großvoigt faßte den Todeskandidaten ins Auge.

    "Jörg Ramdöhr", begann er dann in uhiger Rede, "ihr wißt, daß euch morgen eine Kugel vom Leben zum Tode bringen soll."

    Jörg nickte, sah dabei aber den Großvoigt unverwandt an.


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  20. Dieser fuhr in seiner Rede fort: "Seine Herzogliche Gnaden, der Herr Feldobriste, machen euch nun auf Anraten seines Bruders, des regierenden Herrn Herzogs, folgendes Anerbieten: Ihr mögt durch den unterirdischen Gang gehen, der im Keller dieses Schlosses seinen Lauf beginnt und von dem manche sagen, er ende in Wienhausen. Kommt ihr am jenseitigen Ende des Ganges wieder heil und ganz aus demselbigen hervor, so sei euch in Gnaden das Leben geschenkt. Ihr habt dann nur seiner Herzoglichen Hoheit zu vermelden, wie es dort drunten aussieht und welchen Verlauf der Gang nimmt. Doch durch den Gang zurückkehren dürft ihr nicht wieder. Die Eingangstür im Keller des Schlosses wird hinter euch verschlossen. - Nun Wählet! - Wollt ihr die rasche Kugel? Oder wollt ihr in langsamen Schreiten den Gang erforschen, wobei der Tod, das darf ich euch nicht verschweigen, ständig neben euren Schritten einhergeht?"

    In den Agen Jörg Ramdöhrs glomm es auf: "Bekomme ich ein Licht mit in den dunklen Gang?"

    "Licht, so viel ihr wollt, auch sogar Wegzehrung für einen Tag."

    Jörg sprang auf: "Ich will den Gang durchschreiten!"

    "Halt!" warf der Großvoigt ein, "eine Kleinigkeit hab' ich noch nicht gesagt: Ihr bekommt eine Trommel mit und sollt sie rühren, so lange ihr unter dem Erdboden wandelt."

    "Das gilt mir gleich. Ich will den Erdboden durchwandern!"

    "Gut! Ich will seiner Herzoglichen Gnaden euren Entschluß vermelden. Morgen, eine Stunde vor Mittag, haltet euch bereit. Gehabt euch wohl!"

    Der Schließer hatte inzwischen Brot und Wasser auf eine Art Schragen gestellt, entfernte sich dann mit dem Großvoigt, und gleich darauf rasselten die Schlüssel wieder im rostigen Schloß.

    Des Zurückbleibenden hatte sich jetzt neuer Lebensmut bemächtigt. Nun war er doch nicht mehr der unerbittlichen Kugel ausgeliefert.

    Es erging ihm jetzt, wie am Abend vor einer Schlacht: Gefahren hier und dort - aber man hatte doch Chancen, Meister Klapperbein eine Nase zu drehen.Nicht jede Kugel traf dort im weiten Felde; im geheimen hoffte man stets, denen zugesellt zu sein, die nur die Kugeln pfeifen hörten. Kam dann doch einem selber das zugedachte Blei - je nun, einmal mußte jeder sterben.


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  22. Waren für seinen Weg durch den dunklen Gang die Lose anders verteilt? - Jörg mußte sich allerdings zugestehen: Die Wahrscheinlichkeit, aus dem dunklen Erdenschoß ans helle Tageslicht zu kommen, konnte nicht allzu groß sein, sonst hätte man nicht einen sicheren Todeskandidaten zu diesem Wagnis auserwählt. Jedenfalls bot das Toben der Feldschlacht mehr Gunst des Schicksals. Doch es mußte auch hier eine Möglichkeit geben, dem Tode der Finsternis zu entrinnen, und er würde auch in der düstersten Ecke danach Ausschau halten.

    Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken schlief Jörg Ramdöhr ein.

    Am anderen Morgen gab es eine gesegnete Mahlzeit, die erste und einzige, die dem verurteilten Landsknecht während seiner Gefängniszeit wirklich schmeckte.

    Kurz vor Mittag holte man ihn aus seinem Turm, versah ihn mit einer Trommel, einer brennnenden Oellampe, einer Kerze und der Wegzehrung.

    Dann führte man ihn in ein Kellergewölbe, öffnete ihm dort eine rostige Tür, hinter der ein dunkles Loch gähnte, hieß ihn in diese von seinem Oellämpchen spärlich erhellte Finsternis hineintreten, wünschte ihm guten Weg und schloß dann die quarrende und quitschende Tür mit einem lauten Krach. Jörg hörte noch das Geräusch des Schließers, einige sich entfernende Tritte, und darauf wurde es völlig still um ihn her.

    Ganz so hatte sich Jörg den Gang doch nicht vorgestellt. Nur ein verschwindend kleiner Winkel war von seinem Lämpchen matt erhellt, sonst überall dräuende Finsternis, die Wände des Ganges naß, der Boden glitschig.

    Von der Decke fielen Tropfen, und ihr Aufklatschen war das einzige Geräusch, das seine Oren aufnahmen.

    Jörg raffte sich auf, schlug mit dem Schlegel auf seine Trommel und setzte langsam und behutsam einen Fuß vor den anderen.

    Es ging abwärts. Das mußte es wohl auch; denn der schmale Gang führte doch gleich außerhalb der Schloßmauern unter dem tiefen Schloßgraben hindurch. An der tiefsten Stelle war die Decke des Ganges recht niedrig, und hier hatte sich auch einiges Wasser auf dem Boden angesammelt. Doch mußte das Mauerwerk überraschend gut angelegt sein, sonst hätte wohl der Gang bis oben hin voll Wasser gestanden.


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  24. Der Gang stieg wieder an und führte in gewundener Richtung weiter.Jörg trommelte noch immer mit einer Hand eintönig drauf los, wie ihm geheißen. Doch das Mauerwerk wurde hier an manchen Stellen brüchig, und Jörg hatte seine liebe Not, über die seinen Weg versperrenden ausgebrochenen Steine hinwegzukommen. Er hatte gar nicht mehr die Hand frei zum Trommeln; mit der anderen mußte er schon so wie so das Licht hüten. Er überlegte kurz: Was soll mir dieses überflüssige und hinderliche Gepäck? Es läßt mich nicht vorwärts dringen, und ob die da oben wirklich noch drauf achten, was ich hier unten treibe, weiß ich nicht, kann mir am Ende auch ganz gleichgültig sein. -

    Also ließ er die Trommel liegen, nahm dafür seine übrige Ausrüstung desto besser in Obhut und verfolgte den engen Pfad über alle Hindernisse hin weiter.

    Wieder senkte sich der Gang und das Mauerwerk änderte sich. Es war einigermaßen glatt. Ueber sich hörte er es rauschen und fließen, und das dauerte seine geraume Zeit, während er vorwärts schritt.

    Wo mag ich nur sein? fragte er sich. Welches Gewässer rauscht über mir? Weder der Stadtgraben, noch der Magnusgraben, noch die Fuhse haben eine solche Breite; ich kann also nur unter der Aller sein, und das Rauschen muß vom Mühlenwehr kommen, und der Gang wird schon in der Wehrmauer entlang gehen; bei der Anlage des Wehr muß er gleich mitgebaut sein. Mit Wohlgefallen betrachtete Jörg die gutgefügten Steine, die dem mächtigen Prall des Wassers standhielten.

    Dann führte der Weg aber auch gar nicht nach Wienhausen, so ging es jetzt dem einsam Schreitenden durch den Sinn, sondern ganz woanders hin; aber er zerbrach sich noch nicht weiter den Kopf über sein Wegziel.

    Der dunkle Weg stieg, als das Rauschen nicht mehr hörbar war, merklich an. Das Mauerwerk hörte auf, und Holzrahmen stemmten sich dem Druck der Erde entgegen. Doch manche von ihnen waren im Laufe der Zeit morsch und brüchig geworden und hielten die wuchtenden Erdmassen nicht mehr zurück. Wer konnte wissen, wie viel Jahre lang sie sich schon dem Druck ausgesetzt hatten; sie mochten jetzt wohl zum Teil müde geworden sein.

    Für Jörg Ramdöhr waren diese Stellen des Zusammenbruchs recht schwierige Angelegenheiten. Manchmal zwängte er sich noch mit Mühe zwischen zwei Stempeln hindurch, kroch auch wohl über einen Erdhaufen weg. Doch gab es


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  26. auch Zusammenstürze, die ihn fast mutlos machten. Erdhaufen reichten bis zur Decke des Ganges, und Jörg mußte mit seinen Händen einen Weg bahnen, immer in Gefahr, von nachstürzenden Massen erdrückt zu werden.

    Ja, wenn er jetzt mit einem Spaten oder einer Schaufel ausgerüstet wäre; aber die hatte man ihm nicht mirgegeben.

    Immer wieder arbeitete sich der Landsknecht auf seinem Pfade vorwärts, wenn auch unter mühseligem Tun. Die Erde fühlte sich etwas trockener an als vorher; da war er am Ende in die Gegend vor dem Hehlentor gekommen

    Trotz der Kühle im Innern der Erde hatte sich Jörg Ramdöhr in Schweiß gearbeitet. Seine Arme waren fast lahm von der Anstrengung, seine Hände aufgerissen. Und noch immer kam er nicht an ein Ende des Ganges.

    Aber vor ihm lag jetzt eine Strecke, die völlig zusammengebrochen war. In wüstem Durcheinander sperrten Erdmassen und morsche Holzstützen ihm den Weg.

    Jörg griff in die Erdmassen hinein und warf sie hinter sich. Aber so wie er eine Lücke in die Wand da vor ihm gerissen hatte, stürzten neue Erdklumpen nach.

    Was nun beginnen? - Trübselig setzte sich Jörg auf einen der umgebrochenen Träger und dachte nach. Hätte er jetzt einen Spaten zur Hand gehabt, würde er versucht haben, sich nach oben durchzuwühlen, mochte es auch noch so gefährlich sein. So sehr hoch über seinem Sitz konnte doch unmöglich die Erdoberfläche sich wölben. Aber ihm fehlte doch nun einmal jedes Gerät.

    Jörg starrte auf seine trübe Oellampe. Wie lange würde sie ihm noch diese Finsternis erhellen? - Er fühlte nach seinen Eßvorräten. Wann würden sie aufgezehrt sein? Dann war das Ende da. Ein Ende, noch viel schlimmer, als unter den Kugeln der Kameraden. Hatte er nicht doch falsch gewählt? Wäre er nicht auf den Vorschlag des Großvoigts eingegangen, dann täte ihm jetzt keion Glied mehr weh, man würde ihn vielleicht schon begraben haben.

    Ja, begraben war er jetzt auch, aber noch viel tiefer unter der Erde, und mit vollem Gefühl, lebendig, ohne sich von der über ihm lastenden Erde befreien zu können, und das Ende war noch lange nicht da.

    Sollte er untätig darauf warten? - Nein! Lieber noch einmal alles versuchen; begruben ihn die schweren Erdmassen, dann kam der Tod wenigstens rasch zu ihm.


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  28. Jörg erhob sich wieder von seinem kühlen Sitz, leuchtete mit seiner trüben Lampe alles sorgfältig ab und griff auch in die vor ihm liegende Erde hinein.

    Da bekam er ein schmales Stück Holz zu fassen; er zog es aus dem Erdhaufen heraus; es war eine Art Brett. Jörg betrachtete es von allen Seiten. Hm, sagte er sich, wenn man keinen Spaten zur Hand hat, ist einem auch jedes andere brauchbare Gerät willkommen.

    Er versuchte, mit dem dünnen Brett in die lockere Erde hineinzustoßen. Es gelang ihm, und nun begann er mit seinem Holz, das zum Glück noch nicht morsch geworden war, die Erde hinter sich zu werfen.

    Zunächst stürzten ständig Erdklumpen nach, und Jörg meinte schon, seine ganze Arbeit würde vergeblich sein. Doch nachdem er eine Zeitlang so geschafft hatte und ihm der Schweiß schon wieder vom Gesicht niedertropfte, hörte das Herunterfallen der Erdklumpen auf.

    Er arbeitete vorsichtig weiter, um seine Lampe, die er neben sich gestellt hatte, nicht zu gefährden.

    Da stieß er mit seinem Brett gegen festes Gestein. Was bedeutete denn das? - War der Gang hier völlig zu Ende und mit Steinen abgeschlossen? Das konnte doch wohl nicht sein, man hatte den Gang auf keinen Fall ohne Zweck angelegt.

    Jörg Ramdöhr schaufelte weiter, und dabei nahm er war, daß er keine Steinmauer vor sich hatte, sondern steinerne Stufen, die nach oben führten. Das erfüllte ihn mit neuer Hoffnung, und mit frischem Mute schaffte er weiter, bis er soviel Raum gewonnen, daß er die steinerne Treppe betreten konnte.

    Er kam auf ihr tatsächlich in die Höhe, nur wenig Sand war seitwärts durchgebrochen, den meisten Mull schien er unten mit seiner Maulwurfsarbeit aus dem Wege geräumt zu haben.

    Aber jetzt nahmen die Stufen ein Ende. Eine eisenbeschlagene Bohlentür hielt ihn auf. Ob die nicht zu öffnen war? - Jörg stemmte sich dagegen, doch die starke Tür gab nicht nach.

    Jörg wollte die Tür ableuchten, sah dabei aber, daß seine Oellampe noch trüber als sonst brannte. Als er nachschaute, nahm er wahr, daß das Oel vollständig aufgezehrt war. Zu seinem Glück hatte er aber noch die Kerze, die er denn auch an dem verlöschenden Oellicht entzündete.


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  30. Dann untersuchte er die Tür genauer. Es fand sich weder Türgriff noch Schloß. Aber sie mußte doch von innen zu öffnen sein; er stand doch in dem Notausgang für die Bewohner des Schlosses. Zwar schien niemand mehr um ihn richtig Bescheid zu wissen; doch der Erbauer des Ganges hatte alles, wie man noch jetzt während des Verfalls feststellen konnte, zweckmäßig angelegt, und da mußte auch die Ausgangstür zu dem Ganzen passen.

    Jörg leuchtete von neuem die Tür ab, und jetzt endlich fiel ihm eine Stelle unter den rostigen Beschlägen auf, die sich von dem übrigen Eisen unterschied. Es mochte wohl ein Riegel sein. Als Jörg ihn aber zu bewegen trachtete, gab das Eisen nicht nach.

    Kein Wunder, dachte der Eingeschlossene, wie lange mag das völlig verrostete Ding nicht angerührt sein!

    Mit der Kraft deiner bloßen Hände kommst du nicht heraus, sagte sich Jörg, und er sah sich deshalb nach Hilfsmitteln um. Da fiel ihm neben der Tür ein kurzer Stock auf. Der einsame Mann nahm ihn auf und fand ihn von beträchtlichem Gewicht; er hielt ein Stück Eisen in der Hand.

    Besseres hätte Jörg wirklich nicht finden können. Er bearbeitete mit der kurzen Eisenstange, die wohl zu diesem Zweck hier gelassen war, den Türriegel.

    Es dauerte aber auch jetzt noch geraume Zeit, bis der verrostete Türverschluß sich bewegte. Endlich gab er nach und ließ sich ein klein wenig zurückschieben. Der Landsknecht suchte jetzt sein Eisen zwischen Tür und Rahmen zu klemmen, und nach langem Mühen gab endlich das Tor unter mißtönendem Geknarre einen schmalen Spalt frei.

    Erwartungsvoll schaute Jörg durch die Türspalte. Wenn er aber geglaubt hatte, daß ihm jetzt das helle Tageslicht winken würde, dann irrte er sich gewaltig. Gerümpel aller Art lagerte hinter der Tür, einige Stücke davon waren ihm schon beim Oeffnen entgegengepoltert, und vom blendenden Tag sah er nicht die geringste Spur.

    Dennoch riß der Landsknecht mit aller Kraft an der schwerfälligen Tür, und neue Hoffnungsfreudigkeit gab ihm besondere Stärke. Endlich hatte er die widerstrebende so weit, daß er selber durch die Oeffnung hätte hindurchschlüpfen können, wenn ihm ein wüstes Durcheinander nicht nur den Weg, versperrt, sondern ihm sogar bedrohlich näher gerückt wäre.

    Feld- und Ziegelsteine, morsche Bretter, Stücke von altem Balkenwerk, verrostete Eisenstangen und sonstige Ueberbleibsel


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  32. von Bau und Abbruch lagen haufenweise hinter der Tür. So viel sah der Freiheitsuchende bald: seine Treppenstufen gingen nach kurzem Absatz weiter; aber man hatte die Tür wohl absichtlich von außen her mit allerlei unbrauchbarem Kram unsichtbar und unzugänglich gemacht.

    Es war kein leichtes Stück, von unten her diesen Haufen, dessen einzelne Bestandteile ständig auf ihn polterten, hinwegzuschaffen. Doch Jörg packte unverdrossen zu und warf, was ihm in die Hände geriet, hinter sich in die dunkle Tiefe. Daß dieses Tun nicht ganz ohne Schaden für ihn ablaufen konnte, war eigentlich selbstverständlich. Und richtig, bevor er sein Werk vollendet hatte, bekam er noch seinen Denkzettel. Ein schwerer Holzriegel löste sich aus dem Haufen, streifte beim Herunterpoltern Jörg am Kopfe, so daß er taumelte und fast die düstere Treppe hinuntergestürzt wäre; er fühlte nach seinem Kopfe und bekam eine feuchte Hand; doch die Wunde mußte unbedeutend sein; er hatte Glück gehabt; wie leicht hätte ihn das gewichtige Eichenholz erschlagen können, und das wäre doch schade gewesen, jetzt, wo er sich fast am Ziel glaubte.

    Nur einen Augenblick hielt der unermüdliche Arbeitsmann inne, dann räumte er von neuem auf in dem Wust da vor ihm, nun aber etwas vorsichtiger und bedächtiger.

    Endlich war er so weit, daß die Treppenstufen vor ihm zu begehen waren. Da ließ er alles, was sonst noch an den Seiten herumlag, stehen und liegen und stieg die Stufen hinauf, bis sie aufhörten und einem ebenen Raum Platz machten.

    Gerade wollte er sich in dem Raum umsehen, da blies ihm ein Luftzug von irgend woher seine bis jetzt immer sorgfältig gehütete Kerze aus. Ein derber Fluch entfuhr dem Landsknecht, brachte aber seine Kerze nicht wieder zum Glühen. Jedoch - hatte er nicht ein Feuerzeug bei sich? Er durchwühlte alle Taschen, fand aber nichts. Da fiel ihm ein, daß er es am gestrigen Abend neben sein Lager gelegt; er mußte in Erwartung des Kommenden vergessen haben, es wieder einzustecken.

    Als sich seine Augen an die völlige Finsternis gewöhnt hatten, fing Jörg an, langsam und vorsichtig umherzutappen. Seine Hände griffen auf kühles Mauerwerk. Um eine Ecke hatte er sich schon herumgetastet, da sah er schräg von oben durch einen schmalen Spalt ein klein wenig Tageslicht hindurchfallen. Er mußte sich also wohl in einem Keller befinden.


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  34. Bedächtig schritt Jörg weiter. Seine Füße stießen am Ende an hölzerne Treppenstufen. Er stieg sie hinauf und kam vor eine verschlossene Tür. Seinem Rütteln gab sie nicht nach, und er spürte nun, daß seine Arme und Hände müde geworden waren; er mußte ihnen doch wohl erst einmal Ruhe gönnen, setzte sich deshalb auf die Treppenstufen, langte seine Wegzehrung hervor und ließ es sich schmecken. Mit zunehmender Sättigung kehrte seine ganze Hoffnungsfreudigkeit wieder. Soweit war ihm alles gelungen, warum sollte er nicht weiter Glück haben!

    Er überlegte, was zu tun sei. Als er sich durch das Gerümpel des Treppenaufganges hindurchgearbeitet hatte, war sein Blick auf rostiges Eisen gefallen. Er mußte es trotz der Finsternis wieder suchen. Schade, daß er die kleine Eisenstange, mit der er unten die Tür geöffnet, nicht bei sich behalten; aber die mußte unter Bergen von Schutt begraben sein.

    Jörg Ramdöhr machte sich auf den Rückweg zu seinem Schutthaufen. Leicht war es nicht, die Stufen wiederzufinden, zumal manche Dinge in dem Kellergewökbe herumlagen, die den Schienbeinen nicht allzu freundliche Stöße spendeten.

    Endlich hatte er den Rest seines Schutthaufens wiedergefunden und nach langem Tasten und Suchen ein passendes Eisen in die Hand bekommen. Jetzt ging er zu seiner Tür zurück, wurde dabei aber gewahr, daß der Spalt nur noch ganz schwaches Licht durchließ. Es mußte also inzwischen Abend geworden sein, was dem Landsknecht durchaus nicht unlieb war.

    Ein schweres Stück Arbeit blieb jetzt noch zu tun: Es mußte das Türschloß gesprengt werden. Mancher Schweißtropfen rann dem keuchend arbeitenden Manne, trotz der Kühle des Raumes, von der Stirn, bis endlich das Türschloß nachgab.

    Diese Tür ließ sich schon leichter öffnen, und irgendwelche Hemmnisse fanden sich hier nicht mehr vor.

    Jörg Ramdöhr trat in einen dämmerigen Raum, in den auch einige große Fenster keine besondere Helligkeit brachten. Er sah sich um, und dabei kam ihm der Raum ganz bekannt vor.

    Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Er war doch in der Marienkapelle auf dem Liebfrauenberge vor dem Hehlentor. Er kannte sie von einem Begräbnis her, das er vor gar nicht langer Zeit auf dem Bürgerfriedhof mitgemacht. Das


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  36. Kapellchen stand Tag und Nacht offen, und Jörg Ramdöhr wußte jetzt, daß er seine Freiheit wiedererlangt hatte und daß er dem finsteren Tode dort unten in der Erde Schoß, der viel scheußlicher sich gebärdete, als der durch die rasche Kugel des lichten Tages, entronnen war.

    Das war ein überwältigender Gedanke, und diese eigentlich beruhigende Erkenntnis traf den Landsknecht mit solcher Wucht, daß er sich zunächst auf die Altarstufen niedersetzen mußte.

    Unwillkürlich formten sich seine Gedanken zu einem Gebet, zu einer Zwiesprache mit seinem Schöpfer. Gab er nicht im geheimen das Versprechen, künftig seinen raschen Zorn zu zügeln, seinen wilden Sinn zu meistern, damit nicht wieder durch ihn Menschenleben in Gefahr kamen, Menschenleben, die er zu schonen hatte, denen er nicht als Feind gegenübertrat?

    Lange saß der Landsknecht dort vor dem Altar und enthüllte sich selbst seine Seele, sah sie so, wie er wirklich war, nicht in den Flittern und kostbaren Decken, mit denen der Mensch für gewöhnlich sein Inneres vebirgt, selten so viel Mut aufbringend, um sich ganz zu durchforschen. Was der einsame Mann sich dort eingestand, klang längst nicht so selbst sicher, wie die Worte, die er gewöhnlich mit seinen Kameraden in der Schenke wechselte.

    Der Landsknecht saß so lange auf seinem Platze, bis er zu einem Entschluß über den Weg, den er weiter einschlagen wollte, gekommen war.

    Dann richtete er die Augen auf seine Umgebung, und jetzt war er wieder der klarschauende Soldat, dessen spähenden Blicken nichts entging, was um ihn her vorging. Freilich, von dem kleinen Kirchlein konnte er nicht viel mehr wahrnehmen. Er wußte, wie verfallen es aussah im hellen Sonnenschein; doch das schwache Sternlicht verbarg all die schadhaften Stellen des Gemäuers und der Ausstattung.

    Ein Marienbild, auf das im Augenblick ein Strahl des milden Abendsterns fiel, nahmen nun seine Augen wahr. Je länger er das Bildwerk ansah, desto gespannter wurden seine Züge. Hatte das Marienbild nicht dieselben Züge wie Metta? Oder narrte ihn das schwache Licht des Abendsterns? Er sah lange die Bildsäule an, bis sie erblaßte und im Dunkeln verschwand. Hatte nun nicht auch das Schicksal seinen Gedanken zugestimmt, als es ihm das Bild derer zeigte, um deretwillen er seine unselige Tat vollbracht?


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  38. Jörg Rahmdöhr erhob sich, wußte er doch fest und bestimmt, wohin er seine Schritte zu lenken hatte.

    Schon wollte er die Marienkapelle verlassen, da fiel sein Blick auf ein Bildwerk, über das nun gerade der Sternenstrahl glitt. Ein Märtyrerkopf schaute ihn an. Trug er nicht die Züge des Fähndrichs, der sich von seinem Schlage nicht wieder aufgerichtet hatte? Jörg ließ den Kopf hängen und ging gebeugt aus dem Kapellchen heraus.

    Draußen vor der Tür des verfallenen Kirchleins, zwischen den Kreuzen und Grabsteinen des Bürgerfriedhofes, blieb der Landsknecht überrascht stehen. Er sah über dunkle Baumgruppen hinweg die Lichter der wohlverwahrten Stadt zu seinen Füßen. Friedsam schauten die Lichtlein zu ihm herauf, und nur selten hörte er einen Ton von Mensch oder Tier bis auf seine Höhe dringen. Ueber all den kleinen Bürgerhäusern leuchteten die Lichter des wehrhaften Celler Schlosses zu ihm herüber.

    Sollte er nicht zuerst nach dem Schlosse gehen und dem Großvoigt melden, was er erlebt? Doch das war im Augenblick ein zweckloses Unternehmen, waren doch alle Tore seit Einbruch der Dunkelheit wohlverwahrt, und keines würde sich dem unerwarteten Eindringling öffnen.

    Erwartete man überhaupt noch von ihm eine Kunde, ein Lebenszeichen? Wohl kaum - man würde zunächst seinen Trommelzeichen gefolgt und, als diese aufhörten, wieder umgekehrt sein, des Glaubens, daß jetzt der Todgeweihte sein Ende gefunden habe. War er aber nicht verpflichtet, von seinen Entdeckungen Rechenschaft zu geben? Auch das wohl kaum - er hatte sein Trommelgerät so lange bearbeitet, als es ging, und dann darauf bedacht sein müssen, sich selber durchzubringen. Ja, freilich - Bericht erstatten sollte er doch eigentlich; aber dann durfte er gehen, wohin er wollte.Hm, er wollte sich die Sache noch durch den Kopf gehen lassen; im Augenblick jedoch war nichts auszuführen, und da konnte er schon bei seinem im Kapellchen gefaßten Entschluß bleiben.

    Kurz entschlossen wandte sich Jörg Ramdöhr zur Kirchhoftwechte, verfolgte sie aber nicht nach dem Hehlentor hin, sondern wandte sich dem Groß-Hehlener Weg, dann der Lüneburger Heerstraße zu und ging weiter über die Rauhe Twechte nach dem Pechrennen und der Gifhorner Straße, kam am Immenzaun vorbei, verließ in Lachtehausen die Straße und schritt durch Heide, Sand und Fuhren auf die Aller zu. Auf dem Altenceller Stege gelangte er an


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  40. das jenseitige Ufer des Flusses, ging dann ohne Aufenthalt durch Altencelle und erreichte, nachdem er das Weggenbruch durchquert, in dunkler Nacht das Dorf Klein-Eicklingen.

    Hier wollte er seine "Deern" aufsuchen. Er kannte sie zwar nur von dem Erntebier in Bröckel her, wußte aber ihren Namen und auch den Namen des Hofes, dem sie entstammte.

    Es war schwer, sich in dem dunklen Dorfe zurechtzufinden. Alles schien schon in den Betten zu liegen; nur in einem Hause gewahrte er noch Licht; er ging darauf zu und fand, daß es der Dorfkrug war, vor dem mehrere schwerbeladene Frachtwagen standen. Die Fuhrleute hatten die Pferde in den Stallungen des Kruges untergebracht und saßen jetzt in der hellerleuchteten "Dönzen". Sie schienen allerdings schon ihre Mahlzeit ziemlich beendet zu haben; einige erhoben sich von den Tischen, um ihr Nachtlager aufzusuchen.

    Jörg hatte eigentlich noch am Abend seine Metta aufsuchen wollen; als er jedoch in dem Lichtschein, der aus den Fenstern nach außen drang, zufällig an seiner Kleidung heruntersah, erschrak er. Schon bei dieser dürftigen Beleuchtung machtesein Azug einen abenteuerlichen Eindruck. Ueberall Schmutzflecke, an einigen Stellen sogar Löcher in den Ärmeln, und sonst war er doch so darauf erpicht, in schmucker, tadelloser Tracht dazustehen. Aber konnte es viel anders sein nach seinem Herumwühlen in den Tiefen der Erde?

    Nein, so konnte er seine Deern nicht aufsuchen. Er sah ja fast aus wie ein Wegelagerer.

    Also entschloß er sich, im Dorfkrug zu übernachten. Doch die Haustür war schon verschlossen. Auch der Wirt schien willens zu sein, gleich nach seinen Gästen das Bett aufzusuchen. Auf das Rütteln Jörgs öffnete er dann aber die Tür zur Hälfte, hielt seine Leuchte hoch und betrachtete den späten Gast genauer.

    Um dem Mißtrauen des Wirtes zu begegnen, sagte Jörg kurz: "Ich bin im Weggenbruch vom Wege abgekommen und in ein Sumpfloch geraten. Kann ich bei Euch Obdach erhalten und meine feuchte Kleidung trocknen?"

    Dem Wirt schienen diese Worte des Gastes eine genügende Erklärung für den Zustand der Kleidung zu bieten; er öffnete die Tür vollends, ließ den nächtlichen Wanderer ein, wies ihm auch gleich ein Nachtlager an, ohne nach seinen Wünschen wegen einer Abendmahlzeit zu fragen.


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  42. Nach der anstrengenden Arbeit im unterirdischen Gange und nach abendlichen Marsch fiel der junge Landsknecht augenblicklich in einen tiefen Schlaf, in dem er zwar allerhand wüstes Zeug zusammenträumte von Schlössern, die bis in die Wolken ragten, von tiefen Abgründen, in denen wilde Gewässer tosten, von aufregenden Gefechten in denen ihm ständig der tote Fähnrich auf den Leib rücken wollte, doch als er am andern Morgen erwachte und das Geträumte sich wieder in Erinnerung bringen wollte, da zerrannen ihm die letzten Traumbilder in dem klaren Sonnenschein zwischen den neuen Gedanken des frischen Tages.

    Das Erste, worauf seine Augen fielen, als er seine eigentümliche Lage zu überdenken begann, waren seine gänzlich verschmutzten Kleider. So durfte er sich nicht sehen lassen im Dorfe, so vor allen Dingen nicht bei seiner Deern. Er sprang auf und versuchte die arg mitgenommenen Stücke seines Anzuges zu säubern; es nutzte nicht allzuviel. Da zog er sich soweit an, das er sich einigermaßen bei der Wirtin sehen lassen konnte.

    Er klagte ihr seine Not und bat sie, doch seinen äußeren Menschen wieder in einen Zustand zu bringen, das er sich nicht mehr zu schämen hätte vor ehrbaren Christenleuten; es solle im auf eine gute Bezahlung nicht ankommen; dabei klimperte er etwas mit seinem Gelde.

    Jörg Ramdöhr war nämlich, obgleich er erst am Tage zuvor aus dem Gefängnis herausgekommen und haarscharf am gewaltsamen Tode vorbeigerannt war, durchaus nicht ohne Geldmittel. Man hatte nicht, als in den Turm geliefert wurde, seine Taschen nachgesehen und erst recht nicht die sonstigen heimlichen Geldverstecke, deren er, wie die meisten anderen Soldaten, in der reichgefalteten Kleidung eine erhebliche Anzahl besaß. Aus den Kleidungstücken, die er zum Reinigen geben wollte, hatte er schon die versteckten Dukaten und Taler herausgetrennt. So war der junge Landsknecht durchaus nicht mittellos.

    Die Wirtin, die ihn zuerst mit scharfen Augen gemustert hatte, machte jetzt freundlicheres Gesicht und fragte ihn, ob er Kleidung zum Wechseln bei sich habe.

    Leider nicht, entgegnete Jörg Ramdöhr mit einem ziemlich unglücklichen Gesicht.

    Oh, das mache nichts aus, sie wolle ihm mit einigen Stücken zunächst aushelfen, und bei diesem hellen Sonnenschein würden seine Kleider bald wieder trocknen, und sie mache ihm dann alles zurecht.


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  44. So war nun der dem Tode entlaufene Wanderer bald aus aller Not. Er mußte sich zwar gedulden, bis die Frau Wirtin ihn wie neu eingekleidet hatte, doch gebrauchte er die Zeit dazu, um sich von der Wirtin über alle Verhältnisse im Dorf unterrichten zu lassen, und das besorgte sie denn auch gründlich; dabei erfuhr Jörg mancherlei über Metta, ihr väterliches Haus und ihre gesamte Verwandtschaft; im ganzen lautete der Bericht nicht ungünstig.

    Als dann die Wirtin ihn auszuholen begann, hatte er seine liebe Not, die fragende Frau zufrieden zu stellen. Er wollte doch weder den Zweck seines Besuches noch seine wunderbaren Schicksale in jüngst vergangener Zeit preisgeben, und so log er denn Abenteuer zusammen, die anfänglich die Wirtin wohl aufhorchen ließen, am Ende aber doch ihr Mißtrauen erweckten, als er sich nämlich vollständig festgeredet hatte und nicht mehr aus noch ein wußte. Er war deshalb froh, das er seine eigenen Gewandstücke wieder in Empfang nehmen konnte. Rasch kleidete er sich an, ging dann wieder zur Wirtin, bezahlte sie reichlich und ließ sie stehen, als sie ihr Fragespiel noch weiter fortsetzen wollte.

    Die Mittagszeit war schon vorüber, und die Gespanne strebten wieder dem Felde zu. Jetzt hoffte Jörg seine Deern allein auf dem Hofe anzutreffen. In unauffälliger Weise hatte er sich die Lage des Hofes erfragt.

    Vor allen Dingen wollte Jörg sich Klarheit verschaffen, wie Metta zu ihm stand. Er zögerte deshalb keinen Augenblick, nachdem die Spur seiner unterirdischen Reise verschwunden waren, die Deern aufzusuchen.

    Im klaren Sonnenschein schritt er die Dorfstraße entlang. Der gesuchte Hof war bald gefunden. Nun ging der Wanderer nicht erst lange eine günstige Gelegenheit erspähend, um den Hof herum, sondern schwang sich ohne zu zögern, über den Stegel des Zauns und schritt dann auf die Seitentür zu, die ins Flett führte. Er war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt, als sich die Tür auftat und seine Metta heraustrat, in der Hand einen Eimer tragend. Sie wollte wohl gerade Wasser aus dem Ziehbrunnen holen.

    Günstiger konnte es doch nicht kommen, schoß es Jörg durch den Kopf. Hier wollte er die Gesuchte gleich ansprechen, und dann würde man ja weiter sehen.

    Aber bevor er ein Wort an sie zu richten vermochte, stand sie mit großen weit aufgerissenen Augen plötzlich still, sah ihn verstört an, warf dann den Eimer klirrend auf den Boden, fuhr mit der Hand nach ihrer Brust, stieß einen


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  46. schrillen Schreckensruf aus, wandte sich um und rannte ins Haus, als ob der Leibhaftige sie beim Brunnen holen wollte. Die Tür fiel mit lautem Krach vor dem verdutzt draußen stehenden Landsknecht ins Schloß.

    Wie kam denn das? Metta war doch kein zartes Hoffräulein aus dem Celler Schloß. Warum mochte nur eine handfeste Bauerndeern sich so erschrecken? Hatte er etwas an sich, was anderen Leuten Furcht einjagte?

    Jörg trat an den Brunnnenrand, beugte sich über dessen hölzerne Umfriedung und besah sein Spiegelbild im klaren Wasser. Das sah aus wie immer; davor war noch niemals eine Deern weggelaufen.

    Sinnend blieb der trutzige Landsknecht am Soot stehen. Wie im Spiel faßten seine Hände nach der Sootstange, zogen den mit Wasser gefällten Eimer heraus und setzten ihn auf eine Bank am Brunnen. Ein Trank kühlen Wassers würde seinen Sinnen vielleicht mehr Klarheit vor schaffen. Er sah sich nach einem Trinkgefäß um. Da am Gartenzaun standen mehrere irdene Töpfe. Er griff nach einem, füllte ihn aus dem vollen Eimer und setzte ihn an den Mund.

    Als er sein Trinkgefäß langsam absetzte, öffnete sich von neuem die Tür zum Flett; aber nicht Metta trat heraus, sondern eine ältere Frau - es mußte wohl Mettas Mutter sein - wurde im Türrahmen sichtbar. Sie trat zögernd auf Jörg zu. "Warum verjagst du meine Tochter wenn du ein Mensch von Fleisch und Bein bist?" kam es kurz und knapp aus ihrem Munde.

    "0h Mutter, hab' Eure Tochter nicht erschrecken wollen. Konnt´ doch nicht denken, das sie so furchtsamen Gemüts ist."

    "Kann einer wohl Angst kriegen, wenn ihm heut' einer begegnet, der gestern totgeschossen ist."

    "Ach so, das war´s!" Jörg entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Also war wohl die Nachricht von seiner Verurteilung hierher gedrungen, aber nicht die Kunde von seiner absonderlichen Begnadigung. "Daß ich nicht tot bin, seht ihr ja."

    "Die Augen trügen manchmal. Kann einem genug Blendwerk vorgemacht werden. Hab' aber niemals gehört, das die Geister Wasser trinken, wie Mensch und Vieh."

    "Hat euch das also mein Menschsein bewiesen. Der Schloßprediger in Celle hat doch recht, wenn er daherredet, Wasser sei das Beste, sogar besser als Wein. Hab´s aber nie glauben wollen."


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  48. Die Frau nickte: "Gut wär´s schon, wenn ihr jungen Burschen auf alte Leute hören wollt. Passierte nicht soviel Unheil. Würden auch keine Männer mit Bierkrügen totgeschlagen."

    Jörgs Gesicht senkte sich und wurde düster. Seine vermaledeite Tat. Trat sie ihm überall entgegen?

    "Seid ihr den Celler Häschern entwischt, dann sind sie bald euch im Nacken und packen euch."

    "Keine Sorge! Bin nicht davon gelaufen. Hab' mir mein Leben ehrlich und sauer verdient."

    Dann erzählte er von seinem Gang unter dem Boden der Erde und unter den strudelnden Wassern hindurch, von all der Finsternis und von seiner schweren Arbeit ums Leben.

    "Müßt euch doch melden im Celler Schloß beim Herrn Großvoigt oder beim gnädigen Herzog. Warum seid ihr erst hierher gelaufen?"

    Jörg kratzte sich hinterm Ohr. "Wollt - eigentlich nicht wieder nach Stadt und Schloß Gelle zurück. Vermißt mich dort kein Mensch. Wollt nur etwas vom Gang erfahren. War so eine Laune vom gnädigen Herrn. Sag' ich jetzt: Hab' ihn ausspioniert, muß ich noch einmal wieder durch die Finsternis und ihn zeigen. Davor graut mir. Mögen die Herren im Schloß mich armen Hascher wohl schon vergessen haben. Als ich mit Trommeln aufgehört, hat jeder geglaubt, der Teufel hat mich geholt."

    "Sprecht nicht so gotteslästerlich; hat euch doch der Höchste so sichtbarlich aus der Finsternis geholfen. Müßt denn kein grundschlechter Kerl sein, wärt sonst in Mudd und Moder stecken geblieben."

    "Dank euch, Mutter, für das Wort."

    "Habt aber doch eine schlimme Tat auf euch geladen. Habt ihr euch vom irdischen Richter auch gelöst, müßt ihr auch den himmlischen noch erst versöhnen."

    "Will ich auch, wenns durch der Hände Arbeit geschehn kann. Will mich vom Soldatenstand lösen; freigegeben in Celle bin ich schon. Mag ja zu Zeiten auch ein gottseliger Stand sein, wenn der Feind im Land steht und Frauen und Kinder jammern. Kommt er, geh' ich wieder mit und streit' für mein Land. Aber jetzt will ich erst Brot schaffen."

    "Hör' ich gerne. Geht hin und tut nach euren Worten."

    "Soll aber noch was anderes dazugehören zum fleißigen Leben."

    Jörg sah die Mutter von der Seite zweifelnd an.

    "Was denn noch?"


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  50. Jörg warf wieder einen schrägen Blick zu ihr hinüber. "Mit einem Weib gings schon leichter."

    "Und wenn ihr deren überdrüssig seid, haut ihr der Frau auch den Schädel ein."

    "Um Gott, Frau Mutter, wie dürft ihr das sagen! Hab noch keinem Weibsbild ein Leid angetan und möcht's auch nicht."

    Die Mutter sah ihn prüfend an und nickte: "Glaub's schon für jetzt. Und wenn euch der Saufteufel in der Klauen hat?"

    "Werd mich schon vor seinen Krallen in acht nehmen. Bin ihm einmal in den Rachen gelaufen. Wie mich das reut. Könnt ich's ungeschehn machen, gäb viele Jahre meines Lebens dafür."

    "Gott's Segen zum guten Willen! Geht hin, wo ihr euer Zuhause habt, sucht euch ein ordentlich Weib, und haltet sie wert." Die Mutter tat, als wollte sie ins Haus gehen.

    "Hört noch auf ein Wort, Frau Mutter!" kam's eilig aus seinem Munde.

    "Nun? Was soll's?"

    "Wüßt bei mir zu Haus kein Weib. Hätt' aber hier eins im Sinn."

    "Wen denn?"

    "Eure Tochter Metta."

    Die Mutter lachte scharf und kantig: "Könnt jeder hergelaufene Bursch kommen."

    "Bin kein hergelaufener Bursch. Hab' ebenso Haus und Hof wie ihr."

    "Und dann lauft dem Kalbfell nach?"

    "Konnte es zu Haus nicht mehr aushalten. Sind die Zeiten doch so unruhig. Nehmen einem selbst die Ruhe mit. Mußte eben kreuz und quer durch die Welt ziehen."

    "Und dabei haarscharf am Galgen vorbeischlüpfen."

    "Bin der Unstetheit aber nun satt. Möcht' wieder heim zur Mutter. Hat mir schon ein paarmal Botschaft zukommen lassen: Sollt mich bald rüsten zur Heimfahrt, wollt' ich sie noch in dieser Welt antreffen."

    "Wo ist denn eure Mutter zu Haus?"

    "Zu Kirchlinteln im Stift Verden."

    "Hab' den Namen schon gehört." Die Mutter nickte und besann sich.

    "Also gebt ihr mir eure Tochter mit, Frau Mutter?"

    "Hab' nichts davon gesagt. Weiß ja gar nicht , ob ihr auf eurem Hof noch eine Frau durchbringen könnt. Mag alles


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  52. bis über die First verschuldet sein. Hab und Gut verfliegt, wenn man in der Welt rumsaust."

    "Ist dem nicht so. Der Vater ist schon vor langem gestorben; aber die Mutter wirtschaftet gut. Aber wenn auch. Hab' manchen Goldgülden eingenäht in meinem Wams."

    "Auch wohl gestohlen und geraubt."

    "Nicht doch, Frau Mutter, hab' keinen drum erschlagen; habe auch keinem mit Gewalt genommen. Doch im Kriege findet sich Gut, das keinen Herrn hat."

    "Mag sein. Wenn nur kein Blut dran klebt; sonst bleibt's nicht beim neuen Herrn."

    Jörg hatte seine Blicke häufig nach dem großen strohgedeckten Wohnhaus hingleiten lassen und längst wahrgenommen, das hinter den bleigefaßten Ruten der Fenster eine Lauscherin stand. Jetzt kam ihm ein absonderlicher Einfall.

    "Ruft doch eure Tochter her und laßt mich fragen, ob sie mit mir ziehen will."

    "Und wie ein Paar Tatern durch die weite Heide fahren" spottete die Mutter.

    "Hol' sie gern mit Pferd und Wagen in mein Haus."

    "Hört sich schon anders an. Das Jawort gibt bei uns der Bauer. - Metta" Das Mädchen trat sofort in die Türöffnung und kam mit rotem Kopf zögernd näher.

    "Was sagst du zu dem Freier?"

    Metta sah etwas verwirrt zu dem sie freundlich anlächelnden Jörg hinüber, darauf zu der Mutter hin, fingerte dann an ihrem Schürzenzipfel herum, sah einen Augenblick vor sich hin und antwortete nun halblaut: "Ihn möcht' ich schon."

    Darauf war Jörg mit zwei Schritten an ihrer Seite, um sie an sich zu ziehen. Bevor er aber soweit kam, trat kräftigen Schrittes die Mutter dazwischen und entschied in ihrer kurzen und bestimmten Art: "Nichts da, Hand vom Sack. Erst hat der Vater sein Wort zu sagen. Wenn der zustimmt, soll´s so sein. Ihr kehrt sogleich zu eurer Mutter zurück. Bleibt nicht einmal diese Nacht hier. Die Deern soll nicht mit euch ins Gerede kommen. Nach drei Jahren könnt ihr wieder kommen, wenn ihr in der Zeit treu und brav eure Arbeit getan habt. Muß einer erst beleben wie Bauernarbeit ihm wieder schmeckt. Seid ihr dann noch desselben Sinns und wartet auch die Deern auf euch solange, dann könnt ihr zusammenkommen."


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  54. "Erst in drei Jahren?" kam es enttäuscht aus dem Munde das Landsknechts.

    "Ja, erst in drei Jahren. Einer muß erst sehen, ob eure Arbeit nach der bösen Tat gesegnet ist. Einem Menschen mit schwerer Schuld gibt die Erde keine Frucht. Nur wenn der da oben ein sichtbares Zeichen gibt, daß er euch in Gnaden wieder annimmt, dürft ihr früher kommen,"

    "Was meint ihr damit?"

    "Werdet ihr schon verstehen, wenn's da ist. Ich werde Kunde einziehen, ob sich´s mit eurem Zuhause so verhält, wie ihr gesagt. - Da kommt der Vater mit seinem Gespann vom Felde heim; der muß erst zu allem ja sagen."

    Als das Gespann des Bauern auf den Hof rasselte, nahm ihn die Mutter in Empfang und berichtete ihm alles haarklein, was sich während seiner Abwesenheit zugetragen.

    Zunächst war der Bauer recht wenig erbaut von dem, was er zu hören bekam. Für Landsknechte hatte er schon so nicht viel übrig, und für den, der in Bröckel den Fähndrich erschlagen, noch viel weniger.

    Doch seine Frau hatte während ihres Redens eine gewisse Zuneigung für den bös mitgenommenen jungen Mann gefaßt und wußte durch kluge Reden den Bauern soweit zu bringen, daß er den Freier nicht von vornherein ablehnte.

    Als er dann Jörg Ramdöhr kennen gelernt hatte, schwand ein Teil seines Mißtrauens. Es blieb aber bei dem, was die Mutter gesagt hatte - wie denn ihr Wille auf dem Hofe meistens befolgt wurde, ohne daß der Bauer merkte, wie klug ihn seine Frau zu lenken wußte.

    Noch vor Anbruch des Abende mußte sich Jörg Ramdöhr auf den Heimweg machen. Aber wie nun junge Leute einmal sind: Die Mutter wird sie niemals hüten können; Jörg fand richtig noch am nachmittage Gelegenheit Metta recht fest in seine Arme zu schließen, und seine Küsse blieben nicht unerwidert.

    Und dann machte sich der gewesene Landsknecht auf den Heimweg zu seiner Mutter. Sich noch einmal in Celle bei dem Großvoigt zu melden, davon war er gänzlich abgekommen, nachdem ihn Metta gewarnt hatte, da sie dem Frieden noch nie recht traute, und auch ihr Vater hielt das nicht für nötig; er sah die Angelegenheit mit dem unterirdischen Gang so an, als ob die Celler Herren Jörg nur zu ihrem Vergnügen durch die Finsternis geschickt hätten.

    Jörg Ramdöhr wollte am späten Nachmittage noch etwas vor sich bringen und schritt deshalb rüstig aus. Vielleicht


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  56. konnte er schon am folgenden Abend, wenn er tüchtig marschierte, bei seiner Mutter sein.

    Aber es kann einmal wieder anders, als er und andere Menschen es sich dachten.

    Jörg hatte noch nicht einmal das Dorf Eicklingen hinter sich gelassen, da kam ihm ein Gespann in wildester Fahrt entgegen. Hinter den, durch irgend ein Ereignis scheu gewordenen Pferden, wurde ein leerer Ackerwagen von einer Seite des unebenen Weges zur anderen geschleudert. Doch halt, leer war der Wagen nicht; auf ihm schrien und weinten zwei kleine Kinder, die in höchster Gefahr sich befanden. Blieben die Pferde so in Fahrt, dann konnte man mit Sicherheit annehmen, das an der nächsten Wegecke der schwankende Wagen gegen einen Baum oder einen Zaun geschleudert wurde, und was mochte dann aus den armen Kindern werden?

    Jörg war von jeher ein beherzter Mann gewesen, und so besann er sich auch jetzt keinen Augenblick. Er sah die Not der Kinder und sprang, um die schwer Gefährdeten zu retten, den wilden Tieren in die Zügel. Es gelang ihm natürlich nicht, die rasenden Pferde sofort zum Stehen zu bringen. Noch eine ganze Strecke wurde er mitgeschleift; doch er ließ nicht locker, riß derart an den Zügeln, daß die Tiere bald eine langsamere Gangart einschlugen und dann plötzlich standen.

    Es war höchste Zeit für Jörg, das er die scheuen Pferde zur Ruhe gebracht; als er die Zügel los ließ, fiel er zu Boden und konnte sich nicht wieder erheben; aber die Kinder waren gerettet. Im letzten Augenblick strömten schon Männer und Frauen aus den Höfen heraus und sahen das lebensgefährliche Tun Jörgs. Als er jetzt stürzte und liegen blieb, fanden sich genügend hilfsbereite Hände die den arg zerschundenen aufhoben und ins nächste Haus trugen, es war der Dorfkrug, in dem Jörg Ramdöhr erst vor wenig Stunden unternehmungslustig sich zur Freite gerüstet.

    Die Wirtin nahm ihn wieder in Empfang und schlug die Hände über dem Kopf zusammen als sie ihn in diesem Zustande sah. Hatte schon seine Kleidung am Morgen nicht gut ausgesehen, so war sie jetzt in dem allerschlimmsten Zustande.

    Ein heilkundiger Schäfer untersuchte die Verletzungen Jörgs; sie zeigten sich weniger bösartig, als man erwarten hatte. Der Hirt verstand es, verrenkte Glieder wieder in


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  58. Ordnung zu bringen, und so durfte man hoffen, daß der Darniederliegende, der zunächst weder gehen noch stehen konnte, bald wieder Arme und Beine zu seiner Verfügung hatte.

    Man ließ es dem Verunglückten im Dorfkrug an nichts fehlen. Die ganze Dorfschaft beeiferte sich, ihm das Beste aus Küche und Keller zu schicken, hatte er doch zwei Kinder des Dorfes mit Einsetzung von Leben und Gesundheit gerettet.

    Da Jörg Ramdöhr viel Besuch bekam, fiel Mettas häufiges Kommen in der ersten Zeit nicht allzusehr auf. Die Mutter hatte, als sie von Jörgs Tat erfuhr, sofort ihren Einspruch gegen die Heirat der jungen Leute aufgegeben. Es war jetzt ja geschehen, was sie als besonderes Zeichen gefordert hatte. Durch seine Lebensrettung hatte er seine böse Tat in Bröckel gesühnt; er mußte wieder in Gnaden angenommen werden, sonst hätte er ein solches Werk nicht vollbringen dürfen. Das genügt ihr vorläufig.

    Als umsichtige Hausfrau und Mutter hatte sie zudem sofort eine Umträgersche beaufgragt, in Kirchlinteln alles zu erkunden. Die war nach wenigen Tagen mit günstigen Nachrichten zurückgekehrt. Da trat die Frau auch bei ihrem noch zögernden Manne für das junge Paar ein, und so konnte, als Jörg Ramdöhr sich wieder von seinem Lager erhob, der Verspruch gefeiert werden.

    Noch im Spätherbst desselben Jahres gingen mächtige Kistenwagen wegen der unsicheren Zeiten mit starker Bedeckung durch die Jungmannschaft des Dorfes - nach Kirchlinteln ab.

    Dort wurde dann auch die Hochzeit gefeiert zur großen Freude der Mutter Jörgs.

    Die glücklichen Ehejahre des Paares zeigten, daß das Schicksal dem Manne seine ungewollte, überschnelle Tat nicht anrechnete. Nachkommen Jörgs und Mettas leben noch heute auf dem Hofe.

    In Celle aber glaubt man bis in unsere Tage, das damals der junge Soldat in den Tiefen der Erde verschwunden, als er den unterirdischen Gang auskundschaften wollte. Jörg schwieg gegen Fremde hartnäckig Über diesen Weg, und seine nächsten Angehörigen brachten auch keine Kunde davon unter die Leute. - Nachher fand sich niemand mehr, der zu dem Wagnis im finsteren Schoß der Erde bereit war.


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  60. .... da hat die Magd dem jungen Jäger den Tanz versagt.

    Wütend war er hinausgelaufen, der junge Forstmann Wilbrand Wilkens. Das hatte er denn doch nicht erwartet und sicher auch nicht verdient. Die Flinte sollte man nehmen und einfach eine Schrottladung dazwischen pfeffern, oder besser: mit dem Hirschfänger in der Faust dreinhauen! Wenn man nur wüßte, bei wem den Anfang machen! Aber lachen würde die ganze Gesellschaft, und wie mochten die jungen Männer erst grinsen, wenn sie erfuhren, was ihm passiert war, ihm, dem Grünrock, bei dessen Erscheinen die jungen Mädchen immer das freundlichste Gesicht aufsteckten.

    Aber eigentlich waren diese Menschen gar nicht die Schuldigen, das mußte Wilbrand Wilkens sich eingestehn, nachdem er in höchstem Zorn eine Strecke des schmalen Waldweges in völliger Finsternis zurückgelegt hatte. Die einzige Schuldige war doch nur sie. -

    Wild konnte man werden, noch hier zwischen


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  110. Das mußte jeder einsehen.

    Die Bannreise wurde bis zum Abend in ganz Swartloh und in allen Nachbardörfern bekannt.

    Man sah nachdenklich drein. War es recht, daß man solche übernatürlichen Kräfte anrief? Wer aber wollte bestreiten, daß es vielleicht in Bremen einen Mann geben könne, der über derlei Künste verfügte!

    Alles war gespannt darauf, ob Grotjohann seine fünfzig Taler wiederbekäme.

    Ganz unnützerweise.

    Als Grotjohan am Morgen seine Stiefel anziehen wollte, bekam er den linken nicht über die Füße. Hatte denn der Schuster etwa einen Leisten im Stiefel vergessen?

    Grotjohann langte hinein und zog ein hartes Paket aus dem Stiefel. Mit einem Grienen öffnete er das gewichtige kleine Päckchen. Es waren seine fünfzig Taler vollwichtig, keiner fehlte.

    Da sag' einer, daß das Bannen nicht hilft!


    Von demselben Verfasser erschien im Verlage von Holger Selke in Hannover
    "Die Gilkenheide", Erzählung aus dem Dreißigjährigen Kriege. Preis 60 Pfg.
    Zu haben in allen Buchhandlungen


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